Wir haben gesehen, wie Heine als Student in Bonn von dem Begründer der romantischen Schule in hohem Grade hingerissen wurde. A. W. Schlegels Persönlichkeit fesselt ihn ebenso stark wie dessen Lehre. Er bewundert in ihm den Mann, der die deutsche Poesie von der Unnatur zur Wahrheit geführt hat. Hierzu kam, daß die elegante Haltung des vornehmen Lehrers, sein welt- männischer Ton, seine Bekanntschaft mit der guten Gesellschaft und den berühmten Persönlichkeiten des Zeitalters Heine blendeten.
Außerdem wurde er von der Güte gerührt, mit welcher Schlegel sich seiner und seiner ersten dichterischen Versuche annahm. Schlegel ist derjenige, dem Heine seine frühzeitige Einweihung in die Geheimnisse der metrischen Kunst und, was noch wertvoller ist, Vertrauen zu seinem Talent und seiner Zukunft verdankt.
Schon in dem erstem Prosaartikel über die Romantik von 1820 giebt Heine dieser Dankbarkeit mit demselben Atemzuge Ausdruck, mit welchem er sein romantisches Glaubensbekenntnis ablegt. Er protestiert hier gegen die Meinung, die Romantik sei »eine Mixtur von spanischer Emaille, von schottischen Nebeln und italienischem Klingklang«. Nein, die Romantik sei ihrem Wesen nach weder unklar noch unbestimmt, ihre Bilder können mit ebenso plastischen Umrissen gezeichnet sein, wie diejenigen der klassichen Poesie. »Daher kommt es«, schreibt er »daß unsere zwei größten Romantiker, Goethe und A. W. Schlegel, gleichzeitig unsre größten Plastiker sind.« Er nennt Goethes »Faust« und Schlegels »Rom« |172| im selben Atemzuge als Muster plastischer Konturen, und bricht scließlich empfindsam aus: »O möchten dies doch endlich diejenige beherzigen, die sich so gerne Schlegelianer nennen!« Diejenigen, welche Heines Verhältnis zu Schlegel nur aus dem schmutzigen Überfall auf des letzteren Privatleben in der »romantischen Schule« kennen, mögen an diese Stelle erinnert werden. A. W: Schlegel war es auch, an den Heine seine drei ersten Sonette richtete. In dem ältesten dankt er ihm für sein persönliches Wohlwollen und hebt hervor, was er ihm schuldet, in dem zweiten preist er ihn wegen Verdienste um die deutsche Dichtkunst, als den Befreier von der Aftermufe im Reifrockputz mit Schönpflästerchen auf der geschminkten Wangen, in dem dritten verherrlicht er ihn wegen der Einführung englischer, spanischer, altdeutscher, italienischer und indischer Poesie in die moderne deutsche Litteratur. Der Ton ist begeistert:
Unter diesem ersten romantischen Einfluß schreibt Heine seine ältesten, rein romantischen Verse in archaistischem Stil, Verse wie die folgenden:
|173| Dies erinnert lebhaft an die ältesten, in Tiecks Märchen eingelegten Verse. In dem Gedichte allein, dem diese Strophen entnommen sind, kommt Wunne, Magedein, Äugelein, Wängelein, Mündchen, weiland, ein ganzer Stab von Diminutiven und Archaismen vor.
Heines nächstcs Vorbild als Dichter war ein liebenswürdiger und feiner deutscher Poet, der 1827, nur 31 Jahr alt, stirbt, Wilhelm Müller, Verfasser der besonders durch Schuberts Musik so bekannten »Müllerlieder« und der zu ihrer Zeit nicht weniger angesehenen »Griechenlieder«. Er ist der Vater des berühmten deutsch-englischen Philologen Max Müller, dessen Novelle »Deutsche Liebe«, die das zarte Liebesverhältnis eines deutschen Gelehrten zu einer kranken und bettlägerigen Prinzessin behandelt, angeblich auf Erlebnissen des Vaters beruht.
An Müller schreibt Heine in einem Brief vom 7. Juni 1826: »Ich bin groß genug, Ihnen offen zu bekennen, daß mein kleines Intermezzo-Metrum nicht bloß zufällige Ähnlichkeit mit Ihrem gewöhnlichen Metrum hat, sondern daß es wahrscheinlich seinen geheimsten Tonfall Ihren Liedern verdankt . . . ich habe sehr früh schon das deutsche Volkslied auf mich einwirken lassen; späterhin, als ich in Bonn studierte, hat mir August Schlegel viel metrische Geheimnisse aufgeschlossen, aber ich glaube erst in Ihren Liedern den reinen Klang und die wahre Einfachheit, wonach ich immer strebte, gefunden zu haben. Wie rein, wie klar sind Ihre Lieder, und sämtlich sind es Volkslieder. In meinen Gedichten hingegen ist nur die Form einigermaßen volkstümlich, der Inhalt gehört der konventionellen Gesellschaft.«
Erst von Müller hat Heine gelernt, wie man aus den Formen der alten Volkslieder neue bilden könne. Man braucht, um gleichsam mit den Augen Heines Stil geboren werden und sich formen zu sehen, nur gewisse Verse von Müller mit gewissen Versen von Heine zusammenzuhalten.
|174| Bei Müller heißt es:
Bei Heine:
Und wie nahe steht nicht diese letzte Strophe wieder einer Strophe wie der folgenden bei Müller:
Diese Zeilen leiten ein großes, schönes Gedicht ein, »Hirtenbiwak in der römischen Campagna«, dessen wesentlicher Inhal Sehnsuchtslied des Hirten nach seinem Mädchen ist. Wieviel hat Heine nicht von einer solchen Strophe gelernt, wie der folgenden worin das junge Mädchen geschildert wird:
Zwar wird die delle bei Wilhelm Müller durch kein Umschlagen der Stimmung gestört; der Dichter hat nicht den Teufel im Leibe, und das Tempo des sansten Andante hält bis zum Schluß des Gedichtes vor. Aber doch liegt der Hauptunterschied zwischen diesem Stil und dem von Heine nicht hierin; auch Heine kann bisweilen eine sanftmütige Stimmung ein Gedicht hindurch bewahren. Das Entscheidende ist die ungeheure Verdichtung in |175| Heines Stil, mit diesem verglichen. Er giebt in einer Strophe, höchstens in zweien, was hier in zehn vorgetragen ist.
Das Neue in seinem lyrischen Stil ist eine nie zuvor gesehene Gedrängtheit. Seine Gedichte sind wie lauter Resumes. Sie geben eine gewürzte, duftende Essenz von Leidenschaft, Lebenserfahrung, Bitterkeit, Witz, Spott, Stimmung und Phantasie; eine Essenz von Poesie und Prosa zugleich. Die Psychologen reden von einer Verdichtung der Gedanken:*
Im Vergleich mit des Schülers Denkweise ist die des Meisters verdichtet. Eine steigende Verdichtung kann man in der Geschichte aller Technik verfolgen. Einstmals gab es nur Kirchenuhren; jetzt trägt man Uhren in der Tasche. Das heißt: Einst bedurfte die Mechanik den Kubikinhalt einer Kirchenuhr zu den Rädern und Federn, welche sich jetzt in einer Taschenuhr vorfinden. Gleicherweise giebt es in mancher alten Tragödie nicht mehr Gedanken und nicht mehr Gefühle, als in einem Gedichte Heines von einigen Strophen.Vor der kurzen Strophe Wilhelm Müllers hat denn die seinige nicht nur den leidenschaftlicheren Inhalt, sondern den weit gedrängteren Stil voraus.
Wie Heine in seinem kurzen jambischen Lieblingsmetrum von Wilhelm Müller beeinflußt ist, so ist er es in seinen Trochäen von einem anderen romantischen und weit mehr romantischen Dichter, Clemens Brentano. Er scheint besonders Brentanos »Romanzen vom Rosenkranz« studiert zu haben. Man verspürt den Einfluß dieser Poesieen auf ihn bis zu seinen allerspätesten Lebensjahren.
In der ersten Romanze vom Rosenkranz heißt es von dem Helden Cosme:
|176| In Heines nachgelassenem Gedichte »Bimini« beginnt ein Abschnitt:
Das Versmaß, die Situation und der Gedanke sind in beiden Stellen gleichartig.
Ebenso ist auch ganz deutlich die Geschichte eines Mysterienbuches in der neunten Romanze vom Rosenkranz das Vorbild der Geschichte des schönen Schreins in Heines großem Gedichte über Jehuda den Halevy.*
Nur daß bei Brentano die Erzählung wie das Mysterienbuch durch die Zeiten von Hand zu Hand gehen und nun eine romantische Wunderwelt sich vor uns erschließt, während die Wanderung des Schreines bei Heine zu einem Scherz mit den Umwechslungen des Lebens wird: die Perlen gehören zuerst dem Smerdis, der sie an Atossa schenkt, dann dem großen Alexander, der sie an Thais giebt später nacheinander Kleopatra, einem maurischen Sultan, dem Kronschatz Kastiliens und der Baronin Salomon Rothschild, und in ein Kompliment an diese Dame mündet ihr ganzer Lebenslauf aus.Aber Heine verdankt Clemens Brentano auch den Gegen seines in Deutschland am meisten bekannten und gesungenen Gedichtes, des Liedes von der Loreley: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.«
Brentano veröffentlichte schon in seinem »Godwi« vom Jahre 1802 eine Ballade mit dem Titel »Loreley«. Sie handelt nicht von einer Sirene, sonder von einem jungen Mädchen Bacharach am Rhein, welches so bezaubernd war, daß sich alle Männer in sie |177| verliebten. Sie wird der Zauberei angeklagt. Aber der Bischof, der sie zum Scheiterhaufen verurteilen soll, entbrennt selbst in Liebe für sie, die sich den Tod wünscht, denn der einzige, welchen sie liebt, hat ihr den Rücken gewendet und ist fortgezogen; als der Bischof sie ins Kloster führen läßt, erklettert sie unterwegs einen Felsen, Lurlei (Ley bedeutet Schieferfels), und stürzt sich in verzweifelter Sehnsucht nach dem Geliebten hinab in den Rhein.
Im Jahre 1811 fühlte sich der Schriftsteller Nikolaus Vogt dadurch angeregt, eine sogenannte Rheinsage zu dichten, die er für alt ausgab. Die Loreley sollte aus dem Wege zum Kloster ihres auf dem Rhein dahinfahrenden Geliebten ansichtig geworden sein und sich aus Schmerz darüber, daß sie ihn nicht habe gewinnen können, in die Tiefe gestürzt haben. Drei ihrer Anbeter seien ihr darauf in den Tod gefolgt. Daher heiße ein Felsen dort in der Nähe der Dreiritterstein. Letzterer Zug war vielleicht durch den Schluß von Brentanos Gedicht veranlaßt:
Von dieser solchergestalt willkürlich erfundenen Legende entnahm ein Graf Loeben 1821 den Stoff zu einem Gedichte »Loreley«, worin das junge Mädchen nach ihrem freiwilligen Tode zu einem Meerweibe verwandelt wird, welches durch seinen Gesang die Vorübersegelnden hinab in die Tiefe lockt:*
Man nehme nun das weltberühmte Gedicht von Heine, das, zuerst ein Studentenlied, später ein Volkslied, durch die zärtliche Vereinigung der Melodie mit dem Text ergreifend und schmelzend wirkt. Die direkte Nachahmung ist unzweifelhaft. Der Gegenstand ist der gleiche, das Versmaß ist dasselbe, ja die Reime sind an einzelnen Stellen die gleichen: blitzet — sitzet; statt »an — gethan« steht da nur »Kahn — gethan«. Aber doch welcher Unterschied! Die Stimmung ist hinzugekommen. Zuerst der persönliche Ausgangspunkt, die unerklärte Schwermut, unter deren Eindruck der Erzähler sich nicht von dem Gedanken an ein altes Märchen befreien kann, dann die augenblickliche Vision, das bestimmte, deutliche Bild von der Landschaft:
Endlich ist das Element dämonischer Leidenschaft hinzugekommen, das die früheren Bearbeiter desselben Stoffes nicht hineinzulegen vermochten. Heine stellt hier eine elementar anziehende Macht dar, die mit der verwandt ist, welche Goethe in »Der Fischer« mit einfacheren Mitteln und mit tieferer Wirkumg zum Ausdruck gebracht hat. Aber Goethe schildert in Übereinstimmumg mit seinem |179| Wesen die stille lockende Umgarnung, Heine in Übereinstimmung mit dem seinen eine blitzartig ergreifende, unwiderstehliche Wut.
Vielleicht einen noch tieferen Einblick in Heines künstlerisches Werden und in die Weise, in welcher seine Phantasie mit einem Gegenstand arbeitet, gewinnt man, wenn man beobachtet, wie er einen in Prosa gegebenen Stoff benutzt.
Augenscheinlich in dem Werke »De 1’amour« von Henri Beyle hat Heine die folgende, aus dem Arabischen übersetzte Anekdote gefunden. »Sahid ben Agba fragte eines Tages einen Araber: Von welchem Stamme bist Du? — Ich bin von jenem Stamm, antwortete der Araber, in welchem man stirbt, wenn man liebt. — Du bist also vom Stamme Asra? — Ja, beim Herrn des Kaabas! das bin ich. — Woher kommt es, daß Ihr so liebt? — Unsere Frauen sind schön und unsere Männer sind keusch!« «
Ferner jene Anekdote: »Einer fragte eines Tages Arua ben Hezam vom Stamme der Asra: Ist es wahr, daß von allen Menschen Ihr diejenigen seid, welche am zärtlichsten fühlen, wenn Ihr liebt? — Ja, das ist wahr, antwortete Arua, ich habe in meinem Stamm dreißig junge Männer gekannt, die der Tod dahingerafft hat, und die an keiner anderen Krankheit litten, als an Liebe.«
Schließlich diese: »Ein Araber vom Stamme Beni Fazaret sagte eines Tages zu einem andern Araber vom Stamme Beni-Asra: Ihr denkt, daß vor Liebe zu sterben ein süßer und edler Tod ist. Aber das ist Schwäche und Dummheit. — Du würdest nicht so reden, antwortete der andere, hättest Du die großen, schwarzen Augen unserer verschleierten Frauen mit den langen Wimpern und das Glänzen ihrer Zähne zwischen ihren braunen Lippen, wenn sie lächeln, gesehen.«
Hieraus entstand Heines berühmtes Lied »Der Asra«: »Täglich ging die wunderschöne.« Er malt zuerst die Örtlichkeit, den Garten mit dem Springbrunnen, wo die weißen Wasser plächern, dann zeigt er uns den Sklaven, der sich täglich dort einfindet, wenn die Sultanstochter spazieren geht, und der täglich belicher wird. Dann |180| erzählt er, wie die Fürstin eines Abends in den Sklaven dringt: Deinen Namen will ich wissen, Deine Herkunft, Deine Sippschaf
Wie man sieht, hat Heine alle Erklärungen verschmäht. Man genießt die erstaunende Bündigkeit dieser monumentalen Worte, Gabe, die Repliken wie in Stein auszuhauen. Aber setzt man nun der Erzählung schärfer zu, was ist dann der geistige Inhalt? Nicht viel mehr als eine Zusammenstellung der lakonisch zusammengezwungenen Worte Liebe und Tod. Das ist dieselbe Kombination, die sich in allen Jugendgedichten Heines als Verbindung von Liebe und Qual, Liebe und Vergiftung, Liebe und Selbstmordsgedanken findet — die auch bei Musset stehende Zusammenkoppelung von l'amour und la mort.
Der Ausdruck ist hier, wie in der Regel bei Heine, epigramatisch, daher nicht reich.
Wir haben nun genügendes Material vor Augen, um uns eine Vorstellung über die Ausformung des poetischen Stils bei Heine bilden zu können. Es ist daher interessant, denselben fertig und wickelt zu studieren.
Wir können unseren Ausgangspunkt von dem zuletzt betrachteten Gedichte mit seiner epigrammatischen Pointe nehmen. Es ist für Heine bezeichnend, daß er hier so wenig wie anderswo sich in die innere Unendlichkeit des Gefühls vertit; fein der Regel schärft und spitzt er nur den Ausdruck für das Gefühlte zu. So verhält es sich sogar mit dem Liebesgefühl, das er doch am häufigsten behandelt hat. Sodann ist es charakteristisch, daß er mit seinem geringen Talent, sich zu verhandeln, immer nur der männlichen Liebe Ausdruck gegeben, niemals in seinen Gedichten einem Weibe eine gefühlscvolle Äußerung in den mund gelegt hat
|181| Nichts liegt Heines Begabung ferner, als ein Gedicht wie jenes berühmte von Goethe:
Denn dies ist die Charakteristik eines Frauenherzens, und dies das innere Leben der Liebe selbst, ihr Pulsieren, ihre Schwingungen zwischen Seligkeit und Qual. Bei Heine macht schon das Epigrammatische des Stils eine solche Entfaltung des Gefühlslebens unmöglich. Und er hat dieselbe Konzentration, wo eine Begebenheit erzählt wird. Es giebt keine ähnliche Gedrängtheit in der Dichtkunst: er wirkt durch Angeben und Andeuten in äußerster Knappheit. Ich führe als Beispiel die folgenden Strophen an:
Man achte auf die vortreffliche Wirkung der Umstellung: »Blond war sein Haupt,« es ist, als ob der Vers anfinge zu jubeln und zu tanzen. Dann folgt der Schluß:
Dies ist bewunderungswürdig. Aber die Geschichte selbst erfährt man nicht, die ahnt man ungefähr wie die des Sklaven und der Tochter des Sultans. Widerum sind hier die Liebe und der Tod zusammengekoppelt.
|182| Das ist das etwas Leere an Heines Auffassung der Liebe welches wieder hier hervortritt. Diese Liebe hat keinen wirklichen Inhalt, keine geistige Bedeutung. Oder richtiger gesagt: Hein hat erst auf dem Sterbebette eine Liebe geschildert, die innere Fülle hatte. Die Liebe im »Buch der Lieder« ist ja meistens Verdruß über Kälte oder Entrüstung über Untreue, eine unfruchtbare Sache, die kein Mitgefühl erweckt. Die späteren Liebesgedichte sind häufig sensuell oder frivol, und je höher der Ausdruck gespannt wird, desto weniger wird man vom Wert des Gefühles ergriffen.
Es ist allzuviel Selbstbetrachtung und allzuviel Prahlerei in dieser jugendlichen Rodomontade. Ebenso auch, wenn es heißt:
Ist dies nun auch nur der künstlerischen Wirkung zulieb so gesagt, in einem guten, rein modernen Stil ist es doch geschrieben. Alles ist vor dem inneren Auge gemalt: Das Herz sinkt wie die Sonne in ein Meer. Aus den Ruinen der Welt schlägt die Flamme der Liebe empor. Und noch mächtiger, weit malerischer wird das Bild wo der Name Agnes an die dunkle Himmelswölbung geschrieben wird. Woran es aber fehlt, das ist Inhalt des Gefühles. Man denke zum Vergleich nur an jene so tiefmenschlichen Zeilen von Goethe:
|183| oder an die folgenden, die den Eindruck vervollständigen:
Hier ist ein Ausdruck für die gesundeste, vollste, gegenseitige Sympathie, für die Dankbarkeit der Liebe, für gegenseitiges Verstehen. Dafür gewinnt Heine erst den Ausdruck während der Schattenleidenschaft für das junge Weib, das der Engel an seinem Sterbebette war, la Mouche. Überhaupt aber ist das, was er behandelt, nie das, was in der Liebe Gesundheit, Beruhigung, Glück ist. Das ist seine Sache nicht. Das Gebiet, das er beherrscht, ist ein anderes.
Das leidenschaftliche Verlangen stellt er als moderner Poet mit einer correggioartigen Verschmelzung der Farben und Stimmungen besser dar, als Goethe mit seiner antiken Klarheit es that. Die Sehnsucht ist bei Goethe griechisch oder italienisch. Man denke z. B. an das Gedicht von der süßen Pomeranze:
Man vergleiche nur die mächtige Stimmungsfülle, die Glut, den Duft, die überströmende Naturpoesie, die ein solches Gedicht über die Sehnsucht enthält, wie Heines wundervolles: »Die Lotosblume ängstigt sich vor der Sonne Pracht.«
Höchst bezeichnend für die zwei Dichter ist es, daß, wo, wie eben angedeutet, die Liebesehnsucht in die Schilderung fremder Gegenden hinüber gleitet, Goethe mit Vorliebe Italien malt, Heine dagegen Hinduftan. Ohne einen Superlativ und ohne eine Diminutiv, mit einer Macht die ein Gott ruft Goethe in Mignons Sehn|184|suchtslied das Bild der klassischen Erde hervor, wo die Zitronen blühen. Es liegt eine Macht darin, eine Wucht in jedem bezeichnenden Zug, die Heine nicht erreicht. Aber man Vergleiche hiermit das lieblich Süße in Heines »Auf Flügeln des Gesanges«, die träumende, begehrende Sehnsucht, das Anmutige und Mystisch der Perspektive, die sich eröffnet:
Das ist eine unsterbliche Strophe. Goethe ist, selbst wo er seiner Sehnsucht die Zügel schießen läßt, immer wie sein Goldschmied von Ephesus der große kluge Heide, der die Göttergestalten formt; in Heines visionärem Gehirn war jenes Körnchen göttlichen Wahnsinns, welches nötig war, damit der Kaufmannssohn Düsseldorf die selbstaufgebenden Träumereien des alten Indiens verstehen und wiedergeben konnte.
Noch schärfer tritt Heines stilistische Eigentümlichkeit, gegen diejenige Goethes als Folie gehalten, hervor, wenn wir die Ausdrücke vergleichen für dasjenige, welches nicht eigentliche Begierde, sondern die reine Liebessehnsucht bei beiden ist.
Man erinnere sich z. B. der folgenden Zeilen bei Goethe, die Mignon in den Mund gelegt sind:
Dies ist die volle Poesie des Meisters. Es ist viel Kunst aus die Wiedergabe der zehrenden Eintönigkeit der Sehnsucht verwendet: die sechssdoppelten Reime, der schmachtende Vers. Schließlich der derb realistische Ausdruck: Es schwindelt mir, es brennt mein Eingeweide!
|185| Aber man vergleiche damit den Ausdruck reiner Liebessehnsucht bei Heine, wo er sein Höchstes erreicht. Dann sieht man, was die plastische Phantasie und der vollständige Lakonismus in dem Stil, deren Entwickelungsgeschichte wir bei ihm nachgewiesen haben, für Zeit und Ewigkeit hervorbringen können.
Das ist kaum gereimt. Der einzige richtige Reim darin ist der kärgliche: Land und Wand. Es ist nichts weiter darin gesagt, als: die Sichte träumt im Schnee, die Palme trauert stumm in der Sonnenhitze.
Es ist nicht eben gesehen, es ist gedacht, oder erfunden, daher nicht zu malen — ich habe es aus einer Berliner Ausstellung als völlig lächerliches Doppeltgemälde dargestellt gesehen — aber durch das Bild bleibt es gleichwohl ein unvergleichliches, ein ewiges Gedicht. Und zwar, weil das Symbol so ungeheuer schlagend wirkt durch seine Einfachheit, durch die paar klaren sttimmungsreichen Umrisse, welche die Unmöglichkeit ausdrücken, trotz des innern Zusammengehörens die Trennung zu überwinden.
Und ist nun Goethes Stärke im Ausdruck der gesunden, verhältnismäßig einfachen und nicht gemischten Gefühle zu finden, so zeigt Heine eine Stärke im Ausdruck der gemischten Gefuhle des modernen Menschen, des in dem modernen Gefühlsleben Angekränkelten, welches das Resultat schmerzlicher Erfahrungen ist. Niemals wäre Goethe dazu im stande gewesen, Zeilen wie die folgenden mit ihren schneidenden Kontrasten und ihrem rätselhaften Inhalt zu schreiben:
Warum muß er weinen? Ich habe die Frage naiv beantworten hören: weil sie lügt. Ach nein! so einfach ist die Sache nicht. Er hat diese Worte von anderen Lippen gehört, und die Liebesworte von diesen Lippen sind verstummt; er weiß, wie lange eine solche Leidenschaft in der Regel währt, und wird aus seinem Selbstvergessen durch den Klang ihrer Stimme herausgerissen; er zweifelt an der Dauer ihrer Gefühle oder an der Dauer seiner eigenen.
Höchst interessant ist es auch zu beobachten, welche Mühe Heine die Ausarbeitung dieser Worte bereitet hat. Zuerst lautete die letzte Strophe: »Dann wein ich still und bitterlich.« Später wurde das Wort »bitterlich« im Gegensatz zu der ursprünglichen Anlage des Gedichts in »freudiglich« verändert, bis die Strophe schließlich die jetzige Gestalt erhielt.*
Heine war nicht glücklich und nicht groß genug, um bis zur Versöhnung mit der Existenz zu gelangen. Der lang Landflüchtige und lang tödlich Kranke konnte, selbst wenn von allem andern abgesehen wird, nicht auf das Erdenleben mit den Augen sehen, wie der von außen gesicherte, von vielen Seiten geehrte und in seinem Wesen gefunde Fürstenfreund in Weimar. Daher sind Empörungstendenzen, Bitterkeiten und Cynismen bei Goethe unendlich viel seltener, als bei Heine. Goethe legt sie in der Regel seinem Mephistopheles in den Mund, Heine, dem die dramatische Kraft fehlte, muß die verantwortlichkeit für jeden Einfall tragen, weil er immer in eigenem Namen redet. Die schlimmsten Bitterkeiten nahm Goethe überdies nicht in seine Werke auf. Nur in den Paralipomena zum »Faust« findet sich z.B. diese Stelle:
Heine verweilt bei den Vorstellungen, welche Goethe nur hervorruft, Um sie wieder zu entfernen. Auch Goethe kann blasphemisch sein. Er hat das oft angeführte, selten verstandene Gedicht geschrieben »Wer nie sein Brot mit Thränen aß.« Es ist eine bittere, blutige Anklage gegen die Weltordnung. Aber sie wirkt in ihrer Bitterkeit wie ein ersticktes Schluchzen, nicht wild desperat wie Heines meisterliche »Fragen« oder wie das Gedicht »Laß die heiligen Parabeln«, wo es heißt:
Heines Ausdruck ist hier, wie in der Regel, niedriger, irdischer und derber, aber deshalb nicht des Gegenstandes unwürdig.
Ausbrüche von Lebensüberdruß und Blasiertheit sind bei ihm nicht selten. Man braucht nicht lange unter seinen Gedichten zu suchen, um Stimmungsausdrücke für das reine Aufgeben jeglichen Prinzipes, jeglichen Strebens zu finden. Bei Goethe kommt ähnliches nicht vor. Sein »Vanitas vanitatum«, das Lied: »Ich hab meine Sache auf nichts gestellt« ist sehr bezeichnend ein Tischund Trinklied geworden. Es ist mit anderen Worten bei Goethe nicht bitterer Ernst mit dieser Verzweiflung, und sie schlägt daher in eine Empfindung der Ausgelassenheit um. Insofern Goethe nicht den überwältigenden Eindruck vom Lebensunglück hat wie Heine, ist er im Grunde unschriftlicher als dieser.
|188| So aufklärend es ist, den Ausdruck für das Selbstaufgeben in der Lyrik beider Dichter zu vergleichen, ebenso lehrreich ist es, die Ausdrücke bei ihnen für den Aufschwung, das Gefühl der Selbstermannung zusammenzustellen Der Gesang »Feige Gedanken« aus »Claudine von Villa bella«, ist in dieser Hinsicht für Goethe bezeichnend, ja fast ein Motto für seine ganze Lebensführung läßt sich kaum ein kräftigerer Ausdruck für männliche Entschlossenheit denken, als er in den Zeilen »Allen Gewalten — zum Trutz sich erhalten« u. s. w. gegeben wird.
Man Vergleiche Heines Gedicht »An die Jungen«. Das ist ein Prachtgedicht, hinreißend schon durch seine stürmischen Rhythmen und die vierdoppelten malenden Reime. Die erste Strophe ihrer Anspielung auf die goldenen Apfel, welche Hippomenes vor Atalanta hinwarf, ist schon allein ein ganzes Gedicht:
Vom Bilde des Helden, der sich auf der Rennbahn zurückhalten läßt, gleitet die Vorstellung zur Alexandergestalt als Vorbild über. Es kommt nur auf Festigkeit und Kühnheit an.
Auf den Sieg folgt also das Knieen der Fürstinnen, dann füßes Verderben, blühender Untergang, berauschter Triumphthod — welche Sardanapalstimmung in diesem Tyrtäuslied and die Jugend, dieser Aufforderung zur unbeugsamen Ausdauer! Hier wird für den Ruhm |189| und für Frauen als Beute gekämpft, nicht für die Freiheit des eigenen Ichs, wie wenn es bei Goethe so einfach heißt:
Das Gefühl ist bei Goethe reiner und voller, die Musik der Sprache einfacher, während die Melodie bei Heine eine gleichsam mehr verschwenderische Instrumentation hat. Aber bei Goethe ist nichts für das Auge, gar kein Bild. Es ist typisch, daß alles hier bei Goethe größer gefühlt ist, bei Heine aber moderner, mehr gemischt, wie auch der metrische Ausdruck sinnlich einschmeichelnder ist, von einer auf alle Einzelheiten aufmerksameren Kunst hervorgebracht.
Man nehme nun einen Gegenstand erzählender und zugleich malerischer Natur: Die heiligen drei Könige, wie man sich ihrer am Dreikönigsfeste erinnert. Das Thema ist breit, munter, im Volkston und echt naiv in Goethes »Epiphanias« behandelt: »Die heilgen drei König mit ihrem Stern.« Jeder der heiligen drei Könige, der weiße, der braune und der schwarze, charakterisieren sich hier, wie sie aussahen, wenn sie vermummt von Haus zu Haus auf dem Lande gingen, und das Gedicht schließt:
Heine faßt die Legende nicht religiöser auf als Goethe, aber er legt sein Gesicht in ernstere Falten, drückt sich knapper aus, zeichnet schärfer, erreicht eine ganz andere Wirkung. Goethe setzt, durch heitere Kindlichkeit, breit ausgemalt, die Gemüter in Bewegung. Heine bohrt sich so in das Bewußtsein hinein, daß der Stachel seiner rede in dem Sinn des Lesers sitzen bleibt. Er will zunächst eine Wirkung erreichen, wie die eines alten florentinischen Gemäldes.
Es liegt eine gewisse Schalkhastigkeit hierin. Welches Konzert Aber auch welche Malerei! Die denkbar wenigsten Worte — nicht ein Zug, nicht ein Strich zuviel, und die sicherste, punktuelle Wirkung.
Denkt man nun zum Schluß an eine dieser abstrakten Gestalten, die in aller lyrischen Poesie vorkommen, an diese mehr oder weniger durchgeführten Personifikationen eines Begriffes, wie der Friede, das Glück, das Unglück, und vergleicht man auch auf diesem Felde Heine mit Goethe, so wird es sich hier wieder zeigen, daß Goethe den volleren Ton, Heine den sichereren Riß hat.
Goethe hat folgende Zeilen an den Frieden geschrieben:
Hier ist, wie man sieht, kein Bild, keine wirkliche Personifikation. Durch die sechs ersten Verse erhebt sich die Strophe bis zum Ausruf. »süßer Friede!«, dessen kommen man nicht ganz sicher sein kann.
|191| Man vergleiche die folgenden zwei Personifizierungen vom Glück und Unglück bei Heine:
Mit so wenigen Zügen sind selten zwei Begriffe zu zwei lebenden Figuren verwandelt worden, und die moderne Mythenbildung hat kaum jemals höher hinaufgereicht als in diesen zwei letzten Zeilen, hinter denen eine so tiefe und schreckliche Erfahrung liegt.
Wir sahen Heine in der romantischen Schule emportauchen und von A. W. Schlegel, der ihm seinen sicheren Geschmack mitteilt, sein Handwerk erlernen. Er ist anfangs romantischen Spukgeschichten und romantischen Archaismen in der Lyrik ergeben. Was seine jambischen Versformen betrifft, beginnt er sodann Wilhelm Müller zu studieren und nachzuahmen; in seinen trochäischen Gedichten spürt man Clemens Brentanos Einfluß. Er formt schnell seinen eigenen Stil aus, der sich durch die höchste Verdichtung von Stimmungen, Gedanken und Bildern auszeichnet. Das Merkmal desselben ist stärkste Gedrängtheit. Heine macht alles gegenwärtig, lebendig, führt selbst in ruhige Stoffe eine nervöse, bisweilen dämonische Leidenschaftlichkeit ein, treibt nicht selten das Mimische bis zum Fratzenhaften, vertauscht nicht selten das Tageslicht mit der schneidenden Klarheit des elektrischen Lichtes, d. h. mit einer Unnatur, die sich jedoch in der Natur findet. Sein Hauptmittel ist poetische Bündigkeit.
Kraft der Susammenfestung seines Naturells aus Witz und Phantasie ist er dazu geneigt durch Kontraste zu wirken, sucht das |192| Schneidende, das Ungleichartige und zeigt eine Vorliebe für Wirkungen, welche entstehen, wo eine platte alltägliche Wirklichkeit in eine dichterische Vision hinübergleitet, oder wo die Vision verbleicht und verdunftet, um der wohlbekannten Wirklichkeit Platz zu machen.
Seine Schreibweise ist ganz modern: alles ist anschaulich, alles für das Auge. — Was heißt es, ein großer Schriftsteller sein? Was anders, als das Talent zu haben, Gesichte und Stimmungen hervorzurufen, Gesichte durch Stimmungen, oder Stimmungen durch Gesichte. Heine hat ganz besonders das letztere Talent entwickelt, versäumt daher niemals den sicheren Umriß und den malerischen Effekt.
Aus seiner Höhe kann er nicht mehr mit seinen Lehrern und Zeitgenossen verglichen werden. Um die Stärke und Geschmeidigkeit seines Stils zu prüfen, ist es notwendig, denselben an dem des Größten der damaligen Zeit, an Goethes Stil zu messen. Wir sehen Heine bei diesem Vergleich häufig unterliegen, allzuselten sich auf einem fast nebengeordneten Platz behaupten. Es ist Ehre genug für ihn, daß es möglich und einige Male notwendig ist, ihn mit Goethe zu vergleichen.
Ein Stil ist ein Ausdruck der Persönlichkeit, eine Waffe in dem litterarischen Kampf. Der Stil Goethes ist trotz all seiner Größe zu wenig zusammengesetzt, um das Moderne zu ergreifen. Aber Heines Stil, diese Waffe, die in seiner besten Zeit wie jene alten spanischen Klingen geschmiedet ist, die sich wie Weiden biegen ließen und doch nicht am Harnisch zersprangen, war vor allem geeignet mit dem modernen Leben in seiner Härte und Häßlichkeit, seiner Anmut und Unruhe, seinem Reichtum an schneidenden Kontrasten anzubinden. Dieser Stil besaß auch in hohem Grade die Fähigkeit auf die Nerven moderner Leser, mit ihrem stärkeren Hang gewürzten Speisen und erhitzenden Getränken als zu einfacher Kost und reinem Wein, anregend zu wirken.
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