Es war die Hegelsche Philosophie, welche im Verein mit der Julirevolution die Geister in das bewegte Leben der Geschichte und der Politik hineinzwang. Nicht daß Hegel selbst mit der Julirevolution sympathisierte, im Gegenteil. Derartige heftige Eingriffe in das, was er als die Vernunft der Verhältnisse ansah, konnten ihm in seinem sechzigsten Jahre nicht mehr zusagen, wie es in seiner Jugend die große Revolution bei ihrem Ausbruch gethan hatte. Längst war er in allem Politischen hochkonservativ geworden.
Aber nichtsdestoweniger veränderte die Julirevolution den Charakter der Hegelschen Philosophie. Sie war der historische Wendepunkt, der historische Umschwung, der nötig war, um sie von den Kathedern hinaus ins Leben zu führen. Die Lehre selbst hatte ja die Eigentümlichkeit an sich, auf entgegengesetzte Weisen ausgelegt werden zu können. Von nun an wird sie eins der am stärksten eingreifenden Elemente der Umformung des Lebens. Wir haben es schon bei Heine gesehen, bei dem Hegels Übergang zum preußischen Konservatismus nie anders erwähnt wird, als um entschuldigt zu werden; für Heine bleibt Hegel immer der große Philosoph der neuen Zeit, der Inhaber aller Macht im Reiche der Gedanken.
Bevor Hegel nach Berlin berufen wurde, hatte er als Lehrer keinen Erfolg gehabt. An den anderen Universitaten hatte er sich wenig hervorgethan, in seinen jungeren Tagen sogar lange vor drei bis vier Zuhorern reden mussen. Jetzt stand er auf der Höhe |248| seines Ruhmes. Jm Gegensatz zu Schelling, der fo frühzeitig 1 und fo früh unfruchtbar wurde, trat Hegel, die schwerfälli langsamere Natur, mit seinem achtundvierzigftenxLebensjahre it bedeutendste Periode seines Lebens ein.
Die Erwartungen, die man an ihn geknüpft hatte, waren groß, aber sie wurden vollständig erfüllt. Seine Einsicht wa mächtig, er schien so ganz in seiner Zeit wurzelnd dazustehen doch über der Zeit zu schweben, vertraut mit all ihren Jdeen sie alle mit ruhiger Würde und tiefer Überzeugung beurtei Hundert und aber hunderte von Zuhörern strömten ihm zu.
Als Universitätslehrer bot er dem Anfänger, der ihn zum er mal sah, einen sonderbaren Anblick. Eine früh gealterte Ge trat ein, gebeugt, obgleich ursprünglich kräftig. Der Eindruck, sie hervorrief, war derjenige altbürgerlicher Biederkeit. Er auf das Katheder hinauf, setzte sich, vertiefte sich in sein Folio blätterte darin herum, suchte irgend etwas bald oben, bald unteder Seite. Seine Haltung war linkifch und charakterlos, die H waren schlaff, das Gesicht war fahl, Stirn, Wangen und EV? wie durchfurcht, nicht von Leidenschaften, sondern von der l näckigften -Gedankenarbeit. Aber die Formen des Kopfes w schön und edel, und wenn das Gesicht mit feinem Gepräge gr« Verstandes sich dem Zuhörer zuwandte, so geschah es mit demS druck des tiefsten, naiv erhabenen Ernstes.
Er begann zu reden, räusperte sich, hustete, stotterte, f1 mit Mühe nach Worten. Er redete mit einem stark fchwäbif Accent, ftoßweise, ohne Rhythmus im Vortrage, schiffte fick langen verwickelten Perioden ein und erreichte selten mit ihnen Hafen; er suchte lange nach dem bezeichnenden Worte, fand es immer zuletzt, und es kam den Zuhörern gleich schlagend vor, ob es ein alter bekannter Ausdruck oder ein ungewohnlicher war. Allmahlich schien der Vortrag dem Zuhorer nur die auherordentliche Schwierigkeit der inneren Gedankenarbeit zu veranschaulichen. |249| Es konnten ermüdende Wiederholungen kommen, wenn aber die Aufmerksamkeit des Zuhörers erschlaffte und er einige Sätze überhörte, so konnte es auch geschehen, daß er zur Strafe den Faden völlig verlor. Denn durch anscheinend bedeutungslose Zwischenglieder hatte indessen der eine oder andere Gedanke seine Einseitigkeit, seine Beschränktheit verraten, sich in Widersprüche verwickelt, und nun galt es diese Widersprüche zu überwinden, falls sie nicht schon überwunden waren.
Was am eigentümlichften bei ihm erschien, das war die Vereinigung zweier Elemente: einmal die Sachlichkeit des Redners, der Umstand, daß alles um der Sache willen von ihm gesagt wurde, sodann sein Streben nach Klarheit, welches den Anschein hervorrief, daß alles dennoch um des Zuhörers willen allein gesagt werde, damit er im ftande sei, es vollkommen zu verstehen.1
Ein schlechter Erzähler war dieser Redner, aber ein ungewöhnlicher Denker und Erklärer. Freilich waren die Kunstworte, die er anwendete, diese eigentümliche Terminologie, nach welcher »an sich« der Anlage nach und »an und für sich« die entwickelte Existenz bedeuten sollten, sehr dunkel; aber man gewohnte sich daran, und es kam einem bald vor, als schwebte man über der Erde in Abstrak- tionen, so verdünnt und so sinnreich einander ergänzend, daß die Dialektik in Platons »Parmenides« unfein im Vergleich mit dieser Dialektik erschien, bald war es umgekehrt, als dringe man immer tiefer in immer konkreter werdende Gegenstände hinein. Die Stimme des Redners wurde kräftiger, der Blick, mit dem er um sich schaute, frei und sicher, wenn er mit bündigen Worten eine Gedankenbewegung, ein Zeitalter, ein Volk oder auch nur ein besonders merkwürdiges Individuum charakterisierte, wie z. B. jenen Neffen Rameaus, der ohne Nennung des Namens in der „Phänomenologie" geschildert und erklart ist.
|250| Der Anfänger, der den berühmten Redner ohne jegl Exemplifizieren die abstrakten Begriffe entwickeln hörte, die für in den Welten der Natur und des Geistes gemeinsam seien, Von denen daher gesagt wurde, daß sie Natur und Geist in i zugleich geheimnisvollen und methodisch geflochtenen Netze tr· konnte zwar die Versuchung spüren, baldigst feines Weges zu x oder wenigstens nicht wieder zu kommen.
Aber er kam wieder, denn bald fesselte ihn der mühsame trag, und bald machte er die ersten Fortschritte Es war ih1 und an, als ob ein Gedankenblitz das Dunkel erhelle. Der Zu« gewahrte, daß es sich hier nach der Auffassung des Redners um ein System wie andere Systeme, um einen tieferen oder fassenderen Unterricht als anderer Unterricht verwandter Art ha sondern daß sich dieser Mann als den Verkünder einer ganz ginellen Wissenschaft betrachte, die das Dasein umfaßte, alles, und die Welt, erklärte, und alles abschloß, da alle Gedanken frü Denker in seinem System aufgenommen waren, wie alle nie Tierformen in dem Entwicklungsgang des menschlichen Eml vertreten sind; alles Vorausgegangene deutete auf ihn hin, früheren Bestrebungen waren mit ihm dergestalt vollendet, das nun an nur von einer genaueren Ausführung der einzelnen Pades großen gegebenen Grundrisfes die Rede fein konnte.
Von dem Augenblick an war der Zuhörer dem Zauber r worfen. Selbst die Dunkelheit der Terminologie war ein Reiz 1 die Schwierigkeit spornte an; es wurde eine Ehrensache zu vers-« eine Lebensaufgabe zu verstehen. Und mit welchem Entzücken stand man!
J a , man verstand es: diese ganze Sinnenwelt war nur Schein; ihr Wesen war der Gedanke. Nicht all dieses Einzelne und Individuelle, nur das Allgemeine war wahr, war reell. — Ich denke, und durch das notwendige Fortschreiten meiner Gedanken krast fester Gesetze erreiche ich die vollstandige Kenntnis meiner |251| selbst und der Welt. — Ich denke meinen eigenen Gedanken, betrachte ihn nicht mehr von der Seite, von wo aus er der meine ist, sondern als den allgemeinen Gedanken, denke mir alle menschlichen Intelligenzen mit der meinen vereint, beraube sie alle jener Form der Individualität, die wesentlich erscheint, aber es nicht ist, und sehein all diesen Geistern einen einzigen Geist und in dem- selben das Prinzip des Daseins. Dieses Grundwesen, das seinen höchsten Ausdruck im Menschen erreicht, ist dasselbe, das die Welt durchdringt, die Welt hervorbringt Dieses Grundwesen, welches in der Natur blindlings wirkt und formt, wird sich in mir bewußt. — Das Unbedingte, die Jdee, das, was populär Gott genannt wird, ist kein bewußtes oder persönliches Wesen, denn Bewußtsein und Persönlichkeit setzen voraus, daß ein Etwas außerhalb des Bewußtseins und der Persönlichkeit existiert, aber es ist auch nicht absolut unbewußt. Das Bewußtsein des Menschen-von Gott, das ist Gottes Selbstbewußtsein Ich höre auf als einzelner zufälliger Mensch zu leben, um das All in mir leben und pulsieren zu fühlen.
Die Logik, die eine scholastische Schulknabendisziplin gewesen, welche mittelst ihrer barbarischen Nomenklaturen (Barbara, Celarent, Ferio, Camestres, Baroco) sich aus sich selbst ergebende Folgerungen dem Gedächtnifse einprägte, die Logik, die nach langem Hinsiechen verachtet mit Tod abgegangen war, erstand somit in der Lehre von den Daseinsgedanken in ihrem Zusammenhange und ihrer Ein- heit zu neuem Leben, denn der erste Gedanke forderte den zweiten, rief denselben herbei, verschmolz mit ihm zu einem dritten, der seinerseits seinen Gegensatz, welcher zugleich seine Ergänzung war, hervorrief, und so forderte Gedanke mit Notwendigkeit Gedanke, bis die Gedankenschlange sich in den eigenen Schwanz bih und einen grohen, undurchbrechbaren Ring bildete, von dem sich wieder die Reiche der Natur und des Geistes ablosten, wie die Ringe aus Odins Ring niedertraufeln.
|252| Und alle Wissenschaften kamen herbei und schöpften au neuen Metaphysik, wie aus einem Lebensbronnen, der sie alle jüngte.
Und das System erhob sich vor dem Auge des Jüngers heitlich, wohlgegliedert, streng symmetrisch, mit innerer Unen keit, ein Organon des Geistes, eine ungeheure gotische Kirchi jeder Teil das Ganze wiederholte, jede kleine Dreiheit die Dreieinigkeit: Gedanke, Natur und Geist. Auf dem Granitx des Gedankens ausgebaut, strebte es durch alle die Pfeiler Bogen der Naturreiche zum Geiste hinan, in die mächtige, Himmel berührende Turmspitze auslaufend, in deren dreiget Bau die Religion das unterste, die Kunst das mittlere, die Es sophie das oberste Stockwerk einnahmen.
Doch mehr noch als das System galt dem Jünger die Mei Denn die Methode, das notwendige Verfahren des Geda1 war der Weltschlüssel, der Himmelsschlüssel. Es war die Me: kraft deren man Verstand. Es war die Methode, kraft deren sah, daß die Weltgeschichte ein zusammenhängendes Drama se einziges, großes Freiheitsdrama. Jede Völkerschaft hatte darir Rolle und alle diese Rollen griffen ineinander ein.
Zwar war es nur eine große Gedankendichtung, die mai wissenschaftlicher Beweisführung verwechselte, eine neue T nur eine mehr dramatische, eine besser zusammengefügte als welche die intellektuelle Anschauung Schelling geoffenbartz zwa1 es nur ein neuer, aber feinerer und stärkerer Rausch, als der man sich bei dem Naturphilosophen geholt; zwar ist heutigentag System zusammengebrochen, und das allzu feine Gerät der Me in unserer Hand zersprungen, so daß nur einzelne große G« gedanken übrig bleiben — doch wer selbst in seiner frühen Jugend die Hegelsche Zeit innerlich miterlebt hat, wird vollkommen das Entzucken verstehen, welches das junge Geschlecht in senen Tagen ergriff, die Krast, die es ans diesen Weltgedanken sog.
|253| Unter Hegels Schülern befanden sich um 1830 bereits Männer, die selbst schon Meister waren, Denker wie Hotho, Gans, Marheineke, Michelet; ja nahezu alles, was von nun an, bis tief in die fünfziger Jahre hinein, in den verschiedensten Fächern an hervorragenden Geistern ersteht, gehört ursprünglich der Hegelschen Schule an; so Rosenkranz und Werder, Strauß und Vischer, Feuerbach, Marx und Lassalle. Und es kamen Consin von Frankreich, Heiberg von Dänemark, Vera von Neapel, um die Lehre nach ihrer Heimat zu verpflanzen.
Vom Lehrstuhle in Berlin breitete die Hegelsche Philosophie sich über ganz Deutschland, über die Welt aus. Selten oder nie hat man wohl ein geistiges Königtum so festgegründet gesehen. Als die Cholera 1831 Hegel hinwegraffte, verglichen seine Schüler ihn mit Aristoteles, mit Alexander dem Großen, ja mit Christus.
Was die schöne Litteratur des nächsten Jahrzehnts, besonders das junge Deutschland betrifft, so wirkte der Hegelianismus im allgemeinen wie eine in geistiger Beziehung besreiende Macht, als diejenige Macht, welche den religiösen Dogmenglauben stürzte und das Individuum dem staatskirchlichen Christentume gegenüber eine freie Stellung einnehmen ließ. Wir haben bereits gesehen, daß selbst so lyrische Naturen, wie Heinrich Heine, in dieser Hinsicht einen schwachen Anflug von Hegelianismus hatten, abgesehen davon, daß Heines scharfer Verstand in der Hegelschen Schule derartig durchgebildet wurde, daß man aus der Form seines Witzes die Hegelsche Dialektik, die jeden Begriff in sein Gegenteil umschlagen läßt, herauszufühlen vermag.
Doch insbesondere wirkte die Hegelsche Philosophie im Sinne eines modernen Griechentums auf die jungen Gemüter. Hegel beeinflußte die Jugend noch unzweideutiger in hellenischer Richtung, als selbst Goethe es gethan hatte.
Man erinnert sich vielleicht der Stelle in Heines Schrift uber Börne, wo er von dessen nazarenischer Borniertheit spricht. Er |254| sage »nazarenisch«, erklärt er, um weder den Ausdruck jüdisch christlich zu gebrauchen, da ihm diese beiden Ausdrücke syn seien, und er sie nicht sowohl gebrauche, um einen Glauben um eine Naturanlage zu bezeichnen. Und er stellt das I »nazarenisch« in Gegensatz zu »hellenisch«, welches ihm gleici eine angeborene, wie angeeignete Geistesrichtung und Anscham weise bezeichnet. Mit anderen Worten: alle Menschen sind entweder Nazarener oder Hellenen, entweder Menschen mit tischem, bilderfeindlichem, krankhaft spiritualisierendem Hang, solche von lebensfreudigem, entwickelungsstolzem und wirklich liebendem Wesen. Und nun bezeichnet er sich selbst als
Hellenen — eine Bezeichnung, die kein deutscher Romantikei jemals beigelegt haben würde.
Hellenismus in diesem Sinne strömte von Hegel aus. L ist seiner ganzen Geistesrichtung nach ein Anhänger ders damaligen Tendenz, die antiken Formen mit dem Inhalte neuen Zeit zu erfüllen, welcher wir auch bei Goethe bege wenn er seine Jphigenie dichtet, oder bei Thorwaldsen, wenn · Statue der Fürstin Barjätinska in griechischem Gewand ausl Es ist kein Zufall, daß Hegel und Thorwaldsen im selben J 1770, der eine nur wenige Monate nach dem andern, geboren noch war es ein Zufall, daß Hegel am besten die Seite von Go Wesen verstand, die sich Griechenland zuwendete.
Hegel hatte als Württemberger seine Bildung aus zwei Q1 geschöpft, der Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts mit Empörung gegen die Theologie, und dem klassischen Altertum» ihm bereits in den gelehrten Schulen seines Geburtslandes entg getreten war. Schon auf der Schulbank beschäftigte er sich ständig mit griechischer Sprache und Litteratur, und schon als Kind begeisterte er sich sur die Antigone des Sophokles, die ihm spaterhin als das typische griechische Kunstwerk gilt, aus welches er in seinen Schriften immer und immer wieder zuruckkommt. Er nennt |255| das Studium der Antike die wahre Einführung in die Philosophie und bildet allmählich sein System als Ganzes den Systemen des Altertums nach; es verhält sich zu dem Gedankenbau des Aristoteles, wie Goethes Jphigenie zu der des Euripides, oder Thorwaldsens Alexanderng zum Fries des Parthenon sich verhält.
Seine eigentliche ursprüngliche Gesinnung dem Ehriftentume gegenüber verrät sich in den Studien und Forschungen, die er in seiner Jugend als Theologe pflegt und deren Inhalt Haym nach den Manuskripten wiedergegeben hat. Er zeigt hier, daß die griechischrömische Religion eine Religion für freie Völker war, daß die Jdee eines freien Gemeinwesens dem Griechen das Höchste, das Jdeale, dem er seine Arbeit, sein Leben widmete, war. DerGott des Ehristentums war nur ein Surrogat für die verloren gegangene republikanische Freiheit. Man hatte keine Macht mehr, konnte nicht mehr wollen, nur noch wünschen und beten. Und je mehr nun der Mensch zum Sklaven wurde, desto mehr bedurfte er eines Gottes außer und über sich. Und Hegel zieht den Schluß, daß es unseren Tagen vorbehalten blieb, die Schätze, die an den Himmel geschleudert worden sind, als Eigentum der Menschen zurückzufordern. Er greift hier Heine und Feuerbach vor.*)*
Hegel sieht in seiner Jugend das jüdische Altertum beständig durch das Glas der klassischen Auffassung Die alte Geschichte der Juden nennt er »den Zustand einer vollkommenen Häßlichkeit«. »Das große Trauerspiel des jüdifchen Volkes,« sagt er, »ist kein griechisches; es kann nicht Furcht noch Mitleid erwecken; denn beide entspringen aus-dem Schicksale des notwendigen Fehltrittes |256| eines schönen Wesens.« Wie man sieht, hebt sich ihm Geschichte und Schicksal des Judenvolkes von einem Hintergrunde sophoklei Weltanschauung und aristotelischer Theorieen ab. Begriffe wie C und Strafe erscheinen ihm nur häßlich. Die christliche Vorstel der Sündenvergebung Vermag er nur beizubehalten, indem e« mit dem Begriffe eines durch Liebe versöhnten Geschickes vertai Mit anderen Worten, er kann die Leidensgeschichte Christi nurf finden, wenn er sie vom selben Gesichtspunkte aus wie »Od in Kolonoi« betrachtet, als ein Schicksal, von dem der Unschu betroffen wird, nicht als ein um anderer Sünden willen gebra Opfer. Auch ihm ist sonach Judentum und Christentum eins dasselbe: der häßliche Gegensatz zum Hellenismus.
Aus dem Schiffbruch des Positiv-Religiösen rettet er für Bewußtsein nur die Person und die Geschichte Jesu, indem Jesus in persönlicher Form das wird, was ihm die Antike ir Form des Staatslebens war: ein schönes, göttlich-menschliches L Dieser Jesus ist denn nicht schlechthin Jesus, es ist ein Jesus-As dem später von Heine im Gedichte »Der Friede« geschilderten g die mächtige Gestalt, die als Herz in der Brust die rote flamn Sonne trägt. Und wenn Heine in seinem Nachwort zum »Romanz von seinem letzten Kniefalle vor der »hochbenedeiten Gottheit Schönheit unserer lieben Frau von Milo« spricht, die mitleidig ihn herabgesehen, selbst troftlos, ihm nicht helfen zu können treffen wir bei ihm auf die gleiche Verschmelzung des Heidni und des Christlichen. Denn diese Göttin ist nicht schlechthin V» es ist Venus-Madonna.
So ist denn Hegel selbst der Stammvater jenes heidni Hellenismus, dessen das junge Deutschland zu beschuldigen s Gebrauch wurde. Ja, es herrscht sogar in seiner Philosophie der Geist, aus dem sich ein Stichwort, wie das von der »Emanzipation des Fleisches« entwickeln konnte. E s war ein Ausdruck, dem Heine von Frankreich her in der deutschen Litteratur Eingang verschafft |257| hatte, und der von seinen Bewunderern und Nachahmern weitergetragen, von den Feinden und Anklägern der jungen Litteratur aufgeschnappt und wie nichts anderes in gehässigster Weise gegen sie ausgebeutet wurde. Er mochte allerdings in Heines Mund einen frivolen Beiklang haben, einen häßlichen Beiklang in Laubes Mund. Bei den besseren unter den Männern des jungen Geschlechtes jedoch bedeutete er nichts, was im Grunde nicht schon Goethe und Hegel gewollt hatten. Karl Gutzkow hat mit Recht hervorgehoben, daß nur eine schmutzige Phantasie mit diesem Ausdrucke die Vorstellung einer Entfesfelung böser Leidenschaften verbinde. Das Wort Fleisch enthalte ja an und für sich nichts Anstößiges. Sagt doch das Neue Testament: »Das Wort ist Fleisch geworden.« Das Fleisch bedeutet im christlichen Sinne den Naturmenschen, das Ungetaufte, Ursprüngliche im Menschen. Unter dessen Emanzipation verstanden die jungen Schwärmer jener Zeit in Wirklichkeit nichts anderes, als die Wiedereinsetzung der Natur in ihre Rechte und den Krieg wider das Naturfeindliche. Was sie anstrebten, war, die Gesetze der Natur zum Maßstabe für unsere Lebensführung zu machen, das Natürliche vom Banne und Interdikt zu erlösen.*)*
Es schwebte ihnen ein im Hegelschen Geiste gehaltener Neuhellenismus vor.
Es hatte demnach in ihren Augen nicht gar viel zu bedeuten, daß Hegel als Greis bei dem starrsten, preußischen Konservatismus angelangt war, oder daß die Hegelsche Rechtsphilosophie die bestehenden Institutionen samt und sonders als Heiligtümer anerkannte und die höchsten ethischen Jdeen als Götzen verwarf. Er hatte die Macht der zeitgenössischen Skepsis unterschätzt.
Wie viele Institutionen gab es wohl, die einem normalen Menschen der damaligen Zeit noch Gegenstand der Ehrfurcht und des Glanbens gewesen maren? Hochstens diese vier: das Konigtum, die Kirche, |258| die Ehe und das Eigentum. In bezug auf diese ist Hegels .· die folgende:
Er behauptet das Königtum nicht so, daß er dessen V. darin sieht, eine Garantie der ununterbrochenen Durchführung g1 politischer Pläne zu sein; nein, der Monarch ist ihm nur die Gedanken geforderte oberste Spitze des Staatsgebäudes, gleichsaPunkt über demi — nnd zwar im logischen Widerspruch zu Theorie Jst doch sonst bei Hegel das Subjektive stets nur ei wieder aufhebendes Moment; konsequenterweise müßte der Mo hier in der Souveränität des Staates ausgehen. Das Kön wird demnach nur durch ein Zugeständnis an das Bestehend ihm behauptet. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß si( folgendes Geschlecht fand, welches die Schlußfolgerung zog!
In bezug auf die Kirche nahm Hegel dieselbe Schwenkunx die später von seinem Schüler Cousin als Minister in Frai ausgeführt wurde. Er ließ seine Anhänger Von der Rechten Göschen, die Übereinstimmung seiner Philosophie mit Bibel kirchlichem Christentum nachweisen, ja er überhäufte sogar in Zeitschrift Göschens Aphorismen mit Lob. Er, der als Jü1 in seinen Brieer an Schelling Kants Philosophie aus dem G angegriffen, weil sie sich im Dienste der Orthodoxie verwendei er, der Hölderlin beschworen hatte, mit Dogmen niemals F zu schließen, trieb nun in seiner Religionsphilosophie das deutige Spiel, jedes Dogma zum Symbol eines Gedanke1 machen und es dann mit der Wendung aufrecht zu halten, d dieselbe Wahrheit wie die Wissenschaft, nur in der Form der stellung ausspreche. Man darf sich daher nicht wundern, d( Schüler daraus Schlüsse zogen.
Was die Ehe betrisst, so sagte sie Hegel ganz als Moment in der Familie, als mit dem Familieneigentum gleichberechtigt anf. Ans welchem Wege sie gestiftet wurde, war von untergeordneter Bedeutung. Dah die Eltern bestimmend eingrifsen, wurde als |259| das sittlichere Vorgehen betrachet. In seiner Abneigung gegen die Eigenmächtigkeit destndividuums betonte er, welche Unvernunft darin liege, daß der einzelne »sich gerade auf dieses Mädchen kaprizioniere«. Er sprach hierüber halb wie ein alter Spartaner, halb wie ein alter Spießbürger, und die Jugend, die weder spartanisch noch spießbürgerlich war, folgte hier nicht seiner Führung.
Das Eigentum endlich faßte Hegel als gänzlich von der Familie abhängig auf. Dasselbe ist ihm als Gemeinbesitz der Familie sittlich berechtigt. Nur wenn es nicht Besitz des einzelnen ist, erscheint ihm, was er die Begehrlichkeit des Egoismus nennt, überwunden. Er verwirft übrigens natürlicherweise mit Leidenschaft den Kommunismus Doch die schiefe Ebene der Konsequenz lag offen, und die Zeit kam, wo Hegelianer, wie Marx und Engels, revolutionäre Schlußfolgerungen aus der scheinbar so konservativen Philosophie des Meisters zogen.
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