Börne kulminiert als Schriftsteller mit seinen Briefen aus Paris, besonders mit dem ersten Bande dieses Werkes. Bücher zu schreiben war er nicht imstande, nicht einmal Abhandlungen oder Untersuchungen; für seine Stimmungs- und Gedanken-Explosionen paßte keine Form besser, als die Briefform Und es sind wirkliche Briefe, keine Zeitungsartikel, nicht einmal Korrespondenzen, an ein Blatt gerichtet, nein Briefe, an eine Freundin geschrieben, und von Anfang an ohne einen Gedanken an Veröffentlichung, bis die Freundin die Initiative ergriff und sich Börnes Einwilligung dazu erbat, versuchsweise aus den empfangenen Mitteilungen das ausziehen zu dürfen, was für ein größeres Publikum Interesse haben könnte.
Der Name dieser Dame war Frau Jeanette Wohl; sie nimmt in seinem Leben einen großen Platz ein, wenn vielleicht auch nicht einen so großen Platz, wie er in ihrem Leben. Aber vom Jahre 1816, in welchem er sie kennen lernte, bis zu seinem Tod 1837, also in vollen zwanzig Jahren, hat er ihr sein Vertrauen geschenkt, und kaum einen Schritt gethan, ohne ihn mit ihr beraten zu haben, während seine schriftstellerische Thätigkeit, der Zustand seiner Gesundheit und sein tägliches Leben gleichzeitig der Mittelpunkt ihrer Existenz war.
Als sie sich zum erstenmal sahen, war er dreißig, sie dreiunddreißig Jahre alt. Sie war mit einem reichen Mann verheiratet gewesen, mit dem sie unglücklich gelebt hatte, und von dem sie, nachdem sie ihn während einer langwierigen Krankheit gepflegt, sich |92| scheiden ließ, ohne irgend einen Teil seines Vermögens ann und ohne seinen Namen behalten zu wollen. Lebte Börne mit ihr am gleichen Ort, so las er ihr alles vor, was er schrieb; lebten sie getrennt, so war sie die strenge Mahnerin, die ihn zur Arbeit anspornte, eifrig dafür besorgt, daß er Ruhm gewinne und sich Unabhängigkeit sichere. Bald wieder, wenn sie fürchtete, daß er zu fleißig sei, und daß seine schwankende Gesundheit darunter leiden könne, war sie die ängstliche Freundin, die ihn anflehte, sich die Verpflichtungen gegen die Verleger doch nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen und sich die nötige Erholung zu gönnen.
Besorgt um seine Ehre, wie sie war, verbrachte sie lange Zeiten in Angst und Aufregung, wenn es ihr schien, daß er sich seinen Pflichten dem Publikum gegenüber entziehe. Als Börne z.B. von den Abonnenten der »Wage« die Pränumerandozahlung für den zweiten Band dieser Zeitschrift empfangen hatte, aber, nachdem er fünf Hefte fertig gestellt, eine längere Pause machte, weil er von der Arbeit ermüdet war und außerdem wegen starker Geldverlegenheit nach ergiebigeren Ressourcen suchen mußte, da hielt sie ihn in ihren Briefen, die er immer in einer Spannung, die sich biFieber steigern konnte, erwartete, mit der Erfindungsgabe und Ausdauer eines bekümmerten Weibes in den verschiedensten Wendungen und Formen die »Wage« vor Augen. Sie bittet und droht, sie ermahnt und neckt, sie sendet ihm vier große Seiten, die nur das eine Wort »Die Wage« enthalten.
Auf der anderen Seite ist sie wiederum ebenso oft nur von dem Wunsche erfüllt, ihn zu zerstreuen und zu unterhalten, ihn vor Überanstrengung zu bewahren und seine gute Laune gegen Anfechtungen zu schützen. Erkrankt er ernstlich in der Ferne, so trauert sie darüber, ihn nicht pflegen zu können; ja sie ist einmal fest entschlossen es zu thun und ihren guten Namen dabei aufs Spiel zu setzen; sie weiß ja recht wohl, daß die Umgebung dann nicht daran glauben wird, daß nur Freundschaft sie verbinde.
|93| Es war in Wirklichkeit ein Mischgefühl von Freundschaft und Liebe, für welches in der Sprache ein Ausdruck fehlt. In dem Nachlaß von Jeanette Wohl fand man ein gewöhnliches Gesindebüchleinn der freien Stadt Frankfurt, auf dessen Titelblatt Börne im November 1818 seinen Namen und sein Signalement geschrieben hat. Das erste Blatt enthält:
Trat in Dienst wann? 15. januar 1818. Bei wem? Frau Wohl. Auf wie lange? auf ewig. In welcher Eigenschaft? Als Freund. Trat aus wann? an seinem Sterbetage.
Man kann nicht lakonischer eine lebenslange Ergebenheit außerhalb aller legitimen Bande ausdrücken. Und die letzten Worte gingen buchstäblich in Erfüllung; denn Jeanette war das Wesen, auf dem der letzte Blick des Sterbenden ruhte, und an sie richtete er seine letzten Worte: »Sie haben mir viel Freude gemacht.«
Das nach Börnes eigener Aussage wohlgetroffene Bild Jeanette Wohls zeigt eine Frau mit länglichem Gesicht, regelmäßigen, angenehmen Zügen, hoher Stirn, seelenvollem, schön geschnittenem Mund und etwas funkelnd Innerlichem in dem Blicke; das starke Kinn deutet auf Energie. Ihre Stimme soll ungewöhnlich wohlklingend gewesen sein. Sie war keine ausgeprägt originelle, viel weniger eine produktive Natur, aber sie ist eine der Frauen gewesen, die ganz in Ergebenheit für einen Mann ausgehen können. Sie hat gegenüber Börne als Schriftsteller die dem Weibe so natürliche Eigenschaft besessen, dem Manne Selbstvertrauen einzuflößen, sie hat eine herabsetzende Äußerung von ihm über die eigenen Fähigkeiten und Verdienste so übel aufgenommen, als sei sie von einem anderen gesagt. Sie ist sein Trost in Menschengestalt gewesen. Er besaß in ihr das Wesen, auf welches er sich unbedingt verlassen und dem er alles anvertratuen konnte, ohne Gefahr zu laufen, jemals mißverstanden, geschweige verraten oder ausgeliefert zu werden, und |94| an das er seine ganze schriftstellerische Wirksamkeit richten konnte. Sie war ihm eine Abbreviatur des idealen Publikums, für welches er schrieb. In einem seiner Vertrauten Briefe erklärt Börne einmal, er habe seine Gefühle für Jeanette an einer Stelle der Neuen Heloise charakterisiert gefunden. Sie lautet: Es ist jenes rührende Vereinigung so lebhafter Empfänglichkeit und unversiegbarer Sanftmut, es ist jenes zarte Mitgefühl für alle Leiden anderer, es ist jener gerade Verstand und jener auserlesene Geschmack, welche ihre Reinheit aus derjenigen der Seele schöpfen, mit einem Wort, es sind die Reize der Empfindungen, die ich in Ihnen verehre. — Und daß er geiringere Anziehungskraft ausübte als diejenige, deren Gegenstand er war, das erfährt man, wenn man liest, wie Jeanette im Jahre 1833 (siebzehn Jahre, nachdem sie einander kennen gelernt hatten) als eine fixe Idee, eine chronische Krankheit die Gemütsbewegung bezeichnet, in welcher sie sich um die Zeit der Ankunft der Post befinde. An dem Tage hat sie ihre Arbeit unterbrechen und sich aufs Kanapee legen müssen, und da der Brief kommt, weint sie vor Freude.
Sie ordnet die Geldangelegenheiten für ihn, berechnet Honorare, kassiert seine Polizeipension ein, und als einmal heftig der Wunsch einer Reise nach Italien in ihm erwacht, wozu ihm aber die Mittel fehlen, kauft sie ein Lotterielos in der Hoffnung, das Reisegeld für ihn zu gewinnen; als diese Hoffnung vereitelt wird, will sie ihr Klavier verkaufen, kann aber die erforderliche Summe nicht dafür erhalten. *
Und all dieses ohne eigentliche Erotik. Ja noch mehr hielten ihre Freunde sie fähig für ihn zu thun. Als in ihr die Idee erwachte, Börne solle seine Briefe an sie in den Druck geben, richtete sie an eine ihrer Kousinen naive Frage, ob man Briefe, deren Adresssat nicht tot sei, herausge|9|geben könne; die Angeredete gab ihr die Antwort, sie traue Jeanetten schon zu, daß sie sich begraben lasse, um dem Dr. Börne nützlich zu sein.Oft haben sie gemeinsame Reisen unternommen, bisweilen, scheint es, zusammen gewohnt, aber niemals wechselte ihr Verhältnis seinen Charakter. Es ist anzunehmen, daß Börne in der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft versucht hat, die Freundin zu einer Heirat zu bewegen; aber der Versuch ist gescheitert an ihrer, später auch von ihm geteilten Scheu davor, daß das Verhältnis durch eine alltägliche Ehe an Reiz verlieren würde. Ohne eine noch so schwache, wenn auch noch so wenig bewußte physische Antipathie oder Kälte von der weiblichen Seite oder von beiden, erscheint es doch kaum erklärlich, daß sich das Verhältnis so lange auf demselben Punkte halten konnte, da beide frei und Herren ihrer Person waren. Ein äußeres Hindernis bestand zwar darin, daß Börne der Konfession nach ein Christ, Jeanette dagegen eine Jüdin war, deren orthodoxe Mutter leidenschaftlich gegen den Übertritt der Tochter zum Christentum Widerspruch erhoben haben würde, eine Mischehe aber in jenen Tagen mit großen Schwierigkeiten verknüpft war; doch diese Schwierigkeit war nicht die entscheidende. Jeanette sagt selbst in ihren Briefen, dazu, Börne zu heiraten, gehöre »mehr Mut und auch mehr Selbstvertrauen« als sie habe, und wir sehen ihn, den wir als einen so unsinnig verliebten Jüngling kennen lernten, und der sein Leben hindurch unter einem eifersüchtigen Temperament litt, sich in diesem Verhältnis schnell zu der Höhe der reinen Ergebenheit erheben, so daß er nicht selten in Jeanettens Interesse sie auffordert, einen Mann zu heiraten, der ihrer würdig sei, und mit ihm ein glückliches Heim zu gründen.*
|96| Seine kühnen Worte in einem dieser Briefe, daß er und sie in ihrer gegenseitigen so eigenartigen Liebe nichts durch ihr Ehe mit einem andern verlieren würden, gingen durch einen Ausnahmen fall in Erfüllung. Als Jeanette in ziemlich vorgeschrittenem Alter von einer wirklich irdischen Verliebtheit gepackt wurde und viel jüngeren Mann heiratete, war es die gemeinsame Begeisterung für Börne, die das Paar zusammenführte, und in Jeanettens Antwort aus den Freiersbrief kommt ein längerer Abschnitt übers vor, der in seiner einfachen Beredtsamkeit so charakteristisch is, daß er nicht in dieser Analyse seines Menschenwesens und seines Lebens als Schriftsteller entbehrt werden kann. Sie schreibt:
»Der Doktor hat niemand aus der Welt, als mich, ich bin ihm Freundin, Schwester, alles, was sich mit diesem Namen Freundliches, Teilnehmendes, Wohlwollendes im Leben geben, bezeichnen läßt. Wollten Sie ihm das mißgönnen? — der nichts weiter hat im Leben und sich mit dem Schicksale abgefunden hat . . . ja sich sogar dabei glücklich fühlt? . . . Ich kann mir’s nicht anders denken: der Doktor muß bei uns sein können, wann, wo und so oft und für immer, wenn er es will — ich kann jetzt nicht Sie sagen, das Herz ist mir zu voll — kannst Du Dir es anders denken — ist alles anders, wie ich es mir dachte. Ich! Wir! sollten einen Mann wie den Doktor verlassen können — er wäre ein aufgegebener, verlorener Mann! Lieber alles verlieren, lieber nicht leben, als das auf mein Gewissen laden, auch könnte ich es nicht, ich auch wollte . . . Schon diese wenigen Worte, die ich darüber geschrieben, haben mich zittern und leichenblaß gemacht. Denn |97| nichts kann mich tiefer erschüttern, als auch nur der leiseste Gedanke an einen Verrat, nur der leiseste Gedanke der Untreue an der Treue. So lange ich lebe, bis zum letzten Atemzuge werde ich für Börne die Treue, die Liebe und Anhänglichkeit einer Tochter zu ihrem Vater, einer Schwester zu ihrem Bruder, einer Freundin zu ihrem Freunde haben. Wenn Du das Verhältnis nicht auffassest, nicht begreifst, mich nicht genug kennst so ist alles aus und Nacht. Ich kann nicht weiter schreiben. Es ist gut. Jetzt ist es überstanden.« *
Es zeigte sich, daß Strauß, der zukünftige Gemahl von Jeanette, in allen Punkten auf ihre Empfindung einging und sie teilte. Er wurde Börne ein treuer Freund. Im Sommer 1833 lebte Börne fünf Monate bei dem Paare in der Schweiz. Als die beiden sich ihm zulieb in Paris niederließen, lebte Börne mit ihnen zusammen vom Ende des Jahres 1833 bis zu seinem Tode, im Winter in Paris, im Sommer in Auteuil. Niemand hat sich ein herabsetzendes Wort über dies Verhältnis erlaubt mit Ausnahme Von Heine an jener unseligen Stelle seines Buches »Ludwig Börne«, die zu dem Duell mit Strauß Anlaß gab, wobei Heine verwundet wurde. Er hat später aus eigenem Antrieb die Stelle ausgemerzt. Doch in dem Verdruß und Ärger darüber, wie stark die Schrift über Börne seinen eigenen Ruhm geschädigt, machte er gern in Gesprächen seinem Unwillen gegen Jeanette Lust. Sie war ihm das häßliche Weib, das, als er der Lieblingsdichter Deutschlands geworden und seinen Triumphzug hielt, ihm Unheil verkündend quer über den Weg schritt und die Schuld daran trug, daß er zurückfuhr und seinen schönen Lorbeerkranz im Kot verlor.*
Gewiß hat Jeanette Heine niemals seine unverzeihliche Ver|98|unglimpfung Vergessen, aber niemand war weiter als sie davon entfernt, eine Megäre zu sein. Es war beinahe wahr, was Börne, der sich über ihre Rechtschreibung lustig zu machen pflegte, einst an sie schrieb: in dem Briefe, den er an jenem Tage erhalten, seien mehr Fehler, als sie selber habe — nämlich einer.
Man kann in ihren Ansichten Börnes politischen Entwickelungsgang verfolgen. Nach der Julirevolution gehört auch sie der radikalen Demokratie an. Wie ihr Biograph Schnapper-Arndt es vortrefflich ausgedrückt hat: Sie denkt meist mit Börne, zuweilen wider Börne, selten aber ohne ihn.
Völlig selbständig scheint sie in ihrer geradezu glühenden Sympathie für das polnische Volk während des Aufstandes in dem russischen Polen zu sein; ihre Leidenschaft treibt sie hier zu heftigen Vorwüfen gegen Börne, weil er in solchen Zeiten über die italienische Oper in Paris schreiben könne. Die polnischen Sensenträger, die polnische Freiheit — daneben klingt ihr überhaupt nichts. Sie meint alle müßten helfen, sie selbst giebt ihre Wertsachen für die Polen hin und nichts gleicht ihrem Schamgefühl, als die Deutschen anscheinend zuerst gleichgültig der polnischen Sache gegenüber stehen, nichts ihrer Freude, als ein Sturm von Sympathie und Begeisterung durch das deutsche Volk geht, und sie Börne die Zeugnisse davon mitteilen kann.