Das junge Deutschland (1891)

|[384]|XXVI

Unter den Gedichten von Anastasius Grün (Graf Alexander von Auersperg) in »Spaziergänge eines Wiener Poeten« befindet sich eins, das die Überschrift »Warum?« hat, und worin jede Stroph mit einem Warum? endet: Wenn man neue Verbote am Rathause anschlägt, so steht darunter ein kleiner Mann und fragt leise: — »Warum?« Wenn die Pfaffen aus der Kanzel stöhnen und gegen das Sonnenlicht heulen, fragt er »warum?« — Wenn sie mit Spießer und Hellebarden gegen die Spatzen ausrücken; wenn sie mit Kanonen nach Lerchen schießen, dann fragt er sein »Warum«? — Und fordern sie ihn vor Gericht, verurteilen sie ihn und richten sie ihn hin, dann fragt es noch aus seinem Grabe empor »Warum?«

So ungefähr ging es nun in Deutschland zu, als das patriarchalische Vertrauen zur Fürstenmacht einmal gebrochen war. Überall, wo irgend eine Gewaltthat oder eine Ausrede oder eine dumme Handlung von seiten der Regierungen eine Hoffnung niederschlug und tötete, dort sproß aus der Gruft der Hoffnung ein »Warum?« empor. Und jedes »Warum?« gebar mehrere. Es blieb nicht bei den vier Fragen des Ostpreußen; die Fragen vermehrten und verpflanzten sich wie jene unsichtbaren, aber gefährlichen Tiere, die in unglaublich kurzer Zeit einen Organismus untergraben: Warum Ehrfurcht erzeigen? warum Zutrauen haben? warum dulden? vor allem warum schweigen? Der erste Schritt, bevor man einen Druck von sie abzuschütteln versucht, ist, daß man nicht dazu schweigen will. Der Schmerz und der Zorn, die Sehnsucht und das Begehren machen sich Luft in Worten, in Gefang.

|385|Die politische Lyrik, die in früherer Zeit nur vereinzelt bei Platen und Uhland, Lenau und Heine vertreten war, sammelt und kristallisiert sich nun als eine eigene Dichtungsart, eine ganze und geschlossene Kunstform. Bald brausen ganze Chöre von verschiedenartigen Liedern über Deutschland. Die Witterung ist fruchtbar und scharenweis tauchen die Talente empor: Hoffmann und Herwegh, Dingelstedt und Prutz, Freiligrath und Max Waldan, Karl Beck nnd Moritz Hartmann, ein Flor so reich und duftend, wie er auf diesem Gebiete nie zuvor gesehen worden war. Es nützte wenig, daß alte Romantiker ihre Geringschätzung der profaischen (d. h. politischen) Poesie aussprachen, oder daß doktrinäre Ästhetiker erklärten, diese Talente seien rhetorisch, nicht lyrisch; schon die Zahl dieser Dichter, ihr naturnotwendiges Hervortreten als Gruppe, zeigte, daß sie aus dem allerbesten, dem einzig gültigen Grunde erstanden, daß sie erstehen mußten, daß der Geist der Zeit sich in ihnen ein Organ eröffnete; und daß sie mit dem allerbesten, dem einzigen Rechte, dem, daß sie sich behaupteten, die Litteratur für sich eroberten und sich im Volke Gehör verfchafften.

Sie hatten in den dreißiger Jahren einen vereinzelten Vorgänger, den oben erwähnten österreichischen Dichter Alexander Graf Auersperg, gehabt. Seine Lyrik war prachtvoll, verschwenderisch bilderreich, mitunter ein wenig geschmacklosz aber es war Erzklang in seinen Versen nnd sein Pathos war echt. Man könnte dieses Pathos Josephinisch nennen, denn Joseph der Zweite war Auerspergs Held; von der Seite der Aufklärung faßte er die politische Freiheit, für die er schwärmte, auf. Sein Haß ist besonders gegen die Pfaffenherrschaft gerichtet, doch derart, daß er zwischen Pfaffen und Priestern einen großen Unterschied macht; die schändlichen Pfaffen greift er an, die edlen Priester preist und verherrlicht er.

Stoß ins Horn, Herold des Krieges: ZU den Waffen, zu den Waffen!
Kampf und Krieg der argen Horde heuchlerischer, dummer Pfaffen.

Dann folgen Verse, worin die Schar der wirklich frommen |386| Priester gesegnet wird. Doch spürt man wohl, daß nach seiner Ansicht damals mehr Geistliche der ersteren als der letzterens Klasse angehörten. Er betrachtet es als ein Charaktermerkmal des Zeitalters, daß auf die feisten, tierischen Priestergestalten nun die klugen, dünnen, herrschsüchtigen Bischöfe gefolgt sind:

Die Dicken und die Dünnen.

Fünfzig Jahre sind's, da riefen unsre Eltern zu den Waffen,
Krieg und Kampf den dicken, plumpen, kugelrunden, feisten Pfaffen
Auch in Waffen stehn wir Enkel; jetzt doch muß die Losung sein:
Krieg und Kampf den dünnen, magern, spindelhagern Pfäffelein.

Gegen Metternich, gegen die Geheimpolizei, gegen die Zensur richtete der mutige Dichter seine flammenden Strophen. Es war eine frische Fehdestimmung darin, aber kein Haß und keine wilde Entrüstung. Die Ahnung einer großen Zukunft und die Begeisterung für große Erscheinungen aus der Vergangenheit machten das wesentliche Pathos aus. Aber das eigentlich gestaltende Talent war bei Auersperg schwach; er verlor sich allzuoft in Allegorieen.

Sowohl geistig wie künstlerisch in hohem Grade ihm überlegen ist das Hervorragendste der politischen Lyrik, welches nun in den vierziger Jahren emporschießt.

Georg Herwegh, der sich von seiner Rundreise erholt hatte, gab nach Verlauf eines Jahres die zweite Sammlung der »Gedichte eines Lebendigen« heraus, welche die Eigenschaften der früheren Sammlung mit einigen neuen und wertvollen verband. Es ist eine freimütigere, wildere Stimmung darin, und sowohl der Wille wie der Unwille haben einen bestimmteren Gegenstand. Hier finden sich weniger Illusionen und sein schärferes Bewußtsein des Zieles und der Mittel. Keine Ausforderungen mehr an irgend einen König, sich an die Spitze seines Volks zu stellen — keine Hymne mehr and irgend einen Gott, um ihn anzuflehen, den Völkern Freiheit und Glück zu schenken. Friedrich Wilhelm der Vierte hatte inzwwischen Herweghs |387| Glauben an die Könige und Ludwig Feuerbach seinen Glauben an Gott getötet. Aber es offenbart sich in diesen Versen die Empfindung, daß es in den Gemütern nicht mehr dämmert, sondern tagt.

In den alten Tagesgesängen, welche Shakespeare in »Romeo und Julie« nachgeahmt hat, ist es ein stehender Zug, daß das junge Weib beim Morgengrauen den Geliebten mit der Wendung zurückhalt: es ist nicht die Sonne, sondern der Mond, dessen Schimmer du siehst, nicht die Lerche, sondern die Nachtigall, die du hörst. Hier ist in geistreicher Weise im Gedichte »Morgenzuruf« das Bild umgewendet:

Die Lerche war’s, nicht die Nachtigall,
Die oben am Himmel geschlagen;
Schon schwingt er sich auf, der Sonnenball,
Vom Winde des Morgens getragen.
Der Tag, der Tag ist erwacht!
Die Nacht,
Die Nacht soll blutig verenden. —
Heraus, wer ans ewige Licht noch glaubt,
Ihr Schläfer, die Rosen der Liebe vom Haupt,
Und ein flammendes Schwert um die Lenden!

Gegen die Könige ist das Epigramm »Unglückliche Liebe« gerichtet:

Nicht an den Königen liegt’s — die Könige lieben die Freiheit,
Aber die Freiheit liebt leider die Könige nicht.

Die erste Gedichtsammlung war selbst in ihren anscheinend religionsfeindlichen Äußerungen rein theistisch gewesen. Wo die Aufforderung, die Kreuze aus der Erde zu reißen, um sie als Schwerter zu benutzen, erklang, da folgte die Strophe: Gott im Himmel wird’s verzeihn! Hier wird ein Loblied zu Ehren Feuerbachs angestimmt, weil er den Glauben an die Unsterblichkeit angegriffen, und ein sogenanntes Heidenlied, derber in seinem Spott, als irgend eine gleichartiges von Heine:

Die Heiden — 's ist doch schade
Um solch ingenium
Sie hießen gerade
Und nahmen Fünf für krumm.
|388|Auch hatt’ die Jungfernschaft ein End’,
Sobald die Magd ein Kind gebar;
Dieweil das N · T.
Noch nicht erfunden war.

Und schließlich werden hier, im Gegensatze zum Standpunkt Auerspergs mit seiner Sonderung zwischen reinen und unreinen Priestern, die Geistlichen als solche, gleichgültig, ob sie guten oder bösen Herzens, katholisch oder protestantisch, langhaarig oder mit der Tonsur versehen sind, alle über einen Kamm geschoren, wie in dem folgenden humoristischen Epigramm:

Ob sie katholisch geschoren, ob protestantisch gescheitelt,
Gleichviel — immer gerät man den Gesellen ins Haar.

Er war scharf gewesen, er war beißend geworden; aus einem Freiheitsdichter hatte er sich zu einem Verkünder und Vorbereiter der kommenden Revolution entwickelt.

Wenn diese klangvollen und kräftigen Gedichte jedoch nicht tiefer, als sie’s thaten, auf die Gemüter einwirkten, so hatte dies seinen Grund darin, daß die Mängel, die an Herweghs Menschenwesen klebten (ohne daß das Publikum genau wußte oder fühlte, auf welche Weise es geschah), sich allmählich auch in seiner Poesie verrieten: in diesen Pointen, diesen gesperrten Stellen, selbstischen Freude über einen guten Einfall und diesem Mangel des geistigen Lebens an irgend einem anderen Inhalt als dem polemischen. Das ist keine Gedichtsammlung, welche auf von innen quellende Reichtümer deutet. Man versteht sein Leben, wenn man sie liest, und sie durch sein Leben. In Wirklichkeit versiegte Ader mit ihr. In den zweiunddreißig Jahren, die er noch zu leben übrig hatte, hat er im ganzen nur einen einzigen, nicht dicken Band mit Gedichten geschaffen, der erst nach seinem Tode erschien. Diese Gedichte sind reich an Witz, reicher an Freiheitsbegseisterung, von einem Manne geschrieben, der bis an sein Ende seiner revolutionären Jugend unbeugsam treu blieb — aber es sind im Durchsnitt nicht vier Gedichte im Jahre.

|389| Wurde er auch niemals seiner Vergangenheit untreu, so war er doch kein Arbeiter im Dienste der Freiheit. Den letzten Teil seines Lebens verbrachte er in Müßiggang. Er hatte im Jahre 1839 als Dichter und kritischer Schriftsteller begonnen.*)*

*) Seine Jugendarbeiten sind in »Gedichte und kritische Aufsatze, 1845, zwei Bände« gesammelt.
Er kulminierte mit »Gedichte eines Lebendigen«, er verheiratete sich — sehr reich — mit einer jungen Jüdin, die für seine Poesie begeistert war. Nach der Februarrevolution trat er sogleich in Paris als Führer auf und fiel an der Spitze einer aus Deutschen und Franzosen bestehenden republikanischen Arbeiterschar in Baden ein, wurde aber am 27. April von den württembergischen Truppen zurückgeschlagen und verdankte es nur dem Mute seiner Frau, daß er entkam. Heine hat im Simplicissimus I eine blutig satirische Schilderung von dieser Herweghschen Campagne gegeben. Er lebte dann in der Emigrantenkolonie in London das verderblich müßige Leben der Emigranten; sie hatten buchstäblich nichts anderes zu thun, als fruchtlose Pläne zu neuen Aufständen zu schmieden, und sich in die Frauen ihrer Freunde zu verlieben. Später ließ sich Herwegh in Paris, dann in Zürich nieder und führte hier ein unwirksames Leben, immer gleich unzufrieden mit dem Gang der Dinge in Deutschland. Wie Kinkel, wie Moritz Hartmann vermochte er es bis zu seinem Tode (1875) nicht, mit der Machtentsaltung, wozu das Deutsche Reich seiner Ansicht nach aus Kosten der Freiheit gelangt war, sich auszusöhnen. Seine Jugendideale gab er niemals auf; selbst für Heine, der ihn verhöhnt hatte, bewahrte er männlich seine Begeisterung.

Seiner Anlage nach mußte er notwendigerweise schon ums Jahr 1843 ein wachsames Auge auf die Fahnentreue anderer Dichter und die Echtheit ihres Freisinns haben. Seine Ausfälle gegen Geibel und Freiligrath sind schon berührt worden. Sodann wandte er sich gegen Anastasius Grun. Dieser hielt sich in Wien auf, um sich um den Kammerherrnschlussel zu bewerben, da seine Gemahlin, |390| eine geborene Komtesse Attems, Sternkreuzordensdame geworden war und nicht allein zu Hofe gehen konnte. In bewegten Worten Herwegh ihn an zurückzukehren.

Darf man den Tempel um ein Weib entweih’n,
Mit einem Weib um goldne Götzen tanzen u. s. w.

Dingelstedt antwortete, indem er in schönen Versen Graf Auersperg verteidigte:

O, sie will es nicht begreifen, ihre Prosa und Gemeinheit,
Daß ein Geist wie Du, ein Name, bürgt für der Gesinnung Reinheit,
Nur das Schlechte glaubt sie willig u. s. w.

Die Antwort umging den Angriff statt ihn zu parieren. Niemand hatte im Ernst geglaubt, daß ein Mann wie Auersperg seine Überzeugung gewechselt habe; was Herwegh angriff war eben, daß er trotz seiner Überzeugung aus gesellschaftlichen Rücksichten um einen Hoftitel nachsuchte.

Dingelstedt verteidigte hier die Sache seiner eigenen Zukunft. Denn Dingelstedt wurde der Dichter, gegen den Herwegh sich demnächst wandte, und diesmal war die Satire um so viel fürchterlicher, weil sie stumm war und nur indirekt zu Worte kam.

Herwegh hatte in Paris Dingelstedt getroffen, der, wie er selbst, Deutschland wegen seiner politischen Poesieen hatte verlassen müssen, und die beiden Dichter hatten eines Abends in kollegialem Wettstreit zum Scherz jeder ein humoristisch-wehmütiges Bekehrungslied geschrieben. Herwegh schrieb das Gedicht »Wohlgeboren«, dessen Inhalt der folgende ist: Was nützt es von Freiheit und Vaterland zu reden, genial zu sein, Politik zu treiben; was hat das alles mir eingebracht Nein, ich will ein braver Bürgersmann werden:

Du sollst, verdammte Freiheit, mir
Die Ruhe fürder nicht gefährden;
Lisette, noch ein Gläschen Bier!
Ich will ein guter Bürger werden.

Und durch alle Strophen hindurch wird dieser Refrain beibehalten. Dann schrieb Dingelstedt, um den Freund zu überbieten, das Gedicht »Hochwohlgeboren« welches beginnt:

|391|Ein guter Bürger willst Du werden?
Pfui Freund! — Ein guter Bürger — Du?
Das also war Dein Ziel auf Erden,
Dem stürmten Deine Lieder zu?
O nimm’s zurück, das ekle Wort,
Wer mag sich so gemein geberden!
Nein, nein, mich reißt es weiter fort:
Ich muß Geheimer Hofrat werden!

Auch diese Zeile schließt als Refrain alle Strophen des Gedichtes ab.

Zwei Jahre später war Dingelstedt Geheimer Hofrat, Vorleser und Bibliothekar des Königs von Württemberg. Herwegh begnügte sich damit, die beiden Gedichte Seite an Seite abzudrucken.

Franz Dingelstedt (geboren 1814) ist ein höchst eigentümlicher Typus der damaligen Zeit, ein Freiheitsmann, der besser als vornehmer Mann hätte geboren werden sollen, ein Fürst Pückler in der Gestalt eines armen Gymnasiallehrers, ein Ironiker, der den Schein nicht entbehren konnte, ein ausgezeichneter Kopf ohne ernste Laster und ohne ernsthaftes Pathos, aber mit einem leichten Witz, mit vielen Funken von Poesie, mit früher Blasiertheit und mit einer gewissen praktischen Lust zu wirken bis an sein Ende. Er wurde in dem schlechtest regierten Lande Deutschlands, in Kurhessen unter dem verhaßten Regimente Hassenpflugs, geboren, wurde Lehrer an einem Gymnasium, erweckte durch seine freien Meinungen, sein freies Leben, seine freisinnigen Verse Mißfallen, wurde versetzt, schikaniert, und nahm 1841, siebenundzwanzig Jahre alt, seinen Abschied. Nur ein Jahr später als Herwegh gab er seine erste politische Gedichtsammlung »Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters« heraus.

Gute Verse, gute Gedichte, ein guter Scherz, eine gute Maske. Das ist der Nachtwächter, der seinen nächtlichen Gang in der Uniform, mit Morgensterne und mit den Horn in der Hand dahinwandert, und der, von seinem Standpunkt draußen vor den Häusern aus, das schildert, was er in ihnen sieht und vermutet.

|392|gewaltig überdrüssig, sie ist so häßlich und hat so viele Runzeln im Gesicht; aber Hausfrieden hat er: sie schläft des Nachts und er des Tages. Ein richtiger Nachtwächter ist er, der seine Wächterverse von Feuer und Licht singt; er sieht zu den Gefangenen, den politischen Gefangenen, hinauf, deren Gesicht am Fenstergitter bar sichtwird, wenn sie daran rütteln. Er kommt an der Domkirche mit ihren Reliquien vorbei, wo der Wind in den Orgelpfeifen spielt, daß es ihm schaudert, und daß er selbst über sein Schaudern lachen muß; es ist zwanzig Jahre her, seit er drinnen war: er gehört zu den abonnierten Sonntagsfrommen.

Und doch ist er kein richtiger Nachtwächter. Weder seine Gefühle, noch seine Meinungen passen recht für seinen Stand. Droben einem Hause ist Ball; er horcht auf die "Musik, schildert den Tanz und die Manieren der seinen Gesellschaft. Welches Aussehen es erwecken würde, wenn er in seinem Rockelor, mit Laterne und Spieß, Schneeflocken aus dem Hut, den Bart voll Reif und mit brennend heißen, braunroten Wangen hinein träte zwischen alle jene Schatten! — Vor einem anderen Hause hält der Wagen des allmächtigen Ministers Der Kutscher ist in Pelz gehüllt; aber die armen unbedeckten Pferde zittern vor Kälte, während ihr Herr in dem warmen Zimmer Karten spielt — als könnten sie sich rächen, wenn er kommt!

Ich rate Dir, laß die Karten ruhn,
Und hüte Dich fein, Ministerlein!
Du hast es mit vier Hengsten zu thun,
Bedenk’, daß das keine Bürger sein!

Es finden sich in diesen beißenden Gedichten nicht selten Ausbrüche eines innigeren Gefühls. Der Nachtwächter steht vor einem Hause in der Vorstadt still, wo ein Unglücklicher mit dem Tode ringend liegt; er geht an der Irrenanstalt vorbei ubd die Angst vor dem Wahnsinn, die ihn immer an dieser Stelle ergreift, vermischt sich mit einer geheimnisvollen Anziehung; er wandert am |393| Kirchhofe vorbei, wo sie abseits vom Wege an einem verachteten Platz seinen armen Vater, der sich selbst aus dieser Welt hinaushalf, begruben, und auf dem Heimwege steht er am Schlosse still, wo der Fürst sich schlaflos auf seinem Lager wälzt, während die Schildwache da draußen in ihrem Schilderhause stehend besser schläft, als er auf seinem weichen Lager.

Das eine oder das andere könnte wohl ein Nachtwächter empfinden, aber nichts davon vermöchte er so auszudrücken — jeden Augenblick fällt die Maske. Mitunter kommen zwar — in vollendet plastischer Form — Ausdrücke einer volkstümlichen Erbitterung vor. Man lese z. B. die folgenden Verse gegen einen Hofschranzen, der das Land ausgesogen hat, und dessen Fenster jetzt während seiner Krankheit beleuchtet sind:

Warum er nicht schläft? warum er in Wut
Die Spitzen am Hemde zerrissen?
Ein gutes Gewissen schläft überall gut,
Und nirgends ein schlechtes Gewissen.
Er hat an des Landes Mark, die Schlang’,
Sich voll gefressen, gesogen,
Er hat — ein Menschenleben lang! —
Gestohlen, gelogen, betrogen.

Dann kommen aber auch solche Ausdrücke des Hasses und der Erbitterung vor, welche dem gewöhnlichen Volke fremd sind, z. B. ein höchst frivoler Rat an eine junge bezaubernde Dame, die mit einem alten Sünder verheiratet worden ist, wie sie sich an ihrem Gemahl rächen solle. Mitunter nehmen auch die Gedanken und Träumereien des Nachtwächters einen höheren Flug. Er stützt sich auf eine alte Kanone, welche blank und zahm auf dem Walle liegt. Einstmals flogen ihre Räder auf erobertem Grunde über Leichen und über Lebendige; einstmals gab sie den Taft zu dem Waffentanz; denn es steht ein gektröntes N and dem Zündloch. Jetzt ertönte sie nur noch, wenn ein armer Gefangener aus seinem Gefängnis entsprungen ist, oder am Namestage Seiner Majestät |394| oder so oft eine Prinzessin geboren wird. Aber Geduld! ruft der Nachtwächter der Kanone zu: Bald kannst du vielleicht wiederum deine Kugeln in die Feinde hageln lassen; sei nur so lange stumm, mein Veteran, damit sie nicht dir das Maul vernageln, wie sie uns andere knebeln. —— Hier ist, wie man sieht, die Maske ganz abgeworfen.

Nachdem Dingelstedt von Hessen fortgezogen war, erschien die Gedichtsammlung »Nachtwächters Weltgang«, worin der Dichter nicht mehr in der Nachtwächtermontur auftritt, sondern als eleganter Revolutionär. Es zieht hier über die schlechten Fürsten, über die Verhältnisse in Hessen, Preußen, Hannover und über falschen deutschen Patriotismus los:

Was ist, Ihr Herrn, ein deutscher Patriot? —
An alle Fakultäten diese Frage!
»Ein Mann, der Sonntags dient dem lieben Gott
Und seinem König alle Werkeltage.«
Was will, Ihr Herrn, ein deutscher Patriot? —
»Für sich ein Ämtchen, Titelchen und Bändchen,
Für seine — ehelichen — Kinder Brot
Und legitime Fürsten für sein Ländchen.«
— — — — — — — — — — — — — — —
Hinaus zum Tempel, deutscher Patriot,
Eh’ Du Dich in’s Sanktissimum geheuchelt,
Und eh’ Dein Kuß, Judas Ischarioth,
Die Freiheit, den Messias, rücklings meuchelt!

Nur wenige Monate später war Dingelstedt Hofrat und Legationsrat, hatte Amt, Titel und Band. Daß er ein anderer geworden sei, konnte selbstverständlich niemand glauben. Daß man seine Handlungsweise mit Strenge, mitunter sogar auf eine gehässige Weise beurteilte, ist nicht zu verwundern. Die zahlreichen Aktenstücke, welche in der letzten Zeit über seinen Charakter und sein Leben erschienen sind, besonders die Publikationen Julis Rodenbergs in der »Deutschen Rundschau« 1889 — 90, stellen seine Handlungsweise in ein milderes Licht, als das, worin sie den Zeitgenossen erschien. Sein Betragen war unschön und unfein, aber |395| nicht niedrig. An und für sich war es ihm ja durchaus nicht zu verübeln, daß er eine Stellung als Vorleser bei einem gebildeten und liebenswürdigen Fürsten annahm. Der Fehler war nur, daß er kurz zuvor den Mund so voll mit demokratischen Redensarten und radikalen Ausfällen genommen hatte, ohne irgend etwas Ernstes damit zu meinen.

Er war in hohem Grade eine Künstlernatur, aber zugleich in hohem Grade ein Verstandesmensch, war genußsüchtig und herrschsüchtig, außer stande auf die Länge der Zeit die Demütigung zn ertragen, arm und deshalb übersehen zu sein; er war vor allem von dem Eindruck ergriffen und stark ergriffen, daß er durch ein Fortschreiten auf der Bahn, die er betreten, ein métier de dupe triebe. Was gewann er dadurch, daß er aus doktrinärer Ehrbarkeit sich von allen angesehenen Stellungen und einflußreichen Plätzen zurückhielt? Was gewann die Welt dadurch, daß die Reichbegabten wegen einer Doktrin Titel, Geld, Orden, Ehrenposten und Ämter den Dummen überließen? War das ein Mittel, die Zustände zu verbessern? Was er begehrte war, auf einem künstlerischen Gebiete der Herrschende zu sein, große szenische Aufgaben auszuführen, große Theater zu leiten, an Höfen zu glänzen, von schönen Frauen bevorzugt zu werden. Würde er dies als landesverwiesener Gymnasiallehrer, als Korrespondent der »Allgemeinen Zeitung« erreichen können? Wer würde ihn auf die Dauer als armen und unabhängigen Journalisten achten, wer würde ihn dagegen auf die Dauer nicht als einflußreichen Hofmann verehren? Freilich würde man ein Geschrei erheben, wenn er dem Ruf folgte — hätte er nur nicht das verdammte Gedicht an Herwegh geschrieben! — aber worauf es hier ankäme, sei ja nur ruhige Unverblüfftheit, undurchdringliche Ironie, lächeldnde Kälte, eine Überlegenheit, welche die Gegner sich müde schreien ließ, und die befaß er.

Bekanntlich wurde er nicht nur ein Hofmann, sondern im Laufe der Jahre Direktor einer ganzen Reihe von Hoftheatern — |396| in Stuttgart, München, Weimar — und schließlich der mächtige Chef des Burgtheaters in Wien.

Heine, der nicht streng, sondern witzig war, schrieb das vergleichliche Gedicht über Dingelstedts »Verhofräterei«, welches anfängt:

Verschlechtert sich nicht Dein Herz und Dein Stil,
So magst Du treiben jedwedes Spiel,
Mein Freund, ich werde Dich nie verkennen,
Und sollt ich Dich auch Herr Hofrat nennen.

Dieses Gedicht enthält das wehmütigste Verständnis der Handlungsweise Dingelstedts und die bitterste Verachtung des Publikums, an an welches Dingelstedt, wie er selbst, sich wandte.

Wer ein scharfes und treffendes Bild von Dingelstedts geistiger Persönlichkeit sucht, sollte die in einer witzigen und malenden Prosa unter dem Titel »Münchener Bilderbuch« gegebene Schilderung seines Lebens, mit dem Gedichtcyklus, der den Namen »Ein Roman« trägt, vergleichen. Letzterer enthält weit mehr von seinem tiefsten Wesen als die Verse seiner frühen Jugend. Er hatte jedoch frühzeitig das gemischte Gefühl des Hingezogenseins zu der vornehmen Welt und der Geringschätzung derselben gekannt. Im Gedichte »Krähwinkel« hieß es über diese Gesellschaft:

Sie lügen, sie krakehlen,
Sie hassen sich bis aufs Blut,
Zum Morden oder Stehlen
Fehlt ihnen nur der Mut,
Sie möchten gern und wagen’s nicht,
Das heißt denn Recht und Pflicht,
Die denken können, sagen’s nicht;
Die meisten denken nicht.

Nun beschreibt er eine Leidenschaft in der Salonwelt.

Der Erzähler trifft auf einem großen Ball in England eine Dame aus den indischen Provinzen mit Hundublut in den Adern, doch sonst völlig europäisch; sie ist geistverwandt mit ihm, verstimmt |397| wie er, und kalt und müde. Zwischen ihnen entflammt ein Liebesverständnis.

Wir klammerten uns, ob aus Zeitvertreib,
Ob aus Verzweiflung, an einander an,
Sie, ein verlornes, neugebornes Weib,
Ich, ein verlorner, neugeborner Mann.

Das Wort »Zeitvertreib« ist ein wenig zu schlaff, wie das Wort »Verzweiflung« eine Nüance zu stark. Es liegt deutsche Naivetät in dieser all zu starken Betonung des Dandywesens und der Schwermut. Sicher ist indessen, daß eine Leidenschaft entsteht. Und der Roman folgt, heiß und wild, mehr Wollust als Liebe: Liebesnächte, Alkovenpoesie und der Welt gegenüber die harte Stirn des Cynismus — dann Losreißen und Lebewohl und Vergessen, bis in einem Treibhause in Amsterdam der Leichengeruch einer eingegangenen Lotospflanze ihn fast ohnmächtig macht. Er gedenkt ihrer und drückt das welke Blatt wie die Hand einer Leiche an seine Lippen.

Persönlichkeiten wie Dingelstedt sind Ausdrücke eines Zeitalters; sie illustrieren es, aber sie tragen es nicht. Sie sind nicht die Baumeister des Palastes, sie sind nur die Vergolder. Freilich zieht die Arbeit des Vergolders in weit höherem Grade das Auge an und mehr Augenpaare an als die Arbeit des Baumeisters, der den Grund legt und schon im Fundamente des Palastes all dessen Verhältnisse bestimmt; aber für das Gebäude bedeutet im Vergleich mit dieser Arbeit die seine nichts.

Diese Dichter, so genußfüchtig und oft so blasiert, in denen kein anderer Halt ist, als der einer politischen Überzeugung, die sie besingen, mit welcher sie Staat machen und die sie in der Regel verraten — sie haben soziale Bedeutung dadurch, daß sie Stimmung allgemeine politische Stimmung macheb. Sie beschleunigen dadurch die sonst so langsame Umbildung der Gesellschaft; aber diese äußere Umbildung selbst ist nicht die Hauptsache; das Politische ist nicht die zu innerst bewegende Kraft. Die äußere Um-|398|wälzung ist ein Ausschlag tieferer, der Oberfläche ferner liegender Bewegungen. Den größten Anteil daran hat vielleicht die stille Umformung der religiösen Lebensbetrachtung durch die Philosphie.

Und auf dem philosophisch-agitatorischen Gebiet ereignet es sich, daß gerade zu diesem Zeitpunkt, genau zwischen dem Erscheinen von Herweghs erster und zweiter Gedichtsammlung, gleichzeitig mit dem Erscheinen der ersten Gedichte Dingelstedts im Sommer des Jahres 1841, ein Denker epochemachend auftritt. Im Werke »Das Wesen des Christentums« gestaltet er große Gedanken aus, begründet und verkündigt eine Lebensansicht, die durch alles, was nach ihm von anderen geschrieben und geredet wird, im Falle sie überhaupt auf der Höhe der Entwickelung stehen, hindurchschimmert. Er ist der Eckstein, auf welchem wohl gegen zwanzig Jahre lang, von da an gerechnet, alle bauen und alles gebaut wird — Ludwig Feuerbach.

Wenn ich sage, daß er groß war, groß als Mensch wie als Denker, dann fühle ich selbst sehr wohl die Plattheit des Wortes. Wir haben es von der Länge und Breite in der Sinnenwelt geholt, und es macht keinen Eindruck; wir sind allmählich so stumpf dafür geworden, daß wir nichts mehr dabei fühlen. Sogar der sachliche Sinn für das Große ist unter uns nicht mehr besonders lebhaft. Er wird durch die naßkalte Weise der gewöhnlichen gelehrten Darstellungen der Wirksamkeit großer Männer erstickt. Wir werden den Großen allzunahe auf den Leib gerückt. Nimmt man eine Geschichte der Philosophie in die Hand, so findet man sie alle so geordnet nummeriert, daß sich einer fast wie der andere ausnimmt. Da stehen sie der Reihe nach, mit gleicher Achtung und gleichem Interesse behandelt, Schelling, der ein Genie und ein Charlatan, Trendelenburg der ein Talent und ein konservativer Politiker, Strauß, der ein Denker zweiten Ranges und ein Stück von einem Pedanten, Karl vogt, der ein Talent und ein Wanderredner, Lotze, der ein Professor der Philosophie, ein ausgezeichneter Professor, aber nicht mehr war, |399| und unter diesen allen befindet sich Feuerbach mit vielen anderen gleichgestellt in Einer Rubrik, vielleicht gar als einseitig Stümpern untergeordnet, die sich Wirklichkeitsidealisten oder ähnliches genannt haben. So etwas demoralisiert.

Er war groß. Das heißt: es ist um ihn herum nach allen Seiten hin ein großer offener Raum. Das heißt ferner, daß, wollen wir ihn verstehen, wir erst alle diese und all dies, was in Lehrund Handbüchern sich um ihn herum drängt, abschütteln und ausscheiden müssen. Daß er groß ist, bedeutet, daß er sich auf einem andern Niveau befindet. Sind uns die Augen für die Gestalt, wie sie dort einsam steht, aufgegangen, dann stellt die Ehrfurcht Von selbst sich ein.

Denn so einfach er auch im Verhältnis zu seinen Freunden war, so liegt doch über dieser Gestalt ein ungeheurer Ernst. Man betrachte nur dieses Gesicht, in dem alles Stil, der strengste, energischste Stil ist, und alle Züge die Züge des Genies sind; es ist Stil in der mächtigen Stirn, in den kleinen Augen, in dem großen fächerförmigen Bart; es liegt Macht darin, Macht und Hoheit, und die männlichste Schönheit, bronzeartig barsch.

Selbst ein Genie, entstammt er einem Geschlechte von lauter reichbegabten Menschen: der Vater, Deutschlands erster Kriminalist, der Bruder, die Schwester, der Brudersohn, sie alle waren genial. Er wird im Jahre 1804 in Landshut geboren, studiert in Heidelberg, wird Theologe, zuerst gläubig, dann kritisch, demnächst Philosoph, zuerst abstrakt, dann immer mehr wirklichkeitsliebend. Er veröffentlicht anonym seine »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit« welche konfisziert, dann freigegeben werden. Nachdem man erfahren, daß er Verfasser dieses Werkes sei, werden wiederholentlich seine Gesuche um eine Professur in Süddeutschland abgeschlagen; späterhin wird eine Reihe von ihm unternommener ähnlicher Versuche, durch Fürsprache gelehrter Männer die Stellung eines Universitätslehrers in Berlin, Frankreich, der Schewiz und in Griechenland zu erhalten,

|400| vereitelt. Er führt dann vom Jahre 1836 an ein stilles Privatleben (bis 1860 in Bruckberg bei Ansbach, später in Rechenberg bei Nürnberg), in seinen reiseren Jahren sogar ein Einsiedleben dem Lande. Er steht in lebhaftem Briefwechsel mit gel- Freunden und Männern aus dem Volke (wie mit jenem Konrad Deubler im Salzkammergut), welche mitunter seine Schriften desser verstehen und tiefer nachempfinden, als die sogenannte gebildete Welt es that. Im Jahre 1837 verheiratete er sich mit seiner Jugendgeliebten. Eine Begebenheit, die in seinem intimen Leben Epoche machte, war die von ihm erwiderte Leidenschaft, welche anfangs der vierziger Jahre ein junges Mädchen, die Tochter eines seiner Freunde, für ihn hegte, und wovon sie sich verzehren ließ.

Vorlesungen hat er nur ein einziges Mal gehalten, im Jahre 1848 in Heidelberg, doch nicht an der Universität, wo man ihn fürchtete und mied, sondern privat. Seine Freunde hatten im Jahre 1842 versucht, eine Anstellung in Heidelberg für ihn zu erwirken; anfangs sprach der Gedanke ihn an, später wehrte er sich aufs entschiedenste dagegen, daß man diesen Plan in Ausführung bringe: »Mich zum Professor machen wollen und zwar auf ordinäre Weise, wie es jeder Tropf werden kann, heißt, mich den Tröpfen, die gegenwärtig figurieren, gleichstellen, mich verletzten, mich blamieren . . .Mein Kopf gehört nicht auf das Katheder oder gar auf die Kanzel. Er gehört — weißt Du wohin? — rate: aufs Schaffott, denn mein Kopf ist so entscheidend und scharf wie das Schwert eines Scharfrichters, und ich selbst habe nur die Luft und die Kourage zu Handlungen, wo es gilt, den Kopf aufs Spiel zu setzen.«*)*

*) Briefwechsel zwischen Feuerbach und Christian Kapp. 1876. S. 176.
Der Freund hatte ihn aufgefordert, sein Werk »Wesen des Christentums« lieber »Wesen der Theologie« zu nennen. Er antwortet: »Der Sturz der Theologie ist eine höchst untergeordnete Nebensache. Ich habe es nur mit welthistorischen Wesen |401| zu thun . . . Aufs Haupt muß man schlagen, aus Prinzip muß man negieren. Handeln heißt enthaupten — mit dem Entschluß, sich dafür selbst enthaupten zu lassen.«

Das ist eine festere Sprache und eine andere Anschauungsweise, als die der Poeten. Saint Reue Taillandier hatte einen Widerspruch darin finden wollen, daß Feuerbach mit diesen Ansichten nicht an der revolutionären Bewegung des Jahres 1848 teilnahm. Er antwortete darauf: »Herr Taillandier! Wenn wieder eine Revolution ausbricht und ich an ihr thätigen Anteil nehme, dann können Sie zum Entsetzen ihrer gottesgläubigen Seele gewiß sein, daß diese Revolution eine siegreiche, daß der jüngste Tag der Monarchie und Hierarchie gekommen ist. Leider werde ich diese Revolution nicht erleben. Aber gleichwohl nehme ich thätigen Anteil an einer großen und siegreichen Revolution, einer Revolution aber, deren wahre Wirkungen und Resultate sich erst im Laufe von Jahrhunderten entfalten. Denn nach meiner Lehre, welche keine Götter und folglich auch keine Wunder auf dem Gebiete der Politik kennt, nach meiner Lehre, von der Sie aber so viel wie gar nichts wissen und verstehen, ob Sie sich gleich anmaßen, mich zu beurteilen, statt zu studieren, sind Raum und Zeit die Grundbedingungen alles Seins und Wesens, alles Denkens und Handelns, alles Gedeihens und Gelingens. Nicht weil es dem Parlament an Gottesglauben fehlte, wie man lächerlicherweise in der bayerischen Reichsratskammer behauptet hat — die meisten wenigstens waren Gottesgläubige, und der liebe Gott richtet sich doch auch nach der Majorität — sondern weil es keinen Ortsund Zeitsinn hatte, deswegen nahm es ein so schmähliches, so resultatloses Ende.«*)*

*) Wesen der Religion. S . VII.

So viele Entwickelungsstadien Feuerbach mit seinem immer zunehmenden Interesse fur das sinnlich Wirkliche auch durchlaufen hat und soviel auch mit Recht über die Verschiedenheit seiner Stand-|402|punkte gesagt werden kann, so ist sein Hauptgedanke, der wie der Schlüssel des Gewölbes alles trägt und hält, doch ebenso einfach wie groß. Es ist dieser: Der Mensch kann sich nicht eines Wesens bewußt werden, das höher ist als sein eigenes. Wenn der Mensch sich seiner selbst, d. h. seines Wesens, als endlich einem Wesen gegenüber, das als unendlich begriffen würde, bewußt werden könnte, so würde der Mensch in seinem Bewußtsein sein eigenes Wesen begrenzen, d. h. negieren. Das Bewußtsein des Menschen würde also über das Wesen desselben übergreifen, aber dies ist unmöglich; denn Bewußtsein ist nichts anderes als Selbstbestätigung des Wesens.

Anstatt wie Hegel zu sagen: das Bewußtsein des Menschen von Gott ist Gottes Selbstbewußtsein, sind wir dann gezwungen zu sagen: das Bewußtsein des Menschen von Gott ist des Menschen Selbstbewußtsein; die Religion ist die erste und indirekte Selbsterkenntnis des Menschen.

Es wird von allen Seiten eingeräumt, daß Gott unvermeidlich durch menschliche Prädikate bestimmt werden muß: Gott ist Liebe, Gott ist Güte, Wärme, Licht u. s. w. Aber das Subjekt ist ja nur das personifizierte Prädikat; das Prädikat ist das Ursprüngliche. In Wirklichkeit ist der Sinn der Religion also der folgende: die Liebe ist göttlich, d. h. unbedingt wertvoll, anbetungswürdig; Güte, Wärme, Licht sind göttlich.

Der Glaube an Gott ist also der Glaube an das menschliche Wesen als Grundwesen der Natur.

Der scheinbare Grundsatz der Religion ist zwar: Ich bin nicht im Vergleich mit Gott; ihr wirklicher ist aber: Alles ist nichts im Vergleich mit mir, alles ist Mittel für mich. Kraft des Gebetes und der Wunder habe ich durch Gott als Zwischenglied das All zu meiner Verfügung. Gott entspringt dem Wunsche. Da der Grundwunsch im Christentume unbegrenzter Genuß, Seligkeit ist, so ist Gott das Mittel dazu, die Seligkeit zu erreichen, oder genauer: Seligkeit und Gottheit sind eins.

|403| Mit einem Worte: Theologie ist Anthropologie, das theologische Problem ist ein psychologisches Problem — von Feuerbach in allem wesentlichen für alle folgenden Zeiten gelöst.

So gesehen, steht sein Lebenswerk wie eine Einheit da. Läßt diese sich auch nicht so kurz, in wenigen hingeworfenen Worten ausdrücken, so drängt sich in der Empfindung doch leicht zu einem, einem einzigen zusammen, was die Menschheit ihm verdankt.

Wenn ein junger Mann, im Pantheon zu Rom stehend; sich in den Anblick dieser Kuppel, der schönsten der Welt, verliert, so zieht ihm leicht der Wunsch durch das Gemüt: wer doch, wie der Baumeister dieses Tempels, einmal in seinem Leben eine solche einfache und doch große Idee hätte, wie die, welche dieser Kuppel zu Grunde liegt — wer doch ein solches einfaches Grundverhältnis, eine einfache und doch zusammengesetzte Formel entdeckte, die in ihrem innern Reichtum sich zu einer ganzen Grundansicht, zu einem Umfange von dieser Größe, einem ganzen Himmelsgewölbe im kleinen ausspannen ließ! Ein solcher Gedanke in seiner ursprünglichen Einfalt und in dem Reichtum seiner Ausführung würde zu einem großen Menschenleben genügen.

Einen solchen Grundgedanken hat Feuerbach gehabt.

Du kan slå ord fra Brandes' tekst op i ordbogen. Aktivér "ordbog" i toppen af siden for at komme i gang.