Der Beschluß des Bundesrates in betreff der Unterdrück der Schriften des jungen Deutschland erstickte nicht bloß die at kündigte »Deutsche Renne« in der Geburt; auch Mundts in Lei erscheinender »Litterarischer Zodiacus« und Laubes »Mitterna( zeitung«, die in Braunschweig herauskommen sollte, mußten ihr scheinen einstellen. Mundt hatte sich vergebens mit all der Tas keit eines vorsichtigen Mannes gleich nach Menzels ersten Anng aus Gutzkow und dessen Freunde beeilt, eine Reihe scharfer Ar gegen Heine, Gutzkow und Wienbarg zu bringen. Es nützte nichts.
In der nächstfolgenden Zeit sah es aus, als bezwecke Bundesbeschluß nicht bloß alles das zu treffen, was die geächt Schriftsteller bisher geschrieben, sondern auch alles, was sie etwa in Zukunft herauszugeben beabsichtigen könnten. So hieß es ausdrücklich in einem preußischen Ministerialreskript vom 11. Dezember 1835, »was H. Heines zukünftige Schriften betrifft, so sind dieselben, in welcher Sprache sie immer herauskommen mögengleichen Bestimmungen zu unterwerfen, wie Gutzkows, Wienba Laubes und Mundts Schriften«. Ja, man ging nicht allein da« aus, die genannten Schriftsteller gänzlich zum Schweigen zu brin man verbot – wie in Rußland, wenn die Regierung jemandem an den Leib will – uberhaupt im Druck ihren Namen zu nennen, sei es auch nur, um sich in geringschatziger Weise uber sie auszulassen. Mundts Name wurde daher aus der Mitarbeiterliste der |281| »Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik« gestrichen, und in den Ankündigungen der von Mundt und Varnhagen veranstalteten Ausgabe von Knebels litterarischem Nachlasse durfte nur Varnhagen als Herausgeber genannt werden.
Besonders strenge Maßregeln wurden zugleich gegen die ausländische Presse ergriffen. Einige wenige unschuldige englische und französische Blätter wurden gestattet. Gegen die übrigen griff man zu dem Auswege, das gleiche Postporto wie für Briefe für sie zu erheben, wodurch der Preis einer jeden Zeitung sich auf mindestens 500 Thaler jährlich belief.*)*
Die leitenden Männer des jungen Deutschland wurden auf diese Weise vor die Zwangswahl gestellt, entweder vollständig zu verstummen und in schweigendem Trotz ihre Zeit abzuwarten, oder ihre Vergangenheit zu verleugnen und durch demütigende Versprechungen hinsichtlich ihres zukünftigen Verhaltens sich andere Bedingungen zu erkaufen. Es wird niemand, der in bezug auf die Durchschnittsmannhaftigkeit in der litterarischen Welt Erfahrungen gemacht hat, wunder nehmen, daß nur sehr wenige die Probe bestanden, und umgekehrt die Zahl derer groß war, die zu dem letzteren Auskunftsmittel griffen. Weder Heine, Wienbarg, noch Gutzkow beugten sich, im übrigen jedoch florierte gar üppig die Erbärmlichkeit. Scharen von jungen Schriftstellern hatten mit ihren philoso- phisch-revolutionären, politisch-oppositionellen Jdeen stolz gethan. Nun beeilten sie sich, ihre philosophische Zahmheit und politische Unschädlichkeit an den Tag zu legen. Es war ein Ehrenname gewesen, dieser Name des jungen Deutschland. Nun, da diejenigen, die ihn trugen, sich unter spezielle polizeiliche Aufsicht gestellt sahen, mochte sich niemand zu ihm bekennen; nun behauptete ein jeder, er wenigstens gehore nicht zu dieser Schule, und håbe er jemals dazu gehort, so sei das eine alte, langst begrabene Geschichte, er sei seit|282|her der anständigste Mensch der Welt geworden. Es zeigte sich hier, wie so häufig, daß die moderne gelehrte Erziehung nur obenhin Kenntnisse vermittelt, nicht aber Charaktere bildet, und seltensten unter dem schreibenden Volk.
August Lewald, der in allem und jedem der Gruppe ange hatte, erwirkte die Aufhebung des Verbotes seiner Zeitschrift »Europa« nur durch die von ihm abgegebene Erklärung, nie etwas veröffentlicht zu haben, was dem Staate, der Religion oder den Sitten widerstreite. Verfolge das junge Deutschland derartiges Tendenzen, so könne er demnach durch dieselben nicht kompromittiert sein. Eduard Duller, der als Gutzkows Mitredakteur die Zeitung »Phönix« herausgegeben, verwahrte sich öffentlich dagegen, mit den Bestrebungen des jungen Deutschland irgendwie zu sympathisieren und sagte sich von der ganzen Richtung seines früheren Mitarbeiters los. Theodor Mundt gab die Erklärung ab, »die fabrizierte Kategorie«, das junge Deutschland, sei ihm stets fremd gewesen, da es sich voraussehen ließ, daß eine solche Benennung früher oder später ein litterarischer Ekelname sein würde, ja in der Zueignung seiner neuen Zeitschrift »Dioskuren für Wissenschaft und Kunst« betonte er, daß es sich den litterarischen Ausschweisungen der jüngsten Zeit gegenüber darum handle, eine Überzeugung an den Tag zu legen, »worin nichts Verheerendes wuchert«.
Am mattherzigsten dürfte sich jedoch Heinrich Laube bezeigt haben, er, der von allen den Jungen der ungenierteste, herausfordernste gewesen, er, den Heine in einer Wendung, die nun lächerlich wurde, einen »jener Fechter, die nur in der Arena sterben« genannt hatte. Früher als alle anderen gab er in der »Allgemeinen Zeitung« eine Erklärung ab, die darauf hinausging, daß er mit seinem Versprechen, Dr. Gutzkow Beiträge für dessen neue Revue zu liefern, nie im Auge gehabt, Tendenzen sogenannten jungen Deutschland zu fördern, welcje darauf abzielten, die bestehende Zivilisation anzugreifen, geschweige denn sie zu zerstören oder zu |283| bedrohen. Er habe, im Gegenteil, von vornherein zu verstehen gegeben, daß eine eigentliche solidarische Teilnahme nicht nach seinem Sinne sei.
Am Neujahrstage 1836 schrieb er in dem Programm zur »Mitternachtszeitung«, zu deren Herausgabe er sich die Erlaubnis gegen das Versprechen erwirkt hatte, nicht als Redakteur auf dem Blatte zu fungieren, er wäre ein anderer geworden: die Litteratur sei ihm nicht mehr ein Ausdruck für politische Wünsche, er wolle nicht Partei nehmen an den litterarischen Kämpfen des Augenblicks, an dem »Skandale, welcher sich tummelt mit wüster Stirn und ungewaschenen Gliedmaßen«. Nein, er trage sich schon seit langer Zeit mit dem Gedanken, »eine neuromantische Schule« zu bilden und wolle bei dieser keine auslösenden, zerstörenden Elemente. Es gelte, dem Bestehenden förderlich zu sein, nicht aber ihm Krieg zu erklären. Er wolle sich zwar nicht Menzel anschließen (in der That!), »aber auch mit den angegriffenen Leuten, mit diesem sogenannten jungen Deutschland können wir nicht gehen«. Er, der der Ausgelassenste gewesen, zeigte sich als der Geschickteste, als es galt, umzusatteln.
Wie es nicht anders zu erwarten war, brachten nun die Blätter Tag für Tag neue Erklärungen aller derjenigen preußischen Universitätsprofessoren, die unvorsichtig genug gewesen waren, der deutschen Revue ihre Mitarbeiterschaft zuzusagen. Ulrici und Eduard Gans, Hotho, Rosenkranz und Trendelenburg, Hegelianer und Antihegelianer, wuschen sich einer nach dem andern von aller Mitschuld rein. Die Beamtenseele in ihnen war von Reue erfaßt. Sie wetteiferten darin, Gutzkow so weit als möglich von sich wegzuweisen.
Heine, der nicht zu denen gehörte, die in einer schwierigen Lage den Mut oder den Kopf verlieren, und der teils infolge seines großen Rufes, teils durch die persönliche Sicherheit, die sein Aufenthalt im Auslande ihm gab, sich leichter als die anderen über |284| den Bannstrahl hinwegsetzen konnte, antwortete auf das Verbot seiner Schriften mit einem unterm 28. Januar 1836 an den Bundestag gerichteten Schreiben, über dessen feierlichen Ton er sich unmittelbar darauf in einem witzigen Briefe an seinen Verleger lustig macht. Er spricht darin seine Verwunderung aus, ohne Verhör und ohne zu irgend welcher vorausgehenden Verteidigung Gelegenheit gehabt zu haben, verurteilt worden zu sein, und hält dem Bundestage vor, daß das heilige römische Reich nicht also gegen Martin Luther gehandelt habe, mit dem er sich zwar keineswegs vergleichen wolle, »allein der Schüler beruft sich gern auf das Beispiel des Meisters«. Wenn er sich gegen etwas verwahre, so sei es allenfalls gegen die Meinung des Publikums, welches sein erzwungenes Stillschweigen (das er natürlich im stillen fest entschlossen war, baldmöglichst zu brechen) als das Eingeständnis strafwürdiger Tendenzen oder gar als ein Verleugnen seiner Schriften ansehen könnte. — An Laube, dessen Haltung ihm dazumal noch nicht bekannt war, schrieb er gleichzeitig, daß in den politischen Fragen vorläufig so viel Konzessionen gemacht werden könnten, als man nur immer wolle, denn die politischen Staatsformen wären gleichgültige Dinge, so lange der Kampf um die ersten Lebensprinzipien nicht entschieden sei. An der Diskussion über das religiöse Prinzip und die Moral aber müßten sie festhalten, da es sonst mit der ganzen protestantischen Denkfreiheit zu Ende sei. Wir haben gesehen, wie Laube als sich die Notwendigkeit herausstellte, die Pfeife in den Sack zu stecken, es vorzog, alle Pfeier auf einmal einzuziehen, die politische sowohl als die religiöse und moralische.
Ein kleiner Trost für die von der Denunziation Betroffenen war es, daß der Angeber nicht ungestraft sich der erreichten Resultate erfreuen konnte. Heine schrieb »Über den Denunzianten« und Börne »Menzel, der Franzozenfresser« eine Schrift die mit Recht als seine witzigste und zugleich warmherzigste betrachtet wird. Der Heinesche Angriff war jedoch der schlimmere für Menzel, denn Heine |285| warf sich mit seiner ganzen, tigerartigen Kraft derartig auf ihn, daß nichts als ein paar lächerliche Fetzen Von ihm übrig blieben.
Heine zeigt, wie gut Menzel die Zeit für seine Angeberei zu wählen gewußt, eine Zeit, in der die Stimmführer der Bewegungspartei teils landesflüchtig, teils verstummt waren, teils in wohlvergittertem Gewahrsam saßen. Er enthüllt die Heuchelei Menzels, der, so lange er selbst mit Gutzkow in Kompanie war, in kummervollem Schweigen zugesehen, wie das Christentum in Lebensgefahr schwebte. »Eine gewisse physische Moralität« wolle er ihm keineswegs absprechen. Die Tugend könne nämlich ein jeder allein üben, zu dem Laster aber gehörten immer zwei. Auch werde Herr Menzel von seinem Äußern aufs glänzendste unterstützt, wenn er das Laster fliehen wolle. Heine habe eine zu vorteilhafte Meinung von dem guten Geschmack des Lasters, als daß er glauben dürfte, es würde jemals einem Menzel nachlaufen. Der arme Goethe wäre in dieser Beziehung nicht so glücklich begabt gewesen. Was Menzels Politik betreffe, so dürfe Heine nicht über diese reden . . . wegen der Politik. Und über dessen Privatmenschenleben — es steht, wie als Folge eines Satzfehlers: Privatschelmenleben — könne er, schon aus Mangel an Raum, ebenfalls nicht reden.
Heine hat nie etwas geschrieben, das zugleich so grob und so vernichtend gewesen wäre.
Wie erging es indessen Gutzkow, der so jung, kaum vierundzwanzig Jahre alt, eine Art Mittelpunkt der litterarischen Bewegungen geworden war, und gegen den »der Goliath des Philisterheeres« sich erhoben hatte? Er war im ersten Augenblick überrascht und niedergeschlagen. Er machte die erste lehrreiche Lebenserfahrung. Seine Sünde war, sich naiv und aufrichtig in einem mittelmäßigen Romane ausgesprochen zu habne, und nun sah er sich plötzlich als eine Pest der Gesellschaft ausgeschrieen, von seinen Feinden verspottet, von seinen Freunden verlassen und verleugnet. Ruhig ließ er es sich gefallen, mit den Männern verglichen zu werden, welche |286| Jan von Lehdens in Münster verübte Greuel, die Verteilung des Eigentums und die Ehe mit zwölf Weibern zu gleicher Zeit, vorbereitet hatten. Er war unerfahren genug, den Gerichtsverhandlungen Siegesvorstellungen entgegenzusehen, und es war ihm, als er in Mannheim verhaftet wurde, eine Erleichterung, das Gefängnis zu betreten. Hier war er von der Katzenmusik der Zeitungen befreit, hier hörte er nur das leise Pfeien der Mäuse, die paarweise über Bett liefen. Ein friedliches Leben, ein Leben ununterbrochenen ruhigen Schaffens that sich vor ihm auf. Er schrieb seinen Roman »Seraphine« und eine Arbeit »Philosophie der That und des Ereignisses«, eine Art Kritik der Hegelschen Geschichte der Philosophie. Als er aus dem Gefängnisse entlassen war, nahm er mit Festigkeit, wenn auch mit größerer Vorsicht im Ausdrucke und vorläufig anonym, sein Lebenswerk wieder auf.
Vor Jahresfrist hatte er sich in Berlin in ein junges Mädchen verliebt und sich mit ihm verlobt. Aber die Berliner Zeitungen nannten ihn einen Gottesleugner. Die Mutter der jungen Dame war eine hysterische Spießbürgerin. Heute schloß sie Gutzkow ihre Arme, morgen bedrohte sie ihn mit einem Küchenmesser und rief der Tochter zu: Er oder ich! Je bedenklicher es erschien der Tochter Zukunft an die Gutzkows zu knüpfen, um so seltener wurden die milden Tage der Mutter, um so häufiger die rauhen, undals gehorsame Tochter zog die junge Dame sich zurück. Dieses Ereignis hatte einen ungeheuren Eindruck auf Gutzkows junges Gemüt gemacht. Er hatte erfahren, wie eine der Umgebung widersprechende Überzeugung auch im Privatleben isoliere, wie derjenige der den Anschauungen der Gesellschaft Trotz bietet, nicht nur Wohlergehen, sogar sein Liebesglück gefährdet sieht.
Das Benehmen seiner Freunde bildete hierzu ein Seitenstück. Kaum aus dem Gefängnisse entlassen, begegnete er den Vorwürfen und Anklagen von Personen, denen er früher litterarische Beschäftigung zugefast hatte, und die nun nicht nur ihre Hoffnungen |287| enttäuscht, sondern durch seine ehemalige Protektion sich noch bloßgestellt sahen.
Aus jenen ersten erotischen Enttäuschungen ging eine der besten seiner kleineren Novellen »Der Sadduzäer von Amsterdam« hervor, und als nun zu diesen Enttäuschungen noch seine frühesten Welterfahrungen hinzutraten, bildete sich das Stimmungsleben in seinem Gemüte heraus, welches viele Jahre später der Dramatisierung der erwähnten Novelle das Gepräge gab. Aus jener Novelle ging sein vorzüglichstes Drama hervor, ja sein vorzüglichstes Dichtwerk überhaupt: »Uriel Acosta.«
Der Held dieses Schauspiels ist eine historische Persönlichkeit, Gabriel (später Uriel) Acosta, geboren 1594, ein Religionsphilosoph jüdischer Abstammung, dessen Eltern jedoch schon getauft waren. Wegen Unglaubens, dem Christentum gegenüber, mußte er aus seinem Geburtslande Portugal nach Holland flüchten, wo er anfänglich sich den Juden näherte, bald aber Schriften herausgab, die gegen die jüdischen Dogmen sowohl, wie gegen die christlichen sich kritisch verhielten. Er wurde erst zu Geldbußen, dann zu einer entehrenden Strafe verurteilt, nämlich dazu, nach vorhergegangenem Widerruf seiner Verirrungen, vor der Schwelle der Synagoge liegend alle Gläubigen über sich wegschreiten zu lassen. Nach siebenjährigen Verfolgungen unterwarf er sich dieser Buße, machte aber dann, beschämt und voll Verzweiflung, daß er sich zum Widerrufe seiner Anschauungen hatte bestimmen lassen, seinem Leben mit einem Pistolenschuß ein Ende (1647). Er war Spinozas Vorgänger und der Überlieferung nach auch dessen Lehrer.
»Der Sadduzäer von Amsterdam« ist eine kleine Novelle in altväterischer Manier, worin die hervorragendsten Charaktere des späteren Dramas bereits stizziert sind. In Judith, Acostas wankelmütiger und schließlich treuloser Geliebten, ist offenbar die unbeständige, kleine Berlinerin gezeichnet. Der Stil ist naiv und schwach. Als Spinoza eingeführt wird, heißt es: »Sie rief, und uhr Einziger,« |288| ein Knabe von sieben Jahren, eilte auf seinen Oheim zu, den er im Mondenschein leicht erkannte. Entblößt Eure Häupter! Dieser Knabe war Baruch Spinoza.«
Was Gutzkow bei diesem Stoffe anzog, war offenbar dessen pathetischer Charakter im allgemeinen als Geschichte eines der ersten Märtyrer des freien Gedankens.
In unseren Tagen lesen wir von einem solchen Leben ohne besondere Gemütsbewegung. Die geistig Freigewordenen wissen, daß die Entwicklung nur gerade soweit fortgeschritten ist, um ihnen Duldung zu gönnen. Sie haben in dem Stück Leben, das hinter ihnen liegt, sich in dem Grade daran gewöhnt, dasjenige, was sie am höchsten schätzen, verdammen, was sie hingegen für niedrig oder verrückt halten, lobpreisen zu hören, daß kein Stoff dieser Art mehr Eindruck auf sie macht.
Für »das Geschlecht von 1830 in Deutschland war dies jedoch anders. Selbst der Punkt, daß Uriel Acosta um Gnade bat und widerrief, kühlte Gutzkows Interesse für ihn nicht ab. Er schreibt in der Novelle: »Wir, die wir gewohnt sind, in einer gleichsam angeborenen, fortwährenden Märtyrerschaft unserer Überzeugung zu leben, werden leicht zur Hand sein, über einen Mann den Stab zu brechen, welcher gegen die Satzungen einer fanatischen, intoleranten Religion aufzutreten den Mut hatte und später im stande sein kann, zu der Hand, die ihn züchtigte, wieder heranzukriechen. Allein in Uriels Seele war Verwirrung eingezogen.«
Er schildert diese Verwirrung: Der Glaube ist wie der Stab, der den Blinden führt. Wird der Mensch plötzlich sehend, so hat das Auge noch nicht die Übung, die Dinge zu unterscheiden, am wenigsten des Stabes tausendjährige Gewöhnung, ihn davor zu schützen, daß er falle, und so saftet und strauchelt er ärger als zuvor.
Nachdem der von Menzel entfesselte Sturm über Gutzkows Haupt dahingebraust war, mußte dieser Stoff notwendig eine neue
|289| Bedeutung für ihn gewinnen. Indem er sich darin vertiefte, fand er in demselben nicht nur echt dramatische Elemente, er sah auch, wie dessen wesentlichste Punkte mit denen seines eigenen Daseins übereinstimmten: Auch er war ja in Bann gethan und mit Interdikt belegt worden. Auch er war verleugnet worden, nachdem man ihn verflucht. Auch er mußte für seine kühnen Gedanken büßen. Auch ihn hatte man vor der Schwelle der gekränkten Kirche niedergeworfen, und der ganze Schwarm war über ihn hinweggegangen und hatte auf ihn getreten.
Als er schließlich im Jahre 1846 in Paris unter dem Eindrucke der tragischen Spielweise großer Schauspieler dem Stoffe dramatische Form gab, nahm er einige Veränderungen vor. Er idealisierte die weibliche Hauptfigur, um der Handlung ein erhöhtes Interesse zu geben. Judith ist in der Tragödie »Uriel Acosta« die Verlobte eines anderen; Uriel ist ihr Lehrer. Als aber die Rabbiner in feierlichem Aufzuge den schrecklichen Fluch über ihn aussprechen, als alle von ihm weichen und er auf der einen Seite der Bühne allein zurückbleibt, während ihm die Worte entgegenschallen:
da schreitet Judith quer Über die Bühne und stellt sich an seine Seite mit dem bekannten, schönen Gefühlsausbruche, der mit dem Verse schließt:
Der Novelle entnahm Gutzkow ferner eine Figur, die dort kaum angedeutet ist; er schuf aus ihr eine unvergeßliche Gestalt, die ausgezeichnetste und originellste des Dramas: den Ältesten der Rabbiner, den neunzigjährigen Ben Akiba. Dieser Greis thut im Grunde nur einen einzigen entscheidenden Ausspruch, den er Uriel und den anderen gegenüber immer und immer wiederholt: |290| Bewunderungswürdige Worte! Ben Akiba, das ist das Alter, welches alles schon früher gesehen, welches die Kirche anfechten, die Kirche siegen, Zweifler und Kämpfer sich erheben, gedemütigt, niedergeworfen werden, sterben gesehen. Die anderen glauben, daß solches neu sei; es ist alles alt, es führt zu nichts. Ben Akiba das ist der dogmatische Konservatismus in Menschengestalt, die Erfahrung, die ihr schweres Haupt schüttelt. Hört die Jugend auf ihn, so ist ihre Selbstaufgebung die unvermeidliche Folge
Uriel läßt sich zum Widerruf überreden. Er thut es um seiner Mutter, um Judiths willen. Seine alte, blinde, gläubige Mutter kommt zu ihm, und in einer Szene, die auf der Bühne stets einen tiefen Eindruck hervorruft, bestimmt sie ihn, allein durch ihre stille Würde und große Liebe, ohne auch nur mit einem Worte ihn anzuflehen, um ihretwillen irgend einen Schritt zu thun — zu dem Widerrufe, dazu, sich der entehrenden Strafe zu unterwerfen. Indem er dieselbe über sich ergehen läßt, hofft er den Stein vom Herzen seiner Mutter zu wälzen und es möglich zu machen, Judith als Braut zu gewinnen. Doch während man ihn eingesperrt hält, damit er sich auf seine Buße vorbereite, stirbt seine Mutter und Judith wird zur Ehe mit Ben Jochai gezwungen. Er erniedrigt sich vergebens. Judith tötet sich mit Gift, und Uriel, wie es geschichtlich sich ereignet hat, mit einem Pistolenschuß.
»Uriel Acosta« steht durch seinen Stoff in der Litteratur der damaligen Zeit einzig da. Es ist eine Tragödie der Denkfreiheit, ein Drama, das von der Zeit, aus der es hervorging, kräftiger denn irgend ein anderes Zeugnis ablegt — von einer Zeit, reich an energischem Freiheitsstreben, doch reicher noch an Unterdrückung, von dem Geiste des jungen Deutschland, keck vorwärtsstürmend, doch nur allzu sehr zu Abfall und Widerruf geneigt, wie es war. Dieses Drama ist endlich ein beredter Zeuge von der ganzen Art und dem eigenthümlichen Talente des Dichters. Wer Gutzkows »Uriel Acosta« mit Heines »Almanzor« vergleicht, wird die oben |291| ausgesprochenen Worte, daß die besten Männer des jungen Deutschland in ihren besten Augenblicken einen männlichen Ernst an den Tag legten, wie er bei Heine nicht zu finden ist, bestätigen müssen.
»Uriel Acosta« ist seit langer Zeit ein Lieblingsstück auf allen deutschen Bühnen. Sein reiner Stil, der in der Behandlung des Stoffes an Lessings »Nathan« erinnern kann, hat Schwung und Pathos vor »Nathan« voraus. Trotz verschiedener Schwächen — die Szene mit Spinoza z. B. — ist sein dramatischer Bau ein fester.
Das Stück ist von allen Arbeiten Gutzkows dasjenige, das die weiteste Verbreitung gefunden hat. Es ist in alle slawischen und alle romanischen Sprachen, überdies ins Englische, Ungarische, Schwedische übersetzt worden, nur Dänisch ist es noch nicht herausgegeben.
In Deutschland wurde »Uriel Acosta«, wie Gutzkow treffend bemerkt hat, eine Art Barometer der öffentlichen Zustände. War die kirchliche Reaktion im Steigen, pflegte man es an einer großen Zahl von Bühnen zu verbieten. Trat ein Systemwechsel ein, wurde das Stück freigegeben. Für Osterreich ist es bezeichnend, daß es in den Provinzen des Reiches immer gegeben werden durfte, während der Ausführung im Burgtheater das Konkordat im Wege stand. Auf dänischen Bühnen ist das Stück, wie sich erwarten ließ, weder in jenen Tagen, noch auch später zur Ausführung gelangt.
Nach 1835 schreibt Gutzkow nichts Kindisches oder Unreises mehr. Er ist von nun an der große, rastlose Arbeiter in der Litteratur, ein Forscher und Schilderer auf kritischem Gebiete, der jede Gestalt, sei es der Vorzeit oder der Gegenwart, mit den Forderungen und Problemen seiner eigenen Zeit in Verbindung zu bringen weiß, ein scharfsichtiger Entdecker und Beurteiler der Zeiströmungen, ein Psychologe von Rang im Verständnis des einzelnen Charakters. Sein »Goethe« (1836) ist ein durchdachtes Schriftchen zunächts als ein Protest gegen Menzel empfunden; die |292| von ihm entworfene lange Reihe von Porträts (»Zeitgenoss«, nachher »Säkularbilder«) verrät Fähigkeiten, die ihm später als Romanschriftfteller zu gute kamen. Seine Lebensbeschreibung Börnes (1840) errichtet diesem Stammvater des jungen Deutschland Ehrendenkmal und macht gegen Heine Front, der durch seine unkluge und wenig hochsinnige Schrift über Börne bei dem jungne Geschlechte an Terrain verloren hatte.
Ein besonderes Interesse knüpft sich an Gutzkows damalige dramatische Versuche, weil er und Laube die ersten deutschen Schriftsteller von Rang waren, die nach den Tagen Heinrich von Kleists mit dem Theater wiederum in Verbindung traten und sich einen geachteten Platz auf Deutschlands Bühnen errangen. Gutzkow beginnt schwerfällig mit heutzutage unbefriedigenden, empfindsamen Dramen. »Richard Savage oder der Sohn einer Mutter« (1839) ist eine einzige große Überspanntheit: Ein genialer englischer Dichter, der ohne seine Eltern zu kennen aufgewachsen ist, findet in einer schönen, glänzenden, aristokratischen Weltdame seine Mutter, die nichts von ihm wissen will, sondern ihn verleugnet und fortjagt. Das ganze Stück füllen nun die vergeblichen Versuche, das kalte Herz dieser Mutter zu gewinnen. »Werner oder Herz und Welt«, aus dem Jahre 1840, ist ein bürgerliches rührendes Schauspiel, das sich um das von Gutzkow des öfteren variierte Thema, den Kampf im Herzen eines Mannes zwischen einer älteren Liebe und einer neuen Verbindung, dreht. Heinrich Werner hat sich unter dem Namen »von Jordan« adoptieren und adeln lassen und ein armes, aber bezaubernd schönes, junges Mädchen verlassen, um eine Dame von Stand zu ehelichen. In seinen neuen, reichen Verhältnissen aber vermißt er das ruhige Studienleben seiner bürgerlichen Jugend und besonders seine frühere Verlobte, an der sein Herz noch immer hängt. Da trifft er sie, Marie Winter, plötzlich in seinem eigenen Hause, wo sie als Erzieherin aufgenommen worden ist. Nachdem er eine Zeitlang zwischen seiner Gattin und dem jungen |293| Mädchen geschwankt, das er nur platonisch zu lieben sich vornimmt, das ihm jedoch teurer als jedes andere Wesen ist, kommt es zu einer häuslichen Krise. Die Gattin pocht auf ihr Recht, ein Recht, das von Heinrich verworfen wird. Seine Moral ist eine höhere, freiere als die ihre, während es ihr »vor seinen Grundsätzen graut«. Schließlich wird der Knoten durch einen deus ex machan durchhauen, indem ein junger Freund Heinrichs, damit die einmal bestehende Ehe nicht weiter gestört werde, mit Marie übereinkommt, daß sie beide sich heiraten wollen. Wie man sieht, ist hier dem tragischen Motiv die Spitze abgebrochen.
Erst mit »Zopf und Schwert« (1843) gelang es Gutzkow ein Schauspiel zu schreiben, das mit einem gewissen Vergnügen gesehen werden kann. Das Stück hat sich auf deutschen Bühnen gehalten, während es außerhalb Deutschlands nie festen Fuß fassen konnte, da es eine Art Nationaldrama ist. Es pocht das Herz des Preußen darin. Friedrich Wilhelm I. und die Verhältnisse an seinem Hofe sind es, die Gutzkow in einem historischen Luftspiel, der Art, wie sie Scribe damals mit so viel Erfolg schrieb, darstellen wollte. So oberflächlich wie bei Scribe ist jedoch die historische Auffassung hier keineswegs. Gutzkow hatte Verständnis sowohl für die gediegenen, wie für die humoristischen Charakterseiten des geizigen Familientyrannen und spartanisch strengen Monarchen. Doch schon die Lustspielform macht eine wahre Vertiefung in das Wesen des Preußenkönigs unmöglich. Dazu kommt, daß es Gutzkows Sache nicht ist, noch weniger die Laubes, den historischen Situationen und Charakteren nachzuforschen, bis sie auf die historische Wahrheit in ihrem Gegensätze zur Überlieferung gestoßen wären. Sie gebrauchten das Geschichtliche nur als Mittel für eine mehr oder minder sinnreich verschlungene Handlung. Man braucht daher nur den ersten Band von Carlyles »Friedrich der Große« in die hand zu nehmen, um einem so viel mächtigeren, ergreifenderen Bilde des barocken Preußenkönigs mit den langen Grenadieren zu |294| begegnen, daß im Vergleiche damit das Gutzkowsche Lustspiel einem matten Scherze zusammenschrumpst. Man braucht ferner nur in den Memoiren der weiblichen Hauptperson, Wilhelmine Bahreuth, zu blättern, um zu erkennen, daß das zwischen ihr und ihrem Vater herrschende Verhältnis nicht Raum für irgend Lustspiel bot. Läßt man indes den Gedanken an das wirklich Geschehene fahren, so hat man hier ein hübsches Intriguenstück einem gewissen historischen Kolorit vor sich, das für preußisch gesinnte Zuschauer notwendigerweise einen Affektionswert behalten wird. »Zops und Schwert« ist eine Art scherzhaftes Pendant zu Kleists ernstem »Prinz von Homburg«.
Von Gutzkows übrigen Dramen aus den vierziger Jahren hat »Das Urbild des Tartüsse« das meiste Glück gemacht, ist es eine sehr überschätzte Arbeit. Sehr niedlich ist hingegen das anspruchslose Gelegenheitslustspiel, das »Der Königsleutnant«, das Goethe in ganz jugendlichem Alter schildert, und das zu dessen hundertjährigem Gedenktage geschrieben wurde.
Nicht in den Rahmen dieser Darstellung fallen die enormen kulturhistorischen Romane »Die Ritter vom Geiste«, »Der Zauberer von Rom« u. s. w., die Gutzkow in der Reaktionsperiode nach 1848 verfaßte und die in jener Zeit in so hohem Grade seine Herrschaft über die Geister befestigten. Sie sind Vorbilder für die spätere lange Reihe der Spielhagenschen Romane.
Nächst Gutzkow erscheint Heinrich Laube als der bedeutendste Mann der neuen Gruppe. Laube (zu Sprottau in Schlesien 1806 geboren) ist eine deutliche Physiognomie und ein frisches, unverdrossenes Talent, mit überströmender verve, mit Sinn für was da wirkt und sich gut ausnimmt, mit einer Gabe zu leichter, aber in den meisten Fällen hinreichender Charakteristik und einer Fülle kühner Zweiterhandgedanken ohne Tiefe. Er ist nicht ohne Gefühl, nicht ganz ohne Ernst, doch hauptsächlich ausgezeichnet durch ein frisches, energisches, praktisches Naturell. Er hatte von |295| 1826 an in Halle und Breslau Theologie studiert und 1832 in Leipzig eine journalistische Thätigkeit begonnen. In seiner unpedantischen Schreibweise und in seinem ganzen äußeren Auftreten liegt etwas, das auf slawisches Blut in seinen Adern zu deuten scheint. Er liebte es, als Bursch im polnischen Schnurrock einherzugehen, geniale Mützen und Mantel zu erfinden; er schrieb in flotter, ungestümer Weise, mit einer unreifen Natürlichkeit und einem Mangel an Gründlichkeit, die nicht eben an die deutsche Schule gemahnten. Sein Blut war heiß und leichtflüssig, sein Temperament sanguinischcholerisch, ohne einen Schatten von Melancholie.
Als Mitglied einer Burschenschaft, und weil er allzu offenherzig seiner Sympathie für die Julirevolution und deren Nachwirkungen in Deutschland Ausdruck gegeben, wurde er 1834 aus Sachsen ausgewiesen und saß neun Monate in Berlin im Gefängnis. Er hat seine Haftzeit in der Einleitung zu seinem ersten Drama »Monaldeschi« direkt geschildert — die Einförmigkeit in jenem wundervollen Sommer 1834, das Eingesperrtsein in der mit einem Tisch, einem Schemel, einem Bett, einem thönernen Wasserkrug und einem Waschtischchen mit Blechgeräten versehenen Zelle ohne irgend ein Buch. Indirekt und weit ergreifender hat er diese Zeit im dritten Teile von »Das junge Europa« gezeichnet, wo Valerius auf mühsam errafften Papierschnitzeln seine Eindrücke während des langen Aufenthaltes in einem preußischen Gefängnisse niederschreibt.
Um sein Auftreten nach dem vom Bundesrate gegen seine Schriften, als die eines dem jungen Deutschland Zugehörigen, gerichteten Interdikt mit Billigkeit zu beurteilen, muß man bedenken daß dieser Schlag ihn gleich nach seiner Entlassung aus dem Gefängnisse traf, wie daß er trotz seiner ängstlichen Vorsicht diesem Erkenntnisse gegenüber, 1837, kurz nach seiner Vermählung, wegen Teilnahme an der Bestrebungen der Durchenschaften zu einer neuen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Diesmal war die Strafe mild. Offenbar auf Fürscprache des Fürsten Pückler-Muskau hin |296| durfte Laube seine Strafe in einem Jagdhause zu Muskau abbüßen. Statt einer Zelle erhielt er einen Saal, statt einer Dachluke öffneten sich ihm acht Fenster nach drei Himmelsgegenden, ja es wurde ihm sogar ein täglicher Spaziergang in dem weltberühmten Parke gestattet. Er konnte lesen und schreiben, so viel er wollte. Seine Frau teilte das Gefängnis mit ihm. Von dieser Zeit an tritt er politisch äußerst gemäßigt auf, ja, als er 1848 in die deutsche Nationalversammlung gewählt wird, schließt er sich nicht republikanischen, sondern der »erbkaiserlichen« Partei an.
Laube beginnt in der Litteratur als Schüler Heines »Reisenovellen« (eine lange Reihe von Bänden) find direkte Nachkommen der »Reisebilder«; doch ist es für ihn bezeichnend, daß sich Heines Einfluß bei ihm stets mit demjenigen Heinses kreuzt. Heine entnimmt er die mutwillige Ausgelassenheit und den Esprit des Stils, von Heine stammt auch zum Teil die sich zuweilen recht unangenehm geltend machende persönliche Geckenhaftigkeit. Von Wilhelm Heine jedoch, den er im höchsten Grade bewunderte und dessen Werke er herausgab, kommt ihm die unverblümte Sinnlichkeit, die einen förmlichen Kultus mit der äußeren Schönheit des Weibes treibt und immer den Mund voll nimmt. Nur daß diese Verehrung für die weiblichen Formen und Farbentöne, diese Schwärmerei für das Fleischliche bei Heinse ursprünglicher, mehr naiv bachantisch, mehr aufrichtig religiös ist, während man bei Laube mitunter von einer gewissen Roheit verletzt wird, mitunter die Neigung, den guten Bürger zu ärgern, herausfühlt, zuweilen auch durch eine Art beinahe persönlicher Prahlerei mit den Gaben des Frauenbezwingers peinlich berührt wird.
Da Laube als alter Mann seine Jugendwerke neu herausgabe stannte das neue Geschlecht über die darin vorkommenden Geschmacklosigkeiten, die einige vierzig Jahre früher die Jugend der damaligen Zeit angesprochen hatten; und mancher stimmte dem strengen Urteile, das Emil Ruh kurz vorher in dem seinem Werke |297| über Hebbel eingefügten Abschnitte über das junge Deutschland gefällt hatte, bei. Es ist jedoch unbillig, um einiger grober und taktloser Einzelnheiten willen das Hauptgepräge dieser Produktion zu übersehen.
In den »Reisenovellen«, so flott sie auch hingeworfen sind, ist wenig Originelles. Schon der Abschnitt »Leipzig« mit seinen französischen Sympathieen und seiner Ehrfurcht vor Napoleon ist allzu stark von den »Reisebildern« beeinflußt. Auch Laube will als Kind den großen Kaiser gesehen haben, ist dessen aber doch zu wenig sicher, um es nicht dahingestellt sein zu lassen, ob die Erscheinung Traum oder Wirklichkeit gewesen. Auch Laube hat (im Kavalleristen Gardy) seinen Tambour Legrand.
Doch will man einen vollen Eindruck von Laubes Jugendwesen gewinnen, so muß man seinen Roman »Das junge Europa« (vier Bände, 1833—87) durchlesen. Ein großes Stück seiner Entwicklung liegt in diesem, heute nicht mit Unrecht vergessenen, Buche, das nur noch für den Historiker ein lebendigeres Interesse hat, klar übersehbar vor einem da. Die drei Teile desselben: die Poeten, die Krieger und die Bürger, sind Arbeiten von höchst verschiedener Art und höchst verschiedenem Werte.
Der erste Teil steht ganz unter dem Einflusse von Heinses »Ardinghello«. Es ist eine Prosahymne an die Frauenschönheit und die Freiheit der Liebe. Die Form ist gewaltig altväterisch. Man muß sich durch einen Roman in Briefen hindurcharbeiten, der die erotischen Geschicke von mindestens einem Dutzend Personen umfaßt. Doch der Totaleindruck ist der des stürmischen, begeisterten Begehrens junger, lebenslustiger, lebenskräftiger Männer, der resoluten Hingebung junger, kühner oder zärtlicher Frauen — der Eindruck eines Geschlechtes, in dessen Adern, politisch, sozial, erotisch, ein Freiheitsdrang glüht, der alle Formen und alles Herkommen spreng. Wir thun einen Einblick in eine erdichtete, romantische Welt, die Welt von Laubes Jugendträumen, in der sich viel Kraft regt |298| und viel ungebundene Lebensfülle, und wo lauter Illusionen über eine Weltverjüngung durch Revolutionen verschiedener Art herrschen. Es ist ein Roman, handelnd Von schönen männlichen und weiblichen Körpern und Seelen, deren Wesen Empörung gegen das Christentum und die Ehe ist.
Zwischen dem ersten und zweiten Teil hat sich in der Gesinnung des Autors offenbar ein nicht geringer Umschwung vollzogen. In die Zwischenzeit fällt der Eindruck, den die Gewalt der Reaktion auf ihn gemacht hatte; er scheint inzwischen zum Manne herangereift zu sein. Während man im ersten Teile kaum die Personen genügend auseinander halten konnte — die Männer unterschieden sich nur durch das mehr oder minder unbändige erotische und gegen das Herkömmliche trotzende Temperament, die Frauen nur durch die Ungleichartigkeit ihrer körperlichen Reize — werden wir im zweiten Teile in eine Welt eingeführt, in der man reelle Freiheitsziele nationaler politischer Art verfolgt. Die Briefform ist hier aufgegeben, und es kommen verhältnismäßig wenig Personen vor.
Es ist der polnische Aufstand, der hier geschildert wird; Valerius, eine der Hauptpersonen des ersten Teils, beteiligt sich daran allgemeiner Freiheitsliebe. Der Stoff hat an und für sich ein gewisses Interesse, wenn auch da und dort allzuviel bloß Historisches aufgenommen ist. Laube hat Blick für die Eigentümlichkeiten der Polen als Volk, und schildert sie sicher und unparteiisch. Das lebhafte Nationalgefühl bei Hoch und Niedrig, die Vorurteile, die Tyrannei des Adels, die Wildheit und Kraft des gemeinen Mannes, all dies tritt, widergespiegelt in der Auffassung des deutschen Freiwilligen, deutlich hervor. Das Mißtrauen, mit welchem diesem Fremden begegnet wird, der Mangel an Freisinn, den er die Freiheitsmänner seinem Freunde, einem jungen polnischen Offizier jüdischer Abstammung, gegenüber an den Tag legen sieht, läßt ihn in bezug auf eine, im Gefolge der Julirevolution für Euripa heranbrechende, goldene Zukunft mehr und mehr seine Illusionen verlieren. Durch das |299| Buch ziehen sich tragische Stimmungen. Wir sehen, wie die Erhebung der Polen vergeblich isi, wie ihr vorherbestimmt scheint, mit der vernichtenden Niederlage zu enden. Wir sehen, wie der junge Jude Joel trotz seines tapfern Strebens, auf dem Schlachtfelde sich die Gleichberechtigung mit seinen aristokratischen Landsleuten zu erringen, sich aus der Stellung eines Paria im Polenstaate nicht zu erheben vermag. Seine Geliebte darf nicht daran denken, ihm ihre Hand zu reichen, selbst ein einfacher Bauer verschmäht seine Teilnahme. Als der Aufruhr erstickt ist, legt er voll Verzweiflung die Uniform beiseite, um als Schacherjude von Dorf zu Dorf zu wandern. Die Christen verstoßen ihn, die Juden hat er durch seinen Bund mit den Christen unlängst selbst von sich gestoßen. Menschenrechte besitzt er nicht. So will er denn seine Kenntnisse, seine philosophischen Bestrebungen, seine Freude an Wissenschaft und am Waffenhandwerk vergessen und mit Bändern handelnd umherziehen, wie seine Väter gethan.
Diese Figur hat ein besonderes Interesse für Dänen, da Goldschmidt offenbar einige der Grundmotive seiner Hauptperson in dem Romane »Der Jude« von ihr entnahm. Auch hier ist ein Jude, der als Offizier im polnischen Freiheitskampfe mitgekämpft hat, und der ebenfalls in verzweifelnder Bitterkeit, nachdem er überall zurückgestoßen worden, als außerhalb der Gesellschaft stehender Wucherer endet.
Der dritte Teil des Laubeschen Romans »Die Bürger« steht niedriger, ist nicht aus einem Gusse geformt. Am interessantesten sind darin zwei Züge: daß der ungestümste Held des ersten Teiles, Hippolyt, schließlich an der Zivilisation der modernen Welt verzweifelt, die keinen Raum für die großen Ausnahmen habe, und so zu der Forderung gelangt sei, daß alle Menschen gleich klein sein müssen, und endlich, daß hier der nächts ihm am weitesten gehende Freiheitsenthusiast des Romans, der anfangs so kühn auftretende Konstantin, welcher nach Paris ging und in den Julitagen auf den |300| Barrikaden kämpfte, wenige Jahre später als preußischer Oberrichter in seiner Strenge gegen politische Revolutionäre unbeugsam fanatisch auftritt. Konstantin setzt weitläufig auseinander, welche Eindrücke ihn dazu gebracht haben, seine Gesinnungen zu ändern (Laube hat offenbar lebende Modelle zu dieser Persönlichkeit im Auge gehabt); indes ist der Verfasser doch noch so sehr in seinen Jugendidealen befangen, daß er diesen Mann in seiner Verzweiflung, der früheren Überzeugung untreu geworden zu sein, Hand an sich selbst legen läßt.
Laube lebte bekanntlich vom Jahre 1849 an bis zu seinem vor wenigen Jahren eingetretenen Tode gänzlich dem Theater. Er entwickelte sich rasch zu dem tüchtigsten, angesehensten Theaterleiter Deutschlands und Österreichs, der als solcher jedoch stets eine Vorliebe für das französische Schauspiel bewahrte. Was selbst für die Bühne geschrieben, wird das Andenken seines Namens am längsten erhalten.
Unter der langen Reihe historischer Dramen, die er gelief sind die bedeutendsten — »Monaldeschi« (1834), »Struensee« (1844) und »Die Karlsschüler« (1847) — bezeichnend für die Ideale des jungen Deutschland, wie sie sich in Laubes Geist gestalten. Das letzte dieser Schauspiele wurde populär und wird noch immer aufgeführt, die anderen sind effektvolle Theaterstücke in veraltetem Geschmack.
Monaldeschis Charakter ist mit Frische angelegt. Er ist der kecke Abenteurer, der keine Bedenken kennt, noch höhere Ziele als emporzuklimmen und das Leben in kräftigen, tiefen Zügen genießen, der jedoch den Wert der Macht zu schätzen weiß und sie würdig gebrauchen will, kurzum, er ist Hippolyt aus »Das junge Europa« in historischem Kostüm. Die kompliziertere Frauennatur der Königin Christine hat Laube nicht zu bewältigen vermocht, doch sind hier Elemente gegeben, aus welchen es einer hervorragenden Schauspielerin gelingen dürfte, Eigenartiges zu gestalten. Als Ganzes |301| wird das Stück jedoch erdrückt von der unerträglichen Sentimentalität der erotischen Szenen (Monaldeschi liebt romantisch ein Fräulein Sylva Brahe); als Kunstwerk leidet es unter der Ängstlichkeit des Verfassers davor, die Ehrbarkeit eines philiströsen Publikums zu verletzen. Das wahre Verhältnis zwischen Christine und Monaldeschi ist bis zur Undeutlichkeit verwischt. Die scharfen Ecken des historischen Stoffs sind abgestoßen, damit er in die Formen der Theaterromantik gepreßt werden konnte.
In »Struensee«, dem zweiten von Laubes Dramen, worin die Handlung an einen nordischen Hof verlegt ist, wird mit der Geschichte und den geschichtlichen Charakteren ein noch freieres Spiel getrieben. Struensee ist hier der edle, freiheitsliebende Reformator, dessen einziger Fehler allzu große deutsche Humanität ist, die davor zurückscheut, Blut zu vergießen. Wäre er nur ein bißchen weniger hochgesinnt und etwas rücksichtsloser gewesen, so hätte er mit Leichtigkeit seine Macht behauptet. Seine Schwäche, die ihn stürzt, ist eine ritterliche, platonische Schwärmerei für Karoline Mathilde, die seine Gefühle ebenso unschuldig erwidert. Christian V11. ist zu einem von Schwermut befallenen, aber würdigen, etwas einsilbigen Monarchen geworden. Struensee wird hier von lauter Deutschen gestürzt, die teils neidisch auf ihn, teils gehässig gegen ihn aus dem Grunde sind, weil er ihre unvernünftigen Wünsche nicht erfüllen will; die bittere Lehre des Stückes ist die, daß niemand einem deutschen Geisteshelden so gram ist, als seine eigenen Landsleute. Stets sei es so gewesen, daß, bar alles Nationalgefühls, sogar Fremden gegenüber, Deutsche sich am schlimmsten gegen Deutsche gezeigt. Selbst wenn man von dem Bruch mit dem Historischen ganz abzusehen versucht, ist dieser sentimental erotische, »für alles Edle und Schöne bgeisterte« Struensee eine durchaus unwirckliche Gestalt als Parvenünminister. So leicht hat es Laube sogar mit dem Ganz der Begenheiten genommen, daß Struensee, wie ein zweiter Marquis Posa, durch einen Schluß fällt, der an jenem 17. januar 1772, |302| an dem er verhaftet wurde, auf Guldbergs Befehl abgefeuert wird. Zur Entschuldigung des Verfassers muß jedoch eingeräumt werden, daß eine Hauptursache aller dieser Umdichtungen in der Notwendigkeit lag, das Historische so anzuordnen, daß die Zensur sich nicht veranlaßt sähe, das Stück aus Rücksicht auf eine befreundete Macht zu verbieten. Von der Strenge dieser Zensur erhält man einen Begriff, wenn man bei Laube liest, wie das Stück gleichwohl jahrelang, um das dänische Königshaus nicht zu verletzen, in Preußen verboten gewesen ist.
Erstaunlich ist es indessen, daß ein so völlig unschuldiges, gegen die Staatsautorität unendlich rücksichtsvolles Schauspiel, wie »Die Karlsschüler«, das Schillers Jugend zum Vorwurfe hat, bei seiten Erscheinen 1846 in Osterreich, Preußen, Hannover, Württemberg, Hessen-Kassel, sämtlichen Großherzogtümern und mehreren Herzogtümern mit einem Schlage verboten wurde. Es enthält im Grunde nichts anderes, als eine Verherrlichung des deutschen Nationaldichters durch die Darstellung der Schwierigkeiten, die sich ihm, dem in des Herzogs Karl von Württemberg Diensten stehenden jungen Regimentsseldscher, in den Weg stellten, und schließt mit seiner Flucht von Stuttgart nach Mannheim. Es bildet eine Parallele zu dem Jugend Goethes behandelnden Lustspiele »Der Königsleutnant« von Gutzkow, das es jedoch an dramatischem Leben übertrifft. Auch hier ist die strenge historische Wahrheit geopfert. Der Charakter des Herzogs Karl ist gemildert und abgeschwächt, genau wie der des Königs Friedrich Wilhelm in Gutzkows »Zopf und Schwert«. Dies ist eine Kunst, die nicht nur Rücksichten zu nehmen genötigt ist, sondern auch unter dem Drucke eines Herkommens zur Welt kam, das den Sinn des Dichters selbst gefangen genommen. Doch war dieser Sinn ein leichter, und die Hand, die das Drama schrieb, eine leichte Hand. Von dem Glanze, der den Namen Hauptperson umstrahlt, ist etwas auf das Stück gefallen. Solange Schiller seine hoge Popularität in Deutschland bewahrt, wird man |303| wahrscheinlich seine Freude an dieser Umschreibung seiner Jugendgeschichte haben, eine Geschichte, die man allerdings heute genauer kennt, als zur Zeit, da die Karlsschüler entstanden. Außerhalb Deutschlands dürfte ein Schauspiel wie dieses kaum Anklang finden.
Neben Gutzkow und Laube wird am häufigsten Mundt genannt, wenn man in heutiger Zeit der Führer des jungen Deutschland gedenkt. Als Organ der Gefühle und Ideen der Gruppe steht er ungefähr um das Jahr 1835 auf seiner Höhe. In diesem Jahre giebt er diejenige seiner historisch darstellenden Arbeiten, die allein für das Seelenleben der Jugend Bedeutung erlangte, nämlich das Werk »Charlotte Stieglitz, ein Denkmal« heraus. Es riß zwar hauptsächlich durch den Stoff, doch auch durch die Wärme und Pietät, mit der er behandelt ist, Tausende von Herzen mit sich fort. Und in demselben Jahre erschien auch sein »Madonna, Unterhaltungen mit einer Heiligen«, von allen Schriften Mundts die sowohl für die Gefühlsweise des jungen Deutschland, wie für sein eigenes Wesen bedeutsamste.
Theodor Mundt, geboren zu Potsdam 1808, war eine hingebende, an Sache und Person zugleich mit Schwärmerei und mit Verstand, sich hingebende Seele. Er war nicht bloß wie Wienbarg eine begeisterte Natur, sondern — bei allerdings geringerer Tapferkeit — ein weit reicherer und vielseitigerer Geist. Und doch war er ein Geist ohne Schneide, ein Verstand ohne Schärfe, ein Phantast ohne Grazie, ein Schriftsteller ohne Konturen, ein Stilist ohne kernige Kraft. Sein Buch über Charlotte Stieglitz hat ihn allein überlebt, und zwar ist dies das Verdienst des Stoffs. Er konnte scharf, bissig, ungerecht sein, wie schwache Naturen es oft sind oder werden, aber selbst seine schärfsten Ausfälle sind nicht Ausbrüche eines kriegerischen Naturells, sondern in der Regel nur auf das Mißverständnis eines Widerparts sich gründende Selbstverteidigung und Selbstbehauptung, nur gefarlose Stöße eines wildgewrodenen Hammels.
|304|Es überrascht den modernen Leser, daß eine Arbeit wie Mundts »Madonna« jemals als ein gefährliches Buch betrachtet werden konnte. Man muß die Angst der Regierenden vor Schemen in voller Erinnerung haben, um es zu fassen. Doch darf derjenige, das Zeitalter studieren will, nicht unterlassen, es zu lesen, denn es liegt etwas Typisches in dem Ausdruck, welchen es den Gedanken und Schwärmereien der Jugend leiht. »Madonna« ist schon durch die Formlosigkeit des Werks für Mundt und diejenigen, deren Geschmack mit dem seinigen zusammenfiel, charakteristisch. Es ist Lyrik in Prosa, es sind Reiseschilderungen, persönliche Bekenntnisse weltumgestaltende Theorieen von der Ehrenrettung des Fleisches einer bisher unbekannten Mystik, alles um ein novellistisch mitgeteiltes Frauenschicksal gruppiert.
Das Buch leitet cine Posthorn-Shmphonie ein; sie ist nicht übel geschrieben, in altem romantischen Stil, doch ohne romantischen Inhalt. Sie verherrlicht »die Bewegung«, das Stichwort, welches Mundt erfand, in das er sich verliebte. Bewegung ist ihm, was andern der Fortschritt, der Kampf für die Freiheit war —— die Losung der neuen Zeit. Er spricht von der Bewegungspartei; die neue Literatur ist ihm Bewegungslitteratur, selbst »Madonna« stempelt er in einer Nachschrift zu einem Buche der Bewegung. Der Ausdruck ist, wie man sieht, recht neutral und unschuldig.
Lesbar in »Madonna« sind heutzutage nur die Mitteilungen der Hauptperson über ihr Leben und ihren Lebenswandel. Der Verfasser trifft sie,in einem kleinen böhmischen Dorfe und bleibt, als er sie auf der Straße, als Teilnehmerin bei einer katholischen Prozession, erblickt, von ihrer auffallenden Schönheit wie gebannt stehen. Ein Zufall führt ihn später am selben Tage gerade in das Hans ihres alten Vaters. Er gewinnt (in recht verrückter Weise) das Herz des bornierten, alten Mannes durch seine salbungsvollen Mittelingen über Kasanova, welcher in der Gegend auf dem Schlosse Dux gelebt, erlangt eine Einladung für den Abend und verbringt |305| einen Teil der Nacht in schwärmerischen Gesprächen mit der Tochter, in welcher er ein Weib findet, das seiner Vorstellung nach eine Heilige zu nennen ist (»eine Weltheilige«), und die ihm als solche unter heißen Thränen eine Umarmung und einen Kuß schenkt. Da er den nächsten Morgen die Gegend verlassen muß, legt sie bald darauf in einer unmäßig langen Epistel »Bekenntnisse einer weltlichen Seele« ihr ganzes Wesen, alle ihre Erlebnisse offen vor ihm dar.
Die Ärmste ist ein Opfer trauriger Verhältnisse; von ihrer Vaterstadt Teplitz und ihren Eltern hinweg hat eine oerderbte weibliche Verwandte sie, als armes Kind, nach Dresden gelockt und unter dem Vorwande, ihre Zukunft zu sichern, für einen reichen, vornehmen Wüstling erzogen. Sobald sie zur Jungfrau erwachsen, soll sie dessen Beute werden. Schon sind alle Vorbereitungen getroffen. Sie ist zur Nachtzeit mit ihrem Wohlthäter und Nachsteller, der ihr widerwärtig ist, in einem Zimmer eingeschlossen — da macht sie sich mit einer Kraftanstrengung frei, stürmt hinaus und sucht in ihrer Verzweiflung Schutz bei einem jungen Theologen, der im selben Hause wohnt und in dessen Zimmer sie Licht erblickt. Lange schon liebt er sie, wie sie ihn liebt. Nun giebt sie sich ihm, der es nicht über sich gewinnen kann, sie von sich zu stoßen, in keuschverschämtem Enthusiasmus hin. Doch tags darauf treibt ihn die christliche Reue über diese Sünde zum Selbstmord, und das junge Mädchen muß zu Fuß von Dresden nach ihrem väterlichen Dorfe in Böhmen wandern, wo sie, die an dem Leben und den Zerstreuungen der Hauptstadt teilgenommen, nun in der Hütte ihres Vaters verschmachten muß. Der Greis ist gelähmt, außerdem in katholischem Fanatismus stockborniert.
Die Pointe der Erzählung scheint die Betonung der Unschuld in der Hingabe des jungen Mädchens, so sehr letztere auch als Verbrechen on den Augen der Welt gilt, zu sein. Der Erzähler erblickt in ihr eine Heilige, eine Madonna, den Inbegriff liebenswürdiger und typischer Weiblichkeit. Eine weltliche Heilige sei sie allerdings, aber, lehrt er, es kann gar nichts Heiligeres gedacht werden, als diese |306| Weltlichkeit, nichts, das geistlicher wäre, als sie. Und er setzt nun seine, weder neue, noch merkwürdige, jedoch etwas sonderbar formulierte Lehre von der notwendigen Verschmelzung von Fleisch und Geist auseinander, wonach der Gegensatz zwischen« Weltlich und Geistlich nun endlich fallen müsse. »Die Welt und das Fleisch müssen wieder eingesetzt werden in ihre Rechte, damit der Geist nicht mehr sechs Treppen hoch wohne in Deutschland.« Und mittelst der breitausgesponnenen böhmischen Legende von Libussa gelangt er zu seiner Jubelhymne: »Das freie Weib ist souverän; sie entscheide, sie spreche, denn sie darf reden! Und das Glück der freien Liebe ist süß!«
Mundt hatte als Hegelianer begonnen, ist jedoch hier zu einer Umwandlung des Hegelianismus in der Richtung einer phantastischen Mystik gelangt: Christus habe gesagt, sein Reich sei nicht von dieser Welt, und doch sei er zu uns gekommen und sei selber Welt geworden. So blühe Gottes Reich überall auf Erden, aber sei dennoch, wie Christus verkündet, nicht von dieser Welt, das heißt: nicht von der Welt, wie sie als das von dem Jenseits abgetrennte und in sich verlorene Diesseits hier dastehe. Mundt ergeht sich nun, wie ein zu früh der Schule entlaufener Pedant, in einer weitläufigen Polemik gegen »das Diesseits«, das ohne »das Jenseits« existieren und »das Jenseits«, das nichts von »dem Diesseits« wissen wolle, worauf er in wilder Begeisterung für das, was er »das Bild« nennt, schließt. Das Bild ist ihm der geistlosen Materie und dem körperlosen Geist gleich fern. »O Ihr Philosophen!« ruft er aus, »was Euch fehlt, ist das Bild […] Ich kämpfe für die Wieder setzung des Bildes.«*)*
War irgend ein Mann nicht zum Führer und Meister anderer veranlagt, so war es dieser salbungsvolle Verkünder allzu einleuchtender Wahrheiten. Er schrieb nach »Madonna« eine lange Reihe historischer Romane —— eine noch weit längere lieferte seine |307| Gattin unter dem Pseudonym Luise Mühlbach — überdies eine nicht geringe Zahl kritischer und litterarhistorischer Schriften. Eine der besten unter diesen ist seine »Geschichte der Litteratur der Gegenwart«, 1842, weil hier der Verfasser von etwas spricht, das er gründlich kennt. Doch auch dieses Buch ist, wie alle seine anderen, eine formlose Arbeit, voll unbeherrschten Stoffes und mit scheinbaren Tiefsinnigkeiten vollgepfropft. So findet er hier eine besondere Bedeutung in dem Umstand, daß Hegel gerade von der Cholera hinweggerafft wurde. Er entwickelt, daß, da Casimir Perier, der das Justemilieu-System erfunden, an der Cholera gestorben sei, auch Hegel, der Gründer des Systems des Geistes, das ein ebenfalls alles nivellierendes Justemilieu-System des Begriffes gewesen, von dieser Krankheit entführt werden mußte in das geheimnisvolle Land, das noch kein Erkennen kannte: »Die Cholera als den physischen Ausdruck des allgemeinen Zeitleidens anzusehen, mochte man sich überhaupt nicht so leicht enthalten. Der Organismus fängt aus der Mitte seines eigenen Lebens einen Krieg mit sich selbst an . . . Das Lebenhat sich aus Angst und Unruhe in seine eigenen Eingeweide gegriffen, und büßt die Leidenschaft, sich selbst zu erkennen und sich selbst zu begreifen, zuletzt mit dem äußersten Akt der Selbstreflexion, nämlich sich selbst auszuspeien.«*)*
Der besonders als Theaterdirektor bekannte Feodor Wehl hat in einer »Das junge Deutschland« betitelten Schrift, die hauptsächlich aus Briefen an den Herausgeber besteht, sich bemüht, der Lesewelt eine bessere Meinung von Mundt als die heute vorherrschende zu geben; und es ist ihm geglückt, uns die Vorstellung beizubringen, daß Mundt ein Mann von sehr viel gutem Willen war, nicht wenige Kenntnisse besaß und auch nicht wenig Wärme für das, wovon er sich angezogen fühlte. Doch als eine irgendwie bedeutende Kraft wird dieser Schriftsteller niemals gelten können. |308| Im Grunde sind die Schriftsteller zweiten Ranges, die, wie Gustav Kühne, Hermann Marggraff und Alexander Jung, den Nachtrab des jungen Deutschland bilden, ebenso hervorragend wie er. Sie sind alle, gleich ihm, halb publizistische, halb dichterische Talente. Es sind Männer von Charakter, Bildung und ausgesproch stilistischer Begabung, durchdrungen von denselben Grundvorstellungen, die bei den Männern der vordersten Reihe zu finden sind
Wer z. B. Kühnes »Weibliche und männliche Charaktere« (1838) lesen will, wird von dem Schwung und Glanz der Darstellung, wie nicht minder von der Richtigkeit der über öffentliche Persönlichkeiten gefällten Urteile angenehm überrascht werden. Seine Heldinnen sind, wie die aller jener Männer: Rahel, Bettina, Charlotte Stieglitz. Er sieht sie mit eigenen Augen und schildert sie mit Enthusiasmus, ohne Phrasen. Die Dichter, die er charakterisiert und verherrlicht, sind nicht bloß große Radikale der Vergangenheit wie Shelley, nicht bloß die ganze Reihe der Freiheitslyriker Anastasius Grün bis Karl Beck, sondern auch so ruhige Geister wie Ehamisso und Rückert. Er ist zwar ohne kräftige Origanlität, aber auch ohne Einseitigkeit und Vorurteile.
Dasselbe kann von Hermann Marggraff gesagt werden. Sein Buch »Deutschlands jüngste Litteratur- und Kulturepoche« (1839) folgt zwar den Spuren des jungen Deutschland, doch hat sich der Verfasser seine volle Selbständigkeit bewahrt. Er ist ein denkender kritisch prüfender Mann, der gut schreibt, immer natürlich, zuweilen geistvoll ist, und fehlt er, so geschieht dies weit eher aus konservativen Tendenzen, als infolge eines allzuweit gehenden Modernismus.
Wenn man daher nicht gerade die enfants perdus der neuen Gruppe aufsucht, und solche hat eine jede Richtung, kann man keineswegs sagen, daß sie zu den leidenschaftlichen Angriffen, deren Gegenstand sie wurde, Anlaß gegeben hätte; die stärksten Übertreibungen und Geschmaklosigkeiten sind durchgehends auf Seite der Angreifer, nicht auf der des jungen Deutschland.
|309| Ein solcher Angreifer war der damals bereits alternde Tieck. In mehreren seiner Novellen macht er Ausfälle gegen das junge Deutschland, am direktesten richtete er jedoch seine Satire gegen dasselbe in der Novelle »Der Wassermensch«. Allerdings ist die Karikatur hier so grob, daß die Wirkung verfehlt wird.
Der junge Florheim, welcher die Jugend, der Tieck zu Leibe gehen will, vertritt, ist halbverrückt vor Begeisterung für Franzosen und Juden; er äußert sich als Freiheitsmann und Demokrat in Repliken, die für einen normalen Primaner allzu unreif sein würden. Er will, daß man nie ein Konzert gebe, bei dem nicht die Marseillaise gespielt wird — damit die Menschen daran erinnert würden, was denn eigentlich die Hauptsache sei. In allen Büchern, selbst in Kochbüchern, wünscht er Bildnisse der vorzüglichsten Freiheitshelden, wie Mirabeau, Washington, Franklin, Kosciuszko angebracht zu sehen. Er fordert, daß die Volkskalender den ganzen Monat Julius mit rotgedruckten Lettern aufweisen, um die Erinnerung an die glorreiche Julirevolution immerdar frisch zu erhalten und hofft, »alle Edlen« werden sich vereinigen, die Substantive Fürst, Herr, König, Herzog, Graf, Junker u. s. w. fortan mit kleinen Anfangsbuchstaben zu drucken, um auf solche Weise ihre Geringschätzung für diese Begriffe an den Tag zu legen. Als der Geheimrat, der in der Novelle den verständigen Konservatismus repräsentiert, Florheim fragt, wie er und seinesgleichen (Sie, die Sie sich das junge Deutschland nennen) ihre Pläne gegen das Bestehende durchzusetzen hoffen, antwortet dieser naiv: Durch ewiges Schelten auf alles, was uns entgegen steht. Und er erklärt, sie hätten schon dem alten Goethe in dessen letzten Lebensjahren auf diese Weise mitgespielt — eine Wendung, die der Wahrheit vollkommen widerspricht — jetzt, wo sie die Partei der Bewegung seien und sich bereits der meisten Journale und gesensten Blätter bemächtigt hätten, seien sie im stande, ein unsichtbares und doch offenkundiges, sich über ganz Deutschland schlingendes Bündnis zu schließen und jeden Schriftsteller, der nicht von ihrem |310| Glauben sei, herabzuwürdigen, hinwieder die Schüler und Mitgenossen durch immer und immer wieder lobende Kritik zu Ansehen und Berühmtheit zu bringen.*)*
Die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Die Karikatur hat hier den doppelten Fehler, nicht ähnlich und nicht amüsant zu sein. Mundt nahm in geistreicher Weise Rache an Tieck, als er einige Jahre später zuerst die Initiative zur Ausführung von Tiecks Märchenkomödieen in Berlin ergriff.
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