Unter den Schriftstellern, die damals in erster Reihe standen, ist kaum jemand so zur Seite geschoben worden, wie Ludwig Börne. Die Stoffe, die er behandelte, sind veraltet, und nur die, welche sich für die Persönlichkeit des Schriftstellers interessieren, lesen seine kurzen, in Zeitungsartikel oder Briefform gehaltenen Prosastücke aus Rücksicht aus die Darstellungsweise oder des Geistes wegen, in welchem der Gegenstand behandelt worden ist. Erst in seinen späteren Lebensjahren schlug Börne recht durch, nämlich mit den »Briefen aus Paris«, aber für den abstrakten Fürstenhaß oder den republikanischen Glauben, die hier zu Worte kommen, hat man in dem jungen Kaiserstaat keine Verwendung mehr. Keine Persönlichkeit paßt weniger als die seine in die neuen Verhältnisse hinein; denn wo die Staatsidee nach und nach anfängt allmächtig zu werden, wo sie von oben herab offiziell sozialistisch die private Initiative einzuschränken versucht, so viele Bürger wie möglich in besoldete Beamte, civile oder militäre, verwandelt, und dem besoldeten Beamten Vorrechte vor dem nichtangestellten Bürger einräumt, und wo sie von unten revolutionär-sozialistisch nach Kräften strebt, das individuelle Schalten und Walten einzuschränken, dort verschwinden mit Notwendigkeit die ausgeprägt selbständigen Charaktere, und die eckige, unabhängige Individuälitet scheint etwas Gesetzwidriges, das niemand zum Bildungsmuster oder Vorbild benutzen kann. Aber Börne war eben eine solche scharf eckige Individualität und ein unbedingt selbständiger Charakter.
|48| Jetzt scheint dem Bürgertum Deutschlands in der Regel einzige, eines Mannes würdige Aufgabe die zu sein, aufzubauen, positiv zu wirken, das Errungene zu befestigen oder umzuformen. Schon das Mauerbrecherartige in Börnes Geistesrichtung schreckt ab. Sein feuriger Sinn, der die Zeitgenossen erwärmte, nimmt sich aus wie die Begeisterung eines Don Quichotte, der mit seiner Lanze gegen Festungs- oder Schloßmauern Sturm läuft. Aber auch zum neuen nationalen Eisenalter in Deutschland mit seiner Eisenarchitektur hat er das Seine beigetragen. Sein Feuer hat das Erz, woraus die neuen Pseiler der Gesellschaft gegossen worden sind, in Fluß gebracht. «
Nichts hat Vielleicht in dem Urteile des jetzt lebenden Geschlechts Börne mehr geschadet, als sein hitziges Verdammungsurteil über Goethe. Goethe ist als hervorbringender und verstehender Geist so groß, zugleich als Naturell und Persönlichkeit in seiner Stärke und in seinen Schwächen so eigentümlich, daß jedermann in der neueren Zeit einen wesentlichen Beitrag zu seiner eigenen Charakteristil giebt durch das Urteil, welches er über ihn fällt. Obgleich es dazumal mehrere Schriftsteller, nicht nur in der Pfaffenpartei, sondern auch in der Opposition gab, die Goethe verabscheuten, wird unleugbar Börnes Begrenzung durch die Weise, in welcher er sich über den Greis in Weimar aussprach, scharf bezeichnet. Er malt sich selbst durch die Art und die Beschaffenheit der Einsprüche, die er gegen den Glauben an Goethes Wert als Mensch und als Dichter niederlegte
Aber um zu verstehen, wie dies zuging, und was es bedeutete, daß ein agitatorischer Moralist auf politischem Gebiete, wie Börne, einen förmlichen Haß und eine stets lebendige Entrüstung gegen die Gestalt hegte, die als die allererste in der schönen Litteratur Deutschlands dasteht, ist es notwendig den Gegensatz zu erfassen, in welchen das Schicksal Börne gleich von seiner Geburt an zu dem großen Dichter stellte, and den einen fremden und daher falschen Maßtab anzulegen er sich getrieben fand.
|49| Goethe und Börne waren Kinder Einer Stadt. Beide sind mit einem Zwischenraum von 37 Jahren in Frankfurt am Main geboren. Frankfurt war eine alte Reichsstadt, eine Festung, in welcher Thore und Türme die Grenzen der Stadt in älteren Zeiten andeuteten; außerhalb derselben befanden sich von neuem Thore, Türme, Mauern, Brücken, Wälle und Graben, welche die neue Stadt umzingelten; es war eine Festung, die andere kleine Festungen enthielt: Klostergebaude und burgartige Höfe, die befestigten Palästen glichen. Die Stadt schien unantastbar zu sein; sie war von einem Schimmer uralter ehrwürdiger Selbständigkeit umgeben. Es war eine Patrizierrepublik, wo der Fremde als rechtlos zu betrachten war. Wehe dem Fremden, der vor einem Frankfurter Gerichtshof einen Streit mit einem Frankfurter Bürger hatte, selbst wenn auf seiner Seite das sonnenklarste Recht war! Die herrschenden Familien hielten zusammen, erzeigten einander Hochachtung unter allen möglichen altmodischen Formen. An irgend eine der hergebrachten politischen oder sozialen Einrichtungen der Stadt zu rühren, galt als undenkbar.
Die Obrigkeit war ohne Unternehmungslust, die Einwohner ohne das Gefühl, daß irgend etwas hier verändert werden könne. Kein Gedanke an politische Zusammengehörigkeit mit dem übrigen deutschen Reich. Im damaligen Deutschland war jede Stadt und in der Stadt jedes Stadtviertel eine kleine Welt für sich.
Goethe war ein Patrizierkind. Sein Vater war Kaiscrlicher Rat. Als der Jüngling seine Geburtsstadt gründlich kennen gelernt hatte, mußte es ihm vorkommen, als könne das Schicksal unmöglich anderes mit ihm vorhaben, als bürgerliches Glück in Frankfurt. Denn die Stadt fing ihn ein: die Familien bemächtigten sich des schönen, hochbegabten jungen Mannes, die Frauen hegten ihn, die Traditionen banden ihn. Es gab nichts, was ihn nach den größeren Städten wie Wien oder Berlin hätte ziehen können; sie lagen Frankfurt so fern, wie in unseren Tagen Rom und Petersburg. Das Schicksal schien gewiß, nach und Rechtsgelehrter, Ehemann, |50| Beamter, Hausbesitzer und litterarische Notabilität in seiner Geburtsstadt stadt zu werden.*
Wenn Goethe in Wirklichkeit diesem Schicksal entging, beruht das bekanntlich zunächst auf dem Umstand, den Börne ihm so verübelt, auf dem Umstand nämlich, daß er Fürstendiener wurde, daß der Herzog von Weimar ihm eine hohe Stellung an seinem Kleinen Hofe gab.
Auch Börne wurde in Frankfurt am Main, aber im Judenviertel, geboren. Zu jener Zeit war es ein Unglück, als Jude in Deutschland geboren zu werden; denn die Juden hatten dort in anderen Ländern, keine bürgerlichen Rechte. Aber es war ein besonderes Unglück, als Jude in Frankfurt am Main das Licht der Welt zu erblicken. In den Übrigen großen Städten hatten zu jener Zeit die gesellschaftlichen Verhältnisse bis zu einem gewissen Grad dieses politische Ausgeschlossensein aufgewogen. Die israelistischen Häuser waren sowohl in Wien wie in Berlin als Mittelpunkte vorurteilsfreier Bildung und geistvollen Witzes stark gesucht. Geniale Jüdinnen wie Rahel, schöne Jüdinnen wie Henriette Herz, die Baronin Grotthuis, die Baronin Arnstein, die Gemahlin des Fürsten von Reuß, und viele andere wurden in den Hauptstädten Preußens und Österreichs bald tonangebend. Aber in Frankfurt war die Schranke zwischen den Konfessionen durch das ganze Lebensgebiet gezogen.
Alle Juden waren gezwungen, in der schmalen, elenden, übervölkerten Judengasse zu wohnen, die von 1462 an volle 334 Jahre hindurch ihr einziger Aufenthaltsort blieb. Der aus Romanen bekannte Kontrast zwischen äußerer Unansehnlichkeit und innerer Herrlichkeit in den Ghettos fand sich hier nicht; das Innere der Haüser entsprach dem Aüßeren; in den kleinen dunkeln Zimmern war es unmöglich, Pracht oder Gesmack an den Tag zu legen. |51| Niemals konnte man sich besser einen Begriff von dem Leben machen, das hier geführt worden ist, als vor einigen Jahren, da die eine Seite jener Straße der Erde gleich gemacht worden war, und so eine einzige abgestumpfte Reihe mißratener, buckliger, zusammengepferchter, lichtscheuer Häuser, in welche die Axt der Niederreißenden schon tiefe Löcher geschlagen hatte, dem vollen Tageslichte, vor dem ihre kleinen Guckfenster wie mit den Augen blinzelnd sich zu schließen schienen, bloßgestellt wurde.
Bei Anbruch des Dunkels wurden alle Bewohner des Ghettos hier eingeschlossen. Wenn sie während des Tages in den Straßen oder auf den Wällen spazierten, durften sie niemals den Fußsteig, nur den Fahrweg betreten. Vor jedem Vorübergehenden, der ihnen sein »Mach mores, Jud!'« zurief, mußten sie ihren Hut tief ziehen. Um zu verhindern, daß sie sich allzustark vermehrten, war es verboten, daß sich mehr als vierzehn Paare in einem Jahre verheirateten. Obgleich die Juden in Frankfurt schon damals in der Regel wohlhabend waren und Rothschild an ihrer Spitze hatten, so war doch in dem gesellschaftlichen Leben die Scheidelinie zwischen den Glaubensgenossenschaften streng gezogen, und selbst die Freimaurerlogen, die ja der »Bruderliebe« und der Verehrung »des höchsten Wesens« gewidmet waren, schlossen einander aus und mauerten jede nach ihrer Konfeswion.
Es ist klar, daß diese Verhältnisse Einfluß auf ein empfängliches Kindergemüt ausüben mußten.
Im Hause Nr. 118 der jetzt verschwundenen Judengasse wurde am 6. Mai 1786 als dritter Sohn des »Handelsjuden Jakob Baruch« der Mann geboren, der später (1818), kurz vor seiner Taufe, seinen Namen Juda Löw Baruch mit dem Namen Ludwig Börne vertauschte. Die Familie war eine ungewöhnlich angesehene. Börnes Großvater war ein sehr reicher und aüßerst wohlthätiger Mann, er baute ein Synagoge und schenkte sie völlig ausgestattet der Gemeinde. Er war der Geschäftsagent des deutschen Ordens |52| in Neckarsulm, wurde infolge seiner Tüchtigkeit und Ehrlichkeit nach Mergentheim, dem Regierungssitz des Deutschen Ordens, berufen, wo er sich niederließ. Er hatte, als der kurfürstliche Thron Köln ledig wurde, dem Hause Habsburg solche Dienste bei der Wahl des Erzherzogs Maximilian erzeigt, daß Maria Theresia aus Dankbarkeit in einem eigenhändig unterzeichneten Dokument ihn seinen Nachfolgern jegliche Art der Begünstigung für den Fall, sie sich in Osterreich niederlassen wollten, versprach.
Dessen Sohn, Jakob Baruch, hatte, wie es schien, die Geschäftstüchtigkeit und Klugheit des Vaters ohne seine orthodoxe Religiösitet geerbt. Er war ein geschmeidiger Geschäftsmann mit diplomatischer Begabung, bei Höfen und von hohen Beamten wegen seiner Menschenkenntnis, seiner Klarheit und seines »Phlegma« hoch geschätzt. Er war ein kalter, kluger Mann, der von dem Gang der Welt vollständig gelernt hatte, daß es für Männer in seiner Stellung vor allem notwendig sei, still und friedfertig zu leben, um der nicht herauszufordern. Er war ein in religiöser Hinsicht aufgeklärter Mann, der sich durch das beschwerliche jüdische Zeremoniell persönlich gedrückt fühlte, das er, nicht zum wenigsten seines Vaters wegen, mit seinem ganzen Hause zu beobachten gezwungen war. Er versuchte erst spät, sich davon freizumachen. Er hatte, als Sohn eines reichen Mannes, sich nicht geringe theoretische Kenntnisse erworben; er soll sogar in Bonn mit dem Fürsten Metternich zusammen auf die Schule gegangen sein; aber aus Vorsicht gab er dem einzigen Lehrer des Sohnes den strengen Befehl, seinen Unterricht auf den altjüdischen, auf Bibel, Gebetbuch und Talmud, zu beschränken.
Der Knabe war still und schen, wurde als das Kind, aus dem sich die Mutter am wenigsten machte und mit dem das alte herrschfüchtige Dienstmädchen des Haufes in stetem Krieg lag, im Heime hart behandelt vom Vater, vermeintlich zu seinem eignen Besten, auf jeglichem Gebiet, wo er seinen Willen zur Geltuing bringen wollte, |53| gebrochen. Und so kam er bei der ersten Berührung mit der Welt, in seinem Gefühlsleben erschlafft, in seinem Verstandesleben doppelt aufgeweckt, dazu, alles von der Seite des Verstandes auszufassen. Was ihm begegnete war dumm oder nicht dumm, weiter nichts.*
Das häusliche und kirchliche religiöse Zeremoniell erregte als totes Ritual den Abscheu des Knaben; der religiöse Unterricht daheim machte so geringen Eindruck auf ihn wie der Besuch der Synagoge. Gewisse Gebete, wie z. B. das Gebet um Wiedereinführung des Opferdienstes, mißfielen ihm trotz seiner Knaben-Orthodoxie. Zum Entsetzen seiner Umgebung sagte er: »Das ist ein dummes Gebet.«
Er nahm das, was er lernte, und woran der Lehrer selbst nicht glaubte, als einfaches Gedächtniswerk, das er später ebenso schnell wieder verlernte, in sich auf. Das ist die Erklärung dafür, weshalb er als Erwachsener nicht ein einziges Wort Hebräisch verstand und nicht den geringsten Begriff von jüdischer Sitte hatte, ja nicht einmal irgend welches warme Gefühl für das alte Testament hegte, von dem doch sogar Heine fast immer mit Begeisterung spricht.
Er, der selbst an einen alttestamentarischen Propheten erinnert, hat in all seinen Schriften nicht eine Hinweisung auf die Propheten. Er spielt wohl hier und da auf biblische Erzählungen an, aber ganz kalt, wie an bekannte Illustrationen, und (wie Steinthal sein bemerkt hat) sogar eine solche Stelle, wie die republikanische Warnung Samuels vor dem Königtum, von der man meinen sollte, sie müsse ihm ganz vorzüglich zugesagt haben, citiert er etwa wie eine äsopische Fabel.*
«Schillers Abhandlung »Die Sendung Moses« war der erste Luftzug rationeller Religionsauffassung, der den Knaben erreichte. Sie machte einen tiefen Eindruck auf ihn und erschütterte seinen |54| Glauben. So naiv auch diese Abhandlung in ihrem Vertrauen zu den biblischen Überlieferungen als zuverlässiger Geschichte ist, so revolutionär mußte sie doch auf den jugendlichen Leser wirken, der hier zum erstenmal die wichtigsten Begebenheiten seines Volkes und dessen Gesetzgeber ohne irgend welches Wunder dargestellt sah, während noch dazu das »Schicksal« die Rolle der Vorsehung spielte.
Anekdoten aus Börnes Knabenjahren veranschaulichen das Erwachen der Kritik im Gemüt des Knaben und zeigen uns das Spiel der Kräfte, die seinen Charakter formten. Es fiel ein starker Regen und der Fahrweg war ganz aufgeweicht, als der junge Börne sich eines Tages auf einem Spaziergange außerhalb der Thore Frankfurts mit seinem Lehrer befand. »Wir wollen hinübergehen in den Fußweg,« sagte der Knabe. »Weißt Du nicht,« antwortete der Lehrer, »daß uns der Fußweg verboten ist?« Des Knaben Antwort »Es sieht’s ja niemand!" gab dem Lehrer Veranlassung zu einer moralischen Ermahnung und zu einigen Worten Über die Heiligkeit des Gesetzes. »Ein dummes Gesetz!« sagte Börne.
Der Lehrer nahm sich wohl in acht, die Verbitterung des Knaben zu nähren. Aber es gab so manche Veranlassungen dazu. Bei keiner öffentlichen Lustbarkeit im Freien war es den Juden erlaubt zugegen zu sein, nicht einmal, wenn ein Luftballon aufstieg. Bei allen Festlichkeiten, z. B. wenn die Stadt aus Anlaß eines fürstlichen Einzugs geschmückt war, wurden die Juden in ihrer Gasse eingeschlossen. Als bei der Krönung Leopold des Zweiten einige der angesehensten sich hinausgewagt hatten, wurden sie verhaftet und auf die Hauptwache gebracht. Zutritt zu den meisten Gasthäusern und zu allen freien Plätzen war ihnen untersagt. Die allgemeine Regel mit Rücksicht auf das Betreten von Grund und Boden der Stadt lautete: »Wo ein grümer Raum, kein Jude!« Am Sonntag wurde das Thor zur Judengasse sogar schon um vier Uhr nachmittags geschlossen, und nur dem wurde es erlaubt zu passieren, der einen Brief auf die Post zu tragen oder Arznei aus der Apotheke zu |55| holen hatte. Es stand immer ein Wachtposten an der Pforte. Der kleine Börne pflegte zu sagen: »Ich gehe bloß nicht hinaus, weil der Soldat da stärker ist als ich.« Und doch gab der Knabe, der zeitig einen bleibenden Hang zur Wohlthätigkeit verriet, eines Tages, als er von zwei Bettlern angeredet wurde, einem christlichen und einem jüdischen, dem ersteren alles, was er bei sich hatte. »Warum giebst Du Deinem Volke nicht den Vorzug?« fragte der Lehrer. »Weil in den Sprüchen Salomonis steht, daß wir glühende Kohlen auf das Haupt unserer Feinde sammeln sollen.« Der gewissenhafte Lehrer antwortete damit, diesen Beweggrund zurückzuweisen: er beruhe aus der irrtümlichen Voraussetzung, daß die Christen die Feinde der Juden seien.
Es ist leicht zu verstehen, daß solche Kindheitseindrücke Börne seine Abstammung in weit höherem Grade zu Gemüte führen mußten, als es unter normalen Verhältnissen geschehen wäre. Würde er sie auch vergessen gekonnt haben, so hätten die Demütigungen in seiner Jugend und in seinen reiferen Jahren, das unaufhörliche Aufsrischen derselben durch seine zahlreichen Angreifer und Verteidiger ihm sie stets Von neuem in Erinnerung gebracht. Über diesen letzten Punkt schreibt er an einer Stelle in den »Briefen aus Paris« (7. Febuar 1882): »Es ist wie ein Wunder! Tausendmal habe ich es erfahren, und doch bleibt es mir ewig neu. Die einen werfen mir vor, daß ich ein Jude sei; die andern verzeihen mir es; der dritte lobt mich gar dafür; aber alle denken daran. Sie sind wie gebannt in diesem magischen Judenkreise, es kann keiner hinaus. Auch weiß ich recht gut, woher der böse Zauber kommt. Die armen Deutschen! Im untersten Geschosse wohnend, gedrückt von den sieben Stockwerken der höheren Stände, erleichtert es ihr ängstliches Gefühl, von Menschen zu sprechen, die noch tiefer als sie selbst, die im Keller wohnen. Keine Juden zu sein, tröftet sie dafür, daß sie nicht einmal hofräte sind.«
Indessen kann man nicht sagen, daß sich bei Börne große |56| Empfindlichkeit mit Rücksicht auf seine jüdische Abstammung entwickelte. Mit wie starker Entrüstung er auch manchmal gegen die Unterdrückung der unglücklichen Bewohner der Ghettos geschrieben hat, so konnte er doch keinesfalls, wie manche es von ihm erwarteten sich für die Freigebung der Juden mehr als für andere Fragen verwandter Art erwärmen. Er fand ein Freiheitsstreben, das sich darauf beschränkte, einseitig und egoistisch.
Hierzu kam, daß er einen Unwillen und eine Mißstimmung gegen die Juden nährte, die auf dem Abscheu beruhten, den der zumeist aus Bankiergeschäften bestehende Handel in Frankfurt ihm, Poet und Idealist wie er war, frühzeitig eingeflößt hatte. Er war entsetzt, wenn er einen Frankfurter Kaufmann mit Leidenschaft, mit Begeisterung über Rothschild oder die österreichische Anleihe »wie einen Kunstfreund von einem Gemälde von Rafael« reden hörte. 1822 schrieb er: »Der Widerwille gegen Handelsleute und Juden als solche ist bei mir auf den höchsten Grad gestiegen seitdem ich, entfernt von Frankfurt, gesehen habe, was das eigentlich heißt, sein Leben genießen.« Börne fehlte keineswegs Blick für das Nützliche und Schöne großer Handelsunternehmungen. Die Börse und der Hafen Hamburgs erwecken nicht viele Jahre später seine lebhaste Bewunderung. Aber die Franksurter Kaufleute und unter ihnen Rothschild, schienen ihm durch ihr Spekulieren in Staatspapieren in Verbindung zu stehen mit dem, was ihm Verhaßteste von allem war: mit der Zersplitterung Deutschlands und dem Metternichschen System. Es wimmelt in seinen Schriften von Ausfällen gegen »die deutschen, adeligen Juden, die sich mit allen Ministern,und fürstlichen Mätressen duzen« und die sich deshalb wenig um die Freiheit der Polen bekümmern. Vor allem ist Rothschild ihm das Symbol des Bösen: »Wenn der Jude Rothschild König wäre und sich ein Ministerium ais Wechselmaklern bildete, könnte nicht niederträchtiger regiert werden... Rothschild wird bestehen bis zum jüngsten Tage - d.h. dem der Könige. |57| Welches Ultimo! wie wird das da krachen!« Er geht in seiner Erbitterung gegen ihn so weit, daß er es eine Schmach nennt, als Rothschild in Paris nur zu zweitägiger Gefängnisstrafe verurteilt wird, weil er trotz wiederholter Ermahnung sich geweigert habe, sein Kabriolett numerieren zu lassen. Selbstverständlich hat Börne persönlich nichts gegen ihn, aber er verabscheut ihn »als den großen Makler aller der Staatsanleihen, die den Fürsten die Macht geben, der Freiheit zu trotzen.« Als er nach der Julirevolution immer eine neue große Umwälzung nahe bevorstehend glaubt, findet er es — übrigens mit Unrecht — dumm von den Juden, daß sie es ringsum in Europa mit den Machthabern halten. Hingegen erklärt er mit Recht die Juden für »dümmer als Vieh«, wenn sie sich einbilden, daß sie bei einer entstehenden Revolution von den Regierungen in Schutz genommen werden würden. Mit gesundem politischen Blick sieht er ein — was Erfahrungen in Rußland bestärkt haben — daß man sie gerade der Volkswut preisgeben würde in der Meinung, sich selbst dadurch von der Revolution freizukaufen.*
Börnes Geburt außerhalb der christlichen Gesellschaft rief, wie man sieht, keine überströmende Sympathie mit seinen Stammesgenossen hervor, aber unter diesen frühesten Zwangsverhältnissen seiner freudlosen Kindheit mit der Kälte der Eltern und mit dem stetigen Anblick der Gewinnsucht, der feigen Vorsicht, all der Laster, welche die Unterdrückung erzeugt, in dieser Umgebung wurde ein Charakter geschmiedet, so stark, daß er niemals zu beugen, zu erweichen oder zu brechen war, von dessen diamantharter Festigkeit Schmeichelei und Machtsprüche abprallten; ein Charakter, hermelinartig in seiner Reinheit, und in diesem Charakter eine Strenge, die sich bald in das Gewand humoristischer Satire, bald in das höhender Entrüstung hüllte, und die von einem Gerechtkeitsgefühl |58| ausging, das flammend in seinem Pathos werden konnte. So er als Schriftsteller für Deutschland ungefähr dasselbe, was Paul Louis Courier für Frankreich gewesen ist, d. h. ein politischer Tribun, satirisch und freiheitsliebend wie der Franzose, weniger klar auf dem nächstliegenden Gebiete, aber als Gemütsmensch reicher an Phantasie und Pathos, viel reicher von Naturell als er.
Denn die Festigkeit des Charakters schloß bei ihm nicht die Weichheit des Gemütes aus. Der schwache, immer etwas kränkelnde Knabe, der in einer Straße ohne Sonne, ohne frische Luft und ohne Zutritt zur Natur aufwuchs, war im Grunde seines Innern eine zärtliche Seele. Der Samen der Milde wurde vielleicht ursprünglich in seinem Gemüt durch das Lesen des deutschenn Schriftstellers entwickelt, der den größten Einfluß auf die Bildung seiner Ansichten und seines Stils ausgeübt hat. Jean Paul war sein erster Meister. Von Jean Paul, der in Börnes düsterer Jugendheit sein bester Trost war, stammt er als Schriftsteller in gerader Linie ab.
Er faßte Jean Paul aus als den Dichter derer, die i Niedrigkeit geboren werden. Er liebte Jean Paul als Fürsprecher derer, denen Unrecht geschieht. Er sah in ihm einen Priester des Rechts und einen Apostel der Milde. Die berühmte Gedächtnisrede, die er auf ihn geschrieben, giebt einen Einblick in seine Jugendschwärmerei und legt zugleich ein Zeugnis dafür ab, was es war, das er sich von Jean Pauls Stil anzueignen versucht hat. Durch die kunstfertigen Antithesen hindurch macht sich die Bewegung des Gemütes geltend, wenn er sagt:
»Wir wollen trauern um ihn, den wir verloren, und um die andern, die ihn nicht verloren. Nicht allen hat er gelebt! Aber eine Zeit wird kommen, da wird er allen geboren, und alle werden ihn beweinen. Er aber steht geduldig an der Pforte des zwansigsten Jahrhunderts und wartet lächelnd, bis sein schleichendes Volk ihm nachkommt. Dann führt er die Müden und Hungrigen ein in die Stadt seiner Liebe.«
|59| Und es liegt geistvolle Charakteristik in diesen Zeilen:
»In den Ländern werden nur die Städte gezählt; in den Städten nur die Türme, Tempel und Paläste; in den Häusern ihre Herren; im Volke die Kameradschaften; in diesen ihre Anführer . . . Durch enge verwachsene Pfade suchte er das verschmähte Dörfchen auf. Er zählte im Volke die Menschen, in den Städten die Dächer, und unter jedem Dache jedes Herz.«
Von Anfang an war es vielleicht die politische Haltung Jean Pauls, die ihn bezauberte. Jean Paul trat zeitig in der deutschen Litteratur als Erbe von Herders weltbürgerlichen Gefühlen und Lehren auf. Herder hatte immer die Liebe zur Menschheit auf Kosten des Nationalgfühles und des Nationalhasses gepriesen. Jean Paul verkündigte nach ihm die allgemeine Brüderschaft der Menschheit. Und hierzu kommt, daß unbestimmter politischer Freisinn, ungefähr der Erklärung der Menschenrechte, die ihn elektrisiert hatte, entsprechend, seine ganze Produktion beseelt, während er die Fürsten, die Höfe und die ganze vornehme Welt mit durchgeführter Ironie behandelt. Jean Paul hält das zukünftige goldene Zeitalter, wo nur einzelne, nicht mehr die Völker sündigen, und wo das Kriegsgespenst verschwunden ist, bald für nahe bevorstehend, bald schiebt er es wieder in eine sehr ferne Zeit hinaus; aber der Eindruck von dem, was man die Schnelligkeit des historischen »Fortschrittes« nannte und nennt, brachte sowohl ihn wie seinen Schüler dahin, sich die Weltbrüderschaft als etwas nicht Fernliegendes vorzustellen.
Doch nicht nur der große Blick in die Zukunft, sondern das Satirische und Idyllische in Jean Pauls Talent sprach Börne im höchsten Grade an. Er nimmt von Jean Paul gewisse komische Ortsnamen (wie Ruhschnappel, Flaschensingen) an; als junger Mann ahmt er seine humoristische Manier nach in den novellistisch-journalistischen Kleinigkeiten, die er verfaßt, in seinen shcerzhaften Aufsätzen über den »Eßkünstler am Hoteltisch«, über »Allerhöchtsdie|60|selben«, über »Hof- und Kommerzienräte«, über »die Thurn und Taxische Post« u. s. w., nur sich dabei mehr an die Wirklichkeit und an die bezügliche Lokalität haltend, als dies Jean Paul gethan hatte. Wie Jean Paul greift er in schalkhaften Formen Staat, Kirche, Verwaltung, Sitten und Gebräuche an, ohne jedoch über den Reichtum an Beobachtungen zu gebieten, die seinem Vorgänger zu Gebote standen und ohne ihm in Vielseitigkeit der Kenntnisse nahe zu kommen.
Zum Ersatz dafür hat Börne als Stilist große Vorzüge vor Jean Paul. Ihn, dem ein tieferer Kunstsinn, ein seinerer Formensinn fehlte, hat das Unkünstlerische an Jean Paul als ungekünstelt angezogen. Er hat nicht gefühlt, daß dieser Überfluß an Bildern von allenthalben her zusammengeschleppt war und nur selten der Sache selbst entsprang. Die orientalische Üppigkeit in Gleichnissen, Reichtum an Blüten der Sprache hat ihn als poetisch augesprochen und sein Ohr hat in dem Mangel an Harmonie der langen Perioden den, in dem schweren Ballast der zahlreichen eingeschobenen Sätze nur Zeugnisse von der Natürlichkeit des Vortrages gesehen. Auch für ihn war Goethes Plastik nur Kälte, auch ihm war Goethes unpersönlicher Greisenstil ein Grauen. Das lebendige, unruhige Ich in Jean Pauls Schriften begegnete sich, wenn er sie las, mit seinem eigenen warmfühlenden und leidenschaftlichen Ich.
Unwillkürlich formte er dann den Jean Paulschen Stil ganz nach seiner Individualität um — jener Individualität, die sich schon in seinen ersten Briefen verrät, und deren Eigentümlichkeit nur den Umständen angepaßt und entsprechend entfaltet, niemals geändert wurde. Es gab keine Wildnisse oder Urwälder in seinem Innern wie in dem Gemüte Jean Pauls. Er dachte nicht an zehn Dinge auf einmal wie Jean Paul, vor dem sie wie aneinandergeflochten dastanden. Rein, sowohl die Phantasie wie der Verstand waren bei ihm klar und knapp in ihrem Ausdruck. Frühzeitig hatte sich in ihm durch das Lesen in Johannes von Müller ein Hang zur bündigen Tacitus-|61|Kürze entwickelt. Der Gang seiner Vorstellungen war von Anfang an, halb französisch, halb jüdisch, auf die Antithese und den Kontrast gerichtet. Er liebte die Symmetrie der Gedanken und der Worte, sein inneres Tempo war schnell, sein Atem als Schriftsteller war kurz. Daher kurze Sätze, starke und beißende Sätze im Hundetrab, keine Perioden. Er mochte viele Bilder, doch nicht so viele, daß sie sich verdrängten; treffend, bezeichnend sollten sie sein. Er holte sie nicht aus Heften und Notizbüchern hervor wie Jean Paul, sondern sie kamen von selbst in bescheidener und reichlicher Fülle. Er gebrauchte viele Gleichnisse, aber klaren Geistes, wie er war, stellte er sie in seinen Sätzen fast algebraisch auf, so daß sie eher den Eindruck von Gleichungen als von losen Blumen machten.
Sein völlig individuelles Wesen formte sich solcherweise nach und nach in einen ganz eigentümlich humoristischen Stil aus. Jean Pauls Humor erstreckt sich durch weitläufige und breite Untersuchungen, Erzählungen, Romane; nicht so derjenige Börnes. Er hat es nie vermocht, ein einigermaßen umfangreiches Werk von politischer, poetischer, kritischer oder historischer Art hervorzubringen; er konnte keine Bücher schreiben, nur einzelne Seiten. Er war in seinem innersten Wesen journalistisch angelegt. Er hat es selbst gesagt: »Was jeder Morgen brachte, was jeder Tag beschien, was jede Nacht bedeckte, dieses zu besprechen hatte ich Lust und Mut.« Hierauf beruht die eigentümliche Art seines Humors.
Er hatte den scherzenden Witz, aber auch eine Art von farkastischem Witz, der schmitzend trifft, und zugleich durch einen indirekten Appell an das Gefühl ergreift und rührt. Er hatte die Bitterkeit in der Klage und in der Anklage, die sich in der versöhnenden Form des Trostes äußert, und die Melancholie, die durch ein Lächeln und einen tollen Einfall sich über die Zeit und die Umgebung erhebt. Aber etwas ähnliches würde man mit Recht von andern großen Humoristen sagen können. Das für Börne (im Gegensatz zu sterne, Jean Paul u.a.) Eigenthümliche beruht |62| zuerst auf dem Ergriffensein, der Empfindlichkeit, mit welcher er gegen alle Begebenheiten der Außenwelt, die innerhalb seines Gesichtskreises erscheinen, reagiert, indem selbst ein kleines Ereignis alle Stränge seines Innern vibrieren läßt, freilich nur Ereignisse des wirklichen, besonders des öffentlichen Lebens. Demnächst beruht seine Eigentümlichkeit darauf, daß alle eintretenden Begebenheiten einen und denselben Punkt seines Seelenlebens berühren seine Freiheitsliebe, die ein Ausdruck des schärfsten Rechtsfinnes war. Ganz meisterhaft hat einer seiner Kritiker, Steinthal*
, entwickelt, wie dies mit seinem Mangel an Fähigkeit, ein großes Ganzes hervorzubringen, zusammenhängt. Er dachte niemals systematisch, er verband niemals die vielen Einzelheiten, die ihn nach beschäftigten und ergriffen, miteinander gegenseitig, aber er stellte eine jede von ihnen in ein Verhältnis zum Mittelpunkte seines Wesens.Sein Humor verband die jämmerliche Wirklichkeit mit der idealen Forderung in seinem Innern; er gab kein Bild von den verschiedenen Elementen der Wirklichkeit, er fing sie nur alle in demselben Brennpunkte auf.
Leichtbegreiflich ist es, daß Börne seiner ganzen Anlag Schiller hoch über Goethe stellen mußte, ebenso mußte er Jean Paul weit mehr als Schiller würdigen. Und höchst bezeichnend: was er gegen Schiller einzuwenden hat, ist nicht Unvollkommenheit der rein poetischen Ausformung, sondern Mangel an sittlicher Idealität. Man ist daran gewöhnt, Schiller als unangreifbar in diesem Punkt zu betrachten, aber für Börnes rücksichtslose Strenge in der sittlichen Forderung ist er es nicht. Lehrreich ist besonders bei Börne die Beurteilung des Charakters von Wilhelm Tell. Für ihn ist Tell nur ein großer Philister. guter Bürger, Vater und Ehemann, aber ein Mann, dessen Charakter Unterthänigkeit ist. Auf |63| dem Rütli, wo die Besten des Landes zusammenkommen, fehlt Tells Schwur, er hatte nicht den Mut sich zu verschwören. Wenn er sagt:
Der Starke ist am mächtigsten allein —so ist dieses für Börne die Philosophie der Schwäche: wer nur soviel Kraft hat, um gerade mit sich selbst fertig zu werden, der ist am stärksten allein, aber wem nach der Selbstbeherrschung noch ein Überschuß davon bleibt, der wird auch andere beherrschen. Und der Kritiker verfolgt Tells Handlungsweise Punkt für Punkt: Tell versagt dem Hute auf der Stange seinen Gruß, aber das sei nicht der edle Trotz der Freiheit, nur Philisterstolz, ein Gemisch von Ehrgefühl und Furcht; er geht mit niedergeschlagenen Augen an der Stange vorüber, um sagen zu können, er habe den Hut nicht gesehen. Und als Geßler ihn zur Rede stellt, sei er demütig, so demütig, daß man sich seiner schämt. Er sagt: aus Unachtsamkeit habe er es unterlassen, es solle nicht mehr geschehen.
Börne bewundert nicht den Apfelschuß: ein Vater könne Alles wagen um das Leben seines Kindes, nur nicht dieses Leben selbst. Warum erschoß Tell nicht auf der Stelle den Tyrannen, statt wie ein Weib zu bitten und sein »lieber Herr, lieber Herr« zu sagen. Er hätte Ohrfeigen dafür verdient. Und, sagt Börne weiter, ist es nicht Verrat und ein schlechter Streich, wenn Tell, als der Landvogt sich aus dem See seiner Hilfe anvertraut — der Feind dem Feinde — dem Schiffe entspringt, es in die Wellen zurückstößt und wieder dem Sturme preisgiebt? Börne schöpft am meisten Ärgernis aus der folgenden Replik:
»Wie ist nun,« fragte der Kritiker, »der schlichte Mann zu dieser seinen jesuitischen Sinnsdeutung geraten?... Ich begreife nicht, wie man diese That je sittlich, je schön finden konnte. Tell |64| versteckt sich und tötet ohne Gefahr seinen Feind, der sich ohne Gefahr glaubt!«
Es kann nicht verwundern, daß derjenige, in dessen geistigem Organismus der Rechtssinn sich zu einer solchen Schärfe und Feinheit entwickelt hatte, daß er förmlich für den eigentlich äthetischen Sinn vikariierte, das Organ für Goethe entbehren I dessen Drang nach Gerechtigkeit verhältnismäßig weniger entk war. ——
Nach einem Aufenthalt von einigen Jahren bei einem Professor in Gießen wurde der junge Börne 1802 nach Berlin geschickt, weil es seinem Vater nicht gelungen war, seinen Hang zum Studieren zu bezwingen, obgleich die Studien wegen seiner Konfessio ihn nur dahin bringen konnten, Arzt zu werden, ein Beruf, wozu er obendrein gar keine Anlage verriet. Er wurde in dem Hause des bekannten Arztes und Kantianers Markus Herz untergebracht, dessen öffentliche Vorlesungen über Philosophie einen so großen Zuhörerkreis aus der besten Gesellschaft versammelten, daß er — viele vor Errichtung der Berliner Universität — zum Professor der Philolosophie auf Lebenszeit mit Gehalt ernannt worden war. Er war ein hervorragender Arzt, ein klarer Denker und tüchtiger Redner, ein Freund Lessings, dessen Poesie er nicht weniger schätzte, als seine Kritik, weshalb ihm die Mystik der romantischen Schule, besonders diejenige Hardenbergs, als Sinnlosigkeit, sogar als Greuel erschien. Da Herz schon 1808 starb, konnte er keinen bedeutenden Einfluß auf die Entwickelung des jungen Börne ausüben. Einen so stärkeren Eindruck auf den Jüngling machte seine berühmte siebzehn Jahre jüngere Gattin Henriette geb. Lemos, die, nur zwölf Jahre alt, ungefragt mit ihm verlobt worden war. Auffallend schön, außerordentlich sprachkundig, von einer großen Anzahl der hervorragendsten Männer der Wissenschaft und der Litteratur jener Zeit gesucht, machte sie eins der am meisten gennanten, angesehenen, beliebten Häuser in Berlin aus. Sie war damals achtunddreißig Jahre |65| alt, Börne sechzehn; aber dies verhinderte natürlicherweise nicht, daß der junge Mann sich kopfüber in eine hoffnungslose Liebe stürzte zu dem schönsten und vorzüglichsten weiblichen Wesen, das er in seinem Leben gesehen hatte.
Die bezaubernde Henriette war als Persönlichkeit schon in ihrem Äußern der schärfste Gegensatz zu ihrem klugen und häßlichen Mann: sie war eine vollendete Schönheit, der Kopf klein wie an den griechischen Statuen, die Gestalt hoch und majestätisch wie die der Königin Luise. Die tragische Muse oder die schöne Tscherkessin waren die Beinamen, worunter sie ging. Angebetet wurde sie von Wilhelm von Humboldt, Mirabeau, Schleiermacher und, nach dem Tode des Mannes, von einer Schar vornehmer Herren, die vergebens um die Hand der schönen Witwe warben. Sie schlug alle Bewerbungen aus, sie wies trotz ihrer Armut unter anderem die Hand eines der reichsten deutschen Grafen zurück und machte sich zur Gouvernante der späteren Kaiserin von Rußland. Sie war eben so streng tugendhaft, wie blendend schön, sie gewährte wohl verschiedenen Männern viel Vertraulichkeit, aber immer innerhalb der Grenzen einfacher Freundschaft.
In ihrem Kreis unterschied man zwischen der erlaubten Koketterie, die darauf ausging, den Mann ganz zu gewinnen, und der unerlaubten, die nur darauf ausgehe, seine Sinne zu erobern. Sie selbst gehörte zu der gefährlichen Klasse der tugendsamen Koketten. Ohne Temperament, leicht in moralisierende Empfindelei verfallend, stiftete sie in jüngeren Jahren einen »Tugendbund«, worin Wilhelm von Humboldt die Hauptrolle spielte, und dessen Mitglieder sowohl alte wie junge, berühmte wie unberühmte Männer waren. Man duzte sich, schrieb lange Briefe aneinander, bisweilen in fremden Sprachen oder mit griechischen und hebräischen Buchstaben, wechselte Ringe und Silhouetten aus, nahm sich die gegenseitige »moralische Entwicklung« vor, erzielte, »das Glück durch Regiung« aber ohne Pflichten, denn die Reigung kenne keine Plifchten; man entfernte |66| alle Schranken des konventionellen Anstandes — doch in aller Zucht und Ehre. Rahel spottete darüber; sie wollte nicht in den Bund hinein.
Die Briefe, die gewechselt wurden, gleichen ganz denjenigen, die in Dänemark etwas später Kamma Rahbek und Molbech einander schrieben. Man findet hier einen Jargon, der genau dem entspricht, was in der nordischen Litteratur »Bakkehussprache« genannt wird. Man vertiefte sich in seine eigenen Gefühle und verlor sich unaufhörlich in eine Selbstbespiegelung, die natürlicherweise der Empfindung aller Frische raubte. In endlosen Briefen erklärte der Freund der Freundin und die Freundin dem Freunde unter geschriebenen Thränen, wie sie einander gegenseitig ergänzten un entwickelten. Man zerpflückte sich selbst zu Charpie; man beobachte sich in diesem ausgefaserten Zustand; man sammelte sich nicht zur Mitteilung, man spann sich im Gegenteil weitläufig aus. Man kelterte sein Inneres, bis es als Thränen, Herzblut u. s. w. flüssig wurde, und goß es dann in den Busen eines Gleichgesinnten aus, ohne durch diese Behandlung das Ich merkwürdiger oder origineller zu machen.
Die schöne und noble Henriette Herz war weniger eine ursprüngliche Persönlichkeit als eine »Anempfinderin«. Sie eignete sich von all den bedeutenden Menschen, mit denen sie in Berührung kam, selten mehr zu, als die äußere Kenntnis ihrer Verhältnisse ihres Thuns und Lassens. Sie ist hauptsächlich durch ihre zärtliche Freundschaft mit Schleiermacher berühmt geworden. Man sprach in Berlin viel darüber, aber gleichwohl war dieselbe über jede boshafte Auslegung erhaben. Der Gegensatz zwischen »der tragischen Muse« und dem kleinen Schleiermacher, dessen seiner Kopf auf einem schwächlichen und ein wenig verunstalteten Rumpfe saß, war allzu ausfallend. In der Berliner Bevölkerung schmunzelte man gutmütig, sah man des Abends den kleinen Pastor Henriettens Haus mit einer im Knopfloch hängenden Laterne verlassen, oder wenn man während des Tages ihn selbst am Arme seiner majestätischen Melpomene |67| hängen sah. Es erschien sogar eine Karikatur, die Henriette darstellte, wie sie ihn auf der Hand hielt — das Juwel, wie man ihn nannte — so wie die Damen einen Sonnenschirm tragen.*
Wenn auch der junge Börne der frische, rotwangige Jüngling gewesen wäre, der er nicht war, so hätte er doch kaum einen Eindruck auf das Herz seiner stolzen, verwöhnten Pflegemutter gemacht. Sie begriff anfangs nicht einmal, was dem jungen Menschen fehlte, dessen Leidenschaft — die in seinen Aufzeichnungen niedergelegt ist — eine echte Schüleranbetung war, wie sie in den Pubertätsjahren aus halbbewußtem Trieb und überspannten Vorstellungen von der Vollkommenheit eines weiblichen Wesens entsteht. Als ein paar Versuche, die der Siebzehnjährige machte, durch das Dienstmädchen des Hauses sich Arsenik aus der Apotheke zu verschaffen, Henriette Herz verrieten, was in ihm vorging, versuchte sie nach Kräften durch ein Gemisch von Güte und Strenge ihn zur Vernunft zu bringen.*
Daß sie inzwischen auch nicht ganz unempfindlich für seine Anbetung oder ganz frei von einer Koketterie, die hier die Maske der Mütterlichkeit annahm, ihm gegenüber gewesen, beweist der an und für sich unbedeutende Umstand, daß er, der am 3. Dezember 1802 sie für 28—30 Jahre alt angesehen hatte, von ihr beim Mittagsessen erfuhr, daß sie vierunddreißig Jahre alt war; am Abend legte sie noch zwei Jahre hinzu. Aber mehr als diese sechsunddreißig Jahre bekannte sie nicht, und noch am 5. März 1803 giebt Börne ihr dies Alter. Zwei Jahre hatte die wunderschöne »Frau Mutter«, wie sie ihm gestattete, sie zu nennen, sich also jünger gelogen. Natürlicherweise fuhr er fort zu lieben, zu bewundern, zu verzweifeln, Höllenqualen über ihre Gleichgültigkeit zu erdulden und himmlische Seligkeit über ein Lächeln oder ein freundliches Wort von ihrer Seite zu empfinden, außerdem sich mißtrauisch, bitter, |68| ungereimt, unberechenbar im Umgang zu zeigen, bis es endlick notwendig wurde, ihn anderswohin zu senden.
Er kam nach Halle, um dort seine Studien fortzusetzen. Bei der Abreise überreichte er ihr ein empfindsames Tagebuch — sie hatte, wie es scheint, ihm den Rat gegeben, seine Oual in einem solchen auszuschütten — mit einem Paket leidenschaftlicher, an sie gerichteter Briefe. Von Halle aus fuhr er fort an sie mit unveränderter Schwärmerei und heftiger Sehnsucht zu schreiben, in der Entfernung richtet sich sein Wesen bald wieder so weit auf, daß er nicht mehr in der bloßen Analyse seines seelischen Zustandes aufgeht, sondern sich zu einer ruhigen und unterhaltenden Kritik der Umgebungen und zu einem gewissen würdigen, mit Selbstkritik vermischten Selbstgefühl ermannt.
Schon in diesen Briefen begegnet man zur gleichen Zeit Begeisterung für Ideen, Entrüstung über Sklavensinn und scharfer Satire in den Urteilen, die gefällt werden. Man lernt hier Börnes ursprüngliches Wesen kennen, ein Temperament, dem Ausschweifungen so wenig eine Versuchung sind wie Trunk, eine Natur, die unter der Schwäche des Körpers, unter dem innern Streit leidet, der da entsteht, wo sich Mut ohne Kraft, Liebe ohne Gegenliebe unbestimmtes Sehnen nach Ausübung von Großthaten ohne deutliches Ziel finden. Ab und an eine Drohung darüber, was einmal, wenn er zum Manne gereift sei, dem Philisterhaufen geschehen solle, der ihn jetzt belächelt, und erbitterte Ahnungen kommender Demütigungen und stürmische Vorsätze von Rache an den Frechen, die ihn wegen seiner Herkunft verhöhnen und peinigen, weil sie seine Zurückhaltung für Feigheit ansehen.*
Deutlich genng hat dieser Jugendaufenthalt in Berlin für den jungen Börne die Be|69|deutung gehabt, sein Gefühlsleben zu reifen, während die Berührung mit den bedeutendsten Männern der damaligen Zeit in dem Herzschen Hause dazu beitrug, seine Geistesgaben zu erwecken.Er studierte in Halle, als die Schlacht von Jena geschlagen und die Universität kurz darauf von Napoleon aufgehoben wurde. Börne zog nach Heidelberg, um dort seine Studien fortzusetzen, übrigens von einer patriotischen Begeisterung gegen die Franzosen erfüllt, die sich in einer Broschüre Luft machte, welche die Zensur nicht passieren ließ. Aber zu derselben Zeit, als der Siegezug Napoleons die Studenten aus Halle vertrieb, trat infolge dieser Siege eine vollständige Umwälzung der politischen Verhältnisse in der Geburtsstadt Börnes ein. Schon im Jahre 1806 nahm Dalberg als Fürst-Primas des kürzlich gegründeten Rheinbundes Frankfurt am Main in Besitz. Eine seiner ersten Regierungshandlungen war die, wesentliche Verbesserungen und Erleichterungen in der Stellung der Juden herbeizuführen, bis eine Verordnung Napoleons im Jahre 1810 die Ablösung aller Bürden befahl, die auf den Leibeigenen und den Juden lasteten. Im Dezember des Jahres 1811 bekam die jüdische Gemeinde in Frankfurt die vollen Bürgerrechte gegen eine Summe von 440 000 Gulden eingeräumt, die im folgenden Jahre ganz einbezahlt war. Für Börne war die nächste Wirkung die, daß er das medizinische Studium aufgab, das er nur widerstrebend ergriffen hatte, weil jegliches andere ihm verboten war, und zur Staatswissenschaft und Jurisprudenz überging, die zum Staatsdienst Zutritt eröffneten. 1808 war er Doktor der Philosophie geworden.
Der Vater, der äußerst unzufrieden mit dem Mangel an Ausdauer bei dem Sohne als Student wie mit seinem häufigen Läpperschuldenmachen gewesen, war nicht minder mißvergnügt über das Ausgeben des medizinischen Studiums und forderte, daß er sich jetzt selbst ernähre; er verschaffte ihm deshalb eine Anstellung, die in einem drolligen Widerstreit mit Börnes späterer Wirksamkeit als Schrifsteller stand, ein kleines Amt bei der Frankfurter Polizei.
|70| Er wurde zum Aktuar ernannt, saß in den alten finsteren Räumen des Römers, visierte Pässe, prüfte Wanderbücher, nahm Protokolle auf und repräsentierte bei feierlichen Gelegenheiten in Uniform und mit dem Degen die örtliche Autorität.*
Inzwischen hatte er begonnen, als Schriftsteller aufzutreten, als Mitarbeiter eines Frankfurter Tageblattes, mit Artikeln, voll urdeutscher Rhetorik, von einer vaterländischen Begeisterung dem starken Korsikaner gegenüber diktiert, die schon in ihrem sprachlichen Ausdruck in den wildesten Chauvinismus hinübergleitet. Es sind Aufrufe an die deutschen Jünglinge', und Ausbrüche des blindesten loyalsten Zutrauens zu den deutschen Fürsten.*
Er ist lauter Hoffnung in allem, was den Ausgang des Freiheitskampfes betrifftEr ahnte wahrlich nicht, daß die Freiheiten, deren er teilhaftig geworden, ihm durch den Sieg geraubt werden sollten. Kaum hatten im Jahre 1813 die Kaiser von Rußland und Osterreich und der König von Preußen ihren Einzug in Frankfurt gehalten, als auch das siebenjährige Regiment des Fürsten Dalberg zu Ende war. Das Großherzogtum Frankfurt wurde aus der Zahl der Staaten gestrichen, und man ließ die alte Verfassung wieder in Kraft treten. Die Bürgerrechte, welche sich die Israeliten für schweres Geld erkauft hatten, kassierte man einfach, selbstverständlich ohne das Geld zurückzuzahlen. Die Kuriere, schreibt Karl Gutzkow, die zwischen und jenen Städten, wo die berühmten Reaktionskongresse gehalten wurden, hin und her flogen, rissen Furchen in das blutgedüngte Vaterland, in die man den Samen veralteter Meinungen und Vorrechte wieder zu streuen wagte.
Der Sturz der französischen Herrschaft brachte Börne um seine |71| Anstellung und seine Unglücksbrüder um ihre Menschenrechte; er war unpersönlich genug in seiner Denkweise, späterhin wie zuvor die Fremdherrschaft als eine Schmach anzusehen.
Es kann indessen nicht verwundern, wenn Goethes Gleichgültigkeit auch diesen Ausschreitungen der großen Reaktion gegenüber Börne in dem Haß wider eine Persönlichkeit bestärkte, die ihm von keiner ihm zugänglichen Seite groß erschien. In der Rezension von Bettinas »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde« — vielleicht die am meisten desorientierende Kritik, die Börne je verfaßt hat — schreibt er: »Was machte Goethe, den größten Dichter, zum kleinsten Menschen? Was schlang Hoper und Petersilie durch seine Lorbeerkrone? Was setzte die Schlafmütze auf seine erhabene Stirn? Was machte ihn zum Knechte der Verhältnisse, zum feigen Philister, zum Kleinstädter? Er war Protestant und seine Familie war ratsfähig. Er war schon sechzig Jahre alt, stand auf dem höchsten Gipfel seines Ruhms, und Weihrauchwolken unter seinen Füßen wollten ihn trennend schützen vor den niederen Leidenschaften der Thalbewohner; — da ärgerte er sich, als er erfuhr, die Frankfurter Juden forderten Bürgerrechte, und er eiferte gegen die »Humanitätssalbader«, die den Juden das Wort sprächen.«,
Was Börne am wenigsten von allem Goethe vergeben konnte, das war dessen Stellung zu den Großen. Er übersah, daß das Menschenalter, welches er selbst jünger war als Goethe, eine vollständige Umwandlung in der Stellung der Schriftsteller den Fürsten und dem Publikum gegenüber bezeichnete. In Deutschland lebten im achtzehnten Jahrhundert die Schriftsteller nicht von Honoraren, sondern von Zueignungen. Die Dichter waren gezwungen, sich die Gunst eines vornehmen Beschützers zu suchen, adelige Junker zu unterrichten oder junge Prinzen auf ihren Bildungsrefien zu begleiten. Wieland empfing Geldgeschenke zum Dank für Dedikationen, Schiller nahm mit Freuden die Unterstützung entgegen, die der Herzog von Augustenburg ihm von Dänemark verschaffte. Monarchen und |72| Fürsten, hohe Herren, Aristokraten hegten ja gegen Schluß des achtzehnten Jahrhunderts ein wirkliches, ja heftiges Interesse für Philosophie und Poesie, für all die neue Wahrheit und Schönheit; sie zogen die Schriftsteller an sich heran wie Leute ihresgleichen. Erst die französische Revolution ließ dieses schöne Verhältnis aufhören, und Goethes Lebensstellung war vor der Revolution geordnet.
Börne starrte sich blind an den abgerissenen Ausdrücken Goethescher Fürstenverehrung Er schreibt irgendwo den Passus aus Goethes Tagebuch ab: »Hierauf ward mir-das unerwartete Glück, Ihre, des Großfürsten Nikolaus und Gemahlin Alexanders Kaiserliche Hoheit, im Geleit unserer gnädigsten Herrschaften bei mir im Haus und Garten zu verehren. Die Frau Großfürstin, Kaiserliche Hoheit, vergonnten mir einige poetische Zeilen in das zierliche, prächtige Album verehrend einznzeichnen« und fügt hinzu: »Das schrieb er in seinem einundsiebzigsten Jahre. Welche Jugendkraft!« Je älter Börne wurde, je mehr er sich selbst dahin entwickelte, nichts anderes als eine Verkörperung der politischen Überzeugung zu sein, ein Wesen in dem sich die politische Überzeugung des ganzen Seelenlebens, des Talentes wie des Witzes bemächtigt, und in welchem sie sich zu einer Religion mit allen Äußerungsformen der Religion: Treue, Andacht Fanatismus umgebildet hatte — desto wertloser, ja verächtlicher kam ihm Goethes Zuschauerrolle bei den politischen Kämpfen vor. An einer andern Stelle schreibt er: »Goethes Tagebuch habe ich nun geendigt. So eine dürre, leblose Seele giebt es aus der Welt nicht mehr und nichts ist bewunderungswürdiger als die Naivetät, mit welcher er seine Gefühllosigkeit an den hellen Tag bringt ... Und solche Konsuln hat sich das deutsche Volk gewählt! Goethe — der angstvoller als eine Maus beim leisesten Geräusche sich in die Erde hineinwühlt und Luft, Licht, Freiheit, alles hingiebt, um nur in seinem Loche ungefört am gestohlenen Speckfaden knuppern zu können - und Schiller, der edler aber gleich mutlos, sich vor Tyrannei hinter Wolkendunst ver|73|steckt, und oben bei den Göttern vergebens um Hilfe fleht, und von der Sonne geblendet die Erde nicht mehr sieht, und die Menschen vergißt, denen er Rettung bringen wollte. Und so — ohne Führer, ohne Vormund, ohne Rechtsfreund, ohne Beschützer — wird das unglückliche Land eine Beute der Könige und das Volk der Spott der Völker.«
Vom Sommer 1818 an tritt Börne, der bisher nur hin und wieder Broschüren veröffentlicht hatte, als selbständiger Journalist auf, indem er die beinahe von ihm allein geschriebene Zeitschrift »Die Wage« herausgiebt. Er war der erste Journalist im großen Stil, den die deutsche Litteratur hervorgebracht hat, und er war der erste, unter dessen Händen die periodische Presse in Deutschland eine Macht wurde. Es ist eine Freude, die jetzt so seltenen Hefte jener alten epochemachenden Zeitschrift »für Bürgerleben, Wissenschaft und Kunst« zu besitzen. Das Mittel, wodurch sie durchdrang, waren der lebhafte Stil und der treffende Witz des Herausgebers. Sie behandelte Politik, Litteratur und Theater, sie hatte Mitarbeiter wie Görres (vor seiner Bekehrung), und Willemer, den rationalistischen und freisinnigen Freund Goethes (Suleikas Ehemann); aber was für Gegenstände die Zeitung auch behandelte, alles bekam durch die Behandlungsweise eine politische Farbe. Im Laufe der vier Jahre, während welcher Börne die »Wage« herausgab, übernahm er außerdem die Redaktion von zwei Tageblättern, zuerst der »Zeitung der freien Stadt Frankfurt«, welche er infolge der ununterbrochenen Zensurplackereien schon nach Verlauf von drei Monaten wieder aufgeben mußte, dann des Tageblattes »Die Zeitschwingen«, das durch einen Machtspruch unterdrückt, während gleichzeitig der Redakteur zu einer kurzen Gefängnishaft verurteilt wurde. Börne reiste jetzt zum erstenmal nach Paris, von woher er eine Zeitlang Korrespondenzen für Cottas verschiedene Zeitschriften lieferte, kehrte aber schon 1822 nach Deutschland zurück, wo eine langwierige und gefärliche Krankheit seine pekuniären |74| Hilfsmittel erschöpfte und ihn zwang, sich um Beistand an seinen Vater zu wenden.
Der war äußerst unzufrieden mit ihm. An seinen andern Kindern hatte er Freude; aber dieser Sohn, der Doktor, der nichts verdienen konnte, hatte, wie er behauptete, ihm schon große Summen gekostet und war doch nichts geworden als der Verfasser von Artikeln und Schriften, die bei seinem Jugendsfreunde dem Fürsten Metternich in Wien, durchaus keine Billigung fanden. Weshalb wollte er sich Feinde machen, die Großen angreifen? Paßte das für seine gesellschaftliche Stellung? Was war er überhaupt in der Welt, daß er sich erlaubte, so das Wort zu führen? Jetzt könnte er Arzt sein, könnte sich eine lohnende Praxis geschaffen haben, oder Advokat geworden sein und Rothschildg Prozesse führen. Statt dessen schrieb er Bücher, verreiste das bischen Geld, das sie ihm einbrachten, und versperrte sich durch sein gottlosen Bemerkungen über die Großen jede Gelegenheit, es in der Welt noch einmal zu etwas zu bringen.
Und der Vater kannte hinlänglich die politischen Verhältnisse, um zu wissen, daß sein Sohn durchaus nicht Arzt, noch Advokat zu sein brauchte, um eine einträgliche Stellung zu haben. Er wußte recht wohl, wofür Herr von Gentz und Herr Friedrich von Schlegel ihre Wechsel bezogen. Und dann hatte der Sohn noch obendrein die Zusage Maria Theresias, worauf er sich berufen konnte.*
Kaum hatte Börne eine regelmäßige Wirksamkeit als Schriftsteller begonnen, als die großen Reaktionäre auf sein Talent aufmerksam wurden. In einem Brief von Rahel, datiert vom 18. Mai 1819, heißt es, Gentz habe ihr »Die Wage« empfohlen, als das Geistreichste, Witzigtste, was ma in jenen Tagen schreibe, das Beste in seiner Art, was seit Lessing erschinen sei. Börnes |75| Vater wußte gut, daß Herr von Gentz den Stil seines Sohnes, Fürst Metternich dessen politische Kenntnisse lobten.*
Ohne seinen Sohn zu fragen, arbeitete er daran, ihm einen vorteilhaften Baugrund an der Sonnenseite der Gesellschaft zu verschaffen. Als Börne davon hörte, hatte Metternich schon mit beiden Händen zugegriffen: Börne sollte in Wien leben, mit dem Titel, Rang und Gehalt eines Kaiserlichen Rats, ohne zu irgend einer Dienstbarkeit gehalten zu sein. Für alles, was er dort schreiben wollte, sei ihm völlige Zensurfreiheit zugesichert; er solle sein eigener Zensor sein. Wolle er seine Stellung in den ersten Monaten wieder verlassen, so stehe es ihm durchaus frei. So würde er ja am allerbesten für die Sache der Humanität und des Fortschrittes arbeiten können.
Der Vater schrieb: »Lieber Louis! ich bitte Dich, lese diesen Brief mit der nämlichen Aufmerksamkeit, wie ich den Deinigen gelesen habe... Deine so hoch gepriesene Unabhängigkeit — glaube mir — ist prekär; wird sie, oder kann sie immer bleiben. Warum solltest Du nicht endlich einmal auf ein festes Auskommen denken... worin besteht Deine jetzige Glückseligkeit? Doch nicht in den 500 Franken?*
Also um Dein Glück willen, entschließe Dich, auf meine Kosten eine Reise nach Wien zu machen . . . Ich beschwöre Dich, Dein Glück nicht zu verscherzen.« . . .Börne lehnte alles ab, lehnte es so kurz ab, daß er nicht einmal mit den Machthabern reden wollte.*
Goethe konnte sich |76| zum Geheimrat an einem Hofe ernennen lassen, er nicht. Und die Versuchung war sicher größer für den geborenen Plebejer, der auf Kommando jeden Vorübergehenden hatte grüßen müssen, als für den Patriziersohn. Wenn man Börnes harte, höhnende Urteile über Goethe liest, darf man nicht über ihrer Ungerechtfertigkeit vergessen, daß ein Mann hinter den Worten stand, der nicht thun wollte, was Goethe gethan.Kunstsinn in der strengsten Bedeutung des Wortes befaß Börne nicht. Er hat es offen zugestanden und es außerdem durch seinen Unwillen gegen die verraten, denen es gleichgültig ist, was der Künstler darstellt, und nur wichtig, wie er es darstellt. Künstler und Kunstkenner dieser Art sind ihm von Herzen zuwider. Es ist ihm greulich, daß man ein Stillleben über ein Gemälde setzen kann, das eine Madonna vorstellt. Mit seinem Hange zum Bedeutenden und Erhabenen liebt er in der Kunst nur das Göttliche und bekennt gerade heraus, daß dort, wo er nicht die göttliche Natur finde, ihm das Ganze Unnatur und Stümperarbeit sei.*
Es ist daher nicht richtig, mit Steinthal zu sagen, da Bildungsgebiet, keine Form künstlerischen Schaffens Börne fremd gewesen sei, denn jenes Bildungsgebiet selbst, das durch die Kunst als Kunst bezeichnet wird, war ihm verschlossen. Dies verhindert selbstverständlich nicht, daß er viel Verständiges und Lehrreiches über Kunstwerke gesagt haben kann, aber es trifft das Künstlerische in ihnen nie.
Man hat z. B. Börne wegen seines energischen Widersstandes gegen die deutsche Schicksalstragödie sehr gelobt, die zu jener Zeit die Bühnen zu überschwemmen und die Gemüter zu ver|77|dummen anfing. Aber man sieht leicht, daß es gar nicht das ästhetisch Verwerfliche in ihr ist, wogegen er eifert; er nimmt die Sache moralisch oder religiös. Der Glaube daran, daß ein Datum wie der 24. Februar besonders schicksalsschwanger für eine Familie sein könne, ist einfach dumm und leer. Dieser Glaube hat absolut nichts weder mit dem antiken Glauben an das unabwendbare, vorausbestimmte Schicksal, noch mit dem christlichen Glauben an eine allwissende Vorsehung, noch mit dem modernen deterministischen Glauben an Ursachen zu thun, der den Glauben früherer Zeiten an einen sogenannten freien Willen unmöglich gemacht hat. Aber für Börne ist dieser Glaube nur vernunftwidrig, weil derselbe nach seiner Meinung zwei theologische Systeme vermischt. Seine Schlußfolgerung ist, daß der Tod entweder ein liebevoller Vater ist, der seinen Sohn hole, und dann sei das Schicksal nicht tragisch, oder ein Kronos ist, der seine eigenen Kinder verschlingt, und dann sei das Schicksal unchristlich.*
Als ob das eine Einwendung sei! Es könnte ja deshalb sogar höchst poetisch sein.Börne hat gegenüber den zahlreichen Dramen, die zu kritisieren zu seinem Los gehörte, den gesunden Sinn des vorzüglichen Kopfes für das, was Wert hat und was wertlos ist. Er zeigt sich voll von Verständnis für den Geist in Oehlenschlägers »Correggio«, voll Nachsicht mit den Schwächen des Stückes, wenn auch ganz ohne Blick für dessen szenischen Effekt; er versteht vollan Schauspieldichter wie Kleist und Immermann und den beginnenden Grillparzer zu schätzen. Soll er aber sein Lob oder seinen Tadel begründen, so verrät sich immer von neuem das unkünstlerische Naturell, und manchmal legt er die ganze Fülle von Vorurteilen eines pathetischen Idealisten an den Tag. Er mißbilligt z. B. — und mit Recht — Ifflands »Spieler«. Aber die Begründung ist ganz barock: »Die |78| Spielsucht auf die Bühne bringen? Man könnte ebensogut die Schwindsucht dramatisieren, durch alle Stadien hin, von dem Augenblick, als der junge Mensch nach dem Walzer ein Glas kaltes Wasser trinkt, bis er den Geist aufgiebt.« Es macht jedoch einen bedeutenden Unterschied, sollte man glauben, daß die Schwindsucht ein körperliches Übel und die Spielerleidenschaft ein Laster ist. Sein Gedankengang ist der gewöhnliche des Idealismus: man brauche nicht ins Theater zu gehen, um das zu sehen, was man zu Hause sehen könne. Er nennt als Beispiele: Geldmangel, Schulde, ein treues Weib, das Entbehrungen geduldig erträgt, und statt den platten unkünstlerischen Geist hervorzuheben, womit dieses un ähnliches dargestellt sei, bricht er in die Worte aus: »Sind dieses so seltene Erscheinungen, daß man deren Anblick erst erkaufen muß? Auf der Bühne soll der Mensch eine Stufe höher stehen, als im Leben.« Und er erklärt, daß man daher bei den Griechen und Römern zu Fabeln und Göttergeschichten seine Zuflucht nahm; Modernen müssen die wirklichen Menschen der alten Völker darstellen, oder wenn sie sich absolut mit der Gegenwart einlassen wollen, nur die Leidenschaften der Zeitgenossen wiedergeben. Er hegt, wie man sieht, den naiven Glauben, daß die »klassischen« Menschen des Altertums durchschnittlich die modernen weit überragten, und er versteht nicht, daß die einfache Wirklichkeit durch die Behandlung zur Kunst geadelt werden könne.
Ein noch weit kräftigeres Zeugnis von dem Mangel an Sinn für primitive Poesie als diese akademischen Tiraden ist Börnes Kälte dem alten Testamente gegenüber. Es kommt in einem Briefe an Henriette Herz aus seinem neunzehnten Jahre ein Passus wirklich erschreckender Sterilität vor, trocken und altklug wie ein Scherz über die Bücker Moses von Voltaire - und das nach Goethe: »Die alten Juden von Abraham bis zum weisen Salomo sind mir immer vorgekommen, als hätten sie die allgemeine Weltgescghichte travestieren wollen. Lesen Sie das Buch Josua und der Könige, |79| und Sie werden finden, wie Blumauerisch alles darin aussieht.«*
Diese uralten Redaktionen denkwürdiger Legenden und Historien mit einer plumpen Travestie der Äneide zu vergleichen ist nur möglich, wenn man, ohne Empfänglichkeit für Formen des Altertums, in jedem Werke eine moderne, empfindsame, religiöse oder politische Moral sucht. Es stimmt gut hiermit überein, daß Börne mit einer blinden Schwärmerei für das unbestimmte, halb neutestamentarische, halb moderne salbungsvolle Pathos in Lamennais’ »Worte eines Gläubigen« endigt.1 Briefe des jungen Börne S. 143.
Du kan slå ord fra Brandes' tekst op i ordbogen. Aktivér "ordbog" i toppen af siden for at komme i gang.