Das junge Deutschland (1891)

|[416]|XXVIII

Es gab damals aufwärtsstrebende Geister, wirkliche Dichter, welche abseits von der gewöhnlichen Bahn der Litteratur während dieser Jahre standen. Es waren Männer wie der ausgezeichnete Dichter Eduard Mörike (geb. 1804), der letzte Schößling der schwäbischen Schule, der den Rahmen der Schule sprengte und als Dichter zumeist als ein Sproß vom Stamme Goethes zu betrachten ist: ein Poet von gediegenster Genialität, der idyllische, schalkhaste Sänger des seelischen Lebens, der Verfasser des unsterblichen Gedichtes: »Denk es, o Seele!«: Es waren Männer wie der Thüringer Otto Ludwig und der Dithmarscher Friedrich Hebbel, die zwei kräftigen Sonderlinge der neueren deutschen Litteratur, beide im Jahre 1813 geboren, beide ihre verschiedenartigen Eigentümlichkeiten erst nach dem Jahre 1848 entsaltend, zwei knorrige Eichenstämme mit reichem Laubwerk außerhalb des Waldes stehend. Nur Ein Charaktermerkmal haben sie von der Zeit, in welche ihr Jünglingsalter fiel erhalten, den eigentümlich düfteren Trotz, der die Grundlage des Wesens beider ist. Mehr ihnen selbst eigen ist eine Vereinigung von Melancholischem und Scharfsinnigem mit einem Hang zum derben Realismusz sie sind Vorboten des Wirklichkeitsstudiums und der Wirklichkeitstreue einer späteren unpolitischen Zeit. Sie haben aber nicht das gemeinsame Merkmal der vormärzlichen Dichter: die lichte Begeisterung, die Richtung nach außen zum öffentlichen Leben und das Streben nach durchgrefiende Gesellschaftsreform oder, im Notfalle, nach durchgeführter Umwälzung.

|417|Dieser Hang, im Verein mit der philosophischen Klarheit, welche der Schule Hegels und Feuerbachs entstammt, tritt vielleicht am schärfsten bei einem Geiste, dessen Werke mit Unrecht heutzutage etwas in Vergessenheit geraten, hervor. Es ist ein mit Ludwig und Hebbel gleichalteriger Dichter, der jung, nur einunddreißig Jahre alt, starb und nicht die Märzrevolution erlebte. Sein Name ist Friedrich von Sallet. Er war ein Autodidakt, der mit Erfolg eine gründliche und umfassende Bildung zu erreichen strebte, ein Charakter, in dessen Festigkeit es weder Bruch noch Riß gab. Er vereint in sich den ganzen Tiefsinn des Zeitalters mit dessen am weitesten gehenden, leidenschaftlichen Freisinn. Als er im Jahre 1831 als Offizier verabschiedet wurde, lebte er von da an nur der Litteratur.

Von Sallets Arbeiten ist sein »Laien-Evangelium« am meisten bekannt geworden; es ist eine Art Erbauungsbuch für Freidenker, eine Gedichtsammlung, worin die einzelnen Begebenheiten in den Evangelien symbolisch im modernen Geiste erzählt und ausgelegt werden. Er beginnt jedes Gedicht mit einer Erzählung oder Lehre aus der Schrift und versucht dann, den ewigen, bleibenden Kern darin darzustellen, während er die geschichtlichen oder mythischen Schalen fortwirft. Ungefähr wie in Oehlenschlägers »Das Evangelium des Jahres« ist die Auslegung nicht selten bei den Haaren herbeigezogen; während Oehlenschläger aber immer das Metrum wechselt, ist Sallets Werk ganz und gar in Einem Versmaß geschrieben, was unleugbar eine gewisse Eintönigkeit herbeigeführt hat. Das Buch erinnert durch seine Form an ein etwas älteres Werk, an Leopold Schefers »Laien-Brevier«; aber es ist kein geringer Unterschied zwischen Schefers weicher Zufriedenheit mit der göttlichen Einrichtung des Weltalls Sallets ubgeduldigem Drange zum Eingreifen in den gang der Geschichte. Ein wenig kann das Buch auch an Rückerts »Weisheit der Brahmanen« erinnern; nur daß die Lehre Sallets eine Weisheit voll flammenden Zornes gegen Lüge und Geistlosig-|418|keit und keine friedliche Sammlung goldener Lebensregeln, wie diejenige Rückerts, war. Sallet vergleicht in einem einleitende Gedicht seine Vorgänger in der orientalischen Dichtung mit jenen Königen des Morgenlandes, die dem Lichtgedanken Weihrauch, Gold und Myrrhen darbrachten, aber danach in ihr morgenländisches Traumleben zurücksanken. Nun will, sagt er, der Gedanke die Völker des Ostens und Westens von neuem erwecken. Hierin liegt es, daß er in seinem Eifer, seinen Idealen im abendländischen Geiste das Wort zu reden, dem Kolorit gegenüber gleichgültig blieb, und die Klippe, an welcher seine Dichtung scheitert, ist denn auch die: eine allzu direkte, moderne Didaktik.

Viel wertvoller ist die Sammlung von Sallets Poesieen »Gedichte«, in welcher wiederum der politischen Abteilung der Vorrang gebührt.

Er schildert den schlummernden Riesen. Auf seinem Haupte und seiner Brust tummeln sich zwergartige Gäste. Sie setzen sich auf ihren Stühlen in seinen offnen Mund und sagen einander Komplimente, sie essen auf seinem Bauche zu Mittag und versichern, es sei seine Pflicht zu schlafen; thue er es nicht, so würden sie ihn mit, Nadelstichen peinigen. Sie meinen, Gott habe den großen Riesen nur geschaffen, damit sie ihr lustiges Spiel auf ihm treiben. Erhöbe sich aber der Riese nur einmal aus seinem Schlafe, so würden sie alle kopfüber hinunterpurzeln; er, der Poet, thue nichts anderes, als den Riesen mit seinem Papier um die Nase zu kitzeln, in der Hoffnung, er möchte nur einmal niesen —— dann müsse all das Pack zerstieben. Und er schließt:

Wach auf, daß Du den Unfug weißt!
Leicht kannst Du ihn verjagen. —
Ich weiß auch, wie der Riese heißt,
Doch darf ich es nicht sagen.

Entstatt das Volk als Volk, redet er in einem anderen Gedichte »Ecce homo« den Menschen als Menschen an: Dort steht|419| die uralte graue Domkirche und dort das uralte Königsschloß. Still schauen sie auf den Strom der Menschheit herab, wie ein Geschlecht ums andere darin zerfließt. Jahrhunderte hindurch tönt aus ihnen Geläute und Gesang, so oft der Eid in ihnen abgelegt wird — wir sind im Vergleich mit ihnen Eintagsfliegen. Die Thoren predigen Ehrfurcht vor diesen Kartenhäusern. — Denn was sind sie anders als Kartenhäuser, die sich die Menschheit in ihrer Jugend erbaut hat. Der Mensch kann sie umstürzen, wie er sie gebaut, und er kann andere an ihre Stelle bauen. Himmel und Erde sind ein weicher Teig, den formt der Mensch, wie’s ihm beliebt.

Mitunter schlägt Sallet einen leichteren, scherzenderen Ton an. Wie heißt der alte Mann, den alle Menschen, doch die guten Deutschen ganz besonders, lieb haben, wenn er auch niemals das geringste Tüchtige ausgerichtet hat? Er steht auf der Kanzel, er exerziert, er sitzt zu Gericht, er liestan Universitäten und seine Stimme hat im Staatsrat viel Gewicht. Wenn einer mit hundert Schritten das macht, was man mit einem Sprunge thun könnte, so nennt er das alte, gute Sitte und sieht es sich behaglich an. Doch willst Du etwas Großes und Eigenes schaffen, da wird er plötzlich laut, schmäht und bekläfft Dich, bis allen Menschen vor Dir graut. Er hat weder Witz noch Mark, der alte Herr, und dennoch herrscht er fast allmächtig, und wer ihn besiegen will, muß löwenstark sein. Sein wahrer Name ist kein Geheimnis, es ist der alte Schlendrian.

In einem verwandten Stile hat er parodistische Gedichte geschrieben, wie dieses über die ihn täglich plagende Zensur:

Kennst Du das Land, wo Knut und Kantschu blühn,
Den Steiß von Zarenliebe machend glühn,
Wo man das Zeitungsblatt schwarz überstreicht,
Daß Preußifch Landtagsgift ins Volk nicht schleicht,
Kensst Du es wohl? Dahin, dahin,
Möcht ich mit Dir, geliebter Zensor, fliehn.

Doch zorniger noch als auf die Zensoren ist er auf die zahmen Propheten. Die Mumie, sagt er, muß auseinander fallen, sobald nur |420| eine Hand auf sie schlägt, nachdem sie aus den dumpfen Hallen hinauf ans Tageslicht gebracht worden ist; doch unbeschädigt bleibt sie stehen, falls keine Hand sie berührt. Er schmäht diese welche meinen, daß alles von selbst, kraft der geschichtlichen Entwickelung geschehen werde. Das schlimmste Wort ist ihm: es muß ja vorwärts gehen, es kann ja nicht so bleiben. So lange die Welt steht, ist noch niemals etwas von selbst geschehen.

Da es der Zensur wegen ihm unmöglich war, an dems Königtum zu rühren, erzählt er in guten Versen seine Parabel von dem Bären. Ungefähr wie man Wölfe in einem Käfig am Kapitol sieht, so findet der Reisende im Stadtgraben Berns den Bären als Symbol der Stadt. Sallet nimmt aus dieser lokalen Eigentümlichkeit Anlaß zu einer Erzählung: Vor Anno Olim hielten sie ihm Kanton Bern einen Bären und ließen dieses brave Thier auf uhre Kosten sich etwas zu gute thun, während sie stets aufpaßten, ihm die Klauen zu scheren, um nicht selbst zerrissen zu werden. Fragte man sie, was der Bär eigentlich Nützliches thäte, und ob sie das nicht erklären wollten, antworteten sie höchst verwundert: erklären? was soll er thun! Er ißt sich satt, bewegt sich gravitätisch, brummt, kurz gesagt, er ist halt unser Bär. Und fragte man sie, wozu sie ihn hielten? lautete die Antwort: es hielten ihn schon die Alten. Wir sind verloren, wenn er uns stirbt. Und fragte man von neuem: warum? so hieß es einfach: schweigt, sonst spalten wir euch den Schädel. —

Eines Tages erscholl Lärm und Geschrei, war Rennen und Jammern. Der Bär war gestorben. Der Todesfall kam plötzlich, in der Eile war kein neuer Bär zu bekommen und überall erscholl der Klageruf: Nun ist es aus mit dem Kanton Bern! Auf, ihr wackern Jägerknaben, eilt hinaus und fangt einen neuen Bären für uns ein!

Sie sagen durch Berg und Schlucht und finden keinen Bären. Doch wunderbar! Das Obst wächst auf den Bäumen, das Korn und der Wein reisen, es ist, als ob nichts in der Natur sich um ihren Jammer kümmere. Und die Sonne geht jeden Tag von |421| neuem auf, obgleich sie den Bären tot gesehen hat — und die Welt steht noch. Was soll man dazu sagen?—

So witzig auch die Parabel ist, so wird sie doch kaum irgend einen Anhänger der Monarchie von deren Überflüssigkeit überzeugen. Sallet greift nur den thörichten Kultus des für unentbehrlich angesehenen Symbols an, aber er widerlegt nicht im geringsten die Vorstellung von dem Ersprießlichen darin, daß die höchste Stellung dem Wettkampf entrückt ist, welche gewöhnlich zum Vorteil der Krone geltend gemacht wird. Doch seine ganze Seele hat er in das Gedicht, das den Titel »Aut — Aut« führt, gelegt. Es wurde für die zeitgenössische Jugend eine Losung:

Die ihr den großen Kampf der Zeit
Ausfechten wollt, herbei ihr Ritter!
Sprecht, welcher Sach’ ihr Euch geweiht,
Sprecht frei durchs offne Helmgegitter!
Entweder, oder!
Für Fürstenmacht, für Volkesrecht?
Für Geisteslicht, für Pfaffendunkel?
Republikaner oder Knecht?
Ja oder nein! nur kein Gemunkel!
Entweder, oder!

Und das Gedicht schließt mit einer Hinweisung auf die bald erstehende Zeit, wo der letzte von drüben oder hier mit gespaltenem Schädel sich im Sande rollen werde.

Sallet, der schon im Jahre 1847 starb, erlebte nicht jene Entscheidung, welche er so leidenschaftlich ersehnt hatte. Bald danach aber war die Zeit gekommen, wo sich die Gewitterwolken zusammenzogen und wo die Vögel niedrig zu flattern begannen. Wir nahen uns dem Jahre 1848.

Die Litteratur fährt in Sallets Spuren fort. Aus allen Gegenden Deutschlands schallen die Aufforderungen, die That das Wort ablösen zu lassen. Hier begegnen sich die Stimmen von Norddeutschland, vom Rhein und von der Schweiz mit denen der fernen |422| österreichischen Dichter Karl Beck, Alfred Meißner, Moritz Hartmann.

Karl Beck, der Sohn eines Ungarn und einer ungarischen Jüdin, geboren zu Baja im Jahre 1817, zuerst Student der Medizin in Wien, später durch Gustav Kühne in die Litteratur eingeführt gab eine Reihe von Gedichtsammlungen heraus, welche durch ihre wahren lebendigen Schilderungen der ungarischen Natur und des magyarischen Volkscharakters Aussehen erregten. Man kann insofern Karl Beck mit dem fünf Jahre jüngeren ungarischen Nationald Petösi vergleichen. In seiner Eigenschaft als Freiheitsdichter er als Börnes einziger hervorragender Schüler betrachtet werden. Er ist wie Börne ein Vorkämpfer des jüdischen Stammes, des Proletariats und der politischen Freiheit. Alttestamentlicher Stil und prophetisches Pathos vermischen sich bei ihm mit Beeinflussungen der neuesten deutschen und französischen Oppositionslitteratur. In der österreichischen Poesie hat er zunächst Anastasius Grün und Lenau zu Vorgängern. Er hat nicht die gründliche Bildung eines Prutz, aber brennendere Farben, die Glut der Stimmung, die Anschaulichkeit des Ausdruckes und die Lyrik einer erbitterten Begeisterung. Er gehörte indessen zu denen, welche zwar den Ausbruch der Revolution mit Freuden begrüßten, die jedoch durch den Sieg der Reaktion dazu gebracht wurden die Tonart zu wechseln. Als der großartige Ausstand der Ungarn bezwungen war, richtete er — doch wahrscheinlich am meisten um Gnade für die gesangenen Helden zu erwirken — an den Kaiser von Österreich ein Gedicht voll Schmeichelei, das seine alten Kampfgenossen entrüstete. Sie erinnerten sich, daß er vor der Katastrophe Republikaner und Sozialist gewesen, er, der jetzt nach dem Falle Ungarns als der loyale österreichische Unterthan austrat.*)*

*) Vergl. Moritz Hartmann, Reimchronik des Pfaffen Mauritius. Funftes Kapitel, Apostel und Apostaten.

Alfred Meihner (geb. 1822 in Teplitz) und Moritz Hartmann |423| (geb. 1821 zu Duschnik) sind die bedeutendsten deutschen Lyriker Böhmens, gleich feurig in ihrer politischen Freiheitsbegeisterung.

Meißners trauriges Ende darf niemanden die Augen vor seinem vollständig echten und zuverlässigen poetischen Talente schließen lassen. Es ist und bleibt zwar ein trauriges Stück Unnatur, daß einer von Deutschlands hervorragendsten Lyrikern nach einer ruhmvollen Jugend sich dazu herabließ, einem untergeordneten Schriftsteller seine Manuskripte abzukaufen und diese untergeordnete Produktion mit der eigenen vermischt erscheinen zu lassen. Aber das mindert nicht seinen Wert als Verfasser der vorzüglichen Gedichte, die er selbst geschrieben hat. Man lese nur seine flammenden Erinnerungsgedichte an Byron und George Sand, und man lernt Proben einer revolutionären Beredsamkeit kennen, der die Jugend der vierziger Jahre mit Recht nicht widerstehen konnte.

Moritz Hartmann, sein Altersgenosse und Landsmann, ist eine Gestalt von anderem Metall, ohne Tadel, ein seltener Sänger und ein Held. Kein deutscher Dichter hat von seiner frühesten Jugend bis zu seinem Tode die Freiheit treuer und leidenschaftlicher geliebt als er; keiner hat so oft und rücksichtslos sein Leben für sie aufs Spiel gesetzt.

Hartmann, einer der schönsten Männer, die das Auge erblicken konnte, wurde in einem kleinen böhmischen Dorfe von jüdischen Eltern geboren. Das Geschlecht entstammte einer spanischen Emigrantenfamilie, deren eigentlicher Name Duros war, welchen sie ins Deutsche übertragen hatte. Er besuchte die Schule zu Prag und sah dort als Knabe die traurige Einfahrt Karls des Zehnten in die Stadt. Er sagte sich, nur dreizehn Jahre alt, vom religiösen Glauben seiner Familie los; er litt schon als Kind durch die Nachricht vom unglücklichen Ausgang der plnischen Revolution. Als student lernte er Lenau kennen, den er mit der Begeisterung eines Jünglings und eines Schülers umfaßte. Von Jugend auf hat er Tschechisch und Deutsch gesprochen, und seine erste Gedicht-|424|sammlung »Kelch und Schwert« enthält zahlreiche Ausdrücke seiner Liebe zur tschechischen Sprache, welche er neben die polnische stellt und auf Kosten der russischen erhebt. Doch fühlte er sich gegenüber den politischen Sympathieen der Tschechen für die Russen und Haß derselben gegen alles Deutsche nur als Deutscher.

In »Kelch und Schwert« (1845) ist Hartmann zunächst Böhme. Schon das kleine Gedicht, welches als Motto der Sammlung vorangestellt ist, legt Zeugnis davon ab:

Der ich komm aus dem Hussitenlande,
Glaube, daß ich Gottes Blut genossen,
Liebe fühl ich in mein Herz gegossen,
Lieb' ist Gottes Blut — mein Herz sein Kelch.
Der ich komm aus dem Hussitenlande,
Glaube an die fleischgewordnen Worte,
Daß Gedanken werden zur Kohorte
Und jedwedes Lied ein heilig Schwert.

Wie man sieht, fühlt er sich annähernd als Hussit in dem Lande aus dem die befreiende Lehre von Huß heutzutage verdrängt ist, und er legt die alte böhmische Streitfrage Über den Kelch im Sakrament des Abendmahls in modernem, ja im Feuerbachschen Geuste aus. In einem Gedichte über die deutschen Freiheitslieder sucht er Deutschlands Lyriker darüber aufzuklären, daß der Gesang der rechte Hammer sei, um Fürstenherzen zu sprengen, und daß die Freiheit dem Weibe gleicht und nicht durch Worte allein gewonnen wird. Für die Polen fühlt er, als wäre er selbst ein Pole. Man sieht, daß er eine junge Polin liebt, und durch das Verhältnis zu ihr hat er sich in seinem Herzen zu ihrem Landsmann umgestaltet. Das Gedicht »An C....a« ist eines der schönsten Gedichte, welches das Mitgefühl mit den Polen außerhalb Polens geschaffen hat. Hartmann kann ab und zu weitläufig und im Ausdrucke altäglich werden. Am häufigsten ist jedoch seine Form konzis, sein Stil dramatisch, und er hat die Gabe, eine Szene unvergeßlich in di Erinnerung des Lesers einzubrennen. |425| Man lese z. B. das, Gedicht »Die Drei« über die drei Vertriebenen, welche sich in einem Wirtshause auf der ungarischen Pußta treffen und in der Stille der Nacht stumm bei ihrem Glase sitzen, bis einer sein Glas mit dem Rufe erhebt: Dem Vaterland! Der erste der Fremden ist ein Zigeuner, der zweite ein Jude, der dritte ein Pole. Ein Vaterland hat keiner von ihnen — und alle drei sitzen wieder stumm bei ihren Bechern.«

Noch leidenschaftlicher als Polen wird Böhmen beklagt, »der arme Hirsch, der sich tief im Walde verblutet«. Nur die Musik hat Böhmen übrig; sie erweckt durch ihre Weichheit das Mitleid mit ihm überall, sie singt und seufzt und schmilzt durch ihre geheimnisvollen Melodieen die Herzen. Auf diese erste Gedichtsammlung schon paßt das Wort, welches der Dichter über sich selbst in der folgenden Sammlung ausgesprochen hat. Es ist kein Gesang darin, den nicht die Freiheit, »die schönste und edelste aller Musen«, auf die Stirn geküßt hat. Deshalb schon hier der offene Haß gegen das Osterreich Metternichs, gegen dieses Osterreich, welches er später im Jahre 1848 in seiner »Reimchronik des Pfaffen Mauritius« die Bastille der Völker nannte. Innerhalb deren Mauern herrsche, sagt er, die Stille des Todes, allein durch das Rasseln der Ketten unterbrochen.

Das Aufsehen, welches »Kelch und Schwert« erweckte, verschloß Hartmann das Vaterland. Er hatte sich gegen Osterreichs Gesetze schon dadurch vergangen, daß er im Auslande eine Schrift, die nicht der österreichischen Zensur unterworfen worden, herausgegeben hatte, und er mußte, wenn er von Leipzig, wo er sich eine Zeitlang aufgehalten und in Verbindung mit Männern wie Kühne und Laube getreten war, jemals zurückkehrte, schon an der Grenze seine Gefangennahme riskieren. Aber er widerstand nicht dem Drange seine Mutter wieder zu sehen, und auf Schleichwegen wandernd erreichte er seinen Geburtsort. Er kam glücklich an. Da aber seine Anwesenheit im Dorfe nicht verborgen bleiben konnte und eine Verräter ihn angab, mußte er nach Verlauf weniger Tage

|426| aus einer Hinterthür entfliehen, gerade als die Gendarmen von vorne ins Haus eindrangen. Im Gedichtcyklus »Heimkehr und Flucht« in der Sammlung »Zeitlose«, wo er dieses jugendliche Wagestück geschildert, hat er in den folgenden stolzen Worten sein Wesen gezeichnet:

Und als der Verrat mich ausgewittert
Und als die Häscher herangekommen,
Da hat die bleiche Mutter gezittert,
Der Schwester Aug in Thränen geschwommen.
Ich aber sprach: Die Thränen verwischet,
Wir müssen scheiden nun voneinander,
Und da mich rings die Gefahr umzischet,
In Flammen werd’ ich zum Salamander
Ich bin geboren, ich, für Gefahren,
Sie lauern immer auf meinem Gange
Wie Wegelagrer in dunklen Scharen;
Doch kenn ich nimmer die Furcht, die bange,
Ich bin zu Gefahren bestimmt und geboren,
Sie lieben mich, wie Löwen den Meister,
Ich hab sie alle heraufbeschworen,
Sie dienen mir, wie dem Zaubrer die Geister.

Megen des Prologs, den Hartmann beim Schillerfeste in Leipzig am 11. November 1847 rezitierte, ein Fest, das in Wirklichkeit eine Demonstration fur die Freiheit der Presse war, wurde er des Hochverrats und der Beleidigung des Kaisers von Osterreich angeklagt. Als im Jah re 1848 die Revolution ausgebrochen war, eilte Hartmann nach P rag. E r wurde mit zwei Freunden, von welchen Alfred Meihner der eine war, als Deputation nach Wien geschickt. Mit ausgesuchtem Humor hat er seine Audienz beim Bruder des Kaisers, dem Erzherzog Franz K arl, der an der Stelle des kranken Herrschers empfing und kein Wort von dem Ganzen verstand, beschrieben.*)*

*) Moritz Hartmann, Gesammelte Werke. Zehnter Band S . 16 flg.
Wahrend der Unruhen in Prag schutzte Hartmann eines Tages, als der Pöbel das Iudenviertel |427| stürmen und die Bewohner desselben niedermachen wollte, den bebedrängten Stadtteil, indem er schnell nach der Universität lief und selbst bewaffnet eine Anzahl Studenten bewog, ihn mit aufgepflanztem Bajonett zu begleiten. Sie hielten das Viertel gegen die rasenden Volksmassen, bis Gendarmen der kleinen Schar zu Hülfe kamen.*)*
*) Alfred Marchand, Les poètes lyriques de l'Austriche. Hartmann, Gesammelte Werke. Zehnter Band S. 23.

Im Frankfurter Parlamente stimmte Hartmann mit der äußersten Linken. Deutschlands Einheit als Republik war sein Ziel. Er sprach selten, wurde aber sehr bemerkt; man nannte ihn den schönsten Mann des Parlaments. Kinkel beschreibt ihn in jenen Tagen als schön, liebenswürdig, fest in seiner Überzeugung Die südländische Einbildungskraft des Osterreichers gab seiner Rede Schwung, seine deutsche Bildung gab seiner Geisteskultur die solide Grundlage, und mit seinem israelitifchen Kosmopolitismus vereinigte er eine uner- schütterliche Vaterlandsliebe, die sich zumeist in stolzen Worten ausdrückte. Von Anfang an nahm er mit Begeisterung an den Verhandlungen des Parlaments teil. Später, da dieselben sich ebenso weitläufig wie unfruchtbar erwiesen, und die Versammlung ihre Ohnmacht, etwas dauerndes Großes und Neues zu begründen, offenbarte, entsprang seiner Enttäuschung das tiefe und ergreifende Werk in Haus Sachsschen Versen, die Reimchronik. Doch er war nicht nur ein Mann der Dichtung; als Mann der Handlung trat er immer auf. Während des Zusammenftoßes in Frankfurt am 11. September setzte er hundertmal sein Leben den Kugeln beider Parteien aus, indem er fich, um einen Waffenstillstand zu erzielen, zwischen die Kämpfenden warf. Nachdem die Revolution in Wien ausgebrochen war, ließ er sich mit Blum und Fröbel als Deputierte von Frankfurt an die provisorische Regierung senden, um dieser die Sympathie der Nationalversammlung auszudrücken; er trat als Soldat in das Revolutionsheer ein. Da er als Freiwilliger eines Tages wahrend Wiens verzweifeltem Verteidigungskampfe |428| gegen die Kroaten sich darauf eingelassen hatte, mit dem anscheinend gewissen Tode vor Augen eine Mühle zu erobern, zu welcher der Weg seiner ganzen Länge nach von der Seite aus beschossen wurde, erwählte man ihn auf dem Schlachtfelde zum Osfizier und Führer, nachdem der Führer gefallen war. Daß er nach der Übergabe Wiens entfliehen konnte, verdankte er einer hochstehenden Dame, die sich für ihn interessierte und ihm einen falschen Paß verschafste kehrte nach Frankfurt in das Parlament zurück und begleitete dessen Auflösung den protestierenden Teil desselben nach Stuttgart, bis auch dieser letzte Rest, das unter dem Präsidium von Dr. W. Löwe tagende »Rumpfparlament«, von Truppen auseinander gesprengt wurde.

Man fühlt den großen Charakter überall in Hartmanns Werken, auch in den Jugendpoesieen, welche dem Jahre 1848 vorausgehen. Sogar die Sammlung »Neuere Gedichte« (1847), welche als Ganzes keinen politischen Charakter trägt, enthält in der Gruppe »Ost und West« leidenschaftliche Vorboten des herannahenden europäischen Gewitters; so z. B. in dem erbitterten Gedichte an den König von Preußen, in welchem Hartmann, gegen Platens und Herweghs respektvolle Haltung protestierend, den König für die Auslieferung der Polen an die russische Knute verantwortlich macht, oder in dem ergreifenden Gedichte »Hüter, ist die Nacht bald hin?« welches ein einziger Sehnsuchtsseufzer der Ungeduld danach ist, daß der neue Tag anbrechen möchte.

Und als sich nun die Stimmen aus Böhmen und Ungarn im Verein mit denen aus Franken und Mitteldeutschland erhoben, und als sich die Stimmen der Denker und der Dichter vermischten und in Einem Chore erklangen, da wurden die jungen Seelen des Landes, sobald sie zum geistigen Leben erwachten, in den Chor mit hineingezogen und ungestimmt, bis sie revolutionär gestimmt waren, die jüngsten, die Triarier auf der Schulbank, wie der älteste Student, und dann geschah es, daß man plötzlich nicht nur die auf-|429| rührerischen Schriftsteller mit rebellischen Augen las, sondern auch die anderen, die allgemein anerkannten, die Vor langer Zeit gestorbenen, die neutralen oder konservativen, und dieselbe aufrührerische Stimmung von ihnen einsog.

Zu einem bestimmten Augenblicke kam es der Jugend vor, als riefe die ganze Litteratur zu den Waffen, auch die seit lange als klassische betrachtete, welche ihr unsterbliches Leben in schönen Bänden im Bücherschrank führte. Denn in einer gewissen Stimmung liest man sich selbst aus allen Büchern heraus.

Was war er gewesen, dieser Schiller, den man ihnen allen als Kinder in die Hand gedrückt hatte? Was anderes als ein Aufrührer, dessen erstes Buch zum Motto die bekannten Worte hatte: Was Arznei nicht heilt, das heilt Eisen, und was Eisen nicht heilt, das heilt Feuer! Und stimmte wohl der Geist in seinen Werken an irgend einer Stelle mit dem königlich preußischen oder kaiserlich königlich österreichischen Geiste überein? — Was war Goethes Wesen in seiner Jugend anderes als himmelstürmender Trotz gewesen? Endigte nicht selbst die Dichtung seines Alters, der zweite Teil seines »Faust«, mit dem Wunsche, ein freies Volk aus freiem Grunde stehen zu sehen, und wie mußte nicht er, der Friedrichs des Zweiten Berlin verabscheut hatte, die Hauptstadt Friedrich Wilhelms des Vierten hassen! — Und Hegel, der als Revolutionär begonnen und als Altkonservativer geendigt hatte, aus seinen Jdeen zog man all die Schlußfolgerungen, welche er selbst hatte liegen lassen. — Und Feuerbach, der nichts mit der Politik zu thun haben wollte, sein philosophisches Niedermetzeln des Hauptes des Weltstaates führte man auf die Verhältnisse des irdischen Staates hinüber.

Ja, es war ein Gewitter im Anzuge Wie sonst die Schwalben,

|430| Er konnte nach seiner Überzeugung nicht anders, als denselben einer Rede eröffnen, in welcher er trotz aller wirklichen und scheinenden Zugeständnisse sich eben dagegen wehrte, das Ent dende, was das Volk von ihm verlangte, zu bewilligen.

Keiner Macht der Erde, rief er aus, soll es gelingen, natürliche Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konve nelles, konstitutionelles zu verwandeln, und nun und nimmer werde ich es zugeben, daß zwischen unsern Herrgott im Hi: und dieses Land ein geschriebenes Blatt sich eindrängt, um uns« seinen Paragraphen zu regieren und die alte heilige Treu ersetzen.

Die Zeit war um. Man forderte jährliche Parlamente vollständige Erfüllung der alten Versprechen aus den Jahren und 1829. Jacoby, Heinrich Simon, Gervinus und andere sierten die königlichen Gesetzesvorschläge durch und verwarfen

Und dann ging es los. Zuerst in der Schweiz in de1 wasfneten Überrumpelung des jesuitisch gesinnten Sonderbu durch die radikalen Kantone schon im November 1847, dann entschiedener Macht in Paris, dann in allen Hauptstädten Dei lands und in vielen außerhalb Deutschlands Wie der Donneiner Gebirgsgegend von Bergwand zu Bergwand zurückgewi wird, so erzeugte der Donner der Revolution Echo auf Echo einer europäischen Hauptstadt zu der andern in dem tollen heiligen Jahre 1848.

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