Das junge Deutschland (1891)

|[344]| XXIV

Gegen das Jahr 1840 tritt die litterarische Bewegung in ein neues Stadium, ein mehr philosophisches und politisches, ein. Noch eine Generation war in die Höhe geschossen, welche Hegel ihre tiefste Bildung Verdankte, und, eigentümlich genug, auf diese wirkte Hegel besonders politisch.

Schelling hatte seiner Zeit die Kunst als die höchste Form des Geistes bezeichnet. Der Künstler ist der wahre Mensch — das war sein Grundsatz und die Losung der Romantiker. Aber was die Kunst für Schelling war, das war für Hegel die Geschichte: Das ewige Vorwärtsschreiten der Freiheitsidee, das große Heldengedicht gedicht der Freiheit. Und was das Kunstwerk für Schelling gewesen, das war für Hegel der Staat. Über dem Künstler steht ihm als der wahre, vollendet menschliche Mensch der Bürger in einem Rechtsstaate.

Das jüngste Geschlecht lernte also von Hegels Philosophie, die Reform des Staates zu seiner Aufgabe zu machen. Von den Männern des jungen Deutschland hielt es nicht viel. Diese jüngste Generation war darüber einig, daß diese Männer weder in der Philosophie, noch in der Politik im entscheidenden Augenblicke Farbe bekannt hätten. Die Jugend vom Jahre 1840 fand das junge Deutschland allzu belletristisch, allzu epikuräisch; sie wollte in das alte Lied von der Wiedereinsetzung des Fleisches in seine Rechte nicht mehr einstimmen, es nicht einmal hören. Heine hatte es in »Atta Troll« dem jungen Geschlecht zu wissen gethan, daß Charakter |345| ohne Talent nur ein Bär sei, die jungen antworteten: Talent ohne Charakter sei nur ein Affe, bisweilen ein sehr possierlicher Affe, aber niemals mehr.

Daß die Hegelsche Philosophie von neuem als leitende Macht austrete, das wurde klar, als die »Halleschen Jahrbücher« als Organ der Hegelschen Linken von Ruge und Echtermayer gegründet wurden. Diese Zeitschrift streute vom Jahre 1838 ab die Ideen aus, durch welche nicht nur die Politiker, sondern auch die Poeten der damaligen Zeit gebildet wurden. Es waren im wesentlichen dieselben Grundsätze, in deren Namen einst das junge Deutschland ins Feld gezogen war, die aber nun mit wissenschaftlicherer Begründung und größerer Festigkeit verkündet wurden. Den Älteren blieb nur die Wahl übrig, sich entweder den Junghegelianern anzuschließen oder ihre eigenen Jugendgrundsätze jetzt zu mißbilligen, wo sie von anderen ausgesprochen wurden. Sie erkannten recht begreiflich ihre eigenen Ansichten nicht wieder von den Lippen dieser streitbaren Jugend. Und es kam zu manchem Zusammenstoß zwischen dem jüngsten Geschlechte auf der einen Seite und Laube, Mundt, Gutzkow aus der anderen.

Die Staatsidee, das war der zentrale Gedanke der jetzt hervortretenden Generation. Ihr Ideal war der Staat als lebendiger Organismus in den Gemütern aller seiner Bürger verwirklicht. Unter den zahlreichen philosophischen, theologischen, ästhetischen Fehden, die jene Jugend führt, ist immer der Staat und die Notwendigkeit seiner Umbildung das Resultat jeglicher Untersuchung. Hier wird das Aufgehen in dem Staatsgedanken vorbereitet, das so bezeichnend für das Deutschland späterer Tage geworden ist, und welches selbst einen Revolutionär, aber einen Hegelschen Revolutionär, wie Lassalle einstmals dazu brachte auszurufen: »Verleumden Sie nicht den Staat! Der Staat, das ist Gott.«. Es ist ein Symbol der Beschaffenheit der litterarischen Entwicklung: als philosophische Zeitschrift hatten die Halleschen Jahrbücher begonnen, als politische wurden sie unterdrückt.

|346| Das neue politische Prinzip, das in das Volk drang, kam auch bald in der Poesie in Gedichten und Liedern zum Durchbruch. Die politische Poesie erblüht gerade in demselben Jahre, in welchen die Jahrbücher erscheinen, und verpflanzt den politischen Freisinn weit größere Kreise. Von Anfang an war die politische Lyrik zwar zumeist Rhetorik ohne künstlerischen Wert, aber das Nationalgefühl hatte so lange geschlummert, daß allein schon Stichwörter wie Freiheit und Vaterland elektrisierend wirkten.

Am 7. Juni des Jahres 1840 hatte Friedrich Wilheln der Vierte den Thron Preußens bestiegen. Er stand im kleinen wie im großen in dem ausgeprägtesten Gegensatz zu dem Manne, der von 1797 an 42 Jahre hindurch das preußische Szepter in seiner Hand gehalten hatte. Friedrich Wilhelm der Dritte war eine Soldatennatur gewesen, der Sohn war eine Künstlernatur mit halben und halb erstickten Talenten, ein Dilettant in Künsten und Wissenschaften. Der Vater war ein nüchterner Charakter ohne Schwung, bescheiden, aber stetig gewesen; der Sohn war für Eindrücke empfänglich wie lich wie ein Weib, außerdem ein Schwärmer, ein Phantast. Der Vater war ein Pflichtmensch, ein braver, trockner, beschränkter Mann gewesen; der Sohn war ein Romantiker und ein ausgezeichneter Kopf, wegen seiner Einfälle und Witze berühmt. Der Vater war schlank, hoch, militärisch in Haltung, Gang und Kleidung gewesen; der Sohn hatte runde, volle Züge, die an diejenigen der Königin Luise erinnerten, er war eher stark als muskulös, eilig und unruhig in seinen Bewegungen, mitteilsam, gesellig, immer redend. Der Vater war zuverlässig gewesen; der Sohn war interessant.

So vorzügliche Erzieher Friedrich Wilhelm der Vierte als Kronprinz in allem Militärischen auch gehabt hatte, so sagte ihm doch das Soldatentum nicht zu. Zwar nannte er sich gern einen preußischen Offizier, aber ihn ermüdeten der Zwang und die Pedanterie, die unvermeidlich mit dem Heerwesen in Friedenszeiten verbunden sind, und er verspottete sogar ab und zu in ganz unhohenzollernschem |347| Geiste den Paradedienst. Doch konnte er zu Zeiten auch wieder ganz gegen seine Gewohnheit Feuer und Flamme als Heerführer werden. All dies Schmettern der Militärmusik, all dieses Klirren der Waffen, dieser vielfache Hall der Kommandorufe und der Salven bei den Revuen versetzten ihn in eine poetische Erregung — eines Tages bei einem großen Manöver hatte er sogar, von kriegeri- scher Begeisterung hingerissen, das Scheingefecht bis mitten in die Straßen Berlins fortgesetzt, unbekümmert um die Verwirrung, die er dadurch hervorbrachte und um die Hunderte von Fensterscheiben, die von diesen Kanonensalven in den Straßen zerplatzten.*)*

*) Prutz, Zehn Jahre. Erster Band S. 177.

Doch in der Regel verkehrte der Kronprinz mit Gelehrten und Künstlern, mit Männern der Wissenschaft wie Humboldt, Geschichtsschreibern wie Ranke, Malern wie Cornelius, Bildhauern wie Rauch. Er beschäftigte sich mit architektonischen Entwurer, studierte die antiken Formen in ihrer Anwendung auf die kirchliche Baukunst im byzantinischen Stil, bestrebte sich Effekte durch Kolonnaden und Hallen zu erreichen. Er entwarf ideale Landschaften mit Reminiszenzen an die süditalienifche Mittelmeersküste. Er erörterte musikalische und poetische Probleme. Er förderte besonders die Bestrebungen, welche der Erforschung des Mittelalters und der in den Dienst der Religion getretenen alten Kunst galten, und dieses unaufhörliche Beschäftigtsein mit der Vergangenheit bestärkte ihn in seinem Widerwillen gegen die Zeit, in der er lebte, und entwickelte seinen Hang, das Alte wieder aufzurichten oder, wenn dies nicht möglich war, wenigstens sich Reformen in modernem Geist zu widersetzen.

Diese Neigung konnte durch den Umgang des jungen Fürsten mit Theologen und mit einem kleinen vertrauten Kreis von romantisch gesinnten Aristokraten nur genährt werden. Von Jugend auf war er religios gewesen. E r hatte als Kind im Kriege gegen Napoleon den Glauben an die Heiligkeit der alten Staats-|348|ordnung, an das Königtum von Gottes Gnaden und an Österreichs Mission als Erbe des römischen Reiches eingesogen. Er eignete sich das ganze System von Gedanken und Schwärmereien, dem Joseph de Maistre zuerst und am vorzüglichsten Ausdruck gegeben hatte, an. Er studierte Hallers »Restauration der Staatswissenschaft«. Ihm wurde die Krone bald ein mystisches Kleinod, Verschmelzung des priesterlichen Stirnbandes alter Zeiten mit dem goldenen Kranze des Diktators, das Königtum ein Sakrament, der König selbst ein von oben unmittelbar Inspirierter. Und was das Verhältnis zwischen König und Volk betrifft, so war das patriarchalische Verhältnis ihm, ungefähr wie dem zeitgenössischen jungen England unter Disraeli, das Ideal.*)*

*) Man vergleiche meine Schrift: Lord Beaconsfild. S . 183.

Mit all dem Vertrauen, das ein in politischer Hinsicht kindliches Volk einem nenen König zeigen kann, kam Preußen Friedrich Wilhelm dem Vierten entgegen. Man traute ihm, wie die Völker in der Regel allen Kronprinzen, weit größeren Freisinn als dem Vater zu. Die Hoffnungen und Erwartungen des Volkes umhüllten seine Gestalt mit Glanz. Er begann, wie Könige beginnen, mit einer Handlung, welche für die Richtigkeit der im Volke gehegten Vermutungen über seine Gesinnung zu sprechen schien; er erließ eine allgemeine Amnestie für politische Vergehen. So wurde die Hoffnung allgemein genährt, er würde die politischen Wünsche der Bevölkerung befriedigen und Preußen die Wohlthat erzeigen, welche man als Bedingung allen Fortschrittes betrachtete: eine konstitutionelle Verfassung geben.

Wir haben oben (Seite 5) gesehen, daß das preußische Volk schon längst ein bestimmtes königliches Versprechen, dessen Erfüllung unredlich in die Länge gezogen worden war, erhalten hatte. Desto sicherer vertraute man nun darauf, daß dieses alte Königswort eingelöst werde. |349| Bald nach der Thronbesteigung des neuen Königs wurde ein Huldigungslandtag für die Provinzialstände in den Provinzen Preußen und Posen ausgeschrieben. Er sollte in Königsberg zusammentreten. Die Stände der Provinz Preußen richteten darauf eine Adresse an den König, worin sie ihn anriefen, die von seinem glorreichen Vater begründete Repräsentativerfassung aufrecht zu erhalten und zu vollenden; letzterer hatte — hier wie immer seinem Versprechen getreu — Provinzialstände eingeführt, aber die Vollendung seinem Nachfolger überlassen, »in welchem die treueste Liebe und die innigsten Wünsche des Landes sich begegnen«.

Der kleine Bürger der Provinz, alle diejenigen, welche Vorteile in ihrem Erwerb aus den bevorstehenden Festlichkeiten in Königsberg zu ziehen hofften, mißbilligten im höchsten Grade diesen Schritt als geeignet, den König zu erzürnen. Die höheren Stände hingegen bildeten sich ein, daß der so hoch begabte Monarch mit Freuden dem berechtigten Wunsch sofort entgegen kommen würde; keiner war ja besser als er dazu im stande, die Mängel der alten Ständeordnung einzusehen. Aber weder diejenigen, welche eine Kundgebung des königlichen Unwillens befürchteten, noch diejenigen, welche auf eine Äußerung des königlichen Freisinns warteten, bekamen Recht.

Die unbestimmte Antwort Friedrich Wilhelms des Vierten ging darauf hinaus, daß die Ständeverfassung auf einer nationalen, historischen Grundlage beruhe; der König habe das lebhafteste Interesse für diese Stände, er sei fest entschlossen, den von seinem Vorgänger betretenen Weg zu verfolgen; die getreuen Stände könnten seinen Absichten über die Institution des Landtags im vollsten Maße vertrauen.

So wenig auch diese Botschaft direkt versprach, wurde sie doch mit Jubel aufgenommen, so groß war bei einigen die Furcht vor einer schroffen Abfertigung gewesen, und so groß war die fanguinische Hoffnung bei anderen. Die Huldigungsfeier in Königsberg verlies unter diesem Umständen unter allgemeiner Begeisterung. |350| Der schönste Augenblick derselben kam jedoch, gleich nachdem Deputierten Wort für Wort den Huldigungseid, der ihnen vorgesagt worden, wiederholt hatten. Denn kaum war das vierhundertstimmige Amen dieses Eidschwurs verhallt, als man plötzlich den König vom Thron, der auf einem offnen Balkon stand, sich erheben sah. Er trat bis dicht an den Rand des Altans, und den rechten Arm wie zum Schwur erhebend, sprach er zu den Versammelten. Man hörte jedes Wort. Er gelobe hier, sagte er, daß er ein gerechter Richter, ein treuer, sorgfältiger, barmherziger Fürst, ein christlicher König sein wolle, wie sein unvergeßlicher Vater es gewesen, und er schloß mit der Wendung, welche das litterarische Talent verrät: »So wolle Gott unser preußisches Vaterland sich selbst, Deutschland un der Welt erhalten, mannigsach und doch eins, wie das edle Erz, das aus vielen Metallen zusammengeschmolzen, nur ein einziges, edles ist — keinem andern Roste unterworfen, als allein dem verschönernden der Jahrhunderte!«

Die Überraschung darüber, daß ein König von Preußen derart aus eigenem freien Willen den Eid der Treue, den er empfangen, mit einem gleichen Eide vergelte, und der Eindruck von der anscheinenden Improvisation dieser lebhaften und gewinnenden Persönlichkeit wirkten zusammen. Der Jubel wollte nicht enden. Oben auf dem Balkon brach die Königin in Thränen aus, drunten in der Bevölkerung weinte man, lächelte durch Thränen, drückte einander die Hände. Daß sich in der Rede des Königs kein deutliches politisches Versprechen vorfand, sondern daß alles freisinnige Velleität und romantische Redensart war, das wurde in der Begeisterung übersehen.

Doch die Huldigung in Königsberg sollte nur ein Vorspiel zu der großen und festlicheren Huldigung in Berlin sein. Man befand sich noch unter dem Eindruck jener Glorie von goldenen Versprechungen, die um die Person des Königs lag. Mann wollte alles thun, um ihm seine Ergebenheit zu zeigen, und wollte dem Feste ein Gepräge, das ihn recht ansprechen könnte, geben. Nicht das para-|351|dierende Militär sollte das hervortretende Element sein, nein, man wollte der Huldigung den Charakter eines deutschen, bürgerlichmittelalterlichen Festes geben, in welchem die Gewerbe und Innungen mit ihren Fahnen und Emblemen in einer Prozession von zehntausend Mann austreten sollten. Ja man entfernte — um den König durch eine kleine Überraschung zu erfreuen — einen Vorsprung am Rathause, einen Stein des Anstoßes, gegen welchen einst sein Wagen, als er noch Kronprinz war, angeprallt war.

In dem zwischen den zwei Huldigungen liegenden Zeitraum war jedoch eine Begebenheit eingetreten, welche der Bevölkerung einen Begriff von einem gewissen Wankelmut des Königs geben mußte. Am 4. Oktober 1840 wurde eine königliche Kabinettsorder erlassen, welche ausdrücklich — um jeder irrigen Ansicht entgegenzutreten — erklärte, daß der König sich keinesfalls durch die anerkennenden Worte, die er den treuen Gesinnungen der Stände habe widerfahren lassen, für eine Repräsentativverfassnng im Sinne der Verordnung vom 22. Mai ausgesprochen habe.

Die Huldigung der Fürsten und hohen Herren sollte im Schlosse zu Berlin stattfinden, die der Bürger auf dem Platze vor dem Schlosse, dem sogenannten Lustgarten. Aber der Regen goß vom frühen Morgen an in Strömen. Zwei volle Stunden standen die Bürger auf dem Platze und wurden durchweicht, während der König die Huldigungsreden der Fürsten, des Adels und der Geistlichkeit entgegennahm und seiner eigenen Beredsamkeit freien Lauf ließ — oben unter dem schützenden Dache.

Endlich trat er auch hier hinaus aus den offenen Balkon. Dieses Mal zählte man darauf, daß er reden werde; man glaubte nicht mehr an eine Inspiration; es wäre ja eine Beleidigung der Berliner gewesen, wenn der König, der vor den Königsbergern gesprochen, sich von ihnen ohne eine Antwort huldigen ließ. Und er redete. Man sah die Handbewegungen, mit welchem der König seine Rede begleitete, aber die Größe des |352| Platzes, der stiebende Wind und der sausende Regen bewirkten, daß niemand einen Satz hören konnte. Man paßte auf, wenn der König schwieg, und jedesmal erschollen loyale Jubelrufe, da man glaubte, er sei zu Ende; aber er winkte mit der Hand und fuhr fort. Man sah ihn gestikulieren. Der Regen strömte und der König sprach beständig. Viermal rief man Hurra in dem Gauben, daß er nun fertig sei, und viermal fing er von neuem an: Er gelobe sein Regiment in der Furcht Gottes und in der Liebe der Menschen zu führen; mit offnen Augen, wenn es die Bedürfnisse seines Volkes und seiner Zeit, mit geschlossenen, wenn es Gerechtigkeit gelte. Aber die Antithese ging im Rauschen des Platzregens verloren. Er laut: »Wollen Sie in diesem Streben treu mit mir ausharren, durch gute und durch böse Tage? — O, dann antworten Sie mir mit dem schönsten, klarsten Laut der Muttersprache, antworten Sie mir ein ehrenhaftes Ja!« — Und vom Platz aus erscholl es: »Bravo, Bravo!« Man verstand nicht die Frage; man glaubte, er sei zu Ende. — Aber der König winkte noch einmal Ruhe und fuhr fort — und schloß endlich mit der folgenden geistreichen Wendung, welche selbst den Regenguß als günstige Vorbedeutung benutzte, die aber leider wie alle die anderen verloren ging. »Ich will meine Gelübde, wie ich sie hier und zu Königsberg ausgesprochen habe, halten, so Gott mir hilft. Zum Zeugnis heb’ ich meine Rechte zum Himmel empor! — Vollenden Sie nun die hohe Feier und der befruchtende Regen Gottes ruhe auf dieser Stunde!«

Aber der befruchtende Regen Gottes ertränkte die Stimmung der hohen Feier, ergoß seine kühlende Prosa über die Angeredeten wie über den Redner.

Von einem Halten jener Gelübde verspürte man nichts; auch war niemand im stande zu sagen, welche Gelübde Seine Majesät denn eigentlich gethan habe. Indessen zeigten der neue König und das neue Regiment immer mehr ihr wahres Gesicht.

An Stelle des verstorbenen Altenstein, des Beschützers Hegels |353| und der Hegelianer, wurde zum Kultusminister Eichhorn ernannt, der als Pietist begonnen hatte, und von dem, wie das Gerücht ging, eine scharfe Feiertagsverordnung, ja sogar ein Religionsedikt mit Kirchendisziplin für Beamte drohte. Der Unwille hierüber wurde so groß, daß man die Gelegenheit, ihn an den Tag zu legen, bei den Haaren herbeizog. Der König hatte die Ausführung von Racines »Athalie« gewünscht. Gegen das Stück an und für sich konnte niemand etwas einzuwendenhabem aber der Stoff war religiös, die Tragödie ursprünglich für die Bewohner eines Klosters geschrieben. Bei der ersten Ausführung am 4. Januar 1841 pfiff das Publikum das Stück aus, eine Demonstration, die Von niemand mißverstanden wurde. Die Gereiztheit galt jedoch weit mehr dem Minister als dem König. Denn daß der König ein Gläubiger aus Überzeugung sei, daran zweifelte niemand, aber von Eichhorn meinte man aus seinem früheren Leben und Umgangskreis das Entgegengesetzte schließen zu können. Und als er öffentlich den Ausdruck »der christliche Staat« gebrauchte, in dem Sinne eines Staates, in welchem die Nichtorthodoxen nicht als eigentliche Bürger betrachtet werden sollten, begann ein Kampf gegen diesen Ausdruck, »dieses runde Viereck«, wie man es nannte, mit allen Waffen des Ernstes und des Spottes. Zufälligerweise hatte der König wenige Monate zuvor, während eines seiner vorübergehenden Anfälle politischen Freisinns, vielleicht durch seinen Sinn für alles Witzige verleitet, das Karikaturenzeichnen von der Zensur befreit. Überall sah man nun Eichhorn als Eichhörnchen an den Blättern nagen, die hohle Nuß des christlichen Staates knacken u. s. w., ja selbst an dem König vergriffen sich die undankbaren Karikaturenzeichner, und Heine, der größte Karikaturenzeichner des Zeitalters, richtete gegen die königliche Wankelmütigkeit die folgenden Strophen in »Der neue Alexander«:

Ich ward ein Zweiter, ein Mittelding, das weder Fleisch noch Fisch ist;
Das von den Extremen unserer Zeit ein narrisches Gemisch ist.
Ich bin nicht schlecht, ich bin nicht gut, nicht dumm und nicht gescheute,
Und wenn ich gestern vorwarts ging, so geh ich ruckwarts hente.

|354| Doch Eichhorn begnügte sich nicht damit, den Staat christlich zu machen; er bestrebte sich auch, die Wissenschaft zu bekehren. Namentlich galt es für ihn, die Repräsentanten der Hegelschen Philosophie aus allen guten Stellungen und einslußreichen Ämtern zu verdrängen; denn diese Philosophie war dem König zuwider; sie bot seiner Phantasie keinerlei Nahrung dar.

Nach dem Willen des Königs war nach Hegels Tode Schelling von München nach Berlin berufen worden, um von Hegels Lehrstuhl aus seine neue Philosophie, die Jahre hindurch mit so vielem Eharlatanismus geheim gehaltene, aber nach den Reklamen zu urteilen epochemachende »Philosophie der Offenbarung« zu verkünden.

Man gab ihm einen Gehalt, wie ihn noch nie ein preußischer Professor gehabt hatte —— es hieß, er sei fast so hoch wie der einer Primadonna des Ballettes — und es war sicherlich nicht die Schuld des Königs, daß sich trotz aller Bestrebungen Schellings keinerlei Aussicht zeigte, den Hegelschen Unglauben ausgerottet zu sehen. In Wirklichkeit war das Auftreten Schellings ein Fiasko. Er fühlte sich von der Verachtung einer ganzen Jugend getroffen. Chr. Kapp schilderte in einem guten Buche die verschiedenen Verwandlungen des christlichen Hofdenkers von den Tagen der Jugend an bis damaligen Zeitpunkt, seinen Abfall von sich selbst, seine Humbugsversöhnung des Glaubens mit dem Gedanken, und Ludwig Feuerbach stempelte mit der eigentümlichen Energie seines Stils ihn als den philosophischen Cagliostro des neunzehnten Jahrhunderts und seine Philosophie als eine theosophische Farce.

Eichhorn ergriff nun eine ganze Reihe von Maßregeln gegen die Wissenschaft. Er fixierte die Zahl der Dozentenstellen an den preußischen Universitäten, wodurch er die Anzahl der Privatdozenten erheblich einschränkte, zugleich aber auch die Macht des Ministeriums vermehrte. Er verabschiedete den Professor Hoffmann (von Fallersleben) in Breslau, weil dieser in seinen Unpolitischen Liedern in einer unschuldigen Form mit der Politik gescherzt hatte. Diese |355| Lieder waren nämlich so ins Ohr fallend, so jovial, entsprachen so genau der Bildung und dem Liberalismus des einfachen Bürgertums, daß sie den Machthabern Angst einflößten. — Der Bibelkritiker Bruno Bauer ging des Rechts verlustig, in Bonn zu dozieren, infolge seiner beiden kritischen Schriften Über die Echtheit der vier Evangelien. Die servilen Fakultäten erwiesen dem Ministerium den Liebesdienst, eine Erklärung abzugeben, deren Inhalt der folgende war: »Selbstverständlich seien sie für die vollständige Freiheit der Wissenschaft — nur theologischer Dozent könnte Bauer nicht sein.« Es nützte nichts, daß der Hegelsche Theologe Marheineke in Berlin furchtlos die Erklärung abgab, auch er wünsche, daß Bruno Bauer als Privatdozent zurücktrete, aber nur damit ein so eminenter Kritiker, ein Mann von so umfassender philosophischer Bildung zu einem einflußreichen Posten befördert werde. Bauers Schicksal war damit entschieden. — Studenten in Halle hatten den Antrag eingereicht, David Friedrich Strauß als Universitätsprofessor dorthin zu berufen. Sie empfingen als-Antwort einen Verweis, und die drei unter ihnen, die den Antrag zuerst unterschrieben hatten, wurden von der Universität relegiert. — Schließlich geschah es, daß, als Gans gestorben war, Stahl, der bekannte Jurist der Reaktion (der Verfasser einer »Umkehr der Wissenschaft«), an seine Stelle nach Berlin berufen wurde. Der Regierung ward die Demütigung zu teil, daß, als er in seiner Antrittsvorlesung Hegel und seinen Vorgänger Gans plump und in herausfordernder Weise angriff, tumultuarische Szenen entstanden und die Vorlesung durch Lärm und Pfeien der Zuhörer unterbrochen wurde.

Sodann erschien im Sommer 1841 unten in der Schweiz ein kleines Buch »Gedichte eines Lebendigen«. Man las darin manche in Erstaunen setzende Strophe, z. B. die folgende:

Reißt die Kreuze aus der Erden!
Alle sollen Schwerter werden!
Gott im Himmel wird's verzeihn.
|356| Laßt, o laßt das Verseschweihen,
Auf den Ambos legt das Eisen,
Heiland soll das Eisen sein.

Und an einer anderen Stelle:

Brause Gott mit Sturmesodein durch die fürchterliche Stille,
Gieb ein Trauerspiel der Freiheit für der Sklaverei Idylle!
Laß das Herz doch wieder schlagen in der Brust der kalten Welt
Und erweck ihr einen Rächer und erweck ihr einen Held!

Eingeleitet wurde die Sammlung durch eine poetische Herausforderung »An den Verstorbenen«, gegen den Fürsten Pückler, der unter diesem Namen geschrieben hatte, gerichtet. Er war als Vertreter der schlaffen Vergnügungssucht, welche Zerstreuung auf langen Reisen sucht, aufgefaßt. Der Angriff war zwar ungerechtfertigt, aber wie klang er!

Der anonyme Autor, dessen Name schnell bekannt wurde, war der vierundzwanzigjährige Georg Herwegh (geb. 1817 in Württemberg), ehemaliger Zögling des bekannten Tübinger Stifts. Ein Disziplinarvergehen, das er sich während seiner Militärzeit hatte zu schulden kommen lassen, hatte den jungen Dichter veranlaßt, in die Schweiz zu flüchten. Hier hatte er einige Jahre im vertrauten Verkehr mit anderen Flüchtlingen und anderen jugendlichen Radikalen verlebt. Seine Gedichtsammlung mit ihrem frischen, aber unbestimmten Radikalismus erreichte in nur wenigen Monaten eine ungeheure Verbreitung in Deutschland und schlug allenthalben durch.

Es sand sich ein gut Teil Unklarheit in diesen Gedichten. Bald zog der Verfasser ins Feld gegen Tyrannen, bald gegen Philister, bald bezeichnete er die Feinde als fremde, bald als einheimische; bald redete er als überzeugter Republikaner, bald wendete er sich in Platens Spuren an den König von Preußen mit eindringenden, bittenden, warnenden Worten, aber zugleich mit der Versicherung, daß es noch Zeit für ihn sei:

in Platens Spuren an den König von Preußen mit eindringLTLLApssiaw know-konsoan Mut-fort Akof ZIInsPirb mikder Versicherung, daß es noch Zeit fur ihn sei:

Du bist der Stern, auf den man schaut,
Der letzte Furst, auf den man baut.

|357| Doch die Zeitgenossen Übersahen die Mängel an Sicherheit im Standpunkte des Dichters; seine Begeisterung steckte an, sein lyrischrhetorischer Wohlklang riß mit. Seit den Tagen Goethes und Schillers hatte kein Lyriker die Herzen so im Sturm erobert; und von den Alpen bis zur Ostsee sang die Jugend: »Reißt die Kreuze aus der Erden!«

Im Herbst des Jahres 1842 unternahm Herwegh eine Reise durch Deutschland. Er hatte ein praktisches Ziel mit dieser Reise vor Augen; was er als Dichter begonnen, das wollte er als Journalist, als politischer Schriftsteller weiterführen; er reiste, um sich Mitarbeiter für eine politische Monatsschrift, welche »Der deutsche Bote ans der Schweiz« benannt werden sollte, zu sichern. Überall wurde er wie ein Triumphator empfangen: ein glänzendes Festmahl in Köln, eine Studentenserenade in Jena, ein Festmahl in Leipzig — noch nie zuvor war einem deutschen Dichter so gehuldigt worden.

In Berlin, wo Herwegh Ende Oktober ankam, konnte der Dichter nicht erwarten, ein ähnliches Aufsehen zu erregen, um so weniger, da er aus den Rat Arnold Ruges hin, welcher ihn begleitete, die Annäherungen eines etwas verkommenen radikalen Vereins, der »Berliner Freien«, ausschlag, aber hier ereignete sich etwas, welches viel tieferen Eindruck auf die Offentlichkeit machte, als ihn irgend welche volkstümliche Huldigung hätte hervorrusen können. Der König gab den Wunsch zu erkennen, die persönliche Bekanntschaft Herweghs zu machen.

Friedrich Wilhelm des Vierten ästhetische Sympathieen hatten sich bisher nur darin gezeigt, daß er nach Berlin Ludwig Tieck und Friedrich Rückert berufen hatte. Der alte, gichtbrüchige Tieck las bisweilen bei Hofe vor und feßte einige Schauspiele in Szene; Friedrich Rückert sollte zur Wiederbelebung der orientalischen Studien an der Universität mitwirken, erwies sich aber dazu völlig ungeeignet.

|358| Ein vorurteilsfreies Verhältnis zur deutschen Litteratur war außerdem weit davon entfernt hohenzollernsche Familientradition zu sein. Es gab für die Herwegh gewährte Audienz nur einen Präzedenzfall und zwar im eigenen Leben des Königs, nämlich seine Antwort an Platen aus Anlaß jener Ode, in welcher ihm die Sache des unglücklichen Polens ans Herz gelegt hatte (man vergl. oben S. 29); es verlautete damals, daß der Kronprinz in einem herzlichen Brief seine wärmste Sympathie für die Polen ausgesprochen und seinen Mangel an Fähigkeit, ihnen helfen zu können, bedauert habe. Die Ode, welche Herwegh an den König gerichtet hatte, rief ihn an, den Klerikalismus niederzuschlagen; es überraschte angenehm, daß der Herrscher sich also nicht dadurch verletzt gefühlt hatte.

Während der Audienz, welche am 19. November 1842 stattfand, verhielt sich Herwegh ziemlich schweigsam und durch die Situation gedrückt. Der König war seiner Gewohnheit gemäß lebhaft und mitteilsam. Er habe, hieß es, sich ungefähr folgendermaßen ausgesprochen: »Ich habe in diesem Jahre schon einen meiner Gegner, Herrn Thiers, empfangen« — Thiers hatte im Jahre 1840 infolge der Parteinahme der Großmächte für den Sultan gegen den Pascha von Egypten mit Krieg gedroht —»allein Ihrem Besuch gebe ich den Vorzug. Wir haben beide unser Amt und unsern Beruf zu erfüllen, ich als König, Sie als Dichter. Ich werde dem meinen treu bleiben; mögen Sie es ebenso halten. Nichts ist mir so zuwider wie Gesinnungslosigkeit, auch die Opposition achte ich, wenn sie nur gesinnungsvoll ist.« — Und indem er mit Hindeutung auf Herweghs Jugend ihm »einen Damaskustag« prophezeite, schloß er mit den Worten: »Inzwischen wollen wir ehrliche Feinde bleiben.«

Was über diese Zusammenkunft des Königs mit dem Dichter ins Publikum hinnaussickerte, erweckte unter den oppositionellen Schriftstellern jener Zeit teils kindlichen Reid, teils kindliche Entrüstung. Man meinte, Herwegh hätte die Gelegenheit benutzen sollen, um |359| (à la Marquis Posa) vom König politische Freiheit für Preußen zu fordern.

Wenige Tage nach jener Audienz verließ Herwegh Berlin, wurde in Königsberg aufs neue mit einem Festmahl gefeiert und dort von der Nachricht überrascht, daß die preußische Regierung seine projektierte Zeitschrift schon vor ihrem Erscheinen mit einein scharfen Verbot belegt habe. Eigentlich zwar verstand dies Verbot sich von selbst, da alle Bücher und Druckschriften, die außerhalb des deutschen Bundes erschienen (deshalb auch schon die Gedichte Herweghs), ein für allemal verboten waren und zu ihrer Zulafsung in Preußen erst einer besonderen Genehmigung bedurften. Herwegh hätte sich dies im voraus sagen können. Aber in seiner Erregung über die Anklagen der Verräterei, welche hier und da in der radikalen Presse hervortraten, verlor er dieser Widerwärtigkeit gegenüber das Gleichgewicht und richtete direkt an den König einen gleich ungeschickten und unmännlichen Brief voller Pathos.

Er berief sich darin auf die »ehrliche Feindschaft«, welche der König selbst ihm kürzlich angekündigt; diese königliche Zufage sei durch das Verbot verletzt worden; er wolle nicht vom Könige die Zurücknahme dieses Verbotes erbitten, so schmerzlich es für ihn auch sei, »das Kind seiner Muse schon im Mutterleibe bedroht zu sehen und als Individuum mit einem ganzen Staatsprinzip in ewiger Kollision zu leben«; übrigens schade das Verbot ihm nichts; von seinen ebenfalls verbotenen Gedichten sei er »so glücklich«, eben jetzt die fünfte Auflage veranstalten zu können. Aber es habe sein Herz gedrängt, noch ein »letztes ehrliches, wenn auch leidenschaftliches Wort« an den König zu richten, ein »Wort unter vier Augen, das aber doch nicht bloß mein Wort, sondern das vieler Tausende« u. s. w.

War der Brief an und für sich unwürdig, so war dessen Veröffentlichung in einem Leipziger Blatte wenige Wochen später eine Thorheit, die sich rächte. In Stettin emfing Herwegh einen Ausweisungsbefehl, Gendarmen hielten Macht, bis er den Postwagen |860| bestiegen hatte. In Halle wurde ihm das Aussteigen verweigert. So festlich auch der Empfang in Preußen gewesen war, so wenig herzlich war der Abschied.

Der große Spötter Heine schrieb im Gedichte »Der Exlebendige« die folgenden Strophen:

Aranchuez! in Deinem Sand
Wie schnell die schönen Tage schwanden,
Als ich vor König Philipp stand
Und seinen uckermärkschen Granden.
Er hat mir Beifall zugenickt,
Als ich gespielt den Marquis Posa,
In Versen hab ich ihn entzückt,
Doch ihm gefiel nicht meine Prosa
Und noch blutiger heißt es im Gedichte »Die Audienz« über das schwäbische Wickelkind:

Ich will, wie einst mein Heiland that,
Am Anblick der Kinder mich laben,
Laß zu mir kommen die Kindlein, zumal
Das große Kind aus Schwaben.
So sprach der König, der Kämmerer lief
Und kam zurück und brachte
Herein das große Schwabenkind,
Das seinen Diener machte.
Der König sprach: Du bist wohl ein Schwab?
Das ist just keine Schande.
Geraten! erwidert der Schwab, ich bin
Geboren im Schwabenlande.
— — — — — — — — — —
Erbitte Dir eine Gnade, sprach
Der König. Da kniete nieder
Der Schwabe und rief: O geben Sie, Sire!
Dem Volke die Freiheit wieder!
Der könig stand erschüttert tief;
Es war eine schöne Szene
Mit seinem Rockärmel wischte sich
Der Schwab aus dem Auge die Thräne.
|361|Der König sprach endlich: Ein schöner Traum!
Leb wohl und werde gescheiter!
Und da Du ein Sonambulericht bist,
So geb ich Dir zwei Begleiter.
Zwei sichre Gendarm, die sollen Dich
Bis an die Grenze führen,
Leb wohl, ich muß zur Parade gehn,
Schon hör ich die Trommel rühren

Es war nicht nur der Humor, sondern auch der Neid und die Schadenfreude, welche lachten. Man rächte sich an seiner eigenen früheren Begeisterung Außerdem hatte die Herweghsche Katastrophe die unglücklichsten praktischen Folgen. Die »Leipziger Allgemeine Zeitung«, das in Preußen gelesenste Oppositionsblatt, wurde, nachdem es den Brief an den König gebracht hatte, tags darauf verboten. Die »Rheinische Zeitung«, das angefehenste von den in Preußen selbst erscheinenden freisinnigen Journalen, bekam gleich darauf den Gnadenstoß und gleichzeitig wurden in Sachsen auf Antrieb der preußischen Regierung Arnold Ruges Deutsche (früher Hallesche) Jahrbücher, das Hauptorgan der denkenden Jugend, unterdrückt.

Eine gewisse Lehre zog das junge Geschlecht aus dem Geschehenen. Es hatte zwar nicht viel zu bedeuten, daß ein vierundzwanzigjähriger Poet sich dem König gegenüber zuerst geniert, dann unmännlich benommen. Aber man hatte gemeint, daß man im Vergleich mit dem Geschlechte der dreißiger Jahre einen großen Schritt weiter gekommen; man glaubte persönliche Festigkeit zu besitzen, wo jene Älteren nur Talent gehabt hatten. Nun sah man an einem neuen Beispiel, teils daß Dichternaturen einen zu spröden Stoff abgaben, um politische Führer daraus zu machen, teils daß dieses Geschlecht mit äußerster Strenge sich selbst erziehen müsse. solle es am Tage der Prüfung die Erwartungen desser als seine Vorgänger befriedigen.

Die Führerschaft fiel daher den Denkern und Politikern von Fach, etwas gar zu häusig auch Professoren zu, und wenn die Generation, welche nun die deutschen Gemüter revolutionierte, gegen Ende |362| des Jahres 1848 eine so traurige Niederlage erlitt, so geschah dies nicht aus Mangel an Charakter, sondern kraft des Idealismns, der sich bei Männern entwickelt, welche nie am Ruder gestanden, nie die gesetzliche Macht in Händen gehabt haben, d. h. wegen ihres Glaubens an die unwiderstehliche Fähigkeit der Ideen und Ideale sich zu verwirklichen, und wegen ihrer Geringschätzung der äußeren, brutalen Gewalt, die nach der Theorie nichts Entscheidendes bedeutete, die aber, als sie beim ersten Zusammenstoß zurückweichen mußte, sich geringschätzig behandeln ließ und sich ruhig verhielt, bis der Augenblick kam, wo sie, nach der Überrumpelung wieder gestärkt, sich von neuem erheben konnte.

Doch während nun ringsherum in Deutschland die Maßregeln, welche Von den Ministern Friedrich Wilhelms des Vierten ausgingen, zum Gegenstande ungleichartiger, meist scharfer Kritik gemacht wurden, glimmte unter allem, was sich ereignete, die preußische Verfassungsfrage stetig weiter. Es war dem König nicht gelungen, dieselbe durch seine Abweisung in Vergessenheit zu bringen. Und die Mittel, zu denen er wie seine Ratgeber griffen, um sie zu vertuschen, waren von der unglücklichsten Art. Der Magistrat und die Stadtverordneten der Stadt Breslau hatten bei dem schlesischen Landtage den Erlaß einer provinzialständischen Petition um Anordnung allgemeiner Reichsstände beantragt. Der König antwortete dadurch, daß er dem Oberpräsidenten in Breslau einen »Allerhöchsten Spezialbefehl«, betreffend die »in diesem Herbst bevorstehende Sr. Majestät des Königs nach Schlesien, insbesondere aber den von Allerhöchst demselben der Hauptstadt Breslau zugedachten Besuch« eröffnen lies. Der König wolle, hieß es in dem Schreiben, auf dieser Reise »weder eine feierliche Einholung oder sonst irgend ein Fest von der Stadt Breslau annehmen«. Dies im Mai über eine im Oktober bevorstehende Reise und obendrein über Festlichkeiten, welche noch niemand angeboten hatte! Die Angelegenheit endete damit, daß der König dennoch einen festlichen Einzug in Breslau

|363| hielt, obschon« das Fest nicht besonders für ihn veranstaltet war, sondern der hundertjährigen Vereinigung Schlesiens mit der preußischen Krone galt. Der König beguügte sich in seiner Beantwortung der Einladung damit, »den Mangel an Äußerungen, die seinem Herzen wohlgethan hätten« zu beklagen und seine Zusage dadurch zu beschränken, daß ser aus Mangel an Zeit nur ein paar Tage bleiben könne.

Und doch bedurfte der König der Zustimmung der Reichsstände zu einem Gegenstand von äußerster Wichtigkeit. Die Zeit der Eisenbahnen war angebrochen, und zur Anlage von Staatsbahnen bedurfte man einerseits einer größeren Anleihe, andererseits einer Staatsgarantie für die privaten Unternehmer; aber nach einem Hardenbergschen Gesetze vom Jahre 1820 wurde zu beidem die Bewilligung der Reichsstände erheischt. Der König trug sich mit dem unmöglichen Plan herum, einen Ausschuß der verschiedenen Provinziallandtage, sechshundert Mitglieder an Zahl, zusammentreten und diese als Reichsstände figurieren zu lassen. Metternich mußte ihm das Unausführbare dieses Gedankens vorhalten.*)*

*) Sybel, Die Begriindung des deutschen Reiches. Erstcr Band S . 107.

Unter diesen Verhältnissen geschah es, daß ein kleines Buch »Vier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen« ganz Deutschland in Bewegung setzte, indem es am geistigen Horizont als das erste entfernte Blitzen aufleuchten, das ein herannahendes Gewitter verkündigt. Gegen Ende Februar des Jahres 1841 war dieses nur ein paar Bogen starke Heft (angeblich zu Mannheim verlegt) überall verbreitet. Die Veranstaltungen waren so sorgfältig getroffen, daß die Broschüre an einem und demselben Tag in allen Buchhändlerfenstern des ganzen preußischen Staates lag, nur nach Berlin kam sie etwas später, um eine Beschlagnahme, bevor die Verbreitung stattgefunden hatte, zu verhindern.

Vier fragen enthielt das Büchlein, die dem absoluten Königtum |364| den Untergang prophezeiten. Sie lauteten: Was wünschten die Stände? Was berechtigte sie? Welcher Bescheid ward ihnen? Was bleibt ihnen zu thun übrig?

Auf die erste Frage antwortete der Verfasser, daß das Volk jetzt keinerlei Anteil an der Leitung des Staates habe, während dessen hohe Kulturstufe den Wunsch danach natürlich mache. Daß das Volk außer einer Vertretung auch alle anderen Organe, z. B eine freie Presse, entbehre, und außerdem den Ministern, deren Beamtenwillkür, deren Servilität und Pietismus, aufs tiefste mißtraue — mache notwendigerweise den Wunsch nach einer repräsentativen Verfassung noch brennender. Auf die zweite Frage, was die Stäbde zu ihrem Verlangen berechtige, antwortete der Verfasser: Das wußtsein eigener Mündigkeit und ihre am 22. Mai 1815 erfolgte Mündigsprechung. Auf die dritte, welcher Bescheid ihnen geworden, lautete die Antwort: Anerkennung ihrer treuen Gesinnung, Abweisung der gestellten Anträge und tröstende Hindeutung auf einen künstigen, unbestimmten Ersatz. Auf die vierte Frage, was den Ständer nun zu thun übrig bliebe, füllte die Antwort nur anderthalb Zeilen. Sie lautete: »Das, was sie bisher als Gunst erbaten, nunmehr als erwiesenes Recht in Anspruch zu nehmen.« —

Der eindringliche, überzeugende Ton der kleinen Schrift, ihr Appell an das Rechtsgefühl und Selbstgefühl des Volkes erregte lebhafte Neugier, den Namen des anonymen Autors kennen zu lernen. Er selbst hatte dem König sein Buch geschickt und auf dem Titelblatte seinen Namen »Dr. Johann Jacoby, Arzt in Königsberg« hinzugefügt. Der König ließ sofort eine Kriminaluntersuchung gegen ihn einleiten. Man erfuhr nach und nach, daß er ein wohlhabender als Arzt höchst angesehener Mann sei, der im Jahre 1831 beim ersten und heftigsten Ausbruch der Cholera in Polen sofort dorthin gereist war, um die Krankheit zu studieren, und später eine langwierige Feyde mit einem Warschauer Arzt, einem Charlatan, gehabt, welcher beim zweiten Ausbruch der Cholera 1837 ein Arkanum gegen |365| »diese ganz unbedeutende, immer heilbare Krankheit« angepriesen hatte. Als Jacoby gegen diesen Mann einen kurzen, wissenschaftlichen Artikel geschrieben, ließ der Marktschreier in Berliner Zeitungen eine Antwort voll beleidigender Bezichtigungen erscheinen. Er hatte Verbindungen in den höheren Kreisen und erreichte es, daß die Berliner Zensur der ruhigen Entgegnung Jacobys ihr Imprimatur verweigerte, und daß jeglicher Appell vom Zensor an den Oberpräsidenten, von dem an das Oberzensurkollegium, von diesem an den Minister von Rochow und von dem Minister an den König erfolglos blieb, während gleichzeitig alle Verleger in Hamburg, Leipzig, Grimma, Basel und Bern es ablehnten, die Aktenstücke in der Sache drucken zu lassen, obgleich Jacoby sich erbot, selbst die Kosten zu tragen. Jeder andere hätte es nun wohl aufgegeben, diese Verteidigung eines Zeituugsartikels von anderthalb Seiten gedruckt zu sehen. Aber Jacoby gehörte nicht zu den Männern, die etwas aufgeben. Jahr und Tag ging darüber hin. Der Verfasser ließ sein Manuskript alle notwendigen Reisen unternehmen — im ganzen reiste es 1047 Meilen — und schließlich wurde es denn auch in Paris unter dem Titel »Beitrag zu einer künstigen Geschichte der Zensur in Preußen« gedruckt. So war das Naturell dieses Schriftstellers beschaffen.

Hier war denn endlich das gefunden, was das junge Deutschland so lange und so traurig entbehrt hatte, dasjenige, was das jüngste Deutschland mit seinem Herwegh nicht zu leisten vermocht, dies »einer unter tausenden« im öffentlichen Leben: Ein Mann. — Hier offenbarte sich endlich einmal ein willensstarker, politischer Führer im Deutschland der vierziger Jahre — nicht eben ein Staatsmann in dem eigentlichen und strengen Sinn des Wortes, denn er konnte, wie es die Zukunft lehrte, sich niemals anpassen, sich nie damit begnügen, das Erreichbare vor Augen zu haben; aber ein unbeugsamer Charakter, ein unverbrüdlicher Rehctssinn, welcher mit einem Mut, der sich niemals unterjochen ließ, gerade auf sein Ziel losschritt

Die Regierungspresse, die Schmähpresse began eine Feyde |366| gegen ihn. Es fand sich an seiner untadelhaften Persönlichkeit kein Faden, an den man sich hätte hängen können; aber er war jüdischer Abstammung. In einer Broschüre, welche der Adelsderein zu Preußisch-Holland, einer kleinen Stadt in der Nähe Königsbergs, unter dem Titel »Stimme treuer Unterthanen Seiner Majestät des Königs von Preußen« herausgab, hieß es: »Nicht deutschen, nicht christlichen Lippen kann solch frevelndes Wort entströmt sein . . . Es wäre eine Schmach für Ostpreußen, wenn solch freches Wort einem seiner Söhne gesprochen wäre. Der Same Jakobs hat nicht vernommen die Stimme des Herrn und nicht erkannt den eingeborenen Sohn Gottes und hat ihn geschlagen; darum ist er verworfen immerdar und zerstreut unter allerlei Volk!« — Aber in Schaufenstern aller Buchhändler lag bald darauf Jaeobys Po das scharfgeschnittene Gesicht, von den vier Fragezeichen umgeben, die Feder zum Angrifs gerichtet wie eine Lanze.

Die Dichter fühlten, was der Mann bedeutete, der hier emporgetaucht war, selbst die weniger charakterfesten unter ihnen, selbst Dingelstedt, der damals gerade im Begriffe stand, seine oppositionelle Haltung mit dem Hofratstitel zu vertauschen. In Dingelstedts vortrefflicher Sammlung »Nachtwächters Weltgang« findet sich ein Gedicht mit der Überschrift: ????, augenscheinlich an den König von Preußen gerichtet:

Du weißt, was das bedeuten will! Du wirst sie mir nicht streichen?
Es sind ja nur unschuldige — vier kleine Fragezeichen.
Die wurzeln tief, die ragen hoch; wie die gerühmten Eichen
Des freien deutschen Volkes stehn vier kleine Fragezeichen
Du wolltest sie zwar nimmer sehn in Deinen weiten Reichen,
Doch drängen sie sich immer auf, vier kleine Fragezeichen.
— — — — — — — — — — — — — — —
Und einst, wenn Du gestorben bist, als Stempel dann und Aichen
Stehn groß an Deinem Monument — vier kleine Fragezeichen

Auch Herwegh befang Jacoby, als ob er ahne, daß hier ein Mann gefunden sei, der Angesicht zu Angesicht mit dem König von |367| Preußen eine andere Figur machen würde als er. Es war ja Jaeoby, der im November 1848 bei einer Audienz in Berlin, als der König auf das Verlangen nach einem Ministerwechsel der Deputation antwortete: »Davon will ich nichts hören!« hervortrat und sagte: »Das eben ist das Unglück der Könige, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen« Herweghs Gedicht hat zur Überschrift ein J und beginnt:

Und wieder ob den Landen
Lag jüngst ein schwerer Bann!
Da ist ein Mann erstanden,
Ein ganzer deutscher Mann.
Ein Deutscher und ein Freier —
Wer hatte das gedacht,
Daß selbst die deutsche Leier
Aus ihrem Schlaf erwacht!

Indessen wurde die Untersuchung gegen Jaeoby mit ungewöhnlichem Eifer betrieben; in drei bis vier Wochen wurde er zwanzig Verhören unterworfen, sechsundneunzig Zeugen, darunter Ladenmamsells, Köchinnen und Schulkinder, wurden vernommen. Das wirklich Begangene war ja nur ein Preßvergehen, ein Umgehen der Zensur. Aber die Anklage lautete auf Erregung von Mißvergnügen, was das Gesetz mit Festuugsstrafe bis zu zwei Jahren und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte bedrohte, ferner auf Majestätsbeleidigung — konnte je nach den Umständen mit vierjähriger Zuchthausstrafe belegt werden — und schließlich auf Hochverrat — wofür die Strafe nur eine einzige war: »Hinrichtung mit· der härtesten und schrecklichsten Leibesund Lebensstrafe.«

Jaeoby ward vor das Gericht in seiner Geburtsstadt Königsberg gestellt. Da indessen das Kammergericht zu Berlin zum ein-

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Anschuldigung wegen Hochverrats unmöglich fand, wies auch dieses die Anklage zurück und erklärte sich ebenfalls für inkompetent. Infolge dessen mußte der König durch eine Kabinettsorder das Oberlandesgericht zu Königsberg mit Fortsetzung der Untersuchung sowie Abfassung des Erkenntnisses beauftragen. Aber obwohl Jacoby nur Vorteil davon zu erwarten hatte, von Richtern seiner Vaterstadt gerichtet zu werden, war er ein zu fester Charakter, als daß er durch eine Ungesetzlichkeit hätte unschuldig befunden werden wollen, er verlangte, als des Hochverrates angeklagt, hartnäckig, seine Sache vor dem Kammergericht zu Berlin verhandelt zu sehen. Man war gezwungen, sich ihm zu fügen, und er wurde zus zwei und einem halben Jahre Festungsarrest und Verlust der Ehrenrechte verurteilt, drei Jahre später jedoch vom höchsten Gerichtshof vollständig freigesprochen.

Inzwischen gingen in ganz Deutschland Listen herum, um zu einer Bürgerkrone für ihn zu sammeln, und die Beiträge strömten ein; angesehene Männer setzten ihren Namen zu oberst auf die Listen. Nun mußte die Regierung von neuem eingreifen. Die Listen wurden mit Beschlag belegt, die Unterzeichner gerichtlich verhört, die Sammlungen untersagt. Und während derartig Polizei und Zensur vollauf in der Verfassungsfrage zu thun hatten, folgte am 11.August 1842 die possierlichste Verordnung, die man je in einem absolut regierten Lande gesehen hatte; eines von den geltenden Gesetzen des eignen Landes wurde unter die verbotenen Schriften eingreiht; der Neudruck des Gesetzes vom 22. Mai 1815 (über die Einführung von Reichsständen) wurde als aufregend verboten.

Im September des Jahres 1842 erfuhr dann die Bevölkerung welche darauf gehofft hatte, Preußen unter dem neuen König sich von dem demütigenden Verhältnis zu Kaiser Nikolaus befreien zu sehen, daß Friedrich Wilhelm der Vierte, der zu Platens zeit warme, wenn auch platonische Freund der Polen, durch seinen eingewurzelten Unwillen gegen russisches Wesen bekannt, beabsichtige, |369| sich nach Warschau zu begeben, um dort den Zaren zu begrüßen. — Auf der Rückreise wünschte der König das Denkmal bei Kalisch zu besichtigen, welches zur Erinnerung an die Zusammenkunft der Herrscher Rußlands und Preußens im Jahre 1813 errichtet war. Der Flügeladjutant des Kaisers, General Berg (der spätere Zuchtmeister Polens), übersetzte dem König die russischen Inschriften. Die zuletzt verlesene lautete: »Möchte der Allmächtige die Allianz und Freundschaft zwischen Russland und Preußen zum Frieden und Gedeihen beider Nationen und zum Schrecken ihrer gemeinsamen Feinde segnen.«

Als General Berg geendet hatte, stieg der König raschen Schrittes die Stufen zum Denkmal hinan und zeichnete mit dem Finger in den Staub an der Seite des Monuments das Wort »Amen«.*)*

*) Prutz, Zehn Jahre. Erster Band S. 287 flg., 367, 516 und Zweiter Band S. 379 flg.

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