So sang Freiligrath im Februar 1848, wenige Tage nach der Revolution in Paris. Er ging ein langes, schmerzliches und doch linderndes Zucken durch die deutschen Lande. Es war, als hätte Europa Luft bekommen, als wurde ein Fenster geoffnet. E s war, als ob die einzigste Macht, welche Munder macht, das Beispiel, das deutsche Volk zur Nachahmung, zur Handlung zwang. Und gleichzeitig wirkte die Angst davor, dah der Absolutismus nun seinen |432| letzten Schachng wagen, Deutschland durch die Revolution in Frankreich bedroht erklären und die Völker Preußens und Österrreichs gegen die französische Republik führen werde.
In Österreich hatte die geistige Unterjochung ihren Höhepunkt erreicht. Im Jahre 1846 hatte die Metternichsche Regierung sogar die »Herzensergüsse« des Kaisers Joseph des Zweiten, von einem landesverwiesenen Patrioten gesammelt, mit unter die verbotenen Schriften aufgenommen. Und nun brachten die Unruhen in den italienischen Provinzen Österreichs, welche den österreichischen Staatskredit und die ganze österreichische Industrie mit unermeßlichen Verlusten bedrohten, die Erbitterung Über das Metternichsche Regiment zum Überfließen. Die entschiedene Niederlage, welche Metternich in der Schweiz durch die Sprengung des von ihm mit aller Macht gegen die Radikalen gestützten jesuitischen Sonderbundes erlitten, hatte dem Glauben an seine Unüberwindlichkeit den letzten Stoß gegeben. In Preußen hatte gerade die büreaukratische Mißregierung in einer einzelnen Provinz schreckliche Folgen gehabt. Monate hindurch hatte der Hungertyphus in der erbärmlich gestellten Arbeiterbevölkerung Schlesiens gewütet, ohne daß man von oben helfend eingeschritten war. Den Landstraßen entlang lagen Tote und Sterbende zu Hunderten und verwesten. In den Hütten lagen in der Januarkälte verlassene Menschen, den Hungertod sterbend nackte Kinder, die Über den Leichen der Eltern langsam verschmackteten; denn wurde jemand von der Krankheit ergriffen, so war an Hilfe nicht zu denken, weil es von den völlig unwissenden Kommunalvorständen verboten war, in ein von Ansteckung befallenes Haus einzutreten, damit sich die Ansteckung nicht verbreite. Inzwischen ließen sich die Beamten nur sehen, um mit Härte die Abgaben einzufordern, und als der Oberpräsident daraufhin angegriffen wurde, daß von August 1847 bis Ende Januar 1848 nichts, um die Rot zu lindern, geschehen sei, gab er zur Antwort, daß niemand formell um Hilfe nachgesucht habe.
|433|Unter solchen Verhältnissen wurde es den politischen Führern des Bürgerstandes leicht, ihre Standesgenossen mit sich fortzureißen, und in der Hoffnung auf bessere Zustände und in Haß gegen die herrschende Polizeiwillkür traten die Arbeiter überall in die Spuren des Bürgerstandes.
Das jetzt lebende Geschlecht versteht nicht mehr die Stimmung des Jahres 1848. Sie war freilich in einigen Ländern nur ein Gemütszustand nationalen Selbsterhaltungstriebes und Selbstgefühls. Aber in den meisten europäischen Staaten erhoben sich die Völker gegen die legitime Fürstenmacht und gegen das Zwangsrecht. Nur in Dänemark unterdrückte man einen Ausstand kraft der legitimen Fürstenmacht und des Zwangsrechts eines gekränkten Nationalgefühls. Die Dänen schlugen sich für das alte Recht, nicht um neuer Gedanken willen. Über ganz Europa empörten sich die unterdrückten Völker. Sie wußten, wie lange sie nichts als Schlimmes erlebt, nichts anderes als das Triumphieren des Unrechts, der Gewohnheit und der Lüge gesehen hatten. Das Wirkliche und das Abscheuliche waren ihnen einigermaßen gleichbedeutende Begriffe geworden; aber sie hatten den Glauben, der Berge versetzen kann, und Hoffnungen, welche die Erdkugel zum Erbeben bringen konnten. Die Vorstellungen von Freiheit, Parlament, nationaler Einheit, Preßfreiheit, Republik waren ihnen magische Mächte; nannte man nur diese Namen, so klopften ihre Herzen wie das des Jünglings beim unerwarteten Anblick der Angebeteten.
Die Vorwärtsstrebenden der jetzigen Generation fühlen anders. Sie wissen, daß die Dummheit ein reißendes Thier ist und das zählebigste von allen, daß die Feigheit, der willfährige Sklave der Macht, der auf jeden Wink springt, stark wie der Mut selber ist, wenn es gilt, verjährte Vorteile zu verteidigen; sie denken, daß das, was man Fortschritt nennt, eine kranke Schnecke sei. Der naive Mann der Fabel kauft sich einen Raben, um zu sehen, ob es wahr sei, daß dieser zweihundert Jahre alt werden könne. Die Vorwärts-|434|strebenden unserer Tage wissen im voraus, daß die ganze schwarze Rabenherrlichkeit, alle rabenschwarzen Lügen in allen großen kleinen Krähwinkeln sie überleben werden — wie viele hundert Jahre, ist ihnen ziemlich gleichgültig. Sie haben zwar ein seltenes mal das Gute siegen sehen, aber es nie anerkannt werden gehört, daß die in ihrem Sinne gute Macht die siegende war. Sie haben immer die Wahrheit zuerst geschmäht, dann, wenn möglich, getötet, oder wenn das nicht gelang, kastriert und anerkannt gesehen. Sie hoffen deshalb nicht viel. Manche unter ihnen haben die Hoffnung in sich getötet, wie man einen Nerv, der allzuviel Schmerz bereiten kann, exstirpiert. Sie sind zu oft enttäuscht worden.
Jenes Geschlecht von 1848 hatte niemals seine Zukunftshoffnungen ausgegeben. Zwar war es durch den Druck und die Qual langer Zeiten daran gewöhnt worden, die Brutalität und die Scheinheiligkeit frohlocken zu sehen und selbst geistig im Halbdunkel zu leben, aber es glaubte an das kommende Licht. Und nun erblickte es dies Geschlecht auf einmal: zuerst nur einen Schimmer, dann einen Strahl, dann eine Flamme, dann den ganzen Horizont, so weit das Auge reichte, ein Lichtmeer. Zum erstenmale hörte das Geschlecht laute schallende Stimmen ohne Widerrede die Freiheit das Recht der Völker nennen, und zum erstenmale sah es mit verwunderten Augen die Macht, diese bisher so unbewegliche Masse, den ungeheuren Träger der Unterdrückung und der Unwahrheit, sich wie ein Riesenelefant in Bewegung setzen, sich drehen, sich schütteln, sich rollen, die von ihm Getragenen abwerfen und seine Riesenfüße nach der Richtung bewegen, wo die freiheitsbegeisterten und kampfesfrohen Männer der neuen Zeit bereit standen, auf Rücken zu springen und ihn vorwärts zu treiben, um doch endlich einmal das verjährte Unrecht zu zertrümmern.
Es war besonders für die jüngeren Generationen ein Augenblick ohnegleichen. Es war ein Anblick, der berauschend wirkte; |435| er machte sie wild. Sie fingen an zu schreien, zu jubeln und zu singen, und unter jubelndem Gesang fühlten sie den Drang, sich zu erheben, loszuschlagen, das Leben aufs Spiel zu setzen, sich zu opfern, wenn es so sein müsse, wenn sie nur dabei sein könnten, dem Tag der Freiheit, in dessen Morgenröte sie standen, mit zu huldigen und ihn herbeiführen zu helfen.
Freilich feierten die demokratischen Jllusionen ein Bachanal. Freilich herrschte ein rührender Glaube an die Unfehlbarkeit des Volksinstinktes, und unzweifelhaft überschätzte man in allzuhohem Grade die Gabe der Theoretiker, praktische Schwierigkeiten zu lösen. Aber von Anfang an war der Anreiz unwiderstehlich und der Instinkt richtig. Die, in deren Seele etwas Ausgezeichnetes wohnte, wurden Führer, übernahmen den Befehl ohne Lärmen und Prunken, und ihnen wurde nicht kraft äußerer Autorität, sondern kraft der Überlegenheit, die man bei ihnen wahrnahm, gehorcht. So gehorchte man den paar Dutzenden Studenten, welche auf den Barrikaden in Berlin kommandierten. Und manch ein sogenannter gewöhnlicher Mensch zeigte sich während einiger Tage seines Lebens als ein Held.
Es gab ein paar Monate, in welchen etwas vom Schönsten in der Menschheit hervortrat und mit überraschendem Glanze strahlte.
Österreich war das Land, wo die revolutionäre Bewegung, sobald die Nachrichten von den Februarbegebenheiten in Paris dorthin gelangt waren, begann. Am 3. März hielt Kossuth in dem ungarischen Reichstage eine Rede, welche konstitutionelle Institutionen für alle Länder des Kaisertums in einer solchen Sprache forderte, daß die Rede sowohl in Pest wie in Wien die Revolution über die Taufe hielt. Am 11. März ging eine ähnliche Bewegung von den Tschechen in Prag aus; aber schon am 6. März richtete der österreisische Industriverein an den Erzherzog Franz Karl, als den vermeintlichen Thronfolger, ein Gesuch um Entfernnung Metternichs. Man verlangte Preßfreiheit, Steuerbewilligungsrecht, Teilnahme an der Gesetzgebung u.s.w.
|436| Nun folgte das, was man den Adressensturm genannt hat. Jeden Tag, ja jede Stunde wurden neue Adressen an den Kaiser eingereicht. Am 12. März fand die große Studentenversammlung, deren Resultat eine Adresse war, welche Preß-, Lehr- und Glaubensfreiheit verlangte, an der Universität statt. Der Kaiser empfing am folgenden Tage die Deputation, gab aber eine unbestimmte Antwort. Unter so unvorausgesehenen Umständen traf der 18. März, der Tag, an welchem die nieder-österreichische Ständeversammlung eröffnet werden sollte, die Regierung unvorbereitet. Die Volksmenge drang in den Hof des Ständehauses ein, Kossuths Rede wurde unter endlosem Jubel und Hochrufen auf die Konstitution vorgelesen, und als eine Schar in das Ständehaus selbst eindrang, die Möbeln zerschlug und sie den Soldaten an die Köpfe warf, so daß sogar Erzherzog Albrecht, der die Truppen kommandierte, von einem Holzsplitte verwundet ward, da antwortete das Militär mit einer Doppelsalve und die erste Wiener Revolution war ausgebrochen. Die italienischen Truppen feuerten und hieben aus die Menge ein, aber die österreichischen nahmen unter dem Jubelgeschrei der Bevölkerung die Bajonette von den Gewehren, und die Kanoniere vom Artilleriepark vor der Burg warfen sich vor die Kanonen statt zu schießen — wie in einem Gedichte (von Rieck) aus jenen Tagen, »Das Lied vom braven Kanonier«, geschrieben steht:
|437| Als Metternich gegen Abend sah, daß kein Zugeständnis mehr nützen konnte, dankte er, der vierzig Jahre lang die österreichische Politik geleitet hatte, ab. Er entfloh verkleidet in einem der kais erlichen Wäschewagen. Um 9 Uhr desselben Abends wurde das Militär von Wien (wie eine Woche später von Berlin) zurückgezogen, und alle Wachtposten wurden von Bürgern und Studenten besetzt. Das Zeughaus wurde geöffnet, und an einem Tage bewaffneten sich 25 000 Mann.
In den Vorstädten schlug man sich noch heftig; so leidenschaftlich war die Bevölkerung, daß zwei bewaffnete Kompagnieen Grenadiere, welche den Eingang zu Metternichs Landhaus besetzen wollten, von der unbewafsneten Menge zusammengedrückt und gezwungen wurden, ihre Bajonette abzunehmen und abzuziehen Zwei oder drei, welche sich wehrten, wurden niedergetreten.
Am selben Abend wurde verkündet, daß die Zensur aufgehoben und die Presse sreigegeben sei. Diese Botschaft wirkte so befreiend ein, als wäre ein Knebel aus dem Mund des Volks gezogen. Es versteht sich, daß die Tagespresse im Nu den politischen Tendenzen des VolkesAusdruck gab. Bis dahin war es aber in Osterreich unmöglich gewesen, auch nur in poetischersForm einen Gegenstand sozialer oder politischer Art zu behandeln; Österreich glich einem Wald ohne Vogelgesang. Nun mit einem Male tönte und flötete es, schlug und sang es aus allen Büschen nnd Bäumen in einem verwirrten und mächtigen Chor.*)*
Auf einmal wurden in allen Sprachen Osterreichs, deutsch und tschechisch, slavonisch und kroatisch, ungarisch, polnisch und italienisch, Freiheitslieder veröffentlicht, und so leidenschaftlich war man bemüht, von der neuen Freiheit Gebrauch zu machen, daß eine ganze Schar Gedichte gleichzeitig mit der Überschrift: »Erstes zensurfreies Gedicht« erschien.
Das, welches in der Regel als das erste betrachtet wird, ist |438| Ludwig August Frankls »Die Universität«. In der Nacht vom 14. auf den 15. März hatte einer der Professoren, der einen Ausbruch der Sträflinge fürchtete, eine Aufforderung an die jüngst bewaffnete akademische Jugend, eines der Gefängnisse zu besetzen, ergehen lassen. Zwanzig Studenten unter Führung des später so bekannten Dr. Frankl gingen dorthin. Während er Wache hielt entstand aus der Stimmung des Tages folgendes Gedicht:
Frankl, der noch 1890 zu seinem achtzigjährigen Geburtstage eine hübsche und formvollendete Gedichtsammlung herausgegeben, hat in den vielen dazwischen liegenden Jahren eine große Produktivität als Dichter und Biograph entfaltet. Er ist heutzutage Ehrenbürger von Wien. Aber den Ausgangspunkt seines Ruhmes jener Gesang, der nach und nach in nicht weniger als hunderttausend Exemplaren gedruckt wurde.
Das war doch nicht das erste zensurfreie Blatt Papier. Schon in der vorhergehenden Nacht hatte Castelli seinen Gesang für die Nationalgarde geschrieben; und es giebt noch, allein in deutscher Sprache, drei bis vier so bezeichnete Gedichte, darunter das Lied der Wiener Studentenlegion »Erwacht, erwacht, o Brüder! Ein großer Morgen tagt«, und »Die freie Presse« von Fr. Gebhard, welche beginnt:
Gleichzeitig mit diesen Gedichten, welche eine so unschuldige, überströmende Freude darüber atmen, reden und schreiben zu können, |439| wie man wolle, erschienen andere voll kindlichster Dankbarkeit gegen den geistesschwachen Kaiser; er ist »der gute Kaiser«, »unser guter Ferdinand« u. s. w. Auf der Stelle war man bereit zu vergessen, daß jedes Zugeständnis, welches man erlangt hatte, erzwungen gewesen. Man war naiv genug zu glauben, auf diese Weise würde man auch die früheren Machthaber bewegen, es zu vergessen. In einem der vielen Lieder zu Ehren des Kaisers heißt es:
Am 16. März zog die berittene ungarische Deputation, 150 Magnaten mit Kossuth an der Spitze, durch den Prater in Wien ein; sie wurde mit stürmenden Eljenrufen empfangen und mit Blumen überschüttet. An diesem Tage war die Bürgerwehr bis auf 60 000 Mann gestiegen. Nachmittags erschien ein Herold auf dem Altan der Hofburg und verlas folgende Proklamation: »Wir Ferdinand der Erste von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, König von Hungarn und Böhmen, dieses Namens der fünfte König der Lombardei und Venedig, von Dalmatien, Kroatien, Slavonien, Galizien, Lodomerien und Illyrien u. s. w. haben nunmehr solche Verfügungen getroffen, die Wir als Erfüllung der Wünsche Unserer treuen Völker erforderlich erkannten.« Und nun folgte die Verkündigung der Genehmigung der Preßfreiheit, der Errichtung einer Nationalgarde und der Einberufung von Abgeordneten aller Nationen zum Behufe »der von uns beschlossenen Konstitution des Vaterlandes«. Saphir sang:
|440|Wie man sieht, erhielten selbst die Spottvögel bei dieser Gelegenheit Singstimmen. Wieviel Importiertes und Nachgeahmtes in ganzen Bewegung war, davon hat man gleichsam ein Symptom der Hartnäckigkeit, mit welcher das französische Wort für Bürgerwehr angewendet wurde.
Der, welcher in unseren Tagen die paar tausend Nummern politischer Poesieen, welche im Jahre 1848 in deutscher Sprach in Wien allein erschienen sind, durchblättert, begegnet unter vielen unbekannten Namen fast allen damals bekannten und nicht wenigen neuen, welche bestimmt waren, bald berühmt zu werden. Von Bauernfeld findet sich z. B. darunter ein Gedicht »Wien an die Provinzen«; es ist ziemlich schwach als Poem, aber lehrreich als Abwehr der ersten Zeichen der Reaktion, nämlich einer Bewegung in den Provinzen, die daraus ausging, das, was man die Tyrannei der Hauptstadt nannte, abzuschütteln, d. h. Widerstand dagegen erhob dem Beispiele des empörerischen Wiens zu folgen. Von Friedrich Uhl, heutzutage litterarischem Chefredakteur der kaiserlichen Wiener Zeitung, findet sich ein Klagelied Über die Gefallenen der Revolution:
Man richtet Oden an Lenau, Österreichs populärsten Dichter der damaligen Zeit, voll Trauer darüber, daß der Dichter der Freiheit im Wahnsinn verstummt und sein Ohr dem Siegesjubel des Augenblicks verschlossen ist. Der 26jährige Alfred Meissner giebt sein vielleicht schönstes Gedicht »Märzlied (1848)«, ein prachtvolles Poem in vier Abteilungen, heraus. Richard Wagner, damals noch unberühmt, sendet einen Gruß aus Sachsen nach Wien:
Unter den Verfassern ernster Gedichte trifft man so bedeutende Namen wie Grillparzer und Hebbel. Es wurden Spottgedichte über den letzten Zensor von Saphir wie von Dingelstedt, von beiden als Travestie des Goetheschen Gedichtes »Nadowessische Todesklage« geschrieben, und endlich erschienen scharenweise satirische Ausfälle gegen den König von Preußen, von dem man sonderbarerweise annahm, daß er früher reaktionärer gehandelt und nun weniger freiwillig Zugeständnisse gemacht habe, als der Ferdinand des österreichischen Kaiserstaates.
In Berlin war gleich von Anfang März an alles in der gewaltsamsten Bewegung. Die Kreuzzeitung hatte unmittelbar nach der Februarrevolution einen Artikel, der Krieg gegen Frankreich predigte, gebracht. Derselbe erweckte die größte Unruhe: das fehlte nur, daß das unterdrückte Preußen sich zum Krieg gegen die französische Republik führen lassen müsse. Die Tage waren nun gekommen, wo sich ganz Deutschland in die schwarz-rot-goldenen Farben, das Symbol der Einheit und der Freiheit, kleidete. Freiligrath sang darüber:
Am 7. März fand die erste Volksversammlung in den Selten statt. Man beschloß eine Adresse an den König zu richten, worin als unbedingt zu gewährende Wünsche des Volkes schleuigste Einberufung des vereinigten Landtages und allgemeine Volksvertretung |442| bezeichnet wurden. Der Schluß einer zweiten Adresse lautete: Kein Krieg mit Frankreich! Gesetzliche Freiheit im Innern! Innige Verbündung der gesamten deutschen Nation! — Am 13. März trieb die Kavallerie die Volksmassen von den Zelten nach der Stadt zurück. An mehreren Stellen hieb das Militär scharf auf die Massen ein; sie verschwanden, fingen aber an anderen Stellen Barrikaden zu bauen an. In der Jägerstraße wurde der Versuch gemacht, einen Waffenladen zu stürmen. Auf dem Opernplatze wurden zwei Menschen erschossen. Unter dem Fenster des Schlosses ertönte der Ruf: »Freiheit! Preßfreiheit!« Man verhöhnte die Soldaten und warf sie mit Steinen. — Am 14. März erschien darauf ein Patent mit der Einberufung des Vereinigten Landtags. Bis dahin war Alles verhältnismäßig friedlich abgelaufen; aber am 15. März begannen die durch die mehrtägigen Strapazen und die Konsignierung in den Kasernen gereizten Soldaten Roheiten gegen die Bevölkerung auszuüben, mißhandelten bisweilen friedlich Vorübergehende mit Kolbenstößen. Knaben von 12—18 Jahren hatten an der Kur- und Gertraudenstraßen-Ecke und in der Brüderstraße kleine Barrikaden aufgeworfen; die Potsdamer Gardekürassiere erstürmten sie und mißhandelten die Kinder.
Das Patent vom 18. März erschien. Deutschland solle aus einem Staatenbund in einen Bundesstaat verwandelt werden. Die Einführung konstitutioneller Regierungen in allen Einzelstaaten, die Schaffung eines deutschen Parlaments, allgemeine deutsche Wehrverfassung, Freizügigkeit, Preßfreiheit wurden darin als Vorschläge des Königs bezeichnet. — Von ein Uhr mittags ab drängten sich die Scharen vor dem königlichen Schlosse. Man rief: Fort mit Militär! Das Patent wurde laut vorgelesen und jeder Satz durch Hochrufe begrüßt und mit Jubel aufgenommen. Es fielen einige Steinwürfe gegen die Soldaten. Der Kommandant, der bekannte General von Pfuel, wollte nicht die paar Steine mit Gewehrkugeln beantworten lassen; er befahl deshalb den Dragonern abzusitzen
|443| und rühmte ihre strenge Manneszucht, als sie trotz ihres Ärgers sofort gehorchten.
Als ihm die Stadt ruhig vorkam, begab er sich einen Augenblick nach Haus.
In der kurzen Zwischenzeit während seiner Abwesenheit wurde hinter seinem Rücken ein Befehl ertheilt — man weiß nicht von wem. Ein Garde-Dragonerregiment erschien an der Stechbahn. Sofort erscholl der Ruf: Militär fort! Das Regiment machte einige Schwenkungen, die Anwesenden glaubten, es wolle abmarschierens und ein lautes Bravo erscholl. Plötzlich machte es Front und rückte im Trab mit blanken Waffen auf die versammelte Menge ein. Gleichzeitig marschierte aus dem mittleren Portale des Schlosses ein Bataillon vor, stellte sich in Linie auf, fällte das Bajonett und setzte sich unter Trommelwirbel inSturmschritt Es fielen zwei Schüsse —vielleicht durch einen Zufall. Sofort stürzte die Bevölkerung unter wildem Geschrei davon. Ein Augenblick zuvor war die Freude unter den Versammelten überschwänglich gewesen. Fremde Menschen umarmten und küßten sich, man schwenkte die Hüte und brachte dem König ein Hoch nach dem andern; nun er- hoben sich, wie auf ein gegebenes Zeichen, hier wie in Wien in allen Teilen der Stadt Barrikaden, über 200 an der Zahl, von ausgebrochenen Granitplatten, aufgehobenen Rinnsteinbrücken und umgestürzten Wagen errichtet. Ganze Straßen entlang beschäftigte man sich mit Kugelgießen. Die Stadt glich einem Kriegslager. Von allen Dächern wurde auf die Truppen gefeuert, und wenn es an Kugeln fehlte, wurde mit Steinen geworfen. Jedes Beil, jeder schwere Stock wurde zur Waffe.*)*
Man deckte die Dächer von den Eckhäusern ab und trug in Korben Pflastersteine hinanf. Die Studenten hatten sich bewaffnet |444| vor der Universität versammelt; sie steckten dreifarbige Kokarden an ihre Mützen und besetzten die Barrikaden. Kaufleute brachten Pulver, Blei und Zündhütchen, Eisenwarenhändler Beile und eiferne Stangen. Am Abend des 18. März begann der Artilleriekampf in der Königsstraße. Der König sah von den Schloßfenstern aus zu, war über die Deputationen, welche ihn anriefen, die Truppen zurrückzuziehen, aufgebracht, und über die dreifarbigen Fahnen auf den Barrikaden besonders entrüstet. Er wolle, sagte er, Bitten viel einräumen, aber der Gewalt und dem Gesetzbruch nichts.
Varnhagen schildert in seinen Tagebüchern als Augenzeuge, was er jene Nacht von seinem Fenster aus gehört und gesehen hat: »Eine kleine Schar unter bewährten Führern hielt standhaft aus und verdoppelte bei geschwächter Zahl ihre Wachsamkeit, weil die Zahl so gering war. Nach längerer Stille bei noch völliger Dunkelheit heit, aber schon gegen den Morgen hin, hörte man plötzliches Trommeln, als rückten Truppen heran: augenblicklich waren die Kämpfer bereit, man hörte sie flüstern, und auf das Gebot einer jugendlichen, wohltönenden Stimme: »Meine Herren, auf die Dächer!« ging jeder auf seinen Posten. Dieser Ruf, ruhig und fest und mit edler Einfachheit gesprochen, klang schauerlich durch die Finsternus und wirkte mit erhebender Macht, besonders in der Vorstellung, welche Gefahr die auf sich nahmen, die ihm gehorchten; denn der allgemeine Kampf hatte schon, so schien es, nachgelassen, keine Volksmasse masse umgab und ermutigte die auserlesenen Kämpfer, denen nach vergeblichem Widerstande keine Rettung, sondern nur der schmachvolle Tod übrig war, durch Herabsturz von den Dächern, durch die Bajonette der Soldaten oder gar durch Henkershand.« Varnhagen schließt: »Gewiß der Heldenmut und die Todesentschlossenheit dieser kühnen Jünglinge waren der größten Bewunderung wert« — schwerwiegende Worte von den Lippen eines ehemaligen, kriegserfahrenen Offiziers.
In der Nacht vom 18. bis 19. März waren alle Fenster in |445| den Straßen, wo man Barrikaden baute und ausbesserte, illuminiert, sobald aber die Truppen in eine Straße einrückten, wurde alles stocksinster. Drangen die Soldaten in ein Haus ein, so säbelten und stießen sie alles nieder; die Gefangenen wurden mit großer Roheit behandelt. Spät in der Nacht wurde das Zeughaus des Garde-Landwehrregimentes von der Bevölkerung angegriffen und gegen Morgen erobert; man fand hier die Gewehre ihrer Pistons beraubt, doch alle Schlosser der Friedrichsstadt arbeiteten sofort mit Eifer daran, das Fehlende zu ersetzen.
Endlich wurde am frühen Morgen die Proklamation »An meine lieben Berliner!«, welche die Ereignisse des vorigen Tages als Folgen eines unseligen Mißverständnisses zu erklären versuchte, in der Stadt verteilt. Es sei notwendig gewesen, den Schloßplatz durch die Kavallerie »im Schritt und mit eingesteckter Waffe« säubern zu lassen. Zwei Gewehre der Infanterie hätten sich bei dieser Gelegenheit von selbst entladen, glücklicherweise ohne irgend jemand zu treffen: »Eine Rotte von Bösewichtern, meist aus Fremden bestehend, die sich seit einer Woche, obgleich aufgesucht, doch zu verbergen gewußt hatten, haben diesen Umstand im Sinne ihrer argen Pläne durch augenscheinliche Lüge verdreht und die erhitzten Gemüter von vielen meiner treuen und lieben Berliner mit Rachegedanken um vermeintlich vergossenes Blut erfüllt und sind so die greulichen Urheber von Blutvergießen geworden.« Die Truppen hätten erst dann von der Waffe Gebrauch gemacht, als sie durch viele Schüsse dazu gezwungen worden. Nun gebe der König sein Wort, daß alle Straßen und Plätze sogleich von den Truppen geräumt werden sollen; er bitte die Bewohner Berlins das Geschehene zu vergessen, wie er es vergessen wolle.
Inzwischen wütete der Kampf unter fürchtlicher Erbitterung von beiden Seiten weiter. Den Deputationen gegenüber, welche sich am Vormittage des 19. März einfanden, versuchte de König das über Entfernung der Truppen gegebene Versprechen and die Be-|446|dingung der vorhergehenden Räumung der Barrikaden zu knüpfen. Doch zuletzt wurde alles gewährt: Wechsel des Ministeriums, Freigabe der im Laufe der Nacht Gefangenen, Abzug der Truppen. Unter dem Eindruck einer, ihnen von ihrem Kriegsherrn zugefügten tödlichen Kränkung und unter dem Jubelgeschrei der Bevölkerung zogen sie mit gedämpftem Trommelschlag und unter Choralmusik aus der Stadt hinaus nach Potsdam zu.
Aber nach dem Schlosse hin drängten sich alle, welche durch ihre Masse einen Druck auf die überwundene Regierung auszuüben hofften, außerdem alle Neugierigen und Müßiggänger; nach dem Schlosse zu wurden alle die Leichenzüge dirigiert, welche die im Straßenkampf Gefallenen zur letzten Ruhe brachten. Die Leichen wurden auf Bahren gelegt; wo ihre Anzahl zu groß war, nahm man offene Leiterwagen. Man schmückte diese Leichenwagen und Bahren mit Blumen, Bändern und Tüchern; auch die Leichen wurden mit Blumen geschmückt.
Vor dem Schlosse, auf dem Schloßplatz, auf der Schloßfreiheit und in dem Lustgarten stand die Menschenmenge dichtgedrängt. Man wollte den König sehen. Er erschien bleich und angegriffen auf dem Balkon. Sofort erscholl der Ruf: »Die Gefangenen frei!« und man nötigte ihm den Befehl ab, die in den Schloßkellern eingesperrten Gefangenen freizugeben. Schwerverwundete wurden demnächst auf Bahren in den Schloßhof hineingetragen und dort verbunden. Aber nun begannen die Leichenzüge das Schloß zu erreichen und der Anblick derselben setzte die Massen in wilde Bewegung. Man trug die Leichen in den inneren Schloßhof, während draußen ein Redner nach dem anderen vor dem Volke sich hören ließ. Die größte Zustimmung fand Karl Gutzkow mit seiner Rede, welche sich in die Losung »Volksbewaffnung« zuspitzte. Die neuernannten Minister, die sich, von einer Gruppe zur andern gehend, unter die Menge, um diese zu beruhigen, mischten, ihre Absicht jedoch nicht erreichten, zögerten erst die Volksbewaffnung |447| zu gewähren, wurden aber bald dazu gezwungen. Denn die Szene, welche sich nun vor dem Schlosse abspielte, machte es unmöglich, den Wünschen der Bevölkerung zu trotzen.
Ein neuer Leichenzug erreichte das Schloß. Auf den blumengeschmückten Bahren wurden vier Leichen dahingetragenz man hatte die blutigen Wunden der Toten entblößt, um durch ihren Anblick die Zuschauer zu entflammen. Vor dem Altan des Schlosses hielten die Träger still und forderten mit wilden Rufen, welche tausendfältigen Widerhall fanden, das Erscheinen des Königs. Immer wieder ertönte es: »der König! die Königin!« Die Minister Schwerin und Arnim versuchten vergeblich zu der Menge zu reden, sie wurden augenblicklich von den Ruer »der König! die Königin!« unterbrochen.
Diese traten denn auf den Balkon heraus und die Aufregung des Volkes überstieg nun alle Grenzen. Der König wollte reden; aber da hoben die Leichenträger die Bahren mit ihrer blutigen Last hoch empor, und zugleich erschallte von allen Seiten der Ruf »Hm ab!« Der König mußte, so oft eine Leiche vorbeigetragen wurde, den Hut tief abnehmen.*)*
Daher heißt es in Freiligraths mächtigem Gedichte »Die Toten an die Lebenden« aus dem folgenden Jahre der Enttäuschung:|448| Am Mittag des 21. März ritt der König, eine schwarrotgoldene Binde um den Arm und selbst deutschfarbige Bänder austeilend, aus dem Schloßhof heraus. Die über den demütigenden Aufzug verzweifelten Prinzen und Minister begleiteten den König; ein Tierarzt Urban ritt ihm zur Seite. Vergeblich hatte einer der Generäle im letzten Augenblick versucht den König zurückzuuhalten. Er antwortete: »Non, non, c’est décidé, nous allons monter à cheva1.« Der König hielt bald daraus still und sprach: »Es ist keine Usurpation von mir, wenn ich mich zur Rettung der deutschen Freiheit nnd Einigkeit berufen fühle; ich schwöre zu Gott, daß ich keine Fürsten vom Thron stoßen will, aber Deutschlands Einheit und Freiheit will ich schützen; sie muß geschirmt werden durch deutsche Treue, auf den Grundlagen einer aufrichtigen konstitutionellen deutschen Verfassung.«
An der Universität ließ er die Professoren, so viel ihrer da waren, herbeirufen und redete zu ihnen unter anderem: »Schreiben Sie sich’s auf, meine Herren! Schreiben Sie sich’s auf, was ich Ihnen sage, denn es ist für die Nachwelt: ich trete an die Spitze von Deutschland, in dessen Einheit und Freiheit besteht fortan Preußen noch, nicht anders! Schreiben Sie sich’s auf!« — Als er am Zeughause wieder die schönsten Versprechungen gab, rief plötzlich eine durchdringende Stimme: »Glaubt ihm nicht, er lügt; er hat immer gelogen und lügt auch jetzt wieder!«*)*
In Wien erschien einige Tage darauf das folgende Gedicht:
Ein anderes Gedicht, welches Zeugnis von der erbitterten und spottlustigen Stimmung jener Tage ablegt, ist das folgende, welches den Titel »Erlkönig« führt:
Indessen rief die Märzrevolution in den deutschen Hauptstädten verhältnismäßig wenig schöne Gedichte hervor, zumeist waren es Straßenlieder, Freiheitslieder, welche im Augenblick zündeten, doch tieferen poetischen Werthes bar waren. Die furchtbaren Konterrevolutionen dagegen, Wiens Eroberung im Oktober und Berlins im November 1848, riefen eine Schar der besten Poesieen ins Leben. Die Dichter ließen sich auch durch den Tod der einzelnen Märtyrer, derer, die im Kampfe fielen, und derer, die, als alles zu Ende war, standrechtlich ermordet wurden, inspirieren. Die Erhebung Ungarns und die Vernichtung des Aufstandes durch das russische Heer hatten außerdem ein Mitgefühl erweckt, welches sich in ergreifenden Gedichten Luft machte. «
Die Zeit der ersten, fröhlichen Begeisterung in Wien war bald vorbei. Die freie Verfassung war der Demokratie nicht frei genug. Es bildete sich ein Zentralkomitee neben der Regierung. Als diese dessen Auflösung befahl, erzwang die Bevölkerung die Zurücknahme des Befehls und die Suspension der Verfassung. Der Kaiser entfloh Mitte Mai nach Innsbruck, die Studentenlegion wurde aufgelöst; als aber, dadurch veranlaßt, der Barrikadenkampf von neuem |450| ausbrach, mußte das Ministerium nachgeben. Der Kaiser kehrte im August zurück. Indessen befand sich die Hauptstadt in steter Aufregung; alles Geschäftsleben stockte infolge der Revolution, und mit der Arbeitslosigkeit stieg die Unzufriedenheit. Einen tiefen Eindruck machte die Nachricht von der Junischlacht in Paris und Siege Cavaignacs, der nichts anderes bedeuten konnte als das Ende der Revolution in Frankreich.
Inzwischen erfuhr man, daß Jellachich, der Ban von Kroatien, sich gegen Ungarn rüstete, und durch aufgesangene Briefe kam es an den Tag, daß er vom Hof und von dem Kriegsminister Latour unterstützt wurde. Die Folge davon war, daß der vom Minister abgesandte Graf Lamberg bei seiner Ankunft in Pest (28. September) vom Pöbel zerrissen, Latour, der Truppen nach Ungarn senden wollte, (am 7. Oktober) von der wütenden Bevölkerung in Wien totgeschlagen wurde. Dingelstedts Gedicht »Der 7. Oktober« verherrlichte den Ermordeten, und der Poet benutzte die Gelegenheit, sich von der Revolution und ihrem ganzen Getriebe loszusagen.
Nun entfloh der Kaiser zum zweitenmale aus Wien. Währen Radetzky den Aufruhr in der Lombardei unterdrückte, schloß Windischgrätz, der den Oberbefehl über das Heer erhalten hatte, die Stadt mit seinen Truppen ein. In dem vom 24. bis 29. Oktober dauernden Kampfe wurden die Außenwerke und die Vorstädte eingenommen. Die Stadt war aus Mangel an Lebensmitteln und Munition schon bereit, sich auf Gnade und Ungnade, wie Windischgrätz verlangte, zu ergeben, als der Ruf erscholl: Die Ungarn kommen. Vom Stefansturme aus konnte man sie erblicken, unk Jubel war groß. Die geschlossene Übereinkunft wurde gebrochen, die bereits zurückgelieferten Gewehre wurden wieder aus den Zeughäusern geholt und Ausfälle, um die Ungarn, deren Kanonen man hörte, zu unterztützen, versucht. Aber das ungarische Heer wurde vollständig von Jellachich geschlagen. Am 31. Oktober hielt Win|451|dischgrätz, am 2. November Jellachich seinen Einzug in Wien. Der Belagerungszustand wurde verkündet, Kriegsgerichte, Todesurteile, Hinrichtungen folgten.
Während die Wahlen zum ersten deutschen, in Frankfurt am Main tagenden Parlamente stattfanden, wurde in Preußen gleichzeitig die Wahl zu der konstituierenden Versammlung für das ganze Land, welche im Mai zusammentrat und vom König eröffnet wurde, vorgenommen. Sie zählte in ihrer Mitte nur wenige bedeutende Männer, weil man die besten Kräfte nach Frankfurt gesandt hatte.
In Berlin herrschte ein fast anarchischer Zustand; das Zeughaus wurde gestürmt und geplündert. Die konstituierende Versammlung befand sich in einem von den politischen Klubs abhängigen Zustande. Sie wies den Verfassungsvorschlag der Regierung als nicht demokratisch genug zurück. Infolgedessen der erste Ministerwechsel. Ein neues Ministerium kam den Wünschen der Versammlung in weiterem Maße entgegen, stieß aber bald bei der Mehrzahl an, als diese verlangte, daß die Regierung den Offizieren, welche mit dem neuen Staatsprinzipe nicht einverstanden seien, es zur Ehrenpflicht machen solle, aus dem Heere auszuscheiden. Als auch das neue Ministerium infolge der Annahme dieses Vorschlages zurücktreten mußte, wurde ein drittes Ministerium, das Ministerium Pfuel, gebildet. s
Am letzten Tage des Oktober behandelte die Versammlung den Antrag an das Ministerium: »mit allen Mitteln zum Schutze der in Wien bedrohten Volksfreiheit einzuschreiten«. Als aber ein Volkshaufe während dieser Verhandlung gewaltthätige Einwirkung auf die Beschlüsse der Versammlung auszuüben versuchte und das Ministerium verhöhnte, nahm auch dieses seinen Abschied, und nun bildete der König (am 2. November) eine Kampfregierung mit seinem Oheim, dem Grafen Brandenburg, an der Spitze. Das neue Ministerium dekretierte die Verlegugn der Versammlung von Berlin nach Brandenburg und ließ (am 10. November) General Wrangel an |452| der Spitze der aus Dänemark zurückkehrenden Regimenter in Berlin einrücken. Die Bürgerwehr wurde aufgelöst und der Belagerunngszustand erklärt. «
Und so fruchtlos wie die Revolutionen in Wien und Berlin verlaufen waren, so fruchtlos war auch das erste deutsche Parlament, das in Frankfurt am 18.Mai 1848 zusammentrat und am 18. Juni 1849 in Stuttgart von Soldaten auseinandergesprengt wurde. Reichsverweser, den man erwählt hatte, der Erzherzog Johann, that das Seine, um das Parlament Österreich unterthan zu machen; vergeblich bot es im April 1849 Friedrich Wilhelm dem Vierten die deutsche Kaiserkrone an. Die Souveränität des Parlaments wurde schon mit Füßen getreten, als Windischgrätz im November 1848 Robert Blum, trotz dessen Unantastbarkeit als Mitglied des Reichsparlamentes, in Brigittenau erschießen ließ; die Bedeutung der Reichsversammlung zerfiel allmählich in dem Grade, wie die konservativen Mitglieder desselben sich entfernten und abreifen. Als das Rumpfparlament in Stuttgart gesprengt wurde, war die Reaktion von neuem in ganz Europa siegreich:
So sang einer der letzten Getreuen, Moritz Hartmann. Er empfand richtig daß die Ideen den äußeren Glückswechsel überlebten.
Gegen Ende das Jahres 1848 konnten die Dichter der Revolution nur ihre gefallenen Männer und zertrümmerten Hoffnungen besingen. Unter diesen Dichtern nehmen Freiligrath und Hartmann den ersten |453| Rang ein. Typisch für die Trauergedichte aus dieser Zeit sind die Poesieen dieser beiden Dichter zum Andenken an Robert Blum, der durch seinen festen und milden Charakter, sein einfaches Wesen und seine besonnene Haltung in der Erinnerung der Zeitgenossen als ein volkstümliches Idol stehen blieb.
In Hartmanns »Reimchronik« heißt es wehmütig über ihn:
Freiligrath schreibt eine Woche nach Blums Tode sein prachtvolles, energisches Gedicht gelegentlich der ihm zu Ehren in dem Dome zu Köln veranstalteten Totenfeier, bei welcher Neukomms Requiem von der mächtigen Orgel ertönte:
Der indessen, welcher in einem dichterischen Spiegelbilde die ganze Reihenfolge der Begebenheiten und Eindrücke des Jahres 1848 erblicken will, muß immer wieder zu Moritz Hartmanns »Reimchronik des Pfaffen Mauritius« seine Zuflucht nehmen. Es giebt in dieser Dichtung zahlreiche Einzelheiten, welche zu verstehen schwer fällt; der heutige Leser findet mitunter eine Schar von Eigennamen darin, von deren Trägern er wenig oder garnichts ahnt ihm begegnen ein Finanzminister wie Hansemann, ein Parlamentarier wie Bassermann, jetzt vergessene Größen, welche im Frankfurter Parlamente Hauptfiguren waren; aber es bleiben Partieen genug übrig, die keines Kommentars bedürfen; um den Leser in Gefühlsleben und die Stimmungsfülle des Revolutionsjahres hast zu versetzen. Ergreifend wirkt des Dichters Schlußklage, sein Vermissen von Männern:
|455|Als Hartmann diese Worte schrieb, war er selbst ein Landesverwiesener, der eine Freistätte am Genfer See gefunden hatte, und die unter Deutschlands und Österreichs besten Männern, welche die Niederlage überlebt hatten, waren entweder gefangen oder verbannt, wie er.
Das Jahr 1848 bekam keine entscheidende politische Bedeutung, obgleich Europa in diesem Jahr zum erstenmal die alte Weltordnung fast gleichzeitig in allen Ländern schwanken sah. Während die lokalen Revolutionen der Jahre 1789 und 1830, welche spätere Folgen sie auch hatten, Revolutionen waren, welche glückten, war die allgemeine europäische Revolution von 1848 ein in allen Ländern mißglückter Versuch!
Aber das Jahr 1848 hat eine entscheidende geistige Bedeutung. Es wird in Europa nach diesem Jahr anders gefühlt, gedacht und geschrieben als vorher. Dieses Jahr ist die rote Trennungslinie, welche unser Jahrhundert litterarisch teilt und Epoche macht. Es war ein Jubeljahr, wie das, welches die alte hebräische Gesetzgebung für jedes fünfzigste Jahr stiftete, das, in welchem über das ganze Land mit Posaunen geblasen, welches heilig gehalten und in welchem »Freiheit im Lande für alle,« die darin wohnen« ausgerufen werden sollte. (Drittes Buch Moses 25, 8flg.) Es war — dieses Jahr mit seinem schnellen Pulsschlag, mit seiner alles beherrschenden Jugendlichkeit — wie jenes biblische Jubeljahr ein Jahr der Zurückerwerbung, der Einsöfung, wo »die, welche verkauft waren, losgekauft wurden«. Noch heutzutage ist Jugend aus seinen Märztagen, Erfahrung aus seinen Novembertagen zu schöpfen.
Es ist das Jubeljahr, das Trauerjahr, das Grenzjahr.
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