Das junge Deutschland (1891)

|[370]| XXV

Dennoch war und blieb Friedrich Wilhelm der Vierte der reichste König des damaligen Europas; er legte in seinen l haltungen scharfen Verstand und lebhafte Phantasie an den Tat ging immer von der Vorstellung aus, daß er königlich emps müsse. Seine veröffentlichten Briefe und Billette an Humboldt witzig, im lustigen Hosjargon ges chriebenz seine Äußerungen ve1 immer schnelle Auffassung, leicht erregbares Mitgefühl, schlag Witz.*)*

*) Beispiele der Art und Weise dieses Witzes: Wenn der Konig im Theater war, warteten die Lakaien vor der Logenthüre. Als der Konig eines Abends verdrießlich über die Langweiligkeit eines neuen Stückes vor Schluß der Vorstellung seine Loge verlie, sah einer der Lakaien auf dem Futzboden des Korridors, gegen die Logenwand gestützt, und schlief. Anstatt zu zürnen, sagte der König: Der hat gehorcht! — Der König mußte im Jahre 1848 nach dem Siege der Revolution eine Deputation nach der andern, mitunter anspruchsvolle und anmaßende Deputationen von einfachen Leuten empfangen. Er wendete sich an jedes einzelne Mitglied einer solchen: Was sind Sie? — Seiden- und Tuchwarenhändler, Majestät! — Interessante Beschäftigung! — Und Sie? — Angehender Arzt! — Vortreffliche Vorschule zur Regierungswirksamkeit! — u. s. w. immer lächelnd und höflich mit der giftigsten Ironie. (Von einem Anwesenden erzählt.)
Man kann auch nicht sagen, daß er in keinem Verh zur Litteratur und zum Geistesleben der damaligen Zeit gest habe; aber seine Bestrebungen gingen ausschließlich darauf hi die »guten« Kräfte in der Litteratur heranzuziehen und die »s· ten« zu entfernen, und er rechnete gar bald zu den letztere oppositionellen Elemente.

|371| Bei Hofe war von Anfang an Alexander von Humboldt die dominierende litterarische Macht. Er war achtzig Jahre alt, der berühmteste Naturforscher des Zeitalters, über die ganze Erde berühmt; er hielt den König über die geistigen und wissenschaftlichen Bestrebungen der Zeit auf dem Laufenden. Die freisinnigen Staatsideen seines Bruders waren zwar verdrängt, und sein eigener politischer Freisinn konnte sich bei Hofe nicht Luft machen; er, dem Aberglaube und Reaktion in gleich hohem Grade ein Greuel waren, mußte zu vielem schweigen, was ihm zuwider war; bisweilen jedoch erlaubte er sich eine freie Sprache zu führen.*)*

*) Der König war seiner Zeit von den Mysterien des Tischrtickens sehr erfüllt, aber bei Hofe wollte es lange nicht gelingen, einen Tisch zum Tanzen zu bringen, was Humboldt nicht eben wundernahm. Endlich eines Tages empfangt ihn der Konig mit dem Ausruf: Na, was sagen Sie jetzt, gestern Abend saßen wir erst eine halbe Stunde lang am Tisch, ohne daß er sich ruhrte, dann begann er sich mit immer groherer Geschwindigkeit herumzuschwingen. Wie erklären Sie das? — Ei, Majestät, der Klugere giebt nach. (Von Humboldt selbst erzählt.)
Aber als Schmuck des Hofes und Stolz des Staates war er in der Umgebung des Königs immer geehrt, und er gebrauchte seinen Einfluß, um in großem Umfange für wissenschaftliche Zwecke zu wirken und manchmal ein gewichtiges Wort für den einen oder den andern verfolgten Schriftsteller einzulegen. Vor dem Jahre 1848 war, wie die Briefe bezeugen, der Ton des Königs ihm gegenüber derjenige einer scherzenden Vertraulichkeit, obgleich keine tiefere Sympathie die beiden Männer verband. Nach dem Jahre 1848, als die Kreuzzeitungspartei am Hofe alleinherrschend wurde, gab Humboldt nicht selten seinem Mißmut über den verlorenen Einfluß Luft in Wendungen wie: »Der König ist nicht mehr amüsabel« oder »der König verharrt in unfruchtbarer Liebe zu Personen, denen er wohlwill«. Leicht umgänglich war er nicht bei Hofe; oft war er spöttisch, heftig, wenn Rankes politische Meinungen mehr als die seinen gelten sollten; bei vielen, darunter der Königin, war er wegen seiner Vorliebe |372| für Ludwig Philipp und dessen Familie wenig beliebt. In der Regel las er laut vor, alles Mögliche, nur niemals etwas sich selbst; am häufigsten las er aus dem Journal des Débats, während der König architektonische oder landschaftliche Skizzen entwarf.

Ein anderer Vorleser der königlichen Familie war der von Dresden nach Berlin berufene Tieck. Obgleich jünger als Humboldt, fühlte er sich infolge körperlicher Schwäche durch den Zwang des Hoflebens stark belästigt. Er trug gerne Shakespeare und Kleist vor. Der König ließ sein altes Märchenschauspiel »Der gestiefelte Kater« in Berlin aufführen. Es wirkte, als sähe man ein Gespenst aus längst entschwundenen Tagen. Auf des Königs Auusforderung brachte er die »Antigone« von Sophokles auf die Bühne, und Mendelssohn schrieb die Musik dazu. Doch Tieck war nur einer der Invaliden des Hofes. Speiste der Hof im Garten zu Sanssouci, so fürchtete er sich, selbst an den wärmsten Tagen, vor Zug.

Ein anderer vormals berühmter Dichter aus der romantischen Zeit, den der König nach Berlin, wo er bald darauf verschied, berief, war La Motte Fouqué. Er war damals Mitte der Sechziger, hatte sich aber bereits vollständig überlebt. Seine Heldenromane kamen dem jüngeren Geschlechte vor, als gehörten sie einer früheren Erdperiode an. Man war des Ritterwesens und des Minnedienstes in kindlich konventionellen Formen müde; das Unhistorische in seiner Anschauungsweise vergangener Zeiten und das Duckmäuserartige seiner Frömmigkeit rief den Spott hervor. Ohne den Beistand des Königs wäre er nicht nur schon bei Lebzeiten vergessen gewesen, sondern auch in Armut gestorben.

Einen großen Dichter, der nicht der romantischen Zeit entstammte, rief der König im Jahre 1841, besonders auf Warnhagens Empfehlung hin, nach Berlin. Das war Friedrich Rückert (1789-1865). Er war nur etwas über fünfzig Jahre alt, gehörte aber gleichwohl dem Zeitalter nicht an. Er stand in der Litteratur |373| der damaligen Zeit da als ein Ausdruck der unter allen Verhältnissen unveränderten deutschen Universalität, dieser Fähigkeit der allseitigen Aneignung, des Einsaugens und Nachahmens der Eigentümlichkeiten aller Völker. Er schüttelte sein lebenlang mit einer Virtuosität, die in Erstaunen versetzt, Gedichte aus dem Ärmel. In seiner Jugend wurde er von Joseph von Hammer-Purgstall in die arabische, persische und türkische Litteratur eingeführt; ums Jahr 1826 wurde er als Dozent der morgenländischen Sprachen in Erlangen angestellt, aber seiner Pflicht, Vorlesungen zu halten, suchte er soviel als möglich sich zu entziehen.

Es liegt in seinem Wesen etwas, das an den Stil Goethes in der Diwanperiode erinnert, und etwas, das von den Brüdern Schlegel mit ihrem rastlosen Forschen und Übersetzen zu stammen scheint. Schon in seiner Disputation vom Jahre 1811 »Über das Wesen der Philologie« merkt man den Einfluß von dem Werke Fr. Schlegels über die Weisheit der alten Juden indem er hier von dem Begriffe einer »Universalpoesie«, für welche er die deutsche Sprache als das ansprechendste Gewand betrachtet, ausgeht. Und es ist eben Universalpoesie, was dieser große Stilvirtuose gegeben hat. Er debütiert mit »Geharnischte Sonette« in geschliffenen aber gesuchten Formen als deutscher Patriot. Dann folgen in einer Sammlung nach der andern vielleicht fünf bis sechshundert Liebesgedichte an verschiedene junge Mädchen; am reichhaltigsten ist die letzte Sammlung »Liebesfrühling«, an seine Verlobte Luise Witthaus gerichtet. Diese Gruppe ist in Rückerts Werken die einzige, in welcher das Gefühl vorherrschend ist. Sonst ist er ein in lyrischen Formen lehrender Dichter, hier ist er Sänger. Aber selbst hier hindert die feste scheinatische Form — wie in den Kanzonen des Südens — den naiven Ausbruch des Gefühls, und hier schon offenbart sich die Reigung Rückerts, seine Herrschaft über die Sprache zu entfalten in der Erneuerung des Wortmateriales und in einem zwanglosen Verschlingen der Worte ganze Strophen hindurch, wie es noch nicht dagewesen war:

|374|Welche Heldenfreudigkeit der Liebe,
Welche Stärke mutigen Entsagens,
Welche himmlisch erdentschwungne Triebe,
Welche Gottbegeistrung des Ertragens!
Welche Sicherhebung, Sicherniedrung
Sichentäußrung, völl’ge Hinsichgebung,
Seelenaustausch, Ineinanderlebung!

So etwas hat mehr sprachliches und technisches als rein poetisches Interesse. Aber Rückert ist eben auch als Dichte der Philologe. Seine herrschende Fähigkeit ist die rein sprachliche in ihrem Doppelwesen: die Fähigkeit, die Sprachen zu erlernen und in ihren Geist einzudringen, und die Fähigkeit, kraft des tiefsten Eindringens in die Geheimnisse der eignen Sprache, die vorzüglichsten Poesieen der fremden Sprachen durch Neudichtung ins Deutsche zu übertragen. Es war seine Lust, sich sprachliche Schwierigkeiten zu erschaffen, um sie zu überwinden. Deshalb sehen wir ihn bald in altdeutschem Stil mit langen Albrecht Dürerschen Locken, bald als jungen Offizier aus der Zeit der napoleonischen Kriege auftreten, hören ihn bald als Araber mit wunderbarer Kunst uns Hariris Makamen erzählen, bald als Perser seine Reime in die Formen der Ghasele schmiegen oder sehen ihn das Heldengedicht von Rostem Suhrah neu erschaffen. Bald schreitet er als Türke in Kaftan und Turban, bald als Chinese in Filzschuhen und mit dem Zopfe einher, bald und am liebsten sehen wir ihn an den Ufern des heiligen Ganges als Brahmanes sitzen und hören ihn eine sprudelnde Lebensweisheit verkünden, welche tausend goldene Regeln in klingenden Versen giebt. Was von Théophile Gautier oft gesagt worden, daß er als Geist in dem alten Ägypten wie im modernen Rußland, in Konstantinopel wie in Sevilla zu Hause war, daran ist nur wahr, daß er die Klimate und die Denkmäler der fremden Gegenden kannte; es gilt aber in weit tieferem Sinne von Rückert, der die Menschen in den verschiedenen Litteraturen begriff, ihre Sprache verstand und in ihrem Geiste fühlte. Er hat die fremden Länder nicht mig Augen |375| gesehen, er hat daher nichts von Gautiers Anschaulichkeit, nichts von seiner Farbe und Plastik, aber er hat die sanftmütige, innere Kontemplation und das Gedankenbild, den Denkspruch in einer Fülle von metrischen Formen. Derjenige, welcher vorzügliche Proben seiner Kunst haben will, lese zum Beispiel in Hariris Makamen den Abschnitt »Jungfrau und Junge Frau« und die ganze »Weisheit der Brahmanen«.

Diese Arbeiten hatten Rückert ein großes Publikum auch in Berlin verschafft, aber die Stadt mit ihrem unruhigen Getriebe war ihm zuwider. Er sollte morgenländische Sprachen an der Universität dozieren, doch nur die ersten Male füllte die Neugier seinen Lehrsaal. Bald unterließ er’s ganz, in den Vorlesungssaal zu gehen, weil sich dort nur zwei bis drei Zuhörer einfanden. Er stieg sozusagen von seinem dritten Stock in der Behrenstraße nie herab, sondern saß da oben und schrieb Gedichte, worin er seinen Abscheu vor Berlin mit dem modernen, pulsierenden Leben der Großstadt unverhohlenen Ausdruck gab. Selbst das Berlin des königlichen Romantikers war diesen Größen der Vergangenheit zu modern.

Etwas später berief der König den Dichter Christian Scherenberg zu sich. Seine Gedichte, besonders seine Schlachtengemälde »Waterloo«, »Abukir« sprachen bei Hofe an; er mußte sie vorlesen. Scherenberg, der noch als achtzigjähriger Greis ein liebenswürdiger, gern gesehener Gast in Berliner Kreisen war, wurde im Jahre 1798 geboren. Sein Leben war ein harter Kampf gewesen. In den Jahren 1838——40 bewohnte er nach der Auflösung seiner unglücklichen Ehe eine Wohnung in dem kleinen Eckhause der Bendlerstraße dem Thiergarten zu; er war so arm, daß er nicht daran denken konnte, Feuerung zu kaufen, sonder seine Kinder in den Thiergarten hunausschicken mußte, um Reisig zu sammeln. Er schrieb sowohl Gedichte wie Trauerspiele und Luftspiele, fand nie einen Verleger, bewahrte aber so vollständig Haltung eines Gentleman, daß seine |376| Verwandten in Stettin seinen »Erfolg« pseudonym glaubten, un ihn baten vor seiner Familie »seine Maske zu heben«. Was seine Feder ihm einbrachte, das war, was er für Abfassung von Bittschrifter und für bogenweises Abschreiben von Manuskripten erhielt; im übrigen lebte er davon, als Hilfslehrer den Kindern der Gärtnerfamilien in der Nachbarschaft Stunden zu geben, die nach Übereinkunst fast ausschließlich mit Kartoffeln honoriert wurden. Fontane hat in Scherenbergs Leben die niedliche Geschichte erzählt, wie man in der Bendlerstraße sich der Hoffnung hingegeben hatte, daß ein lang auf sich warten lassendes Honorar sich zum Osterfeste in Gestalt eines saftigen Kalbsbratens einfinden werde, und wie der Schüler in seinem unschuldigen Wohlwollen statt dessen eine Lerche in einem kleinen grünen Käfig brachte. Am Ostermorgen 1840 trug Scherenberg dann eigenhändig die Lerche aufs Feld hinaus, öffnete ihren Käfig und schrieb das schöne Gedicht, in welchem eine Strophe lautet:

Du, Vöglein, singst, das ist das Deine,
Hub leise ich zur Lerche an,
Ich geb Dich frei, das ist das Meine,
Ein jeder bete, wie er kann.
Die Lerche gab der arme, durch Nahrungssorgen gebundene Poet wieder frei, aber die kleine graue Wasserkruke des Käfigs behielt er zur Erinnerung, und erhob sie zu seinem Dichtertintenfaß.

Nun hatten die Gedichte Glück gemacht und der König wollte den Poeten sehen. Die frische Originalität und knorrige Energie seiner Schlachtengemälde entzückten den König. Scherenberg erzählte über diese Hofvorlesungszeit nie ohne zu erwähnen, wie angenehm die der Vorlesung vorausgehende halbe Stunde in dem Zimmer seines Gönners, des Grafen Bismarck-Bohlen, gewesen sei; da habe man gescherzt und Zigarren geraucht und sodann, weil der König den Tabaksgeruch verabscheute, durch eine Eau de Colognetause denselben vertrieben. Es gab viele Jahre später in Berlin einen anderen |377| Potentaten, zu dessen Hof sich Scherenberg rechnete. Das war Ferdinand Lassalle; bei ihm traf er lebhaftere Gesellschaft, und dort machte er sich gerne über seine Protektoren bei Hofe lustig. Es lag in seinem Wesen, den Mantel ein wenig auf beiden Schultern zu tragen. Bei Hofe wußte man davon, und nahm es ihm nicht allzu übel.

Ein gern gesehener Gast am preußischen Hofe, wie an anderen Höfen, war schließlich der Fürst Hermann Pückler-Muskau, wenn er sich in Berlin als Gast seiner hochgeliebten, geschiedenen Gattin aufhielt. Er war schön, elegant, vornehm, ges chmeidig, gewann die Männer durch seine Heiterkeit und sein Feuer, die Frauen durch die Anmut seines Wesens; er galt für unwiderstehlich und allein die Reihe berühmter Frauen, die sich in ihn verliebt haben, ist lang: Sophie Gay, Henriette Sontag, Bettina, Gräfin Ida Hahn-Hahn u. s. w. Er gehört durch sein geistiges Gepräge, ungefähr wie der Fürst Ligne vor ihm, der internationalen Aristokratie Europas an. Seine Lust zu glänzen, schloß in keiner Weise eine richtige Erkenntnis der Begrenzung seiner Gaben, nicht einmal wahre Bescheidenheit aus. Er war ein geistvoller Vagabund, in der Weise sein Leben zu führen ein wahrer Künstler, außerdem auf einem einzelnen Gebiete ein Künstler von Fach. Er war es, der in Deutschland mit dem steifen französischen Geschmack in der Anlage von Gärten brach und die Natur wieder in ihre Rechte einsetzte. Sein Park in Muskau wurde bald ein Mustergarten für Europa.

Er erlebte nicht nur flüchtige Abenteuer in sehr großer Anzahl, sondern sogar die Geschichte seiner Ehe ist ein Liebesabenteuer. Er hatte sich auf einmal in zwei junge Mädchen, die Töchter des Reichsgrafen von Pappenheim, welcher mit der Tochter des Kanzlers Fürst Hardenberg verheiratet war, verliebt. Aber die Mutter, die damals vierzig Jahre alt, neun Jahre älter als er war, wurde von einer so glühenden Leidenschaft für ihn erfaßt, daß sie ihn damit anfeckte. Sie gab alles auf, um die Seine zu werden, und er |378| heiratete sie, doch unter Vorbehalt seiner unbedingten erotischen Freiheit. Das Verhältnis entwickelte sich glücklich. Aber nach Verlauf von zehn Jahren ließ sich das Paar nach freundschaftlicher Übereinkunft in der Hoffnung scheiden, daß der Fürst eine reiche Erbin gewinnen und durch sie seine zerrütteten Vermögensverhältnisse wieder ordnen könne. Dann begiebt er sich auf den Weg, zuerst nach London, danach ringsherum in Deutschland. Gewissenschaft unterrichtet er täglich seine geschiedene Frau, seine Lucie, von den Fortschritten, die er macht, und von den Schwierigkeiten, die ihm seinem Bestreben, eine reiche Erbin zu kapern, begegnen. Als der Versuch mißlingt, kehrt er zu seiner Lucie zurück und verlebt aufs neue einige Jahre im liebevollen Verkehr mit ihr, geht dann wieder auf Reisen und kommt nach Verlauf von ungefähr sechs Jahren mit einer entzückenden kleinen Sklavin, Machbuba genannt, zurück. Die Fürstin war nicht eben damit einverstanden, daß er dieses Mädchen seinen Aufenthalt in Muskau nehmen ließ, ob sie sich’s sonst zur Regel gemacht hatte, ihn nie mit Eifefucht zu plagen. Sie bewahrte, siebzig Jahre alt, ihre anbetende Liebe zu ihm, und er war ihr gegenüber immer die Güte, die Offenheit und Herzlichkeit in Person.

Fürst Pückler hatte nie daran gedacht, sich zum Schriftsteller auszubilden. Aber ums Jahr 1830 bekam er den Einfall, die Briefe, welche er an Lucie während seiner fruchtlosen Brautfahrt geschrieben hatte, anonym herauszugeben, und der in der deutschen Litteratur so seltene Weltton dieser Briefe, die reizende Nachlässigkeit der Darstellung, welche darauf beruhte, daß die Briefe nicht für den Druck berechnet waren, das Gemisch von geistiger Überlegenheit und Frivolität sprach im höchsten Grade an. Wie schon oben (Seite 112 angedeutet, glaubten viele, daß Heine der Verfasser dieser Briefe sein müsse. Der Autor war bis zum äußersten modern, gründlich blasiert, plitisch weitgehend liberal, im großen wie im kleinen völlig vorurteilsfrei.

|379| Für uns Jetztlebende haben die vier Bände »Briefe eines Verstorbenen« ungefähr denselben Wert, wie die reizenden vier Bände »Lettres parisiennes du Vicomte de Launay« von Frau de Girardin. Sie ist frischer und schreibt weit besser als der Fürst. Er hat kosmopolitische Erfahrungen aus Gesellschaftskreisen und Ländern, von denen sie nichts weiß. Man lese z. B. als Probe seines Stils die anspruchslose Wiedergabe seines Gespräches mit Goethe in Weimar, welche sich im dritten Bande seiner Briefe vorfindet. Seine begeisterte Ehrfurcht vor Goethe macht den Eindruck der Echtheit, Goethes Antwort auf seine Artigkeiten nicht weniger. Goethe hat gleich das Gespräch auf Muskau (welches nur mit M. bezeichnet ist) gelenkt und das Verdienstvolle darin, wie Pückler den Sinn für das Schöne zu erwecken, hervorgehoben: Jeder solle nur in seiner Sphäre, sei sie groß oder klein, treu und mit Liebe arbeiten, dann schreite man vorwärts zum allgemeinen Wohl. Er für seinen Teil habe nichts anderes gethan und Pückler thue ja dasselbe zu Muskau.

Pücklers darauf folgende zahlreiche Bände voll Reisebeschreibungen lassen uns ganz kalt. Ihnen fehlt das Ursprüngliche der ersten Briefsammlung und in noch höherem Grade das litterarische Talent, das es allein ersetzen könnte. Aber sie sprachen die Zeitgenossen, ungefähr bis zum Jahre 1844, in ebenso hohem Grade wie die ersten Bände an, und die Popularität des Verfassers erreichte eine erstaunliche Höhe; allenthalben war er, ungefähr wie Franz Liszt, bekannt und bewundert. Heine widmet ihm noch im Jahre 1854 seine »Lutetia« in einer begeisterten Vorrede, worin er ihn »mein hochgefeierter und wahlverwandter Zeitgenosse« anspricht. Und Varnhagen sagt in seinen Tagebüchern vom 7. Juli 1839: »Fürst Pücklers Name wirkt doch wie ein Zauber auf die Leute. Doe große welt in allen Nationen lauscht mit Spannung, sobald von ihm die Rede ist. Er hat einen gewaltigen Ruhm und je klüger einer ist, um so mer schätzt er ihn.«

Schon im Jahre 1834 hatte Varnhagen von ihm gesagt, er |380| habe etwas mit dem jungen Deutschland, und zwar das Wesentlichste gemein, nämlich die vollkommene Geistesfreiheit, und später gebrauchte er von ihm den Ausdruck, er repräsentiere in der modernen deutschen Litteratur das Oberhaus, wie Heine das Unterhaus.

Pückler hegte eine ritterliche Ergebenheit für das Haus Hohenzollern und näherte sich dem König, so oft er in Berlin war. Er erkannte Friedrich Wilhelms des Vierten Bildung und Witz an. Da er indessen in religiöser Hinsicht ein entschiedener Voltairianer war, der in einem Priester niemals etwas anderes als einen Heuchler sehen konnte, und dem alle unklare Frömmigkeit eine Pest war, so mußte das Romantische im Charakter des Königs notwendigerweise sehr abstoßend auf ihn wirken. Wie Humboldt zog es ihn vom Hofe weg zu Varnhagen, dem klugen Beobachter und Kritiker, der vergessen in seinem Winkel saß und in seinem Journale — ein Tagebuch, in Sainte-Beuves Manier geführt — die Geschicht der Zeit schrieb. Und in den späteren Jahren wurde auch er ein beständiger Gast bei Lassalles kleinen Mittagsgesellschaften, wo er gerne das Wort führte; es hieß, daß er der einzige sei, dem Lasalle die Unterhaltung zu beherrschen gestattete.*)*

*) A. de Reumont, Aus König Friedrich Wilhelms des Vierten gefunden und kranken Tagen. — Briefe Alexander von Humboldts an Varnhagen von Ense. — Varnhagen von Enses Tagebücher. — Hillebrand, Zeiten, Völker und Menschen. Zweiter Band.

Fügt man den genannten Schriftstellern noch den alten, früher als Demagogen verfolgten Arndt, den Friedrich Wilhelm der Vierte nach Berlin berief, hinzu, so find dies die romantischen, konservativen, neutralen oder aristokratischen Schriftsteller, welche an seine Person zu knüpfen es dem mächtigsten unter den Königen des eigentlichen Deutschlands gelang. Man sieht, wie lange und wie fest. Und selbst gegen die Schriftsteller, die nur den Hof und die Machthaber streiften, wendete sich die Opposition; wir haben gesehen, daß Herwegh seine erste Gedichtsammlung mit einer wutschnaubenden |381| Herausforderung an den Fürsten Pückler eröffnete. Ja, selbst Arndt verschonte er nicht mit seinem Spott — er nannte ihn ein Abendrot, das die junge Welt nicht mehr erleuchten könne — und empfing von Freiligrath eine poetische Zurechtweisung dafür.

Freiligrath war der einzige von den jungen Dichtern, den der König sich gleich, 1841, verpflichtete. (Geibels nahm er sich erst ein paar Jahre später an.) Der General von Radowitz bewunderte nämlich das Gedicht »Löwenritt« trotz dessen Unnatur, gewann den König für Freiligrath und verschaffte diesem eine Pension von 300 Thalern jährlich aus der königlichen Schatulle. Doch als Herwegh sich nicht damit begnügte, sich über den Dichter in Zeilen wie den folgenden lustig zu machen:

Mir wird von alledem so dumm,
Als ging mir ein Freiligrath im Kopf herum,
sondern in seinem »Duett der Pensionierten« schrieb:
Geibel: Bist Du’s?
Freiligrath: Ja, willst Du mich kennen?
Ja, ich bin es in der That,
Den Bediente Bruder nennen,
Bin der Sänger Freiligrath —
da verzichtete Freiligrath auf die Pension. Und nun vollzog sich seine vollständige politische Bekehrung. Mit immer steigender Leidenschaft schloß er sich in den Gedichtsammlungen »Ein Glaubensbekenntnis« (1844) und «Ça ira« (1846) der revolutionären Partei an, deren gefeiertster Dichter er wurde. Gleich nach dem Erscheinen der ersten Sammlung mußte er schleunigst von seinem Aufenthaltsorte Sankt Goar am Rhein nach Brüssel entfliehen; von dort ging er nach London, um hier als Kaufmann thätig zu sein.

Wie groß seine Popularität schon damals war, zeigt folgende Anekdote: Von Brüssel aus unternahm Freiligrath einen Ausflug nach Antwerpen; dort lag ein Dreimaster, nach Kanton bestimmt, den der Dichter und seine Freunde gern besichtigen wollten. Der Oberbootsmann führte sie umher, als der Kapitän mit einer |382| Gesellschaft aus der Kajüte trat. Man entschuldigte sich, aber der artige Seemann führte die Besuchenden aufs neue in die Kajüte hinein. In einem kleinen Bücherschranke standen Freiligraths Gedichte. Einer seiner Begleiter sagte ihm: Freust Du Dich nicht darüber, daß Deine Gedichte mit nach Kanton sollen? — Wieso? fragt der Kapitän. — Der Herr ist Freiligrath — Der richtig? — Als diese Frage bejaht wird, stürzt der Kapitän ans Sprachrohr Alle Flaggen auf! Die Mannschaft bemannt die Raaen und Champagner aufs Verdeck!*)*

*) Schmidt-Weißenfels, Freiligrath.

Die Gärung in Deutschland war in starkem Steigen. In Österreich trotzten schon seit 1842 die Ungarn unter Kossuth Metternich; in Bayern hatte das Königtum durch das zärtliche Verhältnis König Ludwigs zu Lola Montez an Ansehen eingebüßt; in der deutschen Schweiz stand die radikale Partei der jesuitischen hart gegenüber. In Preußen herrschte jetzt die strengste Staatskirchlichkeit mit Begünstigung der Katholiken und Verfolgung aller Dissidenten, nicht nur der deutschkatholischen Kirche, deren Hauptstifter Ronge war, und der sogenannten Lichtfreunde, einer freikirchlichen Partei, die Wislicenus begründet hatte, sondern selbst der Pietisten und Mucker, die jedenfalls außerhalb der Staatsorthodoxie sich befanden. Bis an den Thron drang im Namen der Gewissenfreiheit der eine Protest nach dem andern. Und gleichzeitig wuchs die rein politische Agitation. Die Führer der Oppositionsparteien aller deutschen Staaten wirkten im Verein gegen die alte Bundesverfassung. Immer lauter erhob sich in Preußen — da der König der Preßfreiheit keinen sonderlichen Abbruch gethan hatte — der Ruf nach de versprochenen reichsständischen Verfassung. Und vom Auslande revolutionierende Impulse. Vom Jahre 1846 an war Pius der Neunte als Liberaler und als italienischer Patriot ausgetreten. Aufstande brachen ringsumher aus der italienischen Halbinsel aus, |383| und diese Aufstände, die Metternich nicht im stande war zu verhindern, vernichteten sein Prestige. Deutsche Emigranten in der Schweiz und in Nordamerika schürten nach Kräften das Feuer in Deutschland.

Inzwischen war der König von Preußen mit der Stiftung eines neuen Ordens, des Schwanenordens, und mit architektonischen Plänen beschäftigt. Er wollte ein großes Hermannsdenkmal am Rhein als Demonstration gegen das konstitutionelle Frankreich errichten; und er ließ nach dreihundertjährigem Stillstande die Bauarbeit am Kölner Dom wieder aufnehmen, ein Unternehmen, das weniger in nationaler, als in kirchlicher Hinsicht als sinnbildlich aufgefaßt wurde, und deshalb Heine zu einigen Protesten und (nicht eingetroffenen) Prophezeiungen in »Deutschland, ein Wintermärchen« Veranlassung gab, wie es Strauß bewog, die bekannte Broschüre »Der Romantiker auf dem Throne der Cäsaren« zu schreiben, in welcher er Julianus Apostata als begeisterten religiösen Reaktionär auf eine solche Weise schilderte, daß die Parallele mit Friedrich Wilhelm dem Vierten, auch ohne daß dieser genannt wurde, in die Augen fiel.

Die aufwachsende Litteratur, welcher der König entschieden feindlich gegenüberstand, gab bald dies Gefühl mit Zinsen zurück. Er hatte den grämlichen, gichtbrüchigen Tieck bei sich in Sanssouci als poeta laureatus und den Mystifizierer Schelling in Berlin als summus philosophus. Er ließ die Antigone von Sophokles und die Medea von Euripides auf den Theatern zu Berlin und Potsdam aufführen, um günstig auf die unruhige deutsche Litteratur einzuwirken. Aber die ging ihre eigenen Wege.

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