Das junge Deutschland (1891)

|[99]| X

Der polnische Aufstand, welcher vom Winter 1830 bis zum Sommer 1831 dauerte, war von fast allen Nationen Europas mit der lebhaftesten Teilnahme verfolgt worden. Alle wußten, daß die Frage, welche in Polen entschieden wurde, die war, ob Absolutismus oder Volksfreiheit zukünftig in Europa herrschen sollte. Mit größter Spannung achtete man daher auf die Stellung der streitenden Teile; jeder Sieg der Polen wurde mit Jubel begrüßt, jede Niederlage war von einer Art Volkstrauer begleitet. Gegen das Ende, als man sah, daß die Polen nicht im stande waren, durch eigene Kraft allein zu siegen, wurden zahlreiche Adressen an die verschiedenen deutschen Regierungen gerichtet mit dem Verlangen, den Polen beizustehen. Die Deutschen hatten damals die Eigenschaft, welche Bismarck ihnen später als Fehler vorgeworfen hat: sich fast mehr für das Wohl fremder Völker, als für das eigene zu interessieren, und zwar sogar da, wo das fremde Wohl nur auf Kosten des deutschen Machtgebietes erkauft werden konnte. Sie haben unter ihm diesen Fehler abgelegt.

Als alles für die Polen verloren war, bestrebte sich die Bevölkerung Deutschlands wenigstens ihr Mitgefühl an den Tag zu legen und den polnischen Flüchtlingen auf ihrem Wege durch Mitteldeutschland nach Frankreich so viel Gastfreundschaft wie möglich zu erzeigen. Überall wurden sie mit Wärme empfangen, fast jede deutsche Stadt hatte ihren Ausschuß, der Geld für die Polen sammelte und für ihre Weiterbeförderung sorgte. Jeanette Wohls |100| Briefe an Börne enthalten manchen feinen und bezeichnenden Zug zur Geschichte dieser Ereignisse. Sie berichtet, wie polnische Offiziere, die von Hanau her zu Wasser nach Frankfurt am Main gekommen, von begeisterten Polenfreunden begleitet wurden und ihren Einzug von den Schiffen in die Stadt unter Musik und Böllerschüssen hielten. Auf starken Metzgerarmen sind sie durch die Menge getragen worden. Man ersieht aus ihren Briefen, daß, so oft Züge von Polen durch die Stadt kamen, alles auf ihrem Weg ehrerbietig das Haupt entblößte. Für die in den Gasthösen Einquartierten wird von der Stadt bezahlt. Als in einem derselben ein verwundeter polnischer Offizier stirbt, geben ihm Tausende das Geleit, auch das Frankfurter Bürgermilitär folgt mit zum Grabe. Ein Goldarbeiter faßt für einen polnischen Offizier einen Eisensplitter, der ihn verwundet hatte, zu einem kleinen Schwerte um, befetzt es mit Brill und schenkt ihm den Schmuck.

Mit Polen fiel das Bollwerk gegen den Einfluß des russischen Absolutismus in Deutschland. Die Niederlage Polens war Niederlage für die Vorkämpfer der Volksfreiheit in allen Staaten. Der Eindruck war erschütternd.

Ein Mann, der in Bremerhafen anfässig war, als die Höllenmaschine des Massenmörders Thomas sprang, erzählt, daß unmittelbar, nachdem er den Knall der fürchterlichen Explosion gehört hatte, durch das offenstehende Fenster eine abgerissene blutige Hand zu ihm hereinflog und auf den Schreibtisch niederfiel, an welchem er faß. Gerade so wirkte Warschaus Einnahme auf die deutschen Schriftsteller. Die abgehauene Hand des verstümmelten Polens fiel ohne Warnung zu ihnen auf den Schreibtisch herab. War es doch Heine, während er 1831 die Einleitung zu Kahldorfs Buch über den Adel shcrieb, als »spritze das Blut von Warschau bis auf sein papier, und als höre er die Trompeten der Berliner Ukasuisten und Knutologen zu einem neuen Feldzeuge blasen«

Die drei Teilungsmächte waren schnell entschlossen, den Sieg |101| zu benutzen, um den bestürzten europäischen Liberalismus zu überwältigen, und zwar zu gleicher Zeit in vier Ländern: in Deutschland, wo der Bundestag eine stärkere Reaktion einleiten und Preußen und Osterreich sie vollziehen sollten, in Italien, das wieder von Osterreich besetzt, in Portugal, wo Dom Miguel gegen seinen Bruder gestärkt, und in den Niederlanden, wo der König von Holland gegen das aufrührerische Belgien gestützt werden sollte.

Gleich nach der Unterdrückung des polnischen Aufstandes wurde von Petersburg aus eine Note an die deutschen Regierungen gerichtet, worin Rußland sie aufforderte, die revolutionäre Geistesrichtung in ihren Staaten im Zaume zu halten und ihnen seine Hilfe dazu anbot. Die Zensur wurde verschärft, liberale Blätter und Zeitschriften wurden unterdrückt, während die Kammern in den süddeutschen Staaten protestierten und die freisinnige Presse trotz aller Warnungen und Drohungen eine täglich leidenschaftlichere und rücksichtslosere Sprache führte. Man hatte nämlich bisher geglaubt, daß die Fürsten nur durch ihre Umgebung daran gehindert würden, dem Volke all das Gute zu teil werden zu lassen, das sie gern möchten. Nun fiel dieser Glaube zur Erde. Man war im allgemeinen der Ansicht zugeneigt, daß eine Vereinigung der deutschen Länder zu einem einzigen stark freisinnigen Staate nahe beoorständ.e Denn politisch wenig scharfblickend, wie man war, und zu allerlei Optimismus auferzogen, konnte man sich nicht vorstellen, daß eine Bewegung wie die durch die Julirevolution hervorgerufene, dahinsterben könne ohne irgend ein politisches Resultat zu hinterlassen. Die Vorkämpfer des Liberalismus hatten die »Fortschrittsidee« als Religion gepredigt; man glaubte fest daran, daß der Fortschritt unbedingt siegen und selbst jedweder Reaktionsversuch demselben zuletzt zu gute komme müsse

In dieser Stimmung wurden die ersten Bände von Börnes Pariser Briefen aufgenommen, die ihm große Populäritet einbrachten. Sie wurden sofort (November 1831) verboten. Das Verbot und |102| die Schimpfworte, womit Börne von seinen Gegnern überschüttet wurde, vermehrten das Aufsehen, welches das Buch durch seine freie Sprache erweckte.

Der Stil ist hier ab und zu humoristisch, was er früher bei Börne immer war, doch findet sich selten der seine resignierte Humor, der z. B. die typische Schilderung seiner nächtlichen Gefangennahme und seiner Gefangenschaft zu Frankfurt im Jahre 1820 auszeichnet. »Ein Stiefelknecht wurde mir verweigert, um das traurige Bild knechtischer Dienstbarkeit fern zu halten. Messer und Gabel durfte ich nur im Beisein der Aufseher gebrauchen, damit ich mir kein Leid anthue. Schreibzeug und Papier wurde mir erst auf wiederholtes Bitten verabreicht und letzteres zugemessen. Man tete, ich möchte durch vieles Sitzen und Schreiben meiner Gefundheit schaden. Jeden Abend untersuchte ein Wächter mit einer Laterne den Ofen, um zu sehen, ob er nicht etwa rauche und meinen schönen Augen lästig fiele, und das Gitter am Fenster, damit kein von außen hereinsteigen könne, um mich zu bestehlen« u.s.w

Nur in der allerersten Zeit seines Aufenthaltes in Paris, wo ihn der Enthusiasmus über die vermeintlich gewonnenen Resultate in heiterer Stimmung erhält, geschieht es noch, daß er zu leichten und freiem Scherz aufgelegt ist, wie z.B zu Scherzen iiber die Fürsten Heinrich von Reuß, Greiz, Schleiz, die jetzt durch die Revolution für all die Qual bestraft werden, die sie ihm während Schulzeit dadurch bereiteten, daß er ihre Namen auswendig mußte; bald verschwindet der Scherz aus seinem Brieftone und von dem alten Stil bleiben nur die energischen, treffenden Gleichnisse übrig.

Das Grundgefühl, wenn er an sein Vaterland denkt, ist Scham. Engländer und Holländer, Spanier und Italiener, Polen und Griechen haben in den Julitagen für die Freheit der Franzosen, die mit der Freiheit der Völker gleichdeutend ist, mitgekämpft, aber keine Deutschen. Deutschland wird mit seiner Rechtspflege, seiner Zensur, seinen Künsten bald das Antiquitätenkabinett Europas werden. Doch |103| am widerlichsten ist ihm der Loyalitätsund Unterthänigkeitsgeist in Deutschland: »Die Spanier, Italiener, Russen und andere sind Sklaven, die Völker deutscher Zunge sind Bediente. Aber Sklaverei macht nur unglücklich, entwürdigt nicht, doch Dienstbarkeit erniedrigt.« (25. Januar 1831.) Bei einem internationalen Mittagsmahle in Paris, wo Freisinnige aus allen Völkerschaften redeten, hat er aus nationaler Scheu nicht gewagt sich zu erheben und von Deutschland zu reden. »Ich dachte,« sagt er, »ein Pole, ein Spanier repräsentieren ein Vaterland, ein Volk steht hinter ihnen. Aber was repräsentiere ich, an welche Thaten erinnere ich? Ich stehe allein, ich bin ein Lakai, und trage wie alle Deutschen die Livree des Grafen von Münch-Bellinghausen.« (14. Dezember 1831.)

In naher Verbindung mit diesem Schamgefühl steht eine Gereiztheit, eine Neigung zur Entrüstung über alle und alles, die in ihrer Zügellosigkeit einen gewissen Eindruck von Schwäche und Kränkeln macht. Alles ist »zum Rasendwerden«. Alles, von dem größten bis zum kleinsten, von der Langmut der Völker und ihrer Saumseligkeit, sich in Empörung zu erheben, bis zu einem unhöflichen Schreiben Spontinis an die Kapelle zu Berlin, vom Vorschlag zu einer allzu reichlichen Zivilliste für Ludwig Philipp bis zu einem unvollständigem Konversationslexikon *

*) Stehender Ausdruck: O, ich habe eine Wut! - ûber das Lexikon: Eine starke halbe Stunde mußte ich das Schreiben unterbrechen, und meine Wut zwar grenzlos.
Nach und nach sucht er Verdrießlichkeiten wie einen Nährstoff für seine Entrüstung auf. Daher Wendungen wie »Ich bin vergnügt, denn ich habe mich geärgert«, oder »Sie können mir keine größere Freude bereiten, als wenn Sie mir deutsche Dummheiten mitteilen«.

Aber Scham und Ingrimm versinken in den ersten Jahren nach der Julirevolution in einem Meer von Hoffnungen, brausend wie unter einem Orkan. Er ist so fest überzeugt von dem bald |104| kommenden Weltbrand und dem darauffolgenden Sieg der Freiheit, wie die ersten Christen vom bevorstehenden Weltuntergang und Weltgericht mit Erlösung der Auserwählten und Verurteilung derer, die harten Herzens waren. Er ist in einem Zustand der Aufgeregtheit, der es ihm unmöglich macht, die Chronik seiner Zeit zu schreiben, aber als Prophet aufzutreten, dazu fühlt er sich berufen. *

*) Was, wo worauf, womit soll ich schreiben? Der Boden zittert, es zittert der Tisch, das Pult, Hand und Herz zittern und die Geschichte, vom Sturme bewegt, zittert selbst . . . Prophet wollte ich sein, zwölf Bande durch.

Ach, nur die pessimistischen Propheten bekommen immer, früher oder später, Recht. Und Börne war ein optimistischer Prophet, ein Enthusiast, immer gleich stark der Naivetät ergeben, das zu glauben, was er wünschte. Das französische Beispiel hatte ihm den Glauben beigebracht, daß die Todesstunde der Reaktion nun geschlagen habe. Er macht sich im Ernst Vorwürfe darüber, daß er sich schäme diesem und jenem Franzosen die Hand zu küssen, »die Hand, die unsere Ketten zerbrochen, die uns frei gemacht, die uns Knechte zu Rittern geschlagen«. (17. September 1830.) Nur soviel weiß er, daß das Ende nahe sei. — Karl der Zehnte hatte irgendwo Grundstein gelegt. Börne meint bei diesem Anlaß, daß die Könige jetzt aufhören sollten noch ferner den Grundstein zu einem Gebäude zu legen. Sie thäten besser, den letzten Ziegel auf Dache anzunageln — denn die Zeit sei nahe bevorstehend, wp die fürstlichen Köche, wenn sie morgens vor ihren Töpfen stehen, einander fragen werden: »Wem decken wir das wohl mittags?« (19. September 1830.)

Auf die Frage, was er erwarte und denke, antwortet er einen Monat später, er zweifle durchaus nicht daran, daß bis zum nächsten Frühling ganz Europa in Flammen stehen werde. er bedauert die Diplomaten, hat Mitleid mit ihnen. Als der polnische Aufstand ausbricht, glaubt er zwar nicht, es werde den Polen |105| ebensoleicht wie den Belgiern gelingen ihre Sache durchzuführen, da die Russen leider so sehr mächtig seien, aber es wird schon gehen. Wie ein Refrain kehrt die Wendung wieder, daß sich jetzt nach und nach alle Staaten Europas frei machen werden, nur Deutschland werde in seinem elenden Zustand bleiben. Und doch sieht er auch zuweilen Deutschlands Erhebung vor sich. Als die Cholera in Moskau wütet, versteht er ihren Sinn, sieht Gottes Finger darin: »Das ist,« heißt es, »wieder Gottes nackte Hand. Die Fürsten werden gehindert sein, große Heere zusammenzuziehen, und thun sie es doch . . . es ahnt mir - nein, ich weiß es . . . die Pest wird vermögen, was nichts bis jetzt vermochte: sie wird das trägste Volk der Erde antreiben und ermutigen.« (8. November 1830.) Nach und nach steigt auch sein Glaube an den Sieg der Polen, kraft des Räsonnements, das man immer gewinnt, wenn man keine andere Wahl hat als zwischen Sieg oder Tod, und gegen Ende des Jahres 1830 ist er des Untergangs der Fürsten so sicher, daß er der Freundin den »bescheidenen« Wunsch sendet, es möge ihr und ihm im neuen Jahre besser gehen als Kaisern und Königen. Er wird seinem Bedienten sagen: »Wenn ein Kaiser kommt, sehen Sie ihm auf die Hände — und lassen ihn nicht allein im Zimmer,« und er schließt mit der Versicherung, im nächsten Jahre werde das Dutzend Eier teurer sein als ein Dutzend Fürsten. (28. Dezember 1830«)

Am 8. Januar 1831 erklärt er, daß die Russen, wenn auch noch so mächtig, verloren seien, wenn die Polen sich nur in keine Gefechte auf dem offenen Lande einlassen. Außerdem rechnet er noch darauf, daß die Franzosen den Polen mit bewaffneter Hand beistehen werden: Frankreich wäre ja ganz von Sinnen, wenn es diese Gelegenheit, Rußland zu scwächen, die nicht zum zweitermal wiederkehre, ungebraucht vorüber gehen ließe. Am11. Februar ist er seinre Sache ganz gewiß: Es gebe bestimmt Krieg. Er have zwar keinen Tag daran gezweifelt, viele, die nicht daran glauben. |106| wollten, haben sich jetzt bekehrt. Er hat Freudenausbrüche: den Polen ist wieder eine Hilfe von oben gekommen. Man »ziemlich sichere« Nachrichen, daß in einigen russischen Provinzen ein Aufruhr ausgebrochen. Am 6. März, als es bedenklich genug für die Polen aussah, hat er eine neue falsche Nachricht, über die er sich freuen kann: Ein Pariser Handelshaus hat die Nachricht erhalten, die Russen seien gänzlich zerstreut, und »was alles entscheidet«, hinter ihrem Rücken sei Litauen ausgestanden. Er jubelt schon. In der Zukunft werde man jeden Tyrann mit Polen schrecken, wie man unartigen Kindern mit dem Schornsteinfeger droht. Nikolaus habe damit geprahlt, er wolle die Polen wie ein Knäuel Zwirn zusammenwickeln, nun sei der Knäuel zur Bombe geworden, die ihn zerschmettert habe. Börne phantisiert sogar von einer Illumination von Paris aus dieser Veranlassung. Am 18. März, als er nicht mehr an die Wahrheit jener günstigen Nachrichten glauben kann, sitzt er schon auf einer neuen Chimäre zu Pferde: Alles gehe gut, denn jetzt sei in Frankreich selbst eine neue Umwälzung unmittelbar bevorstehend: »Die Lage der Dinge ist jetzt so, daß ich jeden Tag, ja jede Stunde den Ausbruch einer Revolution erwarte. Nicht vier Wochen kann das so fortdauern.«...

Sicherlich ist es ein großer Beweis von Börnes Ehrlichkeit, daß er der Freundin gestattet hat, seine Briefe so abzudrucken, wie sie ihm aus der Feder geflossen, ohne den geringsten Versuch, durch eine Reduktion die Stellen fortzulassen oder zu mildern, denen die Thatsachen gleich darauf das kräftigste Dementi gaben. Aber die Kenntnis seiner Illusionen stärkt unmöglich das Vertrauen in seine politische Urteilskraft. Bisweilen wird der Widerspruch zwischen dem, was er voraussagt, und dem, was geschieht, so ins Auge fallend, daß die Wirkung komisch ist. So findet Börne am 25. Dezember die Unentschlossenheit Lasayettes zum Verzweifeln. Lasayette sei allmächtig. Wenne er wolle, könne er alles durchsetzen. Er brauche nur zu drohen, daß er das Kommando der National|107|garde aufgeben und sich zurückziehen werde, und der König, die Minister und die Kammer müßten nachgeben.

Tags darauf, am 26. Dezember, teilt er dann ganz trocken mit, daß man Lasayette seines Kommandos enthoben habe; kein Hund habe danach gebellt. — Sonderbar! sagt sich der Leser, daß ein so leidenschaftlicher politischer Beobachter niemals den Drang empfunden hat, politische Studien zu machen, um erst nach gewonnener Einsicht ein Urteil zu fällen, sondern sich immer mit dem rein feuilletonistischen Stimmungsausbruch, der heute Recht hat und morgen in den Ofen geworfen wird, begnügt und sich dadurch befriedigt fühlt.

Was Börne beständig irre führt, ist, wie schon erwähnt, sein zugleich naiver und fanatischer Optimismus, der immer von neuem einen Grund entdeckt, warum das Schlechte, was geschieht, dennoch das Beste sei. Im März 1831 schreibt er: »Ich zittere für die Polen und bin auf das Schlimmste gefaßt. Aber den Russen würde dieser Sieg verderblicher sein, als es ihnen eine Niederlage wäre. Der erhabene Nikolaus würde dann übermütig werden und glauben, mit Frankreich wäre ebenso leicht fertig zu werden, als mit den Polen.« Welch ein Grund des Trostes! — Fortwährend hofft Börne auf eine Revolution in Paris, welche die Throne erschüttern soll. Aber sie bleibt aus. Sofort findet er dann einen Grund, weshalb eben die Ruhe Frankreichs das Allergefährlichste für die Fürsten ist. Er schreibt (am 30. November 1831): »Frankreich war seit vierzig Jahren der Krater Europas. Wenn der einmal aufhört Feuer zu werfen . . . dann ist kein Thron der Welt auf eine Nacht sicher . . . Nichts war verderblicher für die Könige, als der Untergang Warschaus. Weil sie ein Wunder zerstört, glauben sie, sie könnten auch Wunder machen.« Mit anderen Worten: Revolution in Paris ist gut, keine Revolution ist noch besser. Der Sieg Polens wäre das Verderben der Könige gewesen. Der Untergang Polens ist eine noch größere Gefahr für sie.

|108| Aber dies hängt mit dem sonderbarsten theistischen Köhlerglauben zusammen, der nur in einzelnen Fällen von dem Zweifel des denkenden Kopfes unterbrochen wird. Im allgemeinen ist die Formel, in der Börne Trost sucht, die, daß er auf Gott vertraut. Nikolaus zieht mit überwältigender Macht den Polen entgegen Börne »verläßt sich auf Gott«. — Es ist zwar nur der polnische Adel, der sich erhoben hat, aber Börne »verläßt sich auf die Weisheit Gottes und auf die Dummheit seiner sogenannten Stellvertreter«. Er ist, sagt er, gescheiter als alle die andern in Frankreich, wie er es in Deutschland war; weshalb? Weil er »an Gott glaubt und an die Natur«. Die andern verlassen sich auf Menschen und auf die Polizei.

Doch bisweilen gerät sein Glaube ins Schwanken. Wir sahen, wie er sich von Anfang an über die Cholera freute, Gottes Finger in ihrem Kommen erblickte; sie würde selbst die Deutschen Revolution treiben. Nur zwei Monate später (19. Januar 1831) schildert er die wirklichen Folgen der Cholera, die Lähmung des Geistes, die in den Völkern nach jeder Pest zurückbleibt und die das bischen Freiheit vernichtet, das noch übrig war. Damals hieß es »Die Pest wird vermögen, was nichts bis jetzt vermochte«; völlig entgegengesetzt: »Was kein Kaiser von Rußlaud, kein Teufel zu hindern vermochte, das hindert die Pest.« Und er, der damal ihrem Kommen »die nackte Hand Gottes« sah, bricht jetzt in die Worte aus: »Dann kommen die Pfaffen und verkündigen Gottes Strafgericht!« Drei Vierteljahre später (am 25. November) hilft er sich aus dem Widerspruch durch einen ebenso humoristischen wie gedankenlosen Spaß heraus: »Selten schickt Gott ein himmlisches Strafgericht herab, die Verwaltung seiner Stellvertreter zu untersuchen, und so oft es noch geschah, wurde nichts dadurch gebessert. Die himmlischen Kommissäre waren auf Erden fremd, gingen irre oder ließen sich wohl gar bestehen. Das haben wir ja kürzlich erst an der Cholera-Morbus gesehen, die, statt die |109| Unterdrücker, die Unterdrückten züchtigte. Nur dem hilft Gott, der sich selbst hilft.«*

*) Börne. Dritter Band S. 75, 86, 172; 43, 99, 267.

Ein einziges Mal nur, als der Untergang Polens nahe bevorzustehen scheint (am 5. März 1831), fühlt man, daß Börne an seinem System ernstlich unsicher geworden ist. Wie gewöhnlich tummelt er sich mit seinen Lieblingsausdrücken Gott, Teufel u.s.w. herum, als er einsieht, daß die Russen zu stark sind. Börne kommt zu diesem Resultat: »Nicht Gottes Weisheit, nur die Dummheit des Teufels allein kann noch die Polen retten.« Dann unterbricht er sich selbst mit der Frage: »Ach! giebt es denn einen Gott? Mein Herz zweifelt noch nicht, aber der Kopf darf einem wohl davon schwach werden, und wenn — was nützt dem vergänglichen Menschen ein ewiger Gott? Wenn Gott sterblich wäre wie der Mensch dann würde er rechnen mit der Zeit und mit dem Leben, würde nicht so späte Gerechtigkeit üben und erst den entferntesten Enkeln bezahlen, was ihre Ahnen zu fordern hatten. Die Freiheit kann, sie wird siegen, früher oder später; warum siegt sie nicht gleich? Sie kann siegen einen Tag nach dem Untergange der Polen; soll einem das Herz nicht darüber brechen? Giebt es einen Gott? heißt das Gerechtigkeit üben? Wir verabscheuen die Menschenfresser, dumme Wilde, die doch nur das Fleisch ihrer Feinde verzehren; aber wenn die ganze Gegenwart, mit Leib und Seele, mit Freude und Glück, mit allen ihren Wünschen und Hoffnungen, gemartert, geschlachtet und zerfetzt wird, um damit die Zukunft zu mästen — diese Menschenfresserei ertragen wir.«*

*) Börne. Dritter Band S. 159, 160.

Wenige Tage darauf kehrt er indessen zu seinem einmal angewöhnten Gottesglauben und seinem trotz aller Enttäuschungen unanfechtbaren Optimismus zurück.

Hier und da finden sich in diesen Briefen reine Kannegiehereien — wie die Phantasien über die Folgen der hannöverschen |110| Unruhen — zuweilen Zeugnisse einer geradezu einfältigen Leichtgläubigkeit, wie z. B. wenn Börne sich einbildet, Metternich die Unruhen in Süddeutschland angestiftet, um sich Bayerns bemächtigen zu können, während die Truppen anderwärts beschäftigt seien, oder sogar, daß die heimliche Absicht von Ludwig Phillip die sei, die Dynastie Karls X. auf den Thron zurückzuführen.*

*) Börne. Dritter Band S. 39, 98, 270.

Doch sehr oft kommen auch Stellen vor, die lebhaften politischen Sinn verraten, großen natürlichen Scharfblick für die gegebene Situation nnd ungewöhnliche Fähigkeit zum Vorausahnen wie sich die Schicksale und Aufgaben der Zukunft gestalten werden.

Schon am 9. November 1830, also nur vier Monate der Revolution, sieht Börne ein, daß das einzige, was geschehen, nur das ist, daß die Industriellen zu Macht gelangt sind, diejenigen, welche nichts haben »als Furcht und Geld«. Da die letzte Revolution ihren Zweck nicht erreicht hat, weil die Machthaber darin nur eine Veränderung der Dynastie sehen wollen, so ist er sich ganz klar darüber, daß eine neue Revolution nötig werden wird, und »die bleibt gewiß nicht aus«. Eine Woche später entwickelt er sogar mit einem Wirklichkeitssinn und einer Logik, die gleich vollkommen sind, wie der Prozeß vor sich gehen wird: Da die Industriellen, die fünfzehn Jahre lang gegen jegliche Aristokratie gewütet, kaum gesiegt haben, bevor sie selbst eine neue, eine Geldaristokratie, einen Glücksritterstand bilden wollen, nicht wie der alte Adel auf einem Prinzip ruht, sondern aufs Vorrrechten, die an den Besitz gebunden sind — so wird das französische Volk, dessen höchste Leidenschaft die Gleichheit ist, bei nächsten Umwälzung eben das zu erschüttern suchen, worauf die neue Aristokratie gegründet ist: den Besitz, und man wird Greuel erleben, von denen keine frühere Revolution Zeuge gewesen ist. Börne ahnt, wie man sieht, den Sozialismus als Macht, und |111| er prophezeit die Kommune. Ein Jahr später (1. Dezember 1831) ist er sogar seiner Sache so gewiß, daß er ausruft: »Der fürchterliche Krieg der Armen gegen die Reichen steht mir so klar vor den Augen, als lebten wir schon mitten darin«, und in dieser Zeit ist er auch trotz seines moralischen Grundhanges zu einem Begriff darüber gekommen, was die Hauptsache sei, nämlich Macht hinter dem Recht zu sammeln. Ist dies unmöglich, so wird die Aufgabe sein: die Herzen zu rühren, die Gemüter durchzuagitieren, die Tyrannei mit Spott, Haß und Verachtung zu verfolgen. Was dagegen sicherlich nichts nütze, sei die reine Ehrlichkeit, die reine Rechthaberei. Nein, »ihre Ehrlichkeit richtet sie zu Grunde. Sie meinen immer noch, es käme darauf an, Recht zu haben, zu zeigen, daß man es hat. Jetzt sprechen sie für die Freiheit wie ein Advokat für einen Besitz. Als käme es hier noch auf Gründe an!« (1. Februar 1831.)

Alles in allem ist es doch ein politischer Schwärmer, ein Freiheitsgläubiger, den man in diesen Briefen vor sich hat, kein Staatsmannsnaturell. Wir begegnen nicht nur der Liebe zum gemeinen Volk, sondern einer Rousseauschen Bewunderung für diejenigen, die weder durch Reichtum noch durch Bildung »verdorben« sind, und dieser Bewunderung und Liebe entspricht ein immer stärker werdender Haß gegen alle legitimen Könige und Fürsten in Europa, der allmählich in dem Grade, wie Börne mit seinen Illusionen auch jede Mäßigung fallen läßt, zur Vernichtungslust sich steigert. »Und mit zehn Ellen Hanf wäre der Welt Friede, Glück und Ruhe zu geben« Zwischen den beiden Polen: das Volk — die Fürsten, geht unaufhaltsam die Pendelschwingung von Börnes politischen Gedanken vor sich; es war der politische Gedankenschwung des Zeitalters. Und das Stehenbleiben bei dieser Antithese war ihm um so viel natürlicher, weil er in seinem innersten Wesen Demokrat war, und zwar in dem Grade, daß er, wie er ausdrücklich selbst erklärt, zur »Menschenkennerei« immer die größte Unlust hatte. Sich darin vertiefen zu sollen, was die einzelnen menschen von einander unterscheidet, war |112| ihm eine so anstrengende Plage, als sollte er einen allzu kleinen Druck lesen. Er hielt sich lieber an Menschenmassen und an Bücher. (3. November 1830.) Kein Wunder daher, daß ihm die psychologische Feinheit fehlt, die wir ungern bei einem großen Schriftsteller entbehren aber zum Ersatz dafür hat er die Fühlung mit ganzen Nationen, mit großen Schichten des Volks und mit einem ausgedehnten Leserkreis eine Fühlung, welche die Möglichkeit bedingt, ein Publikum zu elektrisieren, und die selbst einem äußerst kühnen Schriftsteller auf einem sehr ausgesetzten Posten Popularität zu Lebzeiten verschaffen kann.

Nicht, daß er die Einzelnen ungerecht oder vorurteilsvoll beurteilt. Im Gegenteil. Er zeigt das ruhige Wohlwollen eines überlegenen Geistes; bisweilen freilich auch den Unwillen einer bürgerlichen Seele gegen das allzu Aristokratische und die entsprechende Nachsicht mit dem allzu Gewöhnlichen. Als Musset auftaucht, wittert er gleich die Verwandtschaft mit Heine, die ihn bei einem Franzosen verwundert. In Berlioz schätzt er auf der Stelle das Genie, sogar bis zur Überschätzung, und man weiß, wie isoliert und verkannt Berlioz dastand. Fürst Pückler beurteilt er mit Verständnis ohne Wärme aber mit scharfem Blick für feine Vorzüge, nur begreift er nicht, wie jemand hat glauben können, seine so leichtgeschreibenen aber in der Behandlungsweise unpoetischen Briefe hätten Heine zum Autor. An Heine selbst ist ihm lange nur sein Napoleonskultus entschieden zuwider; im übrigen zeigt er sich ihm gegenüber Anerkennung und Bewunderung.

Lehrreich ist es ferner zu beobachten, wie außerordentlich harmlos sich Börne gegen Paul de Kock verhält, mit welcher warmen Anerkennung er über ihn spricht, welches Vergnügen die vollen acht Bände Paul de Kock, die er in einem Zuge durchzulesen die Ausdauer gehabt, ihm bereitet haben. Es ist die naive und zuverlässige Schilderung der Sitten der Pariser Kleinbürger, die Börne hier wertvoll vorgekommen ist. Er lobt sogar, wenngleich halb im Scherz, Kocks Lebensphilosophie; ja, er besteigt bei dieser wenig passenden |113| Gelegenheit sein altes Lieblingssteckenpferd, indem er schreibt: »Zwar giebt er uns nicht, wie Goethe im Wilhelm Meister, Lehrbriefe mit Trüffeln; aber doch eine recht kräftige Philosophie, bürgerlich zubereitet.« (3. März 1831.) Paul de Kock auf Goethes Kosten gepriesen!

Spricht dieses letzte Urteil nicht eben besonders für Börnes Kunstverständnis, so legen seine Äußerungen über Talleyrand ein um so kräftigeres Zeugnis von seiner politischen Intelligenz ab. Schon im Jahre 1830 setzt er sogleich das größte Zutrauen in Talleyrands Wirksamkeit für Frankreich in London, und er läßt sich durch den Haß der Pariser nicht irre machen. Er durchschaut klar das Lächerliche in dem Wehgeschrei der liberalen Blätter, daß Talleyrand, der Mitarbeiter am Wiener Frieden, jetzt die heilige Allianz stützen wolle. Er begreift vollständig, daß Talleyrand die heilige Allianz ebensowenig wie irgend etwas anderes heilig ist. Viel später kommt er auf die Ungereimtheit der Anklage gegen den klugen Diplomaten zurück, daß er allen Regierungen gedient und sie alle verraten habe. Fein und richtig wendet er dagegen ein, daß Talleyrand keine Regierung verraten, sie stets nur verlassen habe, und erst dann verlassen, wenn sie tot war. Er liest in Talleyrands hartem Antlitz einzig und allein die Notwendigkeit wie in Bronze eingegraben.

Doch die Hauptursache der milden Urteile ist nicht Börnes Verstand, sondern sein Herz, das Milde in seiner Natur, der tiefe Hang zur liebevollen Auffassung, der durch seine vielen leidenschaftlichen und rücksichtslosen Außerungen nicht widerlegt wird, denn auch diese entsprangen der Menschenliebe. Er war einfach eine liebevolle Seele und insofern Christ von Naturell und Instinkt. Darum trat er auch zum Christentum über, was man ihm thöricht als Scheinthat zur Last gelegt hat. Seine Auffassung des Christentums war möglicherweise nicht tief, aber ehrlich und ganz individuell. Er wurde Christ, weil er Demokrat und Humanist war.

|114| Ihm war das Christentum nicht nur im allgemeinen Fortsetzung und Ergänzung des Judentums, sondern viel die Humanitätsreligion, bestimmter ausgedrückt »die Religion der armen Teufel«. Jeder, der die Menschheit liebte, war in seinen Augen ein Christ. Und so wurde ihm auch das Christemthum, besonders in seiner katholischen Gestalt, zur Religion der Freiheit denn als Katholizismus hatte es die Weltherrschaft der Röme gebrochen. Er sieht mit seinen Sympathieen für die Polen eine weis für die befreiende Kraft des Katholizismus in ihrer Liebe zur Freiheit.*

*) »Das einzige Volk im Norden, das seit dreihundert Jahren nie aufgehört, sich für die Freiheit zu erheben, ist das polnische, und es bliev khatolisch.«

An die Dogmen glaubt er persönlich zwar nicht; er such auch nicht das Wesen des Christentums in dem Glauben daran, aber dennoch ist es ihm im höchsten Grade zuwider, daß an den Glaubenslehren gerüttelt wird. Er höhnt den Saint-Simonismus, weil er sich gegen den christlichen Glauben auflehnt, und er betrachtet »Das Leben Jesu« von Strauß nicht nur als ein unnützes, sondern als ein schädliches Buch. So wird es erklärlich, daß er in seinen letzten Lebensjahren durch einen demokratischen Katholiken wie Lamennais ganz hingerissen werden konnte, und daß dessen »Worte eines Gläubigen«, welche die Freiheit und die Religion verschmelzen wollten von ihm übersetzt und überschätzt wurden. Der religiöse Radikalismus, wie er hier ihn fand, war die Zauberformel, die den und gebundenen Kräften in seiner eigenen Seele entsprach.

Schon in den ersten Bänden der Pariser Briefe ließ sich, wie die oppositionellen Elemente in Deutschland überhaupt, von der Vorliebe für den Konstitutionalismus zur Hoffnung auf die Revolution tragen.

Kaum ein halbes Jahr nach dem Erscheinen dieser (im April 1832) erließ ein Führer der Opposition, Dr. Siebenpfeiffer, einen Aufruf an alle deutschen Stämme, sich zu einem großen |115| Nationalfest zu vereinen, das auf dem Schlosse Hambach bei Neustadt an der Haardt am 27. Mai, dem Jahrestage der bayerischen Verfassung, gefeiert werden sollte. Es sollte ein Fest der Brüderlichkeit für alle sein, die nach der Wiedergeburt des deutschen Vaterlandes strebten. Dieses Fest kam der Regierung des Rheinkreises so bedenklich vor, daß sie es untersagte; gleichzeitig wurde vom 26.— 28. Mai der Zutritt zu Neustadt und Umgegend allen Fremden untersagt, und jegliche Versammlung von mehr als fünf Personen in den Straßen und an öffentlichen Plätzen verboten. Doch das Verbot erweckte eine solche Erbitterung, daß man sich gezwungen fühlte, es aufzuheben.

Von allen Seiten strömten die Leute zum Fest herbei. Fast alle deutschen Staaten waren vertreten; doch waren die Bewohner aus der Rheinpfalz selbstverständlich in der Majorität. Sogar Franzosen kamen in großer Anzahl, und natürlicherweise fehlte es auch nicht an Polen. Im ganzen waren hier gegen dreitausend Menschen versammelt.

Börne war von Paris gekommen. Er war derjenige der Gäste, der am meisten Aufsehen erregte. Schon seine Reise nach Neustadt glich einem Trinmphzuge. Wo er hinkam, wurde er mit Vivat begrüßt. Fackelzüge und Serenaden waren an der Tagesordnung.

Er schreibt aus Freiburg: »Welchen Eindruck meine Briefe in Deutschland hervorgebracht haben, glauben Sie kaum. Ich habe es selbst nicht erwartet. Meyer, Wurm und ähnliche haben drucken lassen: ich dürfe mich in Deutschland nicht mehr sehen lassen, ich würde aus jeder honetten Gesellschaft geworfen werden. Das sind Propheten! Seit ich in Deutschland bin, erfahre ich eine ununterbrochene Huldigung, nicht bloß von einzelnen, sonder von ganzen Massen. — Mein Zimmer wird nicht leer. Ich habe oft nicht Stühle genug für alle die Menschen, die mich besuchen. Ich war dem Hambacher Fest. Fast das ganze Land hat mich besucht, |116| so daß ich krank von der Last geworden bin. Wenn ich in Neustadt über die Straßen ging, erschallte es aus den Wirtshäusern, aus den vorüberfahrenden Kutschen: Es lebe Börne, der Verfasser der Briefe aus Paris! Die Heidelberger Studenten brachten mir dort ein Stündchen. Alle die Patrioten, die dort an der Spitze stehen, Wirth u. s. w., erklärten, mir hätte man die vaterländische Bewegung zu verdanken, die andern wären erst nach mir gekommen. Mit thränenden Augen haben mich viele an ihre Brust gedrückt, und haben vor Bewegung kaum reden können. Hier in Freiburg war es ebenso. Die Studenten sind abends vor mein Haus gezogen, haben mir ein Stündchen gebracht und gerufen: Es lebe der Verteidiger der deutschen Freiheit ... Was werden meine Rezensenten dazu sagen, die mich für einen schlechten Deutschen erklärt? Die öffentliche Meinung läßt sich nicht irreführen.« — Humoristisch genug wurde ihm nichtsdestoweniger beim Hambacher Feste Uhr gestohlen.

Am Morgen des 27. Mai setzte sich von Neustadt aus ungeheurer Zug nach der Schloßruine Hambach in Bewegung. Alle Teilnehmer waren mit schwarz-rot-goldenen Farben geschmückt, und dementsprechende Fahnen wurden vorangetragen. Auch eine große Anzahl Frauen mit schwarz-rot-goldenen Gürteln zogen mit. Siebenpfeiffer und der bayerische freisinnige Journalist Wirth n die Hauptredner. Sie proklamierten die Souveränität des Volkes als Grundlage aller Staaten und stellten die Republikanisierung Deutschlands in Aussicht. Alle Reden, welche gehalten wurden, zeichneten sich durch größte Leidenschaftlichkeit aus; sie schilderten die Erniedrigung Deutschlands als das Werk der vereinten Fürsten und Aristokraten. Wirth brachte ein Hoch aus, wofür er später mit langwieriger Gefängnishaft büßen mußte, ein Hoch auf »die vereinigten deutschen Freistaaten« und »das verbundene republikanische Europa« und rief, indem er das Schwert schwang, welches ihm als Ehrengabe überreicht worden war: »Verflucht, dreimal« |117| verflucht seien Deutschlands Fürsten!« Bei einem Teil der Versammlung fanden diese Worte Anklang. Man rief: »Nieder mit den Fürsten! Waffen! Waffen!«

Ein unmittelbar praktisches Ziel hatte man jedoch bei dem Hambacher Feste keineswegs vor Augen. Wenn der Augenblick wirklich günstig war — was man wohl bezweifeln darf — so ließ man jedenfalls den günstigen Augenblick unbenutzt vorübergehen.

Heine schreibt mit lustigem und bitterem Spott darüber: »Ich wage es kaum zu sagen, denn es klingt unglaublich, aber ich habe die Geschichte aus authentischer Quelle, nämlich von einem Mann, der als wahrheitsliebender Republikaner bekannt und selber zu Hambach in dem Komitee saß, wo man über die anzufangende Revolution debattierte; er gestand mir nämlich im Vertrauen, als die Frage der Kompetenz zur Sprache gekommen, als man darüber stritt, ob die zu Hambach anwesenden Patrioten auch wirklich kompetent seien, im Namen von ganz Deutschland eine Revolution anzufangen, da seien diejenigen, welche zur raschen That rieten, durch die Mehrheit überstimmt worden, und die Entscheidung lautete: man sei nicht kompetent.« Heine nennt dies die beste Geschichte, die er auf dieser Erde erfahren habe, sie vermöge ihn alle Kümmernisse dieses irdischen Jammerthals vergessen zu machen, ja sogar nach dem Tode in der nebligen Langeweile des Schattenreichs werde ihn die Erinnerung an diese Kompetenzgeschichte aufheitern können. Und er tröstet die Könige nnd Fürsten: sie brauchen wahrlich nicht brave Leute einzukerkern, sie können ruhig schlafen, sie haben nichts zu riskieren, die deutsche Revolution ist noch weit von ihnen entfernt, die Frage der Kompetenz ist noch nicht entschieden.*

*) Heine, Sämtliche Werke. Zwölfter Band S. 152, 153.

Börne hatte immer freundschaftliche Gefühle für Heine gehegt, seitdem er seine litterarische und persönliche Bekanntschaft gemacht hatte. Er hatte sogar seit Jahren mit Liebe von ihm gesprochen. |118| Er schätzte ihn nach Verdienst als Dichter, und er würdigte ihn besonders als eine große Kraft im Dienste der universellen Befreiung. Klatsch, den man ihm über Heine mitzuteilen versuchte, wies er mit der Kälte einer großen Natur derartigem gegenüber zurück. Frei von kleinlicher Eitelkeit, wie er war, berührte es ihn nicht, daß sein Name und derjenige Heines sehr häufig zusammen genannt wurden, und daß der Vergleich mit Rücksicht auf Begabung und Talent nicht immer zu seinen Gunsten ausfiel. Aber Heines »Französische Zustände« verletzten ihn und brachten ihn während des Lesens in eine Mißstimmung, welcher er in dem letzten Bande seiner Pariser Briefe Luft machte ohne Heftigkeit oder Galle, in Form einer recht beißenden Satire, die Heine wie von herab trifft und ihm in den Augen nicht weniger Leser das Br mal politischer Charakterlosigkeit ausdrückte.

Es war in Wirklichkeit der tiefgehende Kontrast zwischen den Naturen der zwei Kampfgenossen, die hier zum Ausbruch kam, von dessen Art und Wesen Börne jedoch keinen rechten Begriff hatte. Ihm stellte sich der Widerspruch dar, wie derjenige zwischen dem Ernst der männlichen Natur und knabenhastem Leichtsinn, und wo es hoch kam, als Widerspruch zwischen der Verehrung der Wahrheit auf der einen Seite, und der Form- und Kunstanbetung auf der andern. Mit sicherm Blick wies er einige Kindereien und Albernheiten nach, deren sich Heine hier und da dem Geflimmer des Lebens gegenüber schuldig gemacht, wie auch einige ungerechte Verspottungen solcher idealer Bestrebungen, die sich in plumpeen und naiv volkstümlichen Formen geäußert hatten. Börne verabscheute die Rothschilds, welche Heine außerordentlich imponierten. Börne, der sich heimatlos in den Salons, aber heimisch zwischen demokratischen deutschen Handwerken fühlte, befand sich in den Versammlungen der Emigranten wohl, was für wilde Pläne man auch darin entwerfen und für welche unpraktische Unternehmungen man auch Geld einsammeln mochte, während sich Heine durch die vielen |119| Aufforderungen zur Teilnahme an diesem oder jenem demokratischen Werk unangenehm berührt fühlte und sich durchaus nicht zum Eingehen demokratischer Bruderbünde eignete, auch am liebsten sich trotz seiner revolutionären Neigungen für sich allein hielt und unter keinen Umständen frére et cochon mit der ersten besten Schar ausgewanderter Landsleute sein wollte.

In einem Brief vom 25. Februar 1833 macht Börne sich unter anderm darüber lustig, daß Heine in der dreihundertjährigen Unmenschlichkeit der österreichischen Politik »eine erhabene Ausdauer« findet; daß er in dem von ihm später selbst so furchtbar verhöhnten König Ludwig von Bayern »einen der edelsten und geistreichsten Fürsten, die je einen Thron geziert haben« sieht; daß er es schließlich »kühn und großartig« nennt, daß die Herren von Rothschild während der Cholera ruhig in Paris geblieben, und daß er gleichzeitig die unbezahlte Mühe der deutschen Patrioten verspottet. Börne hat hier wie in mehrerem Recht, ohne jedoch ein feineres oder tieferes Verständnis von Heines Naturell an den Tag zu legen.

Wieder stand er hier wie Goethe gegenüber, von Angesicht zu Angesicht mit einem Genie, das unbefangen zu beurteilen er nicht im stande war, obgleich er keineswegs seinem unruhigen Zeitgenossen in gleichem Umfange oder in gleicher Weise Unrecht that wie seinem großen Vorgänger.

Du kan slå ord fra Brandes' tekst op i ordbogen. Aktivér "ordbog" i toppen af siden for at komme i gang.