Das junge Deutschland (1891)

|[218]| XVIII

Börne und sehr viele nach ihm haben das Urteil über Heine gefällt, oder Heine durch das Urteil fällen wollen, daß es ihm mit gar nichts Ernst gewesen sei. Sieht man von dem Kleineren und Unwichtigen ab, so beruht Börnes Zorn im Grunde darauf, daß Heine, wie ihm schien, nicht Partei ergreifen wollte. Selbst war er, so gut wie man es in jener unparlamentarischen Zeit sein konnte, Parteimann in der Litteratur bis zum äußersten.

In unsern Tagen ist es ein allgemein angenommener und abgedroschener Satz, daß die Kunst Selbstzweck sei. Zu jener Zeit war man mit dem Gedanken vertraut, daß sie einem Lebenszweck dienen solle, und immer fühlt man in den deutschen Dichtwerken der damaligen Zeit, seien sie nun von größerem oder geringerem Wert, das heraus, was ihrem Verfasser die Feder in die Hand gedrückt hat. Aber selbst so stark tendenziöse Poeten wie Heine waren den Gesinnungstüchtigen unter den Zeitgenossen (wie Börnre) nicht tendenziös genug. Man gebrauchte gegen ihn den Ausdruck »zwar ein Talent, doch kein Charakter«, jene Worte, über die er sich im »Atta Troll« so unbarmherzig lustig machte. Schon in der Vorrede zu diesem Gedicht scherzt er mit dem Trost, der für die Menge in der Lehre liege, daß die braven Leute zwar in der Regel schlechte Musikanten seien, dafür jedoch seien die guten Musikanten gewöhnlich nichts weniger als brave Leute, die Bravheit aber sei in der Welt Hauptsache und nicht die Musik.

Anderswo macht Heine geltend, daß es in der Regel ein Zeichen |219| von Beschränktheit sei, wenn man von der beschränkten Menge sogleich als Charakter gestempelt und ausdrücklich als solcher gefeiert wird; es beruhe immer darauf, daß eine beschränkte und oberslächliche Lebensanschauung, die sich immer gleich bleibt, am leichtesten von der Menge ergründet werde.

Daß Heine seiner ganzen Anlage zufolge kein Geist mit stoischer Festigkeit war, das ist einleuchtend. Aber sieht man von dem Umstande ab, ob er in gewissen gegebenen Fällen Charakter gezeigt hat oder nicht, so ist sdie Frage, auf ihr Prinzip zurückgeführt, im Grunde genommen die, ob der Dichter Partei ergreifen solle oder nicht.

Gerade zu der Zeit, da Heine in »Atta Troll« über diejenigen spottete, welche in ihrem Eifern für die Lebenszwecke Talent durch Charakter ersetzen zu können glaubten, wurde in der deutschen Poesie im Ernste über die Frage gestritten, ob der Dichter Partei ergreifen oder seinen Standpunkt über den Parteien nehmen solle. Im Herbst des Jahres 1841 entstand »Atta Troll«, der so viel Possen mit Freiligraths Jugendgedichten treibt. Im November desselben Jahres schrieb Freiligrath, der sich bis dahin meistens durch morgenländische Gedichte in dem Stil Victor Hugos bekannt gemacht und kurz zuvor ein Jahresgehalt vom König von Preußen ausgesetzt erhalten hatte, in einem Gedichte »Aus Spanien« über den ers chossenen Diego Leon die folgenden Zeilen von dem Dichter als solchem:

Er beugt sein Knie dem Helden Bonaparte,
Und hört mit Zürnen d’Enghiens Todesschrei:
Der Dichter steht auf einer höhern Warte
Als auf den Zinnen der Partei.

Hiergegen richtete Georg Herwegh im Gedichte »Die Partei (an Ferdinand Freiligrath)« eine Antwort, in welcher die schlagendste Strophe die folgende ist:

Partei! Partei! wer sollte sie nicht nehmen,
Die noch die Mutter aller Siege war!
Wie mag ein Dichter solch ein Wort versehmen
Ein Wort, das alles Herrliche gebar?
|220| Nur offen wie ein Mann: Für oder wider!
Und die Parole: Sklave oder frei!
Selbst Götter stiegen vom Olymp hernieder
Und kämpften auf der Zinnc der Partei.

Als dann Herwegh wenige Jahre später in seinem Gedidichte »Duett der Pensionierten« Freiligrath wegen des ihm verliehenen Jahresgehaltes, der »Invalidenpension«, verhöhnte, gab der Angegriffene bekanntlich dem Könige von Preußen die Pension zurück, ging zur politischen Dichtung über und entwickelte sich so schnell zum Radikalen und Revolutionär, daß er bei dem Ausbruch im Jahre 1848 als der hervorragendste Revolutionsdichter des deutschen Volkes dastand.

Freiligrath gab also Herwegh Recht. Doch dies beweist noch nicht, daß er es hatte.

Die Frage, ob und inwiefern es Pflicht des Dichters sei Partei zu nehmen, ist sehr kompliziert. Zuerst wegen des Vieldeutigen im Worte Partei. Heine und Börne, Freiligrath und Herwegh haben zu verschiedenen Zeiten das Wort in verschiedenem Sinne gebraucht.

Durch das Schwören auf ein eingeschränktes politisches Parteiprogramm, eine soziale oder religiöse Theorie, kann der Dichter, sogar wenn er ein etwas beschränkter Geist ist, nur verlieren. Wie wäre es möglich, daß seine Ideale mit den Zielen der Partei in deren beschränkter Bestimmtheit genau zusammenfallen sollten! Thomas Moore war Whigdichter, Walter Scott Torydichter, weil keiner von ihnen ein großer Geist genannt werden kann, so große Talente sie auch waren. Byron ging mehr in die Tiefe als die beiden und als beide politische Parteien — indessen fühlt jedermann instinktiv das Ungereimte darin, wenn man sagt, Byron habe als Dichter nicht politisch und religiös Partei ergriffen. Er hat es in noch höherem Grade als Schiller gethan, der ebensowenig in Politischer Hinsicht zu einer Partei gerechnet werden konnte, übrigens |221| schon aus dem einfachen Grunde nicht, weil es zu seiner Zeit in Deutschland noch nicht Parteien gab.

Es giebt Zweige der schönen Litteratur, die entschieden nichts mit Parteinehmen zu thun haben. Derjenige, der Liebesgedichte schreibt, steht als solcher außerhalb der politischen und religiösen Parteien, wenn schon vielleicht nicht ganz außerhalb der künstlerischen; denn sobald von einer Richtung in der Kunst die Rede ist, begegnen wir wieder der Partei. Aber sobald der Schriftsteller an einen Stoff rührt, der nach Idee, nach Grundauffassung und Gedanken riecht, so wird er gezwungen, Partei zwischen den möglichen Lebensanschauungen zu ergreifen.

Will man indessen, wie Freiligrath, nur dem Dichter das Recht sichern, Napoleon zu bewundern und trotzdem über den Mord Enghiens Entrüstung zu fühlen, dann hat dies eigentlich nichts mit der Frage der Parteinahme zu thun, denn das heißt nur, daß der Dichter nicht darauf verzichtet hat, die Vergangenheit mit Billigkeit zu beurteilen und Tugenden wie Laster bei seinen Helden zu sehen. Die Frage nach der Partei im bestimmteren Sinne ist nicht eine Frage nach der Beurteilung der Vergangenheit, sondern eine Frage nach der Gestaltung der Zukunft, und man kann nicht zugleich zwei Wege einschlagen.

Das Wort Partei bietet außerdem noch folgende Schwierigkeit dar: Partei heißt Teil, zunächst ein Teil der vaterländischen Bevölkerung; aber der Dichter soll seinem Vaterlande und seinem Volke, keinem Teile desselben angehören. So aufgefaßt ist also die Partei der engere, das Vaterland der weitere, allgemeinere Begriff, und wenn man unter Partei z. B. eine faktische politische Partei versteht, die mehr oder weniger unvollkommen ihrem Namen und ihrem Programme entspricht, dann ist dieses richtig, dann steht selbstverständlich das Vaterland über den Parteien.

Wenn man indessen das Wort Partei in dem Sinne auffaßt, in welchem von Schiller und Byron ausgesprochen werden kann, |222| daß sie Partei genommen haben, so ist die Partei eine weitere und größere Idee als das Vaterland. Denn das Vaterland repräsentiert ein bestimmt abgegrenztes Stück Erde, bestimmte, endliche Interessen, eine bestimmt begrenzte Geschichte, aber Partei in diesem Sinne bezeichnet ein System von Ideen, die ihrem Wesen nach an keinen Ort gebunden sind, Weltgedanken, die großen allgemeinen Interessen der Menschheit. Und repräsentiert die Partei, die ergriffen wird, auch nur die Grundausfassung, die ein bestimmtes Zeitalter von dem Menschlichen gehegt hat, so ist das Jahrhundert doch ein anderes und größeres Vaterland als das Vaterland, der Dichter erzeigt seinem Volk dadurch einen Dienst, daß er Horizont desselben über dessen Grenzen hinaus erweitert.

Börne und Heine waren meiner Ansicht nach beide in hohem Grade Parteimänner, aber nichtsdestoweniger beide in sehr ho Grade Patrioten; so wenig schadete ihr Parteistandpunkt der Vaterlandsliebe.

Börne galt zwar in der ofsiziellen Presse der damaligen Zeit nicht nur für einen verrückten Radikalen, sondern auch für einen Verhöhner des Vaterlandes. Er hatte ja die gefährliche Gewohnheit, jedem seiner Gedanken durch die Art und Weise des Ausdrucks ein so starkes Relief zu geben, daß der Gedanke dadurch Anstoß erregte, verletzte und zur Handlung reizte. Es erweckte einen Schrei der Entrüstung, als er geschrieben hatte, daß jedes Volk ein Recht darauf habe, seinen König abzusetzen, sobald ihm die Nase desselben nicht mehr gefalle. Ganze Bände voll Schimpfworte wurden gegen ihn geschleudert wegen seiner Äußerungen über die »Bedientennatur« der Deutschen. Er war so weit gegangen, sie »ein Volk von Bedienten« zu nennen.

Er schreibt selbst darüber: »Was fange ich nun mit solchen Menschen an, doe ganz ernstlich glauben, ich hätte den Völkern geraten, ihre Fürsten zu verjagen, sobald sie mit deren Rasen unzufrieden würden? . . . Wenn ich sage: Meine Herren, Sie müssen |223| das nicht so wörtlich nehmen — nun, ich glaube, das glaubten Sie mir vielleicht. Was würde mir das aber nützen? Sie würden erwidern: Sie hätten aber bedenken sollen, daß Sie nicht bloß für gebildete Leser schreiben, sondern daß auch eine große Zahl Ungebildeter Ihre Werke liest. Zu dieser Bemerkung würde ich schweigen, und sagen: Laßt mich in das Gefängnis zurückführen. Stände ich aber vor einem deutschen öffentlichen Gerichte, würde ich mich wie folgt verteidigen: Meine Herren! Der Deutsche ist ein Krokodil. (Allgemeines Geschrei des Unwillens. Krokodil! Zur Ordnung) Meine Herren, der Deutsche ist ein Krokodil. — (Zur Ordnung) Der Präsident: Sie mißbrauchen das Recht der Verteidigung. Meine Herren. Der Deutsche ist ein Krokodil — aber ich bitte Sie, lassen Sie mich doch zu Ende reden. Ich meine gewiß nicht, der Deutsche sei ein grausames Tier und weine heuchlerische Krokodilthränen. Der Deutsche ist zahm, gutmütig, und weint so aufrichtige Thränen als ein Kind, wenn es die Rute bekommt. Wenn ich das deutsche Volk ein Krokodil genannt, so geschah es bloß wegen seiner Körperbedeckung, die ganz der eines Krokodils gleicht. Sie hat dicke harte Schuppen und ist wie ein Schieferdach Was Festes darauf fällt, prallt ab, was Flüssiges, fließt hinunter. Denken Sie sich, meine Herren, Sie wollten ein solches Krokodil tierisch magnetisieren, um es später von seinen schwachen Nerven zu heilen; und um es früher hellsehend zu machen, daß es in sein Inneres hineinschaue, seine Krankheit erkenne und die dienlichen Heilmittel errate. Wie würden Sie das anfangen? Würden Sie mit zarter gewärmter Hand auf dem Panzer des Krokodils herumstreicheln? Nein, Sie wären zu vernünftig dazu; Sie würden auf dem Krokodil mit Füßen herumtreten, Sie würden Nägel in seine Schuppen bohren, und wenn dies noch nicht hinreichte, ihm hundert Flintnekugeln auf den Leib jagen. Sie würden berechnen, daß von dieser großen angewendeten Kraft neunundneunzig Hundertteile ganz verloren gingen, und daß der Hundertteil, der übrig bliebe, gerade die |224| sanfte und bescheidene Wirkung hervorbrächte, die Sie Ihrem tierischen Magnetisieren beabsichtigen. So habe ich es auch gemacht.« (Brief aus Paris vom 14. Dezember 1881.)

Man sieht, wie die starken Worte über deutsche Unterthähangigkeit und Schlaffheit bei Börne nur der negative Ausdruck der Vaterlandsliebe sind. Der Patriotismus äußert sich bei ihm in der Regel nur in indirekter Form, aber er bricht sich bei ihm den Weg durch den wehmütigen Spott, wie er bei anderen in einem begeisternden Aufruf sich Luft schafft.

Was Heine anbetrifft, so hatte zwar Börne gegen ihn Recht, insofern als das geschmeidige Temperament des Poeten ihm eintönigen Kampf für eine politische Überzeugung beschwerlich machte, und Recht insofern, als Heine unter der Unklarheit litt, die wir an ihm nachgewiesen haben, sich zugleich als volkstümlicher Revolutionär und als enthusiastischer Aristokrat zu fühlen. Aber wenn Heine es unterließ, sich einer vorhandenen politischen oder religiösen Partei anzuschließen, so war das doch vorwiegend ein Zeugnis für die Feinheit seiner geistigen Entwickelung. Sein Scherzen in »Atta Troll« mit der predigenden Klerisei der Opposition ist reizend und völlig berechtigt. Es beweist nur, daß er den Dogmatismus in allen Formen desselben verabscheute. ,

Deshalb hat Börne Unrecht in der Annahme, daß Heine s Partei in dem großen umfassenden Sinne des Wortes, den Schatz von Ideen, für welchen er gestritten, jemals verleugnet habe. Das that er nicht einmal, als er auf seinem achtjährigen Siechenlager mit Mühe seine armen gelähmten Augenlider öffnete, um Gott in dem Himmel zu suchen, dessen Leere er selbst mit Wehmut und Trotz geschildert hatte.

Heine war kaum weniger Patriot als Börne. Jeder Kenner seiner Schriften erinnert sich gewiß der schönen Stelle an Schluß der »Reisebilder«, wo er die Chronik Kaiser Maximilians erzählt, der in Tyrol gefangen saß, von seinen Rittern und Höflingen |225| vergessen, als sich plötzlich die Kerkerthüre öffnete und ein verhüllter Mann hereintrat, in welchem der Kaiser seinen treuen Kunz von der Rosen, den Hofnarren, erkannte.

Ich finde es nicht nur geistreich, sondern wahr, wenn Heine sagt: »O deutsches Vaterland, teures deutsches Volk! Ich bin Dein Kunz von der Rosen. Der Mann, dessen eigentliches Amt die Kurzweil ist, und der Dich nur belustigen sollte in guten Tagen, er dringt in Deinen Kerker zur Zeit der Not. Hier unter dem Mantel bringe ich Dir Dein starkes Szepter und die schöne Krone — erkennst Du mich nicht, mein Kaiser? […] Wenn Du auch in Fesseln danieder liegst, so siegt doch am Ende Dein gutes Recht, es naht der Tag der Befreiung, eine neue Zeit beginnt — mein Kaiser, die Nacht ist vorüber, und draußen glüht das Morgenrot.«

Will man sich nicht an Einzelheiten, an rings zerstreute tolle Ausfälle und übermütige Wendungen hängen, so wird man sehen, daß das Gefühl, welches sich hier einen klassischen Ausdruck gegeben hat, in Heine mächtig ist. Weder sein Parteistandpunkt noch die damit verbundene Bewunderung vor der Fremde haben eine aufrichtige und tiefgehende Vaterlandsliebe ausgeschlossen, welche Entbehrungen Über Entbehrungen für ihn während des Exils erschuf. Nur besaß er nicht die Art von Patriotismus, welche er irgendwo dem Durchschnittsdeutschen zuschreibt, diejenige, die darin besteht, daß das Herz einschrumpft, sich wie Leder in der Kälte zusammenzieht, sondern die, welche das Herz erwärmt und so erweitert, daß es durch die Liebe zum Vaterlande das ganze Reich der Zivilisation umfaßt.*

*) Heines Werke. Sechster Band S. 57; vergl. vierzehnter Band S. 45 und dreizehnder Band S. 16.
Er konnte ja überhaupt nicht anders, als Deutschland lieben! Er hat es so gesagt, wie es ein jeder über sein Land sagen muß: »Das ist es, Deutschland, das sind wir selber.« Sein ganzes Wesen war ja durch seine Geburt und Entwicklung in Deutschland bestimmt.

|226| Und als er die letzte Hälfte seines Lebens in freiwillig unfreiwilliger Landflüchtigkeit verbringen mußte, insofern heimatlos, als seine Schriften in den deutschen Bundesstaaten verboten waren, wurde die deutsche Sprache ihm das wahre, höhere, eigentliche Vaterland. Das deutsche Wort hat er selbst das heiligste Gut, den unüberwindlichen Freiheitswecker genannt, und selbst als ein neues Vaterland für den bezeichnet, dem Thorheit und Arglist ein Vaterland verweigert haben.

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