Das junge Deutschland (1891)

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Kommt man von Hegels allumfassendem Blicke, der ho Kunst Platens, dem geschliffenen Witze Börnes, dem lyrischen satirischen Genie in Heines Gedichten, der klassischen Inhaltsf in Jmmermanns » Oberhof« zu den Männern des eigentlich si nannten jungen Deutschland, so wird man den Übergang uan bar als einen Sturz in künstlerischer Beziehung empfinden, einen Sturz Von der Überlegenheit und vollendeten Fertigkeit Meistern zur Anfängerunreife, zu Anfängerslausen herab, und gab unter den Männern des jungen Deutschland einige, die « urteilt waren, ewig Anfänger zu bleiben. Besonders, wenn 1 an Heine denkt, wird einem der Übergang von ihm zu sei Nachahmern als ein Sturz Von graziöser, göttlicher Frechheit jugendlich plumpen, wider alles anerkannte Herkommen, alle wohnheits-Sittlichkeit gerichteten Herausforderungen fühlbar.

Und doch waren die Besten unter ihnen, in ihren besten Aug blicken einer selbstlosen Hingebung fähig, die man bei Heine « gebens suchen würde.

Der traditionellen Gepflogenheit nach schließt man in »junge Deutschland« weder Heine und Börne ein, die man dessen Väter betrachtet, noch den Kreis von jungen Gelehrten, welche Ruges und Echtermayers »Hallische Jahrbücher« einen Vereinigungspunkt abgaben, noch die Gruppe politischer Dichter, die in den vierziger Jah ren den Gefuhlen poetischen Ausdrnck gaben, die sich 1848 Luft machten.

|261| Traditionell wird die Bezeichnung in weit engerem Sinne als in dieser Schrift genommen.

Ihr Urheber war ein nicht sonderlich begabter, aber allzeit begeisterter, norddeutscher Schriftsteller, namens Ludolph Wienbarg (geboren zu Altona 1803). Er gab im Jahre 1834 unter dem vom Verleger Campe erfundenen kriegerischen Titel »Ästhetische Feldzüge« eine Reihe von Vorlesungen heraus, die er in Kiel gehalten, und um derentwillen ihm, so unschuldig ihr Inhalt auch war und so wenig sie mit ihrem falbungsvollen Tone jemanden aufzureizen vermochten, das Recht, an der Universität zu lehren, entzogen worden war. Diese Vorlesungen, durch die es einem Jetztlebenden schwer fällt, sich hindurchzuarbeiten, sind mit der Zueignung eingeleitet: »Dem jungen Deutschland, nicht dem alten, widme ich dieses Buch.« Von dem Werke ist heutigentages nur noch diese Zueignung dem Gedächtnis aufbewahrt. Wienbarg verstand unter dem jungen Deutschland alle diejenigen jugendlichen deutschen Gemüter, welche in Kunst, Kirche, Staat und Gesellschaft mit der Überlieferung gebrochen hatten und auf litterarischem Wege ihren Drang nach Reformen zu befriedigen suchten.

Sein Programm für die neue Epoche der Litteratur ist von erfchreckender Gewöhnlichkeit. Ihre Weltanschauung foll auf einer harmonischen Verbindung von Verstand und Sinnlichkeit beruhen. Er prophezeit einen neuen Hellenismus, bei welchem das Sinnliche mehr vom Geiste durchdrungen fein wird als bei den Griechen, das Geistige mehr von Sinnlichkeit durchsetzt als bei den Christen. Doch vor der Litteratur müsse erst das Leben selbst seine Wiedergeburt feiern. Das echte Kunstwerk vermöge das junge Geschlecht erst dann zu formen, wenn das Leben um und in ihm frifch und harmonisch geworden.

Wie man sieht, enthielten diese Deklamationen und Verheihungen nichts Renes. Heine hatte in hundert scherzhaften und poetischen Wendungen langst dasselbe gesagt. Sogar Menzel hatte es in seiner ersten |262| Periode mit all der Beredsamkeit eines verunglückten Poeten 1 eifrigen Parteimannes ausgesprochen Hier nun wurde es in je breiten blumigen Sprache und mit jenem Pathos vorgetragen, auf unreife Gemüter selten ihre Wirkung verfehlen.

Neu war allein, daß hier zum erstenmal ein Repräsentant ’ Jugend, die in Heine den großen Schriftsteller des Zeitalters blickte, sprach, wie daß zum erstenmal die Anschauung zu W kam, die Prosa sei die Form der neuen Zeit und von größe Werte als die Versform. Die Wienbargsche Ästhetik, die auf Verherrlichung Heines hinauslauft, feiert ihn daher als den gro« den größten Prosaisten. Erst jetzt habe sich die deutsche Pr besonders durch die Einwirkung der französischen, geformt. Wienl ist Schillers Stil eine Paradesprache, der Goethesche Stil einesc sprache. Alle die früheren Größen der Litteratur, sogar JeanT nicht ausgenommen, hätten in einem Zauberkreise, fern vom Str der großen Welt, gelebt. Was die Prosa eines Heine, eines Bö eines Menzel, eines Laube von derjenigen früherer Schriftst· unterscheide, sei ihr Mangel an Ruhe und Behaglichkeit, doch i dieser Mangel sei deren entschiedener Vorzug, der des Leb Besonders wird Heine gepriesen, daß er »den flüchtigen Ruh ein lyrischer Dichter zu sein, um des größeren willen Verschn habe, auf dem kolossalen, alle Töne der Welt umfassenden Ins mente, das die deutsche Prosa darbiete, zu spielen.

Dieser Verherrlichung der Prosaform auf Kosten der m· schen schlossen sich zuerst Mundt, dann Laube, die beide nicht stande waren, einen wohlklingenden Vers zu schreiben, mit C an, besonders weil sie damit gegen die schwäbische Dichterscl den Spätling der Uhlandschen Romantik, Protest einlegten Mundt wurde dieser Prosakultus förmlich als das Evangelium der nenesten Zeit verkundet. — Wie menig tieserer Gehalt sich bei Wienbarg fand, verrat besonders seine zweite Schrift »Zur neuesten Litteratur« (1835), eine Sammlung von Essais ohne Kraft und Mark, |263| an denen nur das eine verdienstvoll ist, die mutige Treue des Autors Heine gegenüber zu einer Zeit, da sich die von Neidern undMoralisten beeinflußte öffentliche Meinung wider diesen gekehrt hatte.

Wienbarg hatte dem jungen Deutschland den Namen gegeben, einen Namen jedoch, der, wie man sieht, keine bestimmte Gruppe genannter Männer umfaßte. Auf bestimmte Persönlichkeiten wurde der Name sonderbarerweise erst infolge einer Angeberei und einer brutalen Regierungsversügung angewendet.

Das ging folgendermaßen zu: Eine Reihe junger Schriftsteller, die zwar in keiner näheren Verbindung miteinander standen, jedoch geistige Emanzipation zu ihrer Losung gemacht hatten, war nach und nach aufgetreten. Sie standen alle dem Christentum fern und träumten von einer neuen pantheistischen Religion für die neue Zeit. Mehrere von ihnen strebten unter dem Namen einer »Emanzipation des Fleisches«, oder »Rehabilitation des Fleisches«, wie sie es nannten, eine Auflösung des Herkommens in der Moral und freiere Formen für die Vereinigung und Trennung der beiden Geschlechter an, doch trat dies Verlangen bei einigen, wie Laube, schal chimärisch, bei andern, wie Gutzkow, geschmacklos trotzig und selt- sam hypochondrisch auf, bei dritten wieder, wie Mundt, gestaltete es sich zu einer Verfechtung dessen, was er in vager Weise Frauenemanzipation nannte, worunter er nichts anderes als eine freiere Stellung des Weibes im väterlichen Hause und in der Ehe verstand.

Alle schätzten in hohem Grade gewisse hervorragende Frauen, so in Frankreich George Sand, die einen starken Einfluß auf sie Übte, in Deutschland Rahel, Bettina, Charlotte Stieglitz.

Alle sprachen gern und laut von dem Rechte der Jugend, alle hatten von Hegel einen gewissen Freiheitsglauben und von der J u lirevolution ihre allgemeine politische Tendenz. Wie Hegel Jdee und Wirklichkeit versohnt hatte, so wollten sie ihrerseits die Litteratur mit dem Leben verschmelzen. S ie heglen keine tiefere Sympathie für |264| einander und trennten sich rasch; zwischen ihnen herrschte kein dere Gemeinschaft, als die in der Regel unter Männern ders Gruppe und Altersklasse stattfindet, so daß sie weit weniger politische Partei, als eine geistige Genossenschaft waren. Gleich war nicht die Litteratur ihr eigentlicher Zweck; sie wollten sicl bewegenden Mächten der Zeit dienend anschließen.

Hierin lag auch der Grund, warum sie sich nicht mit den r Kunstformen abgaben, weder mit epischer, noch mit lyrischer nur spärlich mit dramatischer Poesie.

Sie vergötterten alle den »Zeitgeis « und huldigten ihm in nalistischen und novellistischen Arbeiten, in kritischen Versuchen Räsonnements, oder in der Form von Reisebeschreibungen, Z novellen, mitunter auch in lang ausgesponnenen Romanen.

Der ohne Vergleich kräftigste Geist unter ihnen war der in Berlin geborene Karl Gutzkow, ein arbeitender, energisch schender und strebender Geist, der Mann der tausend mod Probleme, ewig ruhelos, der Zwitter eines analysierenden Kri und eines Poeten, aber ein Geist, dem nichts von selbst zufiel nichts mit Leichtigkeit erreichte. Sein Wesen war ohne Anmut, Jugend ohne Frische, seine Prosa ohne Rhythmus Aber er T Kühnheit, Erfindungsgabe, Verstand und Unternehmungsgeist hatte Pathos, doch keine Lyrik, Pointen im Stile, doch keine Me Das, wofür er Sinn hatte, waren Jdeen, all die Gedanken geistigen Strömungen, welche die Zeit hervorgefördert.

Von Natur gehörte er zu den Schwerfälligen; doch seine rarische Begeisterung war so echt, sein Ehrgeiz so groß und Wille so kräftig, daß er allmählich ein geistiger Mittelpunkt n und seinen Einfluß nach vielen Seiten hin ausstrahlen ließ. 1840 war ein Zeitpunkt, wo die Richtung eines großen Teils der besseren deutschen Presse von ihm und seinen Anhangern bestimmt wurde.

Wir haben gesehen, wie die Julirevolution den Schriftsteller |265| in ihm erweckte. Das Jahr darauf, die Blütezeit der Entlassungen, Einkerkerungen, Landesverweisungen in Preußen, drückte ihm die Feder in die Hand.

Jeder Buchstabe unterlag damals der strengsten Zensur. Sogar jede Anzeige im »Intelligenzblatt« wurde darauf hin revidiert, ob sie nicht eine geheime politische Anspielung enthielt.

Gutzkow begann damit, eine Zeitung, »Forum der Journallitteratur«, herauszugeben Er war mit den Hegelschen Jdeen vom welthistorischen Fortschritte zu immer größerer Freiheit genährt und erzogen. Wie Gottschall es ausdrückt: Vor seinen Augen dämmerten lauter politische Morgenröten und befreiende Lehren. — Sein Blatt brachte es bis zu 70 Abonnenten und ging dann ein.

Mehrmals hatte der damalige Großmeister der deutschen Kritik, Wolfgang Menzel, ihn von Stuttgart aus auffordern lassen, zu ihm zu kommen, um ihn an seinem Litteraturblatte zu unterstützen, da er als neugewähltes Mitglied der württembergischen Kammer die Arbeit nur mit Mühe allein bewältigen könne.

Wolfgang Menzel stand zu jenem Zeitpunkte in den Augen der deutschen Jugend trotz seines Goethehasses und zum Teil gerade kraft desselben von einer Glorie umflossen da, wie später Katkbsf in Rußland oder Ploug in Dänemark in der ersten Hälfte ihres politischen Lebens. Er galt als Mann der Neuzeit und als Frei- heitsmann, wie kein anderer. Eine der Aufgaben, die sich Gutzkow in seinem Blatte gestellt hatte, war gewesen, Menzel, den Mann nach seinem Herzen, gegen die Angriffe der Gegner in Schutz zu nehmen, und Menzel hatte viele Gegner, da er als Rezensent Rechthaberei und Streitsucht mit scheltender Grobheit verband. Doch er war gesinnungstüchtig, oder schien es zu sein. Während er Vaterlandsliebe und Religiositat tiefer erfastt sehen wollte, als es Gebrauch und S itte war, tra tte r zugleich politisch als eifriger Liberaler auf, war als solcher ein Bewunderer Bornes und Heines, die ihn als zuverlassigen Kampsgenossen betrachteten, und verfocht |266| auch, sobald er in die Kammer kam, daselbst alles, was mode1 Fortschritt hieß, unter anderem die Emanzipation der Juden.

Als der kleine bleiche, magere und blonde Gutzkow, der kaum die Zwanzig überschritten, sich bei seinem um dreizehn Jahre ältern Herrn und Meister mit einer großen Ehrfurcht einfand, w( er selbst mit der des Studenten vor Mephistopheles-Faust ersten Teile von Goethes Drama vergleicht, traf er einen M mit breiten Schultern, kräftigem Brustkasten und dunklem H dessen glattrasiertes Antlitz dem eines katholischen Geistlichen g Um den Mund mit den häßlichen, gelben Zähnen spielte ein l risches Lächeln, die von der Brille bedeckten, kurzsichtigen Ai hatten zugleich etwas Trotziges und Feierliches. Sein Teniperai schien gewaltsam, sein Wille unbeugsam zu sein. Der Ausk seiner Mienen konnte, wenn er von irgend einem erotischen B sprach, in seiner Lüsternheit sich bis zum Faunischen steigern. E verabscheute er die Weltlichkeit Goethes in gleich hohem Grade dessen Gleichgültigkeit gegen Politik, und huldigte kritiklos Mänund Verhältnissen, die ihm als Vertreter des Rätselhaftenerschie Sein Wesen war eine echt priesterliche Mischung von Ironie Mystik. Er liebte Voltaire und schwärmte für Görres

Jm Anfange gestaltete sich das Zusammenleben undZusami arbeiten zwischen Meister und Lehrling gut. Gutzkow, der bal« dem einen, bald in dem andern kleinen Ortchen in der Nähe S· garts lebte, rezensierte unverdrossen die Bücher, die er von M( stoßweise zügesandt erhielt. Er erlernte rasch den sichern, l angebundenen Journalistenton, und alles war in Ordnung. Se verständlich fanden die jugendlichen Arbeiten, die er selbst nuni herausgab, einen mehr als nachsichtigen Beurteiler in Menzel. doch waren diese Bücher schwach genug. »Briefe eines Narren an eine Narrin« sind humoristische Ergusse ohne Originalitat in einem Stile, der halbwegs Jean Paul, halb Heine nachahmt; »Maha Guru, Geschichte eines Gottes« spielt in Tibet und schildert den |267| Seelenzustand eines Menschen, der zum Dalai-Lama gewählt und also als Gott angesehen wird; es ist eine heute unlesbare Phantasterei. Nichtsdestoweniger wählte Menzel, als er diese Bücher anzeigte, unter den Vignetten, die er abwechselnd in seinem Blatte brachte, einen Lorbeerkranz und setzte Gutzkows Namen zweimal hinein.

Gutzkow wollte in »Maha Guru« zeigen, wie der Gott, den man in Dalai-Lama inkarniert glaubt, von dem Menschen in ihm Überwunden wird, so daß die falsche Gottheit von dem wahren Adel, der wahren Göttlichkeit des Menschen in Schatten gestellt wird. Doch sollte das Buch zugleich ein philosophisch-satirischer Roman im alten Stile, der unter fremder Maske auf die heimischen Zustände anspielte, sein« Die Theokratie in Tibet sollte an die Hierarchie in Europa erinnern, die tibetanische Polhandrie auf die entopäische Frauenemanzipation hinweisen. Die fremden Landschaften, die Gutzkow nie gesehen,die fremden Sitten, die er nicht um ihrer selbst willen schilderte, konnten nur geringes Interesse einslößeu. Was ihm zu dem Buche Anlaß gab, war eine Anekdote Über den französischen Atheisten Billaud Varennes, der in der Schreckensperiode der Guillotine entgangen, nach Amerika geflohen und dort von den Wilden als Gott verehrt worden sein sollte. Wegen seiner Geschicklichkeit Vögel zu fangen, abzurichten und auszustopfen hätten ihn die Eingeborenen als einen zweiten Schöpfer betrachtet. Der Anlaß hatte also nichts mit Tibet und nichts mit dem angeblichen Ernste des Buches zu thun.

Noch bis zu diesem Zeitpunkte waren das junge Deutschland und dessen Väter in Menzels Augen weder Lästerer des Heiligen, noch schlechte Patrioten. Gutzkows Jrreligiosität störte noch nicht das gute Verhaltnis zu seinem Meister. Und Menzel selbst pries Bornes Pariser Briefe, die von allen Seiten angegrissen wurden, als eine mannliche T hat und entschuldigte deren starte Ausdrucke als Stimmungsausbrnche, die nicht mit allzugrober Handgreislichkeit |268| beurteilt werden dürften, sie mit Johanniswürmchen vergleichenk in milden Sommernächten lieblich glühen, doch zu armseligen, gi Insekten zusammenschrumpfen, sobald man mit plumpen Hä nach ihnen greift. «

Gleichwohl war es unvermeidlich, daß sich das Band zwi Menzel und Gutzkow baldigst löste. Gleich von vornherein es Gutzkow nicht an Warnungen gefehlt, sich mit dem Stuttg Schriftsteller nicht allzutief einzulassen. Selbst Hegel, der den jungen Mann Interesse hegte, hatte zu ihm gesagt: kann man sich mit einem solchen Menschen verbinden!« Die Nichtübereinstimmung zwischen ihnen ergab sich auf Grund Stellung, die Menzel den süddeutschen Lyrikern gegenüber eint der sogenannten schwäbischen Dichterschule, welche sich an Uhlanl nicht nur den Ruf, den er vollauf verdiente, sondern einen weit größeren genoß, angeschlossen hatte. Als guter Schwabe s( und forderte Menzel diese Männer, Gustav Schwab, Gustav T Karl Mayer u.s.w.; als Stütze der herkömmlichen Frömmigkeit Moral hielt er sie hoch und spendete ihnen Lob. Gutzkow mit seinem lebendigen Sinn für die Jdeenseele eines Zeita Gutzkow, für den die Litteratur die streitende Kirche war, ems den tiefsten Widerwillen gegen diese Sonntagsnachmittagslyrike Goldschnitt, die als Dichter entweder alte, tote Balladenstof Reime brachten, oder ihre kleinen, sentimentalen Stimmungen fizierten, dabei stets als vorsichtige Beamte für ihr Avancement le nie ihr Ziel, Professoren oder Konsistorialräte zu werden, auße1 ließen.

Als nun Goethes Gespräche mit Eckermann erschienen, zeigte es fich, wie streng Goethe seinen Bewunderer Uhland beurteilt hatte. Er erkannte nur dessen Balladen an und fand im übrigen den Inhalt seiner Dichtungen so durftig, dah er sich nicht damit beschaftigen mochte. Goethes Briefwechsel mit Zelter brachte noch weit scharsere, hohnisch wegwerfende Urteile iiber die gesamte |269| schwäbische Schule von Uhland bis zu Pfizer: Goethe hätte sich von dieser Seite nie etwas Aufregendes, Tüchtiges, das Menschengeschick Bezwingendes versprochen. Diese Herrlein verdeckten ihren Mangel an Genie mit »dem sittig-religiös-poetischen Bettlermantel«.*)*

*)
»Wundersam ist es, wie sich diese Herrlein einen gewissen sittig-religiospoclischen Bettlermantel so geschickt umzuschlagen tvissen, dah, wenn auch der Ellenbogen herausguckt, man diesen Mangel fur eine poetische Intention halten muh.«

Da fand denn auch Gutzkow den Mut es auszusprechen, wie widerwärtig ihm all diese alte Klosterund Hirtenromantik sei. In einer Abhandlung »Goethe, Uhland und Prometheus« richtete er einen leidenschaftlichen Angriff gegen diese Dichter, die »ihren Glauben ihrem Taufscheine, ihre Sitten der Gewöhnung, ihre Grundsätze dem Herkommen und ihre eigene Poesie der Poesie anderer« verdankten, und er ruft ihnen zu: »Was habt Ihr? Abendsonnenspaziergänge, -Stimmungen, Sommerfäden. Wo ist Euer Ringen zum Neuen?«

Unterdessen war in der Welt rings um ihn her die Reaktion gegen den Einfluß der Julirevolution in vollem Gange. Metternich beherrschte nicht nur Osterreichs, sondern auch Preußens Politik, nnd als der Jugend in Deutschland ein Licht darüber aufging, wem die Macht und die Energie nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in einer unabsehbaren Zukunft gehörten, da schloß sie sich den Machthabern an» Gutzkow sagt, daß in jenen Tagen von hundert Studenten an der Berliner Universität siebenundneunzig hochkonservativ gewesen, und es habe jede Begegnung mit einem alten Schuloder Universitätskameraden, geschweige mit einem Beamten oder Offiziere, auf sein Gemüt stets den peinlichsten Eindruck gemacht.

Unter solchen Verhältnissen verlieren begabte und trotzige Jünglinge nicht selten ihren Gleichmut, und begehen Unbesonnenheiten, die ihnen ihr ganzes Leben lang zum Vorwurfe gemacht werden.

|270| Schleiermacher war tot, war mit Sang und Klang als der Kirchenväter des Protestantismus, einer der Heiligen derE logie zur Erde bestattet worden. Mit Recht hatte man schon Über ihn die Äußerung gethan, sein Name entspreche seinem Wesen. Mittelst Hunderter von Halbheiten und Unklarheiten hatte er bis zu seinem Tode seine Popularität aufrecht erhalten. Niemand nach demselben seine romantische Jugendsünde, die vertrau Briefe über Lucinde erwähnt.

Da konnte Gutzkow der Versuchung nicht widerstehenvergessene Buch wieder herauszugeben und sich und seine Fr gegen die immer und immer wieder vorgebrachte Beschuldigung loser Frivolität dadurch zu decken, daß er die gleiche erotisch schanungsweise, die sie vertraten, ja selbst ihre Lehre vm Wiedereinsetznng des Fleisches in dessen Rechte auch bei Manne Gottes nachwies, welcher der bewunderte Herr und N der Theologen war.*)*

*) Man vergleiche den zweiten Band dieses Werkes. S. 108 flg.

Das hätte ein guter, taktischer Zug sein können, wenn er dreiundzwanzig Jahr alt, wie er war, das Buch noch daz einer knabenhaften, geschmacklosen Vorrede eingeleitet hätte wendet sich hier gegen »die Zionswächter«, verhöhnt ihre S heiligkeit und geistliche Koketterie und fordert sie auf, einen L blick ihre Talare wegzuwersen, die Beweisstellen dafür, dc von ihnen immer wieder neu gekreuzigter Mensch Gott gewes vergessen, und zu hören, was sich einst auf anderen Gebie der Welt der Freiheit, der Jugend und der Phantasie begeben

Diese Begebenheiten sind Schlegels «Lucinde«, dieses lied Skelett, welches Gutzkow herrlich und klassisch, und Schleiern Briefe darüber,s welche er göttlich findet. Diese Briese sx für sich selbst. So ungerechtfertigt auch deren Überschätzun von »Lucinde«, so ist das sich darin kundgebende echtmenschliche Gefuhl |271| doch kühn und schön. Gutzkows Vorrede unterstreicht alles in herausfordernder, unschöner Weise. Er tritt hier ein für die Genialität der Liebe, hebt hervor, daß der Priestersegen in bezug auf die Heiligkeit eines Liebesverhältnisses weder etwas hinzuthun, noch etwas hinwegthun könne, eifert in höhnenden Worten gegen die kalte Prosa der Alltagsehen, »die Wassersuppenhochzeiten nnd die ganze Misere ordinärer Kindererzeugung und schimmlichter Broterwerbung«. Hierauf schließt er mit mutwilliger Geckenhaftigkeit: »Nichtwahr, Rosalie, erst seitdem Du Sporen trägst an Deinen seidenen Stiefelchen und es von mir gelernt hast, den Carbonaro in Falten zu schlagen, und ich eine neue Art von Inexpressibles für Dich erfinden mußte und Du Überall als meinen jüngsten innigstgeliebten Bruder giltst, weißt Du, was ich sprach, als ich sprach: Ich liebe Dich!« Und nicht zufrieden mit dieser Hosen tragenden Weiblichkeit, die des jungen Gutzkows Begriff von Emanzipation verwirklicht, spielt er zu allerletzt noch einen atheiftischen Trumpf aus: »Wo ist Franz? — Komm, Du holder Junge, den sie mir heimlich getauft haben! Sprich, wer ist Gott? Du weißt es nicht? Unschuldiger Atheist! Philosophisches Kind! Ach! hätte auch die Welt nie von Gott gewußt, sie würde glücklicher sein!«

Man bedarf keines besonders feinen Gehörs in kritischer Beziehung, um das Unwirkliche in dieser burschikosen Großfprecherei herauszuhören. Das Original jener Rosalinde, die Gutzkow in Pagentracht begleiten sollte, war wohl weit eher Byrons Kaled in »Lara« als irgend ein Nähmädchen aus Heidelberg oder Berlin. Man kann sich indes leicht vorstellen, wie eine solche Vorrede zu einem solchen Buche auf das große Publikum und eine wohlgesinnte Journalistik wirkte.

E s bedurste nur noch eines Tropfens, um den Becher des Argernisses uberfliehen zu machen und Gutzkow der offentlichen Sympathieen zu berauben.

Er versaumte nicht diesen Tropsen einzugiehen. Er schrieb |272| 1835 »Wally, die Zweiflerin«, einen äußerst schwachen, in eit entscheidenden Punkte parodistischen Roman, der indes das folx reichste Werk der schönen Litteratur jener Zeit wurde.

Strauß »Leben Jesu« war eben damals erschienen, und h durch seine Auflösung des vermeintlich Historischen in Mythen genial und kühn, ja bis zur Tollkühnheit vermessen, wie die Hi these war — das geistig bewegte Deutschland in die heftigste E regung versetzt. Die Entrüstung war allgemein. Ein taus· stimmiges Verdammungsurteil scholl durch ganz Deutschland, der Eider bis zur Schweiz. Noch ein Menschenalter später ha infolgedessen auf dem Namen von David Friedrich Strauß im wußtsein der großen Menge ein schwarzer Fleck.

Überall wurde das Buch diskutiert, und als Gutzkow e Abends dessen Problem erörterte, erhielt er von einem ju1 Mädchen, in das er ein wenig verliebt war, die Antwort: »D( reden Sie nicht! An all das nur zu denken macht wahnsinn —- Worte, die einen starken Eindruck auf ihn machten.

Das Buch von Strauß hatte ihn indessen nicht besrie Rationalist, wie er war, verlangte es ihn nach einem historis Jesus. Er griff daher auf die alten Wolsenbüttler Fragmente Reimarus, die schon Lessing so sehr beschäftigt hatten, zurück beschloß einen Auszug derselben herauszugeben, wendete sich je in dieser Angelegenheit vergebens an den mutigsten der deuts Verleger, Campe, der trotz seiner unerschrockenen politischen Halnicht wagte, es mit den Hamburger Priestern, den Nachfolgern Pastor Götzein der Seelsorge, zu verderben. Da inzwischen gl zeitig die edle Eharlotte Stieglitz ihren tragischen Selbstmord ging, verschmolz sich der Eindruck dieses Todessalls mit den drücken, welche die Worte des jungen Mädchens und Reimarus' Bibelkritik auf ihn geübt — und »Wally, die Zweiflerin« entstand.

Ein kindisches Buch ist diese »Wally«, aber unschuldig, rechtschaffen und naiv. Die Heldin ist eine junge Weltdame, die aus |273| Verzweiflung über ihre Unfähigkeit, Herr der Zweifel zu werdenwelche von dem von ihr geliebten jungen Manne, dem skeptischen, innerlich ausgebrannten Cäsar, in ihr geweckt worden sind, sich mit einem« Dolchstiche den Tod giebt.

Gutzkow hatte hier der Versuchung nicht widerstehen können, die ehrwürdigen Leuchten und Vorkämpfer der Kirche, die Inhaber des roten Adlerordens verschiedener Klassen daran zu mahnen, daß einstmals ein gewisser Voltaire, ein gewisser Hume, ein gewisser Lefsing u. s. w. gelebt. Es reizt das ja einen Jüngling, solche feine Leute an solche vergessene Existenzen zu erinnern. Aber er hätte es jedenfalls mit Talent thun sollen. Nun schrieb er einen Roman, dessen Handlung ein bloßer Vorwand für Theorieen, eine schwache Nachahmung von George Sands kurz zuvor erschieneuer »Lelia« war.

Doch er stand in seines Lebens Lenz. Es war ihm, als ob die ganze Welt im Begriffe sei, sich zu verjüngen. Noch strahlte am Horizont der Schimmer der untergehenden Sonne Hegels, Bettina ging wie ein Morgenstern auf, Rahels ewig junge Weisheit verbreitete sich nach ihrem Tode gleich befruchtendem Tau über die Lande, Lenaus und Rückerts erste Poesieen klangen wie Lerchengesang, Ruges erste kritische Artikel, Ludwig Feuerbachs erste philosophische Schriften waren wie frische, die Luft reinigende Frühlingsbrifenz die Zeit schien ihm so sonnenhell, so bezaubernd, so üppig fruchtbar, daß sie gleichsam von den beiden herrlichen Sommern 1834 und 1835, zwei schwellend reichen Fruchtund Weinjahren, symbolisiert ward. Und so beging er denn seine erste große Jugendeselei.

Er begnügte sich nicht· damit, in seinem Buche seine religiösen Ketzereien niederzulegen, er ruckte auch mit seinen sittlichen Ketzereien herans — mit Trotz gegen die herkommlichen Anschauungen in der Geschlechtsmoral, leider einem hochst plumpen, unreifen Trotz. Doch wie unschuldig Gutzkow in Wirklichkeit jenes von ihm selbst gebrauchte |274| Stichwort der »Emanzipation des Fleisches« auffaßte, beweist besten die beriichtigte Szene in »Wally«, worin der Verfasser se Kultus der Schönheit Ausdruck geben wollte.

Wally liebt Cäsar und findet bei ihm Gegenliebe, doch können sich nicht verheiraten, denn Wally hat sich dem sardini Gesandten verloben müssen. So richtet denn Cäsar an sie dies sie möge, um gleichsam symbolisch eine geistige Ehe mit ihm e gehen, in der Brautnacht selbst sich einen Augenblick nackt »in ganzen natürlichen Schönheit« vor ihm zeigen. Es giebt ein deutsches Gedicht, in welchem Sigune sich auf diese Weise I natulander offenbart.

Niemand wird leugnen, daß Cäsars Bitte verrückt und Erfüllung lächerlich ist. Die Szene war aber so keusch ge und ist so zahm ausgeführt, daß nur die änßerste Gemeinhe eines so geringen Anlasses willen die Polizei gegen die Litt( zu Hilfe rufen konnte. Es wird geschildert, wie links vm Held aus dem sonnigen Nebel ein Bild bezaubernder Sch: tritt: Signne, die sich verschämter entblößt, als die medi Venus ihre Nacktheit deckt. Sie steht da hilflos, von der heit der Liebe, die sie um diese Gnade bat, geblendet; sie ist mehr Wille, nur Scham, Unschuld und Hingebung Unk Zeichen, daß eine fromme Weihe die Szene heiligt, blüher keine Rosen; aber eine hochstämmige Lilie ist nahe an ihremF emporgekeimt und deckt sie als Blume der Keuschheit symb Es war nur ein Atemzug, ein-stummer Moment […] das war ein Frevel, aber der Frevel der Unschuld und ewig sä lichen Entsagens.

Das ist alles.

Gutzkows Verhaltnis zu Menzel war nicht mehr das alte. Er hatte sich hier und da in einem Vorwort oder in einem Artikel einen leichten Scherz oder einen bescheidenen Protest gegen seinen ehemaligen Beschutzer erlaubt. Dazu kam, dafi er Menzel aus |275| praktischen Gründen schon seit längerer Zeit ein Dorn im Auge war. Durch die Herausgabe des litterarischen Beiblattes zu dem in Frankfurt erscheinenden Journale »Phönix« machte er dem »Litteraturblatt« eine gefährliche Konkurrenz Schlimmer noch war es, daß sich allmählich ein freundschaftlicher Briefwechsel zwischen ihm und den leitenden Männern der emporstrebenden Litteratur, wie Laube, Wienbarg, Mundt u. s. w. entwickelte, und diese im Begriffe standen, sich so ziemlich aller wichtigeren litterarischen Organe in Berlin, Leipzig, Frankfurt und Hamburg zu bemächtigen. Als endlich Gutzkow und Wienbarg im Sommer 1835 mit einer Subskriptionseinladung zu einer großen litterarischen Revue in der Art der »Revue des deux mondes« hervortraten und fast alle die an- gesehensten litterarischen Namen Deutschlands, darunter Universitäts- professoren wie Böckh, einflußreiche Schriftsteller wie Varnhagen, von einem Talente wie Börne und einem Genie wie Heine nicht zu reden, auf der Liste der Mitarbeiter prangten —da fühlte Menzel die Notwendigkeit, einen vernichtenden Schlag zu führen.

Der Aufruf zur Teilnahme an der »Deutschen Revue« war erschienen, von Gutzkow in einer naiven, pathetischen Blumensprache verfaßt: wie die Wissenschaft aus ihren dumpfen Sälen sich in die freie Natur hinaus sehne, Minervas Vogel nicht mehr die lichtscheue Eule sei, sondern der Adler, der mit offenen Augen in die Sonne fliege u. s. w.

Statt sich an dieses unschuldige und in gewisser Beziehung vielverfprechende Programm zu halten, ließ Menzel in seinem Litteratnrblatte vom 11. und 13. September 1885 ein Manifest gegen die jungen Schriftsteller, als deren Haupt er Karl Gutzkow bezeichnete, erscheinen. Die Rechtfertigung dieser seiner Handlungsweise, die er als alter Man*)*

*) Menzel, Denkwürdigkeiten. S. 364.
versucht hat, bekundet zwar un- Zweifelhafte Beschranktheit, jedoch keine ehrliche Uberzeugung. Um |276| den weltbürgerlichen Tendenzen und französischen Sympathieen jungen Deutschland recht zu Leibe zu gehen, stempelte er es »La jeune Allemagne«. Er richtete seinen Hauptangriff g »Wally«, indem er ein paar Stellen herausriß, um nachzuwe daß der Roman aus lauter Unzucht und Gotteslästerung bes und stellte so das völlig verfchwindende sensuelle Element Romans, die Sigune-Szene, als die Hauptsache darin hin.

»Nur im tiefsten Kote der Entsittlichung, nur im Bo werden solche Gesinnungeu geboren. Sie waren gang und bei den französischen Sykophanten des altfranzösischen Hofes. Palais Royal wurden sie zuerst aus der Hofsprache in die Jakobiner übersetzt. Herr Gutzkow hat es über sich genom diese französische Affenschande, die im Arme von Metzen lüstert, aufs neue nach Deutschland überzupflanzen, in einem , alter, das Gott sei Dank gereifter und männlicher ist, als Jahrhundert Voltaires. Damals schon fcheiterte das Laster Sinn unseres Volkes, jetzt wird es umsoweniger durchdringen. Litteratur wird es ausstoßen, die öffentliche Meinung wird es br 1narken.. . Wenn man eine solche Schule der frechsten Unsit keit und raffiniertesten Lüge in Deutschland aufkommen lassen w wenn sich alle Edlen der Nation nicht dagegen erklärten, wenn deutsche Verleger nicht versahen, solches Gift dem Publikum zubieten und anzupreiscn, so würden wir bald schöne Früchtleben […] Aber ich will meinen Fuß hineinsetzen in Euern Schlc wohl wissend, daß ich mich besudle. Ich will den Kopf der Schl zertreten, die im Miste der Wollust sich erwärmt […] So lang lebe, werden Schändlichkeiten dieser Art nicht ungestraft die der Litteratur entweihen.«

Und als praktischer Journalist begnügte sich Menzel nicht damit, wie es der wahre Schriftsteller thut, seine Meinnng ein sur allemal zu sagen; er wiederholte seine Beschuldigungen in jeder Nummer seines Blattes mit immer starkerem Nachdrnck, mit immer |277| gröberen Worten, giftigeren Beschuldigungenz er richtete immer bestimmter den Appell an den Staat, mit seiner Macht einzugreifen, während es noch Zeit sei.

Am 26. Oktober schrieb er unter anderem: »Ich weiß zwar wohl, daß es einigen sicheren Leuten lächerlich scheint, solche tolle Phantasieen einiger weniger verirrter Jünglinge für ernstlich gefährlich zu halten; ich weiß, daß ihr Krieg gegen das Christentum, gegen die Moral, gegen die Ehe vorderhand nicht mehr bedeutet, als wenn eine junge Eulenbrut Krieg führen wollte mit der alten Sonne. Allein aus einem Funken kann ein Brand werden . .. Über dem neuen litterarischen Schöppenstuhl, den sie in Frankfurt errichten wollen, thront statt der Gerechtigkeit die Venus vulgivaga […] Wie werden die Menschen, die nur an das Fleisch glauben, wie werden diese Priester des Schmutzes es irgend einem Schriftsteller verzeihen, daß er reiner ist, als sie […] Kann man es indieser Zeit so gleichgültig ansehen, daß sie uns das Franzosentum in Worten und Werken predigen? […] Unter der Maske des französischen Republikanismus schwärzt diese neue Frankfurter Lästerund Lasterschule eine furchtbare Unzucht ein. Das Fleisch, die freie Sinnlichkeit, die Aufhebung der Ehe sind ihre Schlagwörter, und sie schreiben nicht nur selbst obscöne Bücher, sondern wärmen auch die alten wieder auf […] Man schließt sich zum Teil an St. Simon an, man verkündigt einen noch ausschweifenderen Republikanismus ohne Tugend, eine Hetärenrepublik im größten Stil […] Heute gehören diese Grundsätze noch den engeren, aristokratischen Kreisen der Litteratur an […] Aber wem schmeicheln diese Lehren, als der Bestialität und Raubrust, die in den Höhlen der Verworfenheit, im Schmutz und Branntwein der großen Haupt- und Fabrikstädte noch schlummern, aber leicht zu wecken sind?«

Am 11. November richtet Menzel seine Angriffe direkt gegen die preuhischen Universitatsprofessoren, die unbesonnen genug gewesen, Gutzkow ihre Mitarbeiterschast bei seiner Revne zuzusagen: |278| »Sind Universitäten keine Staatsanstalten? Gilt im preußis Staat noch das Christentum, die Moral, die Ehe? Hätte darum so oft von dem in Preußen vorherrschend sittlich-religiösen und konservativen Geist gehört, daß jetzt die namhaftesten Professoren von Berlin, Königsberg, Halle einem neuen schmutzigen Marat, wörtlich wie der alte nur das Sakrament »des entzückenden Ae blicks« und eine Republik der Sansculottes und Sanschemises pre nachlaufen und fmit ihm gegen Christentum, Sitte, Ehe, Fat Scham, gegen Gott und Unsterblichkeit, gegen die deutsche Natio tät und gegen alles Bestehende wüten sollten?«

Und er schließt seine Ausfälle damit, daß er die guten manen Gutzkow, Wienbarg, Mundt, Laube, Kühne wegen vermeintlichen Anschlusses an Börne oder Heine als eine jül Partei bezeichnet. Das junge Deutschland sei eigentlich ein junges Palästina.

Infolge dieser Denunziationen wurde Karl Gutzkow r Gotteslästerung und Schilderung unzüchtiger Gegenstände in klagezustand versetzt, und Menzel war unehrenhaft genug, wä? sich Gutzkow in Untersuchungs-haft befand und der Prozeß ge wurde, die öffentliche Meinung auch weiter noch gegen ihn zuregen. Nichtsdestoweniger wurde er in Mannheim nur zu Wochen Arrest verurteilt und zwar wegen Angriffs auf die in L bestehende christliche Religionsgcmeinschaft. Die Angst vor re tionären Bewegungen, zu denen nach Menzels Behauptung die L des jungen Deutschland führen mußten, brachte jedoch den deu Bund selbst in Bewegung, und am 10. Dezember 1835 faß1 Bundestag einen Beschluß, der auf nichts Geringeres abzielt( die ganzeGruppe der jüngeren und älteren Schriftsteller, die hier unter der Bezeichnung »Das junge Deutschland« zusammengefaht waren, zu vernichten. Es heiht darin:

»Nachdem sich in Deutschland in neuerer Zeit und zuletzt unter der Benennung »Das junge Deutschland« oder »Die junge Litteratur|279|eine litterarische Schule gebildet hat, deren Bemühungen unverhohlen dahin gehen, in belletristischen, für alle Klassen von Lesern zugänglichen Schriften die christliche Religion aus die frechste Weise anzugreifen, die bestehenden sozialen Verhältnisse herabzuwürdigen und alle Zucht und Sittlichkeit zu zerstören: so hat die deutsche BundesVersammlung […] sich zu nachstehenden Bestimmungen vereinigt: 1. Sämtliche deutsche Regierungen übernehmen die Verpflichtung, gegen die Verfasser, Verleger, Drücker wie Verbreiter der Schriften aus der unter der Bezeichnung »Das junge Deutschland-« oder »Die junge Litteraturc( bekannten litterarischen Schule, zu welcher namentlich Heinrich Heine, Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Ludolf Wienbarg und Theodor Mundt gehören, die Strafund Polizeigesetze ihres Landes, sowie die gegen den Mißbrauch der Presse bestehenden Vorschriften nach ihrer vollen Strenge in Anwendung zu bringen, auch die Verbreitung dieser Schriften, sei es durch den Buchhandel, durch Leihbibliotheken oder auf sonstige Weise, mit allen ihnen ge- setzlich zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern« u. s. w. u.s.w.

So kam die Benennung »Das junge Deutschland« zum erstenmal ofsiziell zur Anwendung. Der deutsche Polizeibundesstaat war es, der als kritische Autorität eine Gruppe mit Namen genannter Männer auf eine sogenannte unsittliche und verderblich wirkende »Schule« zurückführte, und zwar auf die Angeberei eines einzigen gehässigen Konkurrenten hin.

Menzel fällt dieselbe Bedeutung dem jungen Deutschland gegenüber zu, wie in der englischen Litteratur sie seiner Zeit Southey »der satanischen Schule« alias Byron und Shelley gegenüber hatte, oder ein Menschenalter später Katköff sie »der landesverräterischen Schule-t: Herzen, Ogarew und Bakunin gegenüber gewann. In bewegten Zeiten ist der Denunziant ein ebenso notwendig erganzender Gegensatz zu den Vordergrundssiguren, wie es in alten Tragodieen der Neidhart und Spion dem Helden gegenuber war.

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