Die Kenner von Heines Schriften und Briesen werden die innige Freundschaft und Waffenbrüderschaft bemerkt haben, die ihn in seiner Jugend mit Karl Immermann verband. Er hatte Immermann angeboten, einige Epigramme in seine »Reisebilder« einzufügen, und wirklich brachte das Werk zwischen den Abschnitten Norderney und dem Buch »Le Grand« einen halben Bogen Xenien von Immermann, die verschiedene litterarische Personen und Zustände damaliger Zeit verspotteten, unter anderem auch den in morgenländischen Formen dichtenden Poeten einen Hieb verfetzten. Platen fühlte sich davon getroffen und dies rief seine dramatische Satire »Der romantische Ödipus«, wie diese wieder die Antwort Heines hervor.
Es war ein sonderbarer Zufall, daß Platen in seiner Ungeschicktheit mit einem Schlage die beiden Männer zu Romantikern stempelte, die, jeder für sich das Ihre, und zwar mehr als Platen selbst, dazu beigetragen haben, einen neuen Geist und eine neue Kunst aus der romantischen Hülle sich entwickeln zu lassen, indem jeder von ihnen auf seine Weise Grundleger der modernen Dichtung wurde.
Karl Immermann (geb. 1796) war drei bis vier Jahre älter als Heine, Sohn eines trengen, regelrechten Beamten in Magdeburg, selbst eine fest und zuverlässig entwickelte Persönlichkeit, zeitig com altpreußlichen Geist, von dem sich in Heine keine Spur fand, geprägt. Sie waren Gegensätze auf fast alle gebieten.
|228| Immermann nahm als Freiwilliger an der Schlacht bei Waterloo teil, zog mit dem Heere in Paris ein, wurde als Offizier verabschiedet und nahm darauf das unterbrochene Studium der Juristprudenz in Halle wieder auf, wo er sich durch sein strenges Rechtsgefühl mit der mächtigen Studentenverbindung Teutonia überwarf, die eine Art moralischer Oberhoheit über all die Studierenden sich angemaßt hatte und die Reinheit der Sitten durch Roheit heben wollte, sich dabei aber ebenso herrschsüchtig wie brutal erwies. Gegen dieselbe führte er einen mehrjährigen Kampf. Wiederholentlich mußte er die Hilfe der Regierung gegen die Kränkungen und Verfolgungen die ihm zugefügt wurden, anrufen. Die Folge war, daß er von der herrschenden Partei als Angeber dem allgemeinen Haß preisgegeben wurde — und zwar um so mehr, weil die politische Reaktion ohne sein Verschulden aus dieser Opposition gegen verebte Unsitten in den Studentenverbindungen, Veranlassung nahm, dieselben zu placken und zu unterdrücken. Immermann war von da ab eine isolierte Gestalt. Vieles in seinem Wesen, zumeist das Trockene und Eigenartige, wurzelt in diesem Verhältnis. Für Stolz und Selbstgefühl war die Isoliertheit der günstigste Boden.
Im Jahre 1819 wurde Immerniann zu Münster in Westfalen, dieser alten, streng katholischen Provinzialstadt, als Justizbeamter (Divisionsauditeur) angestellt Er fühlte sich von Anfang an hier uneinig mit allen, und allem ungleichartig. Hier lernte er nach Verlauf kurzer Zeit die Frau kennen, die das Schicksal in seinem Leben wurde.
Elisa von Lützow stammte aus Dänemark. Sie war eine geborene Komtesse Ahlefeldt-Laurvig aus Tranekjär auf Langeland und mit dem Brigadekommandeur Adolf von Lützow, dem berühmten Führer der von Körner besungenen Freischar, verheiratet. Damals neunundzwansig Jahre alt, war sie nach dem Zeugnisse der Zeitgenossen eine durch Anmut, Anstand, Seele bei aller Vornehmheit herzgewinnende und bezaubernde Persönlichkeit. Von frühester |229| Jugend an hatte sie einen tiefen Eindruck auf alle Männer, die in ihren Zauberkreis geführt wurden, gemacht.
Sie war als vermeintliche Erbin großer Reichtümer, aber in unglücklichen Familienverhältnissen ausgewachsen. Der Vater und die Mutter hatten sich einander entfremdet und trennten sich, als Elisa vierzehn Jahre alt war. Graf Ahlefeldt, ein Liebling des Königs Friedrich VI von Dänemark, war eine vergnügungsfüchtige Paschanatur mit einem wechselnden Harem, ein Musikund Theaterfreund, der eine eigene Kapelle unterhielt, und der deutsche und französische Schauspielertruppen auf Tranekjär austreten ließ. Dabei war er so gaftfrei und gedankenlos verschwenderisch, daß selbst sein ungewöhnliches Vermögen nicht zu dieser Lebensführung ausreichte. Die Veranlassung zu Elisas Bekanntschaft mit Immermann war die, daß sie eines rechtskundigen Beistandes bedurfte, weil der Vater nicht nur ihr Erbleil mütterlicherseits zurückhielt — die Mutter war 1812 gestorben — sondern ihr nicht einmal die ihr zugesicherte jährliche Rente auszahlen wollte.
Lange hatte Graf Ahlefeldt seine Einwilligung zur Verbindung seiner Tochter mit dem vermögenslosen und noch unbekannten fremden Offizier verweigert Er gab sie endlich im Jahre 1810. Als im Jahre 1813 auf Friedrich Wilhelm des Dritten Aufruf die preußifche Jugend begeisterungsvoll zu den Waffen griff und Lützow das berühmte Freikorps der schwarzen Husaren bildete, folgte sie ihrem Mann in das Feld, und die Lützower, »die wilde verwegene Jagd«, fanden ihre Walküre in der so ausfallend schönen Gemahlin ihres Anführers; sie wurde von der ganzen Schar als ein höheres Wesen angebetet.
Elisa, die von Kindheit an, wie es scheint, Deutsch gesprochen hatte, fühlte sich auf deutschem Grunde ganz als Tochter des neuen Vaterlands und ging in dessen Schicksal volkommen auf. Sie begeisterte die Tapseren, pflegte mit heldenmütiger Ausbauer die Verwundeten, war die Vertraue der vorzüglichsten unter |230| den jungen Leuten, ihre Helferin und Trösterin, und nach einem Siege brachte man ihr immer den feinsten Teil der Beute. Der Lieutenant, der nach der Schlacht bei Velle-Alliance zuerst in eroberten Wagen Napoleons gestiegen, brachte ihr sogar ein Handschuhe und ein paar Gläser des Kaisers als Andenken mit.
Nach dem Friedensschluß wohnte sie mit ihrem Manne in den verschiedenen Städten, wohin er versetzt wurde, von 1817 an in Münster, dessen steifes, kleinliches, bigottes Wesen ihr zwar zuwider war, wo sie aber doch, wie überall, einen enthusiastischen Kreis sich versammelte, der sich ihres ungewöhnlichen Schönheitssinnes, ihrer feinen Intelligenz erfreute. Sie verstand, ohne beredt zu sein, in Gesprächen schon durch ein Lächeln oder ein Kopfnicken Begabung an den Tag zu legen.
Auf Immermann wirkte sie bei der ersten Begegnung wie eine Offenbarung aus einer höheren, edleren Welt, nach der er während seines einsamen Lebens geschmachtet hatte. In dem schloßähnlichen Hause, das Lützow als Dienstwohnung eingeräumt war, einem früheren Kloster mit hohen Fenstern und mächtigen Flügelthüren, wo sie von Blumen, Büsten, Büchern, Bildern, Vögeln, Hunden und Bewunderern umgeben lebte, glich sie einer Ritterdame aus vergangener Zeit, oder einerjener Prinzessinnen der Renaissance, welche Dichter an ihren Hof zogen und sie inspirierten
Das Jahr 1825 brachte eine große Veränderung in Elias Schicksal. Der gutmütige und ritterliche, aber flüchtige, leicht entzündbare Lützow verliebte sich so heftig in eine kokette und unbeteunder Dame, daß er seine Frau ersuchte, ihm seine Freiheit zurückzugeben. Sie war keineswegs auf einen solchen Schritt vorbereitet, aber ein Wort von Lützow an einen Freund, das sie zufällig gehört hatte, und das darauf hinaus ging, daß er von Anfang an fest entschlossen gewesen sei, eine reiche Erbin zu heiraten, hatte sie die Ausdauer, womit er in ihrer früheren Jugend an ihre festgehalten hatte, in einem neuen Licht erscheinen und ihn in ihren Augen viel |231| verlieren lassen. Stolz, wie sie war, erklärte sie nun sofort, daß sie seinem Glücke nicht im Wege stehen wolle, und sie willigte augenblicklich in eine Trennung, deren Ursache sie allen verheimlichte.
Kein heftiges Wort wurde zwischen den Gatten gewechselt. Im April des Jahres 1825 fand die Scheidung statt. Vor und nach derselben sandte Lützow an Elisa Briefe, welche die lebhafteste Freundschaft und die wärmste Bewunderung verraten. Für ihn hatte diese Begebenheit nur unglückliche Folgen. Er wurde allgemein wegen des von ihm gethanen Schrittes getadelt; als es zur Entscheidung kam, gab seine launenhafte Dame ihm einen Korb, und zu spät bereute er, daß er auf Elisa verzichtet hatte, um einem Blendwerk nachzulaufen. Als er sich einige Jahre später, um sich aufs neue ein Heim zu gründen, mit der Witwe seines verstorbenen Bruders verheiratete, zeigte sich seine zweite Frau von einem so schwierigen Charakter, daß er seine letzten Lebensjahre in einem geradezu verzweifelten Gemütszustand Verbrachte.
Für Elisa, die durch die Scheidung heimatlos und im Leben vereinsamt dastand, führte dies Ereignis nach und nach eine stets innigere Annäherung von seiten des jungen Dichters, der in ihr sein Ideal sah, herbei. Immermann wünschte leidenschaftlich sie für immer an sich zu binden. Aber Elisa schreckte vor einer zweiten Ehe zurück; die Institution selbst war ihr durch die Enttäuschungen, die sie ihr gebracht hatte, verhaßt geworden; auch die sechs Jahre, die sie älter war als er, machten sie bedenklich. Als Immermann im Jahre 1827 eine Anstellung als Landesgerichtsrat in Düsseldofs erhielt, bestürmte er Elisa mit Bitten, ihm dorthin zu folgen. Sie willigte ein, obgleich sie aufs neue erklärte, daß sie sich mit ihm nicht verheiraten werde; dagegen gaben beide einander das unvorsichtige Versprechen, niemals an eine Verheiratung mit anderen denken zu wollen.
Die beide Liebenden bewohnten im Dorse Derendorf bei Düsseldorf einen in einem mächtigen, an Rosen überreichen Garten be|232|legenen Landsitz, den sie zu einem eleganten und harmonischen Heim ausschmückten, in welchem er und sie ihre abgesonderten Zimmer hatten. Während einer langen Reihe von Jahren lebten sie hier inhaltsreiches, glückliches Leben. Düsseldorf war damals ein Versammlungsort für eine nicht geringe Anzahl von Deutschlands ausgezeichnetsten Künstlern, von Malern wie Schadow, Lessing, Hildebrandt. Dorthin zogen außerdem Poeten (wie Grabbe), Komponisten (wie Mendelssohn), Kunstliebhaber und Kunstforscher (wie Schnaafe) aus allen Gegenden Deutschlands. Das Haus Immermanns und Elisa von Ahlefeldts wurde ein Vereinigungspunkt für alle diese Geister. Schon in Münster hatte er in Elisas Kreis ein ungewöhnliches Talent als Vorleser dramatischer Dichtwerke verraten. Er fuhr fort, halböffentliche Vorlesungen derselben Art zu halten. Hieraus entwickelte sich der Wunsch, ein Theater zu leiten. Er studierte mit der Schauspielgesellschaft zu Düsseldorf eine Reihe von Mystervorstellungen ein, fremde Künstler kamen ihm zu Hilfe, der große Schauspieler Seydelmann aus Berlin spielte den Nathan, Felix Mendelssohn setzte zwei Opern in Szene und dirigierte die Aufführungen.
Als im Jahre 1832 Elisas Vater starb, erbte sie zwar nicht den Reichtum, der ihr in ihrer Jugendzeit bestimmt schien, erhielt aber von einem Vetter, dem die Grafschaft zufiel, von nun an sehr reichliche Leibrente. Mit Immermann machte sie nun verschiedene Reisen, dem Rhein entlang, nach Dresden, nach Holland. Eine Reise, die Immermann allein unternahm, ist diejenige, die sich in seinem »Reisejournal« beschrieben findet, das ganz aus den Elisa zugesandten Briefem besteht. Alles übrige, was er schrieb, entstand unter ihren Augen und wurde ihrer zwar liebevollen, aber nicht ganz selten tadelnden Kritik unterworfen.
Nach dreijährigem Bestehen mußte das von Immerman geleitete Theater zur großen Traner des Dichters aus Mangel an Saatsunterstützung eingehen. Er versuchte sich durch eine von ihm. |233| später beschriebene Reise in der fränkischen Schweiz (1887) zu zerstreuen.
Auch die Briefe, aus welchen die »Fränkische Reise« besteht, sind alle an Elisa gerichtet. Es waren die letzten, die er ihr schickte. Denn auf dieser Reise sah er zum erstenmale in Magdeburg ein junges, achtzehnjähriges Mädchen, Marianne Niemeyer, das einen tiefen Eindruck auf ihn machte. Als er wieder mit Elisa zusammentraf und mit ihr die Heimreise nach Düsseldorf antrat, forderte er sie zu ihrer Verwunderung noch einmal auf, sich mit ihm zu verheiraten. Sie lehnte wie gewöhnlich ab. Es ist, als wäre er im voraus dieser Antwort sicher gewesen, und als habe er nur sein Gewissen erleichtern wollen. Unmittelbar danach eröffnete er, ohne Elisa etwas davon zu sagen, einen lebhaften Briefwechsel mit Marianne, warb um ihre Hand und bekam das Jawort. Elisa erfuhr seine Verlobung durch andere und beschloß, sofort aufzubrechen und abzureisen.
Im August 1839 verließ sie Düsseldorf mit einer Freundin, von Immermann bis nach Köln begleitet. Bisher hatte sie trotz ihrer neunundvierzig Jahre ihre Schönheit bewahrt; nun wurde sie auf einmal alt. Im Oktober 1839 verheiratete sich Immermann; im August 1840 starb er. Elisa überlebte ihn um fünfzehn Jahre.*
Es ist deutlich genug, daß das Verhältnis zu Elisa, welches Immermann so viele Jahre hindurch eine Freude und Stütze gewesen, ihm zuletzt zu einer Last geworden war. Aber unverantwortlich ist es (wie Goedeke es gethan hat), dieses Verhältnis so darzustellen, als ob erst dessen Auflösung und die darauf folgende legitime Verbindung Immermann die dichterische Kraft, die er in seinem letzten Hauptwerke »Münchhausen« an den Tag gelegt, gegeben hätte. Münchhausen ist ganz ebenso wie Immermans andere Werke während des Zusammenlebens mit Elisa geplant und ausgeführt worden.
|234| Ihre Erscheinung und seine Stellung zu ihr haben verschiedenartig und mehrfach seine Dichtung beeinflußt. Man hat Spuren von ihr in seinem Drama »Petrarca« finden wollen, das die Liebe Petrarcas zu Laura behandelt, und darauf ausgeht, die unwiderstehliche Macht einer so hochgeborenen Liebe, selbst wenn sie einem nicht freien Weibe gilt, darzustellen. Man hat ihre Ansichten über das unbedingte Recht der Liebe in dem Schauspiel »Cardenio und Celinde« wiederfinden wollen. Sie scheint ferner das Modell zu der Heldin im Lustspiele »Die schelmische Gräfin« gewesen zu sein und sie ist unzweifelhaft das Vorbild der Johanna im Romane »Die Epigonen«. Doch dies alles ist verschwindend im Vergleich mit dem entwickelnden und verfeinernden Einfluß, den sie überhaupt auf Immermann als Dichter ausgeübt hat.
Es ist sonderbar mit seinem Ruhm gegangen. Von all seinen Werken wird heutzutage nur ein einziges, der Roman »Münchhausen«, gelesen, und, genauer bestimmt, ist das, was von jenem Roman seinen Namen auf die Nachwelt bringen wird, wiederum nur ein einzelner Abschnitt, kaum die Hälfte des Ganzen, den man seit einiger Zeit sogar aus dem Zusammenhang mit dem übrigen herausgelöst und für sich allein herausgegeben hat. Dieser eine Abschnitt überwiegt in Wirklichkeit Immermanns ganze übrige Produktion.
Der Roman »Münchhausen« war, wie in der Regel romantische Erzählungen, vorsätzlich unordentlich angelegt. Das Buch beginnt z. B. mit dem elften Kapitel. Der Held, ein westfälischer Freiherr, ist ein Nachkomme des alten Lügen-Münchhausens, und phantastisch verlogen wie dieser. Das Ganze sollte ein satirisches Repertorium jeglicher Art von Humbug und Windbeutelei in der damaligen Zeit sein, worin die Laune des Dichters sich mit voller Freiheit tummeln könnte. Aber aus all diesem Freien und Flatternden, das dem Titel »Eine Geschichte in Arabesken« entspricht, entwickelt sich nach und nach die große ländliche Novelle, die in der deutschen Litteratur unter dem namen »Der Oberhof« eine dauernde Stelling einnimmt. |235| Die Hauptfigur darin, der Hoffschulze, und die blonde Lisbeth stellen eine neue Wahrheit und eine neue Poesie dar; sie bewegen sich auf der »roten Erde« von Westfalen und führen zum erstenmal das gemeine deutsche Volk, ohne das Süßliche der Hirtenidylle und ohne die ballettartige Entstellung der Operette, wenn auch stark stilisiert, doch mit dessen eigenartigem Stammgepräge in die Litteratur ein. Es findet sich in diesen Charaktern eine kräftige und frische Natürlichkeit, die nicht veralten wird.
»Der Oberhof« ist der Grundtypus aller europäischen Bauernerzählnngen geworden, und es giebt Punkte, in denen er sie alle Übertrifft, so veraltet er auch in gewisser Weise schon jetzt erscheinen mag. Hundert phantastische Fäden ziehen sich von dieser meisterhaften Novelle in den großen romantischen Roman hinein, aber man kann sie ohne Schwierigkeit überschneiden, und hat die Novelle dann wie den festen Kristall vor sich liegen, in welchen sich die Romantik in Immermanns Seele zuletzt verdichtete.
Man ist heutzutage daran gewöhnt, in den Bauernerzählnngen einen direkten Ausläufer der Romantik zu erblicken. Sie haben nichtsdestoweniger im Norden wie in Frankreich den Übergang zu einer naturwahreren Kunst, als es die romantische war, gebildet. In Deutschland war es in Wirklichkeit eine Sphärenveränderung, welche erfolgte, als Immermann das historische oder phantastische Jambendrama ausgab, das bald in diesem, bald in jenem Lande, wo er nie gewesen war, spielte, und in dem wenig bekannten Westfalen, wo er als Richter gelebt und gewirkt hatte, eine einfache, menschliche Handlung vor sich gehen ließ. Westfalen war damals noch ein Land ohne Eisenbahnen und ohne Industrie, aber ein Land, das, patriarchalisch und gesund in Sitten und Gebrauchen, nur mit der Treue, die zugleich verklärt, dargestellt zu werden brauchte, um die Schilderung aller früheren willkürlichen Erzeugnisse der dichterischen Einbildungskraft Immermands zu übertreffen.
Von dem Hoffschulzen, der die Hauptperson der Novelle ist, |236| stammen die urkräftigen, tiefselbständigen Großbauern in allen deutschen und in vielen fremden Bauernerzählungen ab. Aber er übertrifft alle, sogar die, übrigens oft so vortrefflichen, Bauern Auerbachs durch die sozusagen historische Größe, die seiner Gestalt mitgeteilt ist, und die auf seinem innigen Verhältnis zu der tausendjährigen Vorzeit des Landes beruht. Dieser Großbauer tritt auf dem Hintergrunde der in jener Gegend noch lebendigen Überlieferungen aus fernen und halbvergessenen Zeiten hervor.
Er ist ein echter Bauer. Er ist gar nicht liebenswürdig; er hat nicht Zeit gehabt, sich ein liebenswürdiges Wesen anzueignen, hat von Jugend an sich sein Leben all zu sauer werden lassen müssen. Er ist ein durch und durch gesunder Verstand, er zeigt Ernst, Starrköpfigkeit, Standesstolz und erlaubten Eigennutz. Aber es liegt etwas Granitartiges im Grunde seines Wesens. Als echter Bauer ist er klug, ja schlau in Handel und Wandel, immer bereit, seinen Standesgenossen zu raten, wie sie den Expropriationen vorhabenden Autoritäten gegenüber eine schlechte Sache verteidigen konnen, immer auf seinem Posten gegen die Abgesandten der Regierung, selbst wo es sich um Fortschritte, wie Anlage neuer Wege handelt, kalt in allen seinen Familienverhältnissen, an alle Vorurteile des Bauernstandes gebunden.
Und doch ist er groß. Er übt den Einfluß eines Herrschers aus und setzt immer durch, was er will. Er regiert nicht nur auf seinem großen Hof wie ein strenger und väterlicher König des Altertums, gute alte Sitten aufrecht erhaltend, ein Auge auf alle und auf alles habend, mit einem Sprichwort verweisend, belohnend mit der Ehre, bei ihm zu dienen; sondern er hat auch als der ohne Vergleich Erste in seiner Umgebung seine Nachbarn dahin gebracht, zu ihm als ihrem Führer auszusehen, und hat sie dann dazu vermocht, stillschweigend, ohne Empörung ober Widerstand irgend welcher Art, von der Oberhoheit der Staatsmacht und der Behörden sich freizumachen und mit ihm als einer Art von Richter (im Stil der |237| alten israelitischen Richter) an ihrer Spitze sich selbst zu regieren. In seiner Gegend finden keine Rechtsstreitigkeiten statt, noch kennt man dort Kriminalsachen. Niemand führt einen Prozeß und niemand giebt auch einen Verbrecher an. Es könnte aussehen, als wäre diese Gegend eine Oase des Friedens und der Schuldfreiheit. Sie ist weit davon entfernt es zu sein; aber vom Mittelalter an haben hier die alten Femgerichte existiert, und die Bauern haben sich unter Leitung des großen Bauern dahin geeinigt, daß sie dieselben aufrecht erhalten und selbst für Recht und Gerechtigkeit zwischen ihren Eigenen sorgen wollen. Sie sammeln sich nachts insgeheim an einer einsamen Stelle, an einem abgelegenen Hügel und schlichten dort ihre Streitigkeiten durch Urteile, die beachtet und in Ehren gehalten werden, ohne daß sie jemals andere Strafe anwenden als eine Art von Achterklärung des Missethäters, die ihn aber so hart trifft, wie es nur irgend eine vom Staat diktierte Strafe könnte. Denn ein Bauer, von dem sich alle zurückziehen, dem niemand im Dorfe oder in der Gegend beistehen und den niemand kennen will, leidet, selbst ohne daß sonst etwas ihm geschieht, die Qual des Isoliertseins fast ebenso hart, wie derjenige, welcher in einem Zellengefängnisse sitzt.
Als Sinnbild seiner Macht und Würde verwahrt der alte Hofschulze einen Degen, von welchem er glaubt, daß er das sei, wofür er der Sage nach gilt: das Schwert Karls des Großen. Dieser Degen ist deshalb in seinen Augen das kostbarste Kleinod seines Hofes. Er führt es, wenn er ein Urteil fällt. Das Schwert, welches aus der Erde ausgegraben worden, ist in Wirklichkeit eine ganz gewöhnliche Waffe, nur ein paar Hundert Jahre alt, und bewunderungswürdig ist die Darstellung, wie ab und an den alten Hofschulzen Zweifel an dem Alter des Schwertes überkommen, und wie er dann mit echter Bauernverschmißheit sich bemüht, dieselben für immer niederzuschlagen. Er läßt einen Altertumsforscher, der sich in der Gegen aufhält, als Gegenleistung für eine selten schöne |238| Amphora, die er ihm überläßt, ein Zeugnis darüber ausstellen, daß jenes Schwert wirklich Eigentum Karls des Großen gewesen sei.
Ein Vagabund hat nach einem Liebesverhältnis mit der Tochter des Hofschulzen dessen Sohn in Notwehr getötet. Die tragische Katastrophe der Erzählung beruht darauf, daß dieser Landstreicher um sich für den Bann zu rächen, der über ihn ausgesprochen worden ist und sein Leben verödet hat, das alte Schwert stiehlt und so gut versteckt, daß es der Bauer nie wiederfindet. Dieser unermeßliche Verlust schmettert den alten Mann nieder. Alle Heimlichkeiten, die sich an das Femgericht und das Schwert knüpfen, werden verraten, und der alte Bauer infolge dessen in Verhör genommen.
»Herr Richter!« sagt er in seiner letzten Rede, »ich mag mit meinem Schwerte und mit der Heimlichkeit am Stuhl wohl wie ein Narr da in den Schriften stehen, und Possen, wenn mir recht ist, nannte der junge vornehme Herr, an dem ich mich in meiner Angst vergreifen wollte, die Sachen, woran mein Herz gehangen hat. Ich will aber jetzt explizieren, was für eine Bewandnis es mit diesen Possen gehabt hat.« Er entwickelt nun, wie er gleich von Jugend auf, seit er anfing zu denken, gesehen habe, daß nach Unglücksfällen, wie Überschwemmung, Hagelwetter, Mißwachs oder Viehsterben, hin und her die Herren kamen, »die sich auf Schreiberei verstanden und auf das Besserwissen, als die Leute, welche die Sache angeht«; sie notierten sich das Unglück lange danach auf, denn während der Gefahr sei meistens keiner der Herren zu finden gewesen. Sei inzwischen einiges Geld geschickt worden, so sei das felten an den Rechten gekommen: »Erstaunend, absonderlich aber war eine Sache. Mitunter machte ein Herr von der Schreiberei unter uns Bauern Dinge, worüber wir lachen mußten, und dann traf es sich wohl, daß ein solcher Herr ein paar Jahre darauf von weither mit vier Pferden durch die Bauernschaft gefahren kam und hatte eine Miene, als haabe er Erschaffung der Welt mitgeholfen, und allerhand bunte Bänder vorne am Rocke. Dies alles nun in meinen ein|239|fältigen Gedanken betrachtend, vermeinte ich letztlich, daß die Herren von der Schreiberei da draußen uns Bauern eigentlich wenig hülfen, und das auch eigentlich nicht wollten, sondern nur schreiben und sich nach und nach in die Wagen mit vier Pferden hineinschreiben ... Da dachte ich, daß ein ordentlicher Mensche schon durchkommt, der auf Wind und Wetter achtet, und auf seine Füße schaut und in seine Hände und sich mit seinen Nachbarn getreulich zusammenhält […] Und nach diesem gewohnte ich mir selbst zuerst die Gedanken nach Hilfe von draußen ab, zahlte meine Steuern und trug meine Lasten […] Hernach gewöhnte ich es auch den Leuten um mich herum ab. Sie nahmen an mir ein Exempel, und so kam von vielen Sachen, um die sie anderer Orten ein groß Halloh erhoben, nichts über die Gemarkung hinaus […] Als aber die Sache erst einmal in Gang war, machten wir die Scherereien unter uns ab. Denn über Mein und Dein und wem die Mauer gehört und jener Wiesenstreifen, kann man schon selbst mit seinem Bauernverstande fertig werden. Wenn aber wo eingebrochen ist, so kennt fast immerdar das Dorf den Dieb, was freilich oft nicht streng zu beweisen steht, wornach denn ein solcher angezeigter Spitzbube frech und zum Skandal ganz schandhaft umhergeht und sich feiner Beute wohl noch gar erfreut, die der Bestohlene nicht wiederkriegt. Handhabten also selber Recht und Gerechtigkeit in allem Frieden und konnte uns niemand darum anfassen, denn wir thaten keinem was zu leide, sondern gingen nur nicht mit dem Ungerechten und Frevelhaften um, wenn wir ihn in die Feime gesetzt hatten; es entstand aber weit größere Furcht dieserhalb unter den Leuten, als vor Urtel und Gefängnis.«
»Und,« sagt er zuletzt, »stellte sich jedermann so zusammen mit seinesgleichen, der Bürger mit dem Bürger, der Kaufmann mit dem Kauffman, der Gelahrte mit dem Gelahrten und auch der Edelmann mit dem Edelmanne, es müßte eine ganz herrliche und kostbare Wirtschaft geben. Denn die Menschen wären dann nicht wie die dummen |240| Kinder, die immer schreien: Vater, Mutter! Fürst wäre jeder bei sich zu Hause und mit seinesgleichen. Dann wäre auch erst der König ein rechter großer Potentate und ein Herr sondergleichen, denn er wäre der König über viermalhunderttausend Fürsten.«
Am Schluß des Buches fühlen wir, daß nun, wo die Heimlichkeit verraten und das Schwert verschwunden ist, der Freistuhl eingehen wird. Aber der Verfasser hat fast direkt in dieser Partie der Handlung seine Meinung ausgesprochen, indem er den verständigen Diakonus sagen läßt, daß jenes Wort der Selbständigkeit, welches dieser Bauer und seine Freunde gefunden und geformt haben, das sei die wirkliche Losung, die nicht verloren gehe, selbst wenn sie verraten werde, und daß die Idee, um welche sie sich vereinigt, nämlich, daß der Mensch von seinem Nächsten abhänge, und nicht von Fremden, die aus verkünstelte Weise ihr Spiel mit ihm treiben, nicht des Steines unter der alten Linde bedürfe, um ihr gutes Recht zu schöpfen. Ihm ist endlich der Großbauer selbst, dieser alte gewaltige Mensch, das wahre Schwert Karls des Grosen, das kein Dieb rauben kann, das wahre Mark des Reiches.
Man bemerke, daß dieses von einem Dichter geschrieben ist, der Justizbeamter und Sohn eines preußischen Beamten war.
Im Gegensatz zur mächtigen und harten Gestalt des Schulzen, aber ebenso sicher hat Immermann die Heldin, das junge Landkind, die gelbhaarige Lisbeth, gezeichnet. In sie verliebt sich der junge Graf Oswald, der das Land zu Fuß durchstreift, und es ist die Liebe dieser beiden ganz jungen Wesen, deren schicksalsreiche Geschichte den Hauptreiz der Erzählung ausmacht. Immermann hatte sich lange in seinen Werken von dem Glauben an die unbeschränkte Macht der Liebe über die Kinder der Menschen durchdrungen gezeigt, aber hier hat er das Leben einer jugendlichen Verliebheit wie nie zuvor dargestellt. Hier sind es zwei junge unschuldige Herzen, welche klopfen und brennen. In der Fülle ihrer Ahnungen, reich an gefunden, knopfenden und schwellenden Hoffnungne finden |241| sie einander. Keine Entsagung, keine Täuschung hat sie bis dahin um einen Tropfen ihres warmen Blutes gebracht. Originell ist die Weise, wie sich der Abstand zwischen ihnen nach und nach verkürzt: Der junge Jäger ist der schlechteste Schütze auf der Welt; er hat von seinen Eltern mit dem Trieb zum Schießen auch die Unfähigkeit zu treffen geerbt; ein einziges Mal in seinem Leben thut er auf der Jagd einen Schuß, der ein lebendes Ziel erreicht und trifft das junge Mädchen mit einer Ladung Schrothagel in die Schulter. Sein tiefes Schamgefühl bei diesem Anlaß gleitet nach und nach in heftige Verliebtheit über. Als Lisbeth späterhin geheilt ist und beide einander gefunden haben, gehen sie eines Tages zusammen in den Wald.
»Ich will Deine Wunden um Verzeihung bitten, sagte der Jäger, nahm ihr das Tuch ab und küßte die seinen roten Pünktchen zwischen dem Busen und der glänzenden Schulter. Sie duldete es ohne Sträuben, sie hatte die kleinen Hände kreuzweis auf ihren Schoß gelegt; so saß sie da, ein ergebenes Opfer der Liebe, aber sie sah ihn schamhaft bittend an. Den Blick ertrug er nicht. Thränen stürzten ihm aus den Augen, wie damals, als er mit ihrem Häubchen sein Spiel trieb, er legte ihr hastig das Tuch um Busen und Schulter, fiel ihr zu Füßen, drückte ihre Kniee wider sein Herz und lief dann eine Strecke von ihr weg auf den Rain, um seiner Bewegung Meister zu werden« -
So etwas läßt sich nur ungenügend erzählen. Man muß sie lesen, wie sie im Original steht, diese Feldidylle zwischen den Liebenden, wie er ihre Größe an der seinen mißt, wie er mit ihren Locken spielt und sie immer nichts weiter sagen kann als »O Du!« — Sie halten eine Mahlzeit, die aus Weißbrot und Äpfeln besteht, welche sie unterwegs gekauft haben, beide gleich einig darin, daß die Romanschreiber die Unwahrheit sagen, wenn sie versichern, daß die Liebe von der Luft lebe. Sie ißt aus seiner Hand und er aus der ihren. es ist so echt und so gut wie irgend etwas von dem, was |242| Auerbach, Keller oder Björnson später in ähnlicher Art geschri haben.
Und Immermann steht hier nicht weniger hoch in der Schilderung unglücklicher Liebe als in der Darstellung der glücklichen. Nichts in der Novelle übertrifft die Stelle, wo der alte Bauer Lisbeth verrät, daß ihr Geliebter ein hochvornehmer Mann ist, und ihr den Glauben raubt, daß Oswald daran denke, sie zu heiraten. Dieser hat in Wirklichkeit nur in der Absicht seinen Stand verschwiegen und sich für einen einfachen Förster ausgegeben, um ihr später eine freudige Überraschung zu bereiten. Dächte sie verständig nach, so würde sie schließen können, daß sie von ihm keine Treulosigkeit zu befürchten habe. Aber sie wird mit einem Schlage durch die Mitteilung, daß der Geliebte gelogen, aus ihrem Gleichgewichte gerissen, und Immermann hat hier das tiefe Wort: »Denn die Liebe ist, ungerüttelt, göttlicher Scharfsinn . . . verstört, in falsche Bahnen gelenkt, ist sie Wahnsinn, der bei Dornen vorübergeht, ohne sie wahrzunehmen, und Maulwurfshügel für Alpengispel ansieht.« Diese Worte sind tief, weil sie eine so wahre Psycho eines Gefühles enthalten, das ganz in dem Unbewußten wu Bei Heine ist die Liebespsychologie so einfach; wenn er klagt, so ist es immer über die Treulosigkeit als ein ihm mit Bewußtsein zugefügtes Unrecht. Immermann hat hier das Nachtwandlerartige in den Bewegungen des Gefühles, die somnambule Sicherheit bezeichnet, die es, unberührt von störenden Mächten, bewahrt.
Im Großen wie im Feinen ist also diese erste Bauernerzählung gediegene Poesie. Das Romantisch-Phantastische ragt noch in ihr Gebiet hinein: schon das heimliche Gericht, die Feme, das Schwert Karls des Großen, die Schwärmerei für alte Gebräuche sind romantische Züge, ja sogar Lisbeths phantastische Herkunft, der Umstand, daß diese junge wahre Seele die Tochter des verlogenen Münschhausen sein soll, verrät, das die Erzählung aus der im Sterben befindlichen romantischen Litteratur sich entwickelt. Aber |243| eben dadurch bezeichnet sie desto schlagender den mühsamen und doch kräftigen Verdichtungsprozeß, unter welchem ein moderner Wirklichkeitssinn für das volkstümlich Gesunde aus der willkürlichen Phantasterei der jüngst vergangenen Zeit entstand.
Es bestätigt sich bei Immermann wie bei Daniel Defoe, dem Abbe Prevost, dem dänischen Dichter Wessel, Bernardin de Saint-Pierre und Chamisso, daß ein einzelner Band genügt, um den Namen eines Schriftstellers durch die Zeiten hindurch zu bewahren, selbst wenn all das übrige, welches er geschrieben hat, schnell in Vergessenheit geraten ist. Von Immermann hat sich im Grunde genommen weiter nichts gehalten. Er hat scherzhafte Heldengedichte, wie »Tulifäntchen«, das zu seiner Zeit Beifall erweckte und jetzt ungenießbar ist, geschrieben. Er hat Arbeiten verfaßt, welche für seine Zeit als verdienstvoll bezeichnet werden müssen, die aber nun von Motten und Rost verzehrt werden, wie z. B. das Drama »Merlin« (1831), ein großes romantisches Opus in hübschen Versen, ein mißlungenes Gegenstück zum zweiten Teil von Goethes »Faust«, oder wie die historische Tragödie, welche zuerst den Titel »Das Trauerspiel in Tirol« trug, später aber den Namen »Andreas Hofer« erhielt. Von diesen Schauspielen ist das letztere das beste; es fußt auf Immermanns Kindheitserinnerungen an den großen Kampf der Tiroler gegen die Franzosen und ist mit der Fähigkeit und dem Willen zu wahrheitsgetreuer und unparteiischer Schilderung des Kampfes der zwei so ungleichen Völker und ihrer einander entgegengesetzten Kulturen gedichtet. In seiner älteren Form (1826) ist das Stück von Börne in den »Dramaturgischen Blättern« kritisiert und von Platen im »romantischen Ödipus« verspottet worden; es ist interessant und absonderlich, wie ein Bastard von Kleists Genius mit Schillers Muse erzeugt; denn es erinnert durch die Beschaffenheit des Helden an Schillers »Wilhelm Tell« und zugleich durch das Liebesverhältnis zwischen dem Franzosen und der Tirolerin mit dessen schrecklichem Ausgange an |244| Kleists »Hermannsschlacht«. Der Mangel dieses Schauspiels tiefer gehender, ergreifender Originalität machte es eines langen Lebens unfähig, und als Immermann es schließlich im Jahre 1831 einer Umarbeitung unterwarf, welche alles entfernte, was Anstoß und Widerspruch erweckt hatte, das ganze Liebesverhältnis und den (gleichfalls an Kleist erinnernden) Zug mit dem Schwerte, das der Engel Hofer im Traume zurückbringt — so schnitt er selbst das Herz aus dem Leibe seines Dramas heraus. Schon aus Stolz hätte er die Gestalt, welche Platen als die schändliche »Depeschenmordbrandehebruchstirolerin« verhöhnt hatte, aufrecht erhalten sollen.
Es war ein unseliges Spiel von Umständen, das zwei so freiheitsliebende Männer wie Immermann und Platen und zwei so seltene Geister wie Platen und Heine dahin brachte, als bittere Feinde gegeneinander aufzutreten. Was die Veranlassung zu dieser litterarischen Feyde gab, was die plumpen und häßlichen Ausfälle gegen Immermann und Heine im »romantischen Ödipus« und Immermanns Antwort »Der im Irrgarten der Metrik umhertaumelnde« Kavalier«, wie Heines übelriechenden, schon durch den Gestank tötenden Angriff gegen Platen in den »Reisebildern« verursachte, war eine solche winzige Kleinigkeit, ein so unbedeutendes (wenn auch verhöhnendes) Distichon von Immermann, daß Selbstgefühl und eine kriegerische Laune wie diejenige Platen erforderlich waren, damit ein Kampf, mit vergifteten Waffen geführt, daraus entstehen konnte.
Platens Briefe geben Zeugnis davon, wie nah ihm die zwei Zeilen von Immermann in den »Reisebildern« gingen, die nur auf eine Ghaselen gemünzt sein konnten, und wie sein Entschluß festfand, sich dafür aufs rücksichtsloseste zu rächen. So groß und sicher Platen rein als Künstler betrachtet, war, und so männlich sich sein Charakter in seiner politischen Freiheitsschärmerei offenbart, so verrät doch die Art und Weise, wie er gegen die Männer einschritt, |245| die sich an ihm vergriffen hatten, eine Selbstbewunderung, die durch das Prahlende ihrer Äußerungen peinlich wirkt, und eine Roheit, die teils Standeshochmut ist, teils der Rücksichtslosigkeit der verletzten Eitelkeit entspringt.
Der Brief Platens aus Rom vom 18. Februar 1828 zeigt, daß er in Wirklichkeit Jmmermanns »Trauerspiel von Tirol«, welches anzugreifen er im voraus fest entschlossen war, gar nicht kannte. »Der romantische Odipus« war beinahe fertig, als Platen an Fugger schrieb: »Vorzüglich mußt Du mir etwas aus Immermanns »Andreas Hofer« mitteilen, etwas von der Handlung und einigen pikanten Unsinn. Ich brauche es zum Schlusse des fünften Aktes, wo ich ihn vollkommen überschnappen lasse.« Die grenzenlose Verachtung, womit Platen Jmmermann in seinem Schauspiele behandelt, kann also trotz seiner Proteste nur als Äußerung der Rachsucht betrachtet werden. Und was Heine betrifft, so ist es im Grunde genommen in den Brieer wie in dem Schauspiele nur Heines jüdische Herkunft, die Platen ihm zur Last zu legen hat. Jm Schauspiele dreht sich alles um diesen Punkt: Heine ist der Petrarca des Lauberhüttenfestes, der Stolz der Synagoge. Ja, so persönlich anzüglich ist der Angriff, daß Nimmermann erklärt, er sei zwar Heines Freund, aber seine Geliebte möchte er nicht sein, denn sein Kuß habe Knoblauchsgestank. Aus den Brieer ersieht man, daß Platen in völligem Irrtum Über die Stärke des von ihm derartig herausgeforderten Gegners sich befand. Er ist in seiner eigenen Meinung immer derjenige, der den »Juden Heine zer- schmettern« kann, sobald er nur will. Als die Freunde ihm gegenüber geltend machen, daß ein Angriff auf Heine wegen dessen jüdischer Geburt ohne Gewicht sei, antwortet er unerschiittert: »Daß er ein Inde ist oder'war, ist kein moralisches Gebrechen, aber ein komisches Ingrediens. Einsichtige werden beurteilen, ob ich es mit aristophanischer Feinheit benutzt håbe." Und er fuhlt sich so sicher seines Rechtes und seiner Uberlegenheit, dah er noch im Dezember 1828, |246| kurz bevor er von Heines Rückschlag getroffen wird, in ihm den »schamlosen Juden, einen armseligen Schmierer und Si culotte« sieht; freilich war seine sittliche Entrüstung über die ei Bücher der »Reisebilder« so groß, daß er den Autor und sei gleichen als »wahre Satanasse« bezeichnet.1 Daß er eine
höhnende Antwort auf eine verhöhnende Anrede erhielt, war 1 unverdient; seine Unterschätzung von Heine wie von Jmmerrr rächte sich hart. Was in Heines Polemik unedel war, st1 sich am schärfsten an ihm selbst durch die Mißbilligung, di( auch bei seinen Freunden und Bewunderern erweckte. Aber Jmmermann und Platen dazu kamen, eine Konstellation des H( zu bilden, das beruhte im Grunde nur auf der Ähnlichkeit in Wesen der beiden Dichter; auf dem Einsamkeitsgefühl, das lVerein mit einem beständig wachen Selbstgefühl in ihnen Neigung heraustreten ließ, ihr eigenes Lob ungestüm zu oerkü1 und andere mit unverständiger Bitterkeit anzugreifen, bevor sie nügend ihre Eigenschaften kennen gelernt hatten. Sie bezeicl beide, jeder auf seine Weise, den Übergang von dem romantis Wesen zum modernen. Platen, der ganz in den Spuren Romantiker sich immer mit fremden Formen, morgenländischen die Ghasele, südländischen wie das Sonett, altgriechischen wie jenigen der aristophanischen Komödie und der pindarschen Ode schäftigte, erreichte kurz vor seinem frühen Tode in seinen r gelassenen Gedichten und Liedern (Politische Poesieen, darunter Polenlieder) einen Höhepunkt freisinniger moderner Lyrik, und Immermann, der sein lebenlang tragische und phantastische S mit romantischer Überspanntheit oder Symbolik behandelt h verwob kurz vor seinem Tode ein Stück Wirklichkeit seiner He mit einer gesunden Poesie, die inspirierend auf die ganze ihm folgende Generation ringsherum in Europa wirkte.
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