Das junge Deutschland (1891)

|[160]| XIV

Es ist unmöglich für einen Nordländer, in reiferen Jahren und mit einer einigermaßen sicheren künstlerischen Bildung sich in Heines Lyrik zu vertiefen, ohne sich von Zügen und Wendungen, die schon früh bei ihm zu lebloser Manier wurden, zurückgestoßen zu fühlen. Die romanischen Völker empfinden nicht so. Oft hört man kunstverständige Männer der romanischen Nationen Heines Lyrik sogar mit derjenigen Goethes vergleichen und sie als plastischer und spiritueller vorziehen. Romanischen Lesern ist Goethe in der Regel undurchsichtig; von Heine sagen die Franzosen: On y voit mieux. Sie fühlen nicht, daß bei Goethe die Worte immer Sache find, während bei Heine nicht selten fertige Satzstücke eingeschoben werden, hinter welchen weder eine Vision noch eine Wirklichkeitsanschauung liegt, die aber angewendet werden, um einen gewissen poetischen Effekt zu bewirken. Wenige Poeten haben wie Heine die Lilienhände, die Rosenwangen und die Veilchenaugen, diese monströsen Farbenkleckse, zur Schilderung weiblicher Schönheit mißbraucht oder die verschiedenen Attribute des Frühlings, die duftenden Blumen, die bei Tage wie bei Nacht schlagenden Nachtigallen Besingen des schönen Maimonats verwendet. Besonders ist die Nachtigall unter seiner Behandlung ein rein heraldischer Vogel in dem Wappenschild der Liebe geworden

Bei Goethe sind alle Worte Bilder, daher bedarf er so weniger Bilder in des Wortes ausdrücklicher Bedeutung. Bei Heine sind die worte jeden Augenblick Allegorieen ohne Anschaulichkeit und |161| ohne den inneren Zusammenhang, der die Logik der Dichtkunst ist. So z. B. wenn es heißt: »Aus meinen Thränen sprießen — viel blühende Blumen hervor,« wo die Blumen gar Gedichte bedeuten sollen, oder wenn er schreibt »Sprühn einmal verdächtge Funken — aus den Rosen — sorge nie — diese Welt glaubt nicht an Flammen — und sie nimmt’s für Poesie« — wo uns ein Knäuel von Bildern präsentiert wird, verwickelter als in den berüchtigten altnordischen Umschreibungen aus der Verfallperiode der Staldendichtung: Rosen, die Funken sprühen, Funken, die die Spießbürger nicht für Feuer annehmen wollen, Rosenfunken, die man Poesie nennt!

Am abstoßendsten an diesen Gedichten mit ihrer allegorischen Rhetorik ist die Verbindung von Sentimentalität und Materialismus. Es wird von Seufzern und von Thränen gesprochen, als wären die Seufzer recht lautes Stöhnen und die Thränen recht massive Individualitäten. So, wenn es z. B. über die Seufzer heißt: »Und meine Seufzer werden — ein Nachtigallenchor« noch dazu mit der materialisierenden Hinzufügung: »Und vor Deinem Fenster soll singen — das Lied die Nachtigall.« Noch auffallender ist dieser Materialismus in dem typischen Gedichte von der einsamen Thräne:

Was will die einsame Thräne?
Sie trübt mir ja den Blick,
Sie blieb aus alten Zeiten
On meinem Auge zurück.

Wir werden in die Familienverhältnisse und die einsame Situation dieser Thräne eingeweiht: sie hatte manche leuchtende Schwestern, die nicht mehr sind, nun sitzt sie allein im Augenwinkel. Schließlich wird ihr wie einem alten braven Kameraden zugesprochen. Sie kann gern ihrer Wege gehen, jetzt, nachdem alle die anderen gegangen sind:

Du alte einsame Thräne
Zerfließe jetztunder auch!

|162| Die Sentimentalität ist hier so grell, daß keine Parodie einem andern verfaßt, komischer als diese wehmütige Apost sein könnte, die von dem großen Spottvogel ernst gemeint ist

Jedes Gebrechen, welches sich im Künstler als Mensch findet, tritt in seiner Kunst hervor. Es ist immer der Mangel an Einfachheit, an Echtheit des Gefühlslebens, der den empfindsamen oder prahlenden oder effektsuchenden Ausdruck hervorruft. Man spürt daher die Mängel dieser Art bei Heine stark, wenn man gewisse Ausbrüche bei ihm mit dem Ausdruck für verwandte Stimmungen oder Gefühle bei Goethe vergleicht.

Man nehme z. B. jenes Gedicht, in welchem er sich als den unglückseligen Atlas bezeichnet, der die Schmerzen der ganzen Welt tragen muß.

Du stolzes Herz, Du hast es ja gewollt.
Du wolltest glücklich sein, unendlich glücklich
Oder unendlich elend, stolzes Herz!
Und jetzo bist Du elend.

Das sind Zeilen, die man nicht vergißt. Aber der Ausruf der ersten Zeile, welche an dem Rande berechtigten Selbstgefühls vibriert, wird selbstgefällig, wenn man diese einfachen und großen Verse von Goethe mit der Strophe zusammenhält:

Alles geben die Götter, die Unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz,
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen,
Ganz.

Es ist keineswegs an Heine zu tadeln, daß er durch andere gewaltsamere Mittel wirkt als Goethe. Es würde ungereimt sein, gegen ein Gedicht wie »Ein Jüngling liebt ein Mädchen« einzuwenden, daß Goethe das Schneidende, Desperate in dem bekannten Schluß: »Und wem es just passieret« u.s.w. wie eine Fratze vernieden hätte. Er würde davor zurückgeschreckt sein ungefähr aus demselben Grunde, weshalb es einen alten Hellenen abgestoßen haben |163| würde. Das, was hierin neu, modern im Gefühl ist, hat aber das Recht des Lebens. Die Fratze selbst ist hier künstlerisch vorbereitet.

Doch zeitweis ist von diesem Modernen allein die Fratze übrig geblieben. So in jenem berühmten Gedicht: »Mein Herz, mein Herz ist traurig.« Es enthält die meisterhafte Schilderung einer weiten Landschaft, hoch oben von der alten Bastei aus gesehen. Wir erblicken den blauen Stadtgraben, mit einem Knaben in einem Kahn, und jenseits vom Graben kleine Lusthäuser, Gärten, Menschen und Ochsen, Wiesen und Wald, Mädchen, die Wäsche bleichen, ein Mühlrad, das Diamanten stäubt, und am alten grauen Turme ein Schilderhäuschen mit einem rotgeröckten Burschen, der aus und nieder geht und dessen Gewehr im Sonnenrot funkelt. — H. C. Andersen, der irgendwo dieses Gedicht besprochen hat, schreibt darüber: »Und der Dichter endet so ergreifend: Ich wollt, er schösse mich tot.« — Ergreifend? Nein, überrumpelnd, denn nichts bereitet daraus vor. Der Ausbruch ist vielleicht nicht völlig unecht, aber so nervös, daß er im Grunde nichts bedeutet; er ist insofern unwahr, als das große Wort nur eine Stimmung, keinen tieferen Wunsch, geschweige einen Willen bedeutet.

Goethe hat nicht gerade die Sehnsucht nach dem Tode, sondern das Versöhntsein mit dem Todesgedanken in den berühmten, unsterblichen Zeilen ausgesprochen:

Über allen Gipfeln
Jst Ruh.
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch,
Die Vögelein schweigen im Walde,
Warte nur, balde
Ruhest Du auch

Es ist überflüssig, auf den kontrast zwischen den Dichterpersönlichkeiten aufmerksam zu machen, der sich offenbart, wenn diese Melodie in Worten mit jener Disharmonie bei Heine verglichen wird; |164| aber man gebe rein künstlerisch auf die mächtige Übereinstimmung zwischen allen Gliedern acht, welche hier stattfindet. Das Gedicht ist Ein Atemhauch vom ersten bis zum letzten Worte: Abendstimmung im Walde und in der Seele des Menschen, das Verstummen aller Wünsche, die Auflösung jeglichen Mißlautes, die Seele, welche groß und milde sich als Eins fühlt mit dem All der Natur.

Dieser Vollkommenheit gegenüber treten nur allzu schlagend die Mängel in Heines lyrischem Effektstil, wo derselbe bisweilen unkünstlerisch angewendet ist, hervor. Dieser Stil ist in seinen Schwächen mit dem allegorisierenden Märchenstil der deutschen Romantiker verwandt, von denen Heine als Dichter ausging. Und doch ist weit davon entfernt, ein reiner Romantiker zu sein, wie davon, das zu sein, wofür einige ihn gehalten haben: ein rein moderner Realist.

Er hat »Atta Trol « das letzte freie Waldlied der Romantik genannt. Andere haben seine Poesie in feindlicher Absicht der Auflösungsprozesz der Romantik genannt. Er schrieb den Atta Troll, sagt er, in der launischen Traummanier, die in jener romantischen Schule herrschend war, in welcher er seine angenehmsten Jugendjahre verbracht und zuletzt den Schulmeister geprügelt habe.

Und doch ist das Romantische hier nur das reiche, funkelnde Gewand, worin sich der moderne Geist hüllt und maskiert, um es zuletzt fallen zu lassen. Keines von den Elementen der Romantik fehlt: die Tiere reden, Bären tauschen ihre Gedanken aus; wir sind Zeugen der Herzensergüsse eines Mopses, und wir werden überhaupt in eine große von der Legende behandelte Szenerie, das Roncesvalles-Thal, hineingeführt. Nicht einmal die erzromantische blaue Blume fehlt:

Ronceval, du ed'es Thal,
Wenn ich deinen Namen höre,
Bebt und duftet mir im Herzen
Die verschollne blaue Blume

Die Traumwelt erhebt sich, große Geisteraugen starren uns entgegen. Der Dichter geht in dem Pyrenäengebirge mit seinem |165| Führer auf die Jagd. Der Führer hat eine alte Mutter, und dem Gerüchte nach ist diese alte Frau eine Hexe. Wir betreten die Küche der Hexe mit den ausgestopften Vögeln, den gespenstischen Geiern, und nachts führen die Bären und Gespenster in der Hütte einen burlesken und unheimlichen Tanz auf.

Auch in diesem Gedichte ist der Geist bis zu einem gewissen Punkte romantisch, Polemik gegen die plumpe, doktrinäre Tendenzpoesie der damaligen Zeit, gegen die auf die Dichtkunst übertragene Nützlichkeitslehre, und überhaupt litterarische Satire (gegen Freiligrath, Karl Mayer, Gustav Pfizer), wie die Romantiker sie trieben.

Und doch findet sich hier eine sorgfältige Wirklichkeitstreue in der Wiedergabe von Örtlichkeiten und Verhältnissen. Das Gedicht enthält streng genommen nur die Erzählung, wie Heine mit einer jungen französischen Freundin auf dem Lande in Cauterets in den Pyrenäen wohnt und dort einen Bären auf dem Markte tanzen sieht. Der Bär entläuft seinem Treiber, flieht ins Gebirge, wird dort von dem Führer Laskaro erjagt, geschossen und abgezogen. Die Juliette des Dichters bekommt den Pelz, um ihn vor ihr Bett zu legen, und Heine belehrt uns zum Überfluß darüber, daß er später selbst oft nachts mit nackten Füßen auf diesem Bärenfell gestanden habe.

Die Fabel ist also realistisch genug. Ebenso sind die äußeren Einzelheiten der Reise mit Naturtreue dargestellt. Man hat den Eindruck, daß Heines Schilderung der kleinen Gebirgsstadt, zu der er hinaufkletterte und wo die Kinder im Kreise tanzten und dazu fangen, genau mit dem übereinstimmt, was er sah und hörte. Selbst der Refrain des Kinderliedes: »Girofflino, Girofflette!« ist sicher der echte.

Trotzdem haben die tiefsten und schönsten Partieen dieses Gedichtes mit Realismus nichts zu thun. Es sind Gesichte. Und das vorzüglichste Gesicht ist das, wo Heine zur Nachzeit durch die |166| Fenster der Hütte die ganze wilde Jagd drei Mal den Horoziont umfahren sieht. Niemals ist er in der Figurenmalerei höher gestiegen, als wo wir die hellen Gestalten gegen das Dunkel des Nachthimmels beobachten: Diana, die Fee Abunde und jene schöne Herodias, die in ihrer Ausgelaffenheit mit dem blutigen Haupte des Täufers Ball spielt.

Es läßt sich eine Parallele zwischen der Kunst Heines und der Kunst Rembrandts ziehen. Keiner von ihnen hat einen Tropfeb akademischen Blutes; das geistige Gepräge beider ist entschieden modern. Wenn man indessen Heine einen großen realistischen Dichter nennt, so liegt darin nur dieselbe bedingte Wahrheit, wie wemnn man Rembrandt als großen Koloristen bezeichnet. Rembrandt gehört insofern nicht zu den größten Realisten im Kolorit, als viele ihn in der Fähigkeit übertreffen, die Lokalfarbe und deren rechten Wert wiederzugeben, oder durch das Halbdunkel die ursprüngliche Form und Farbe der Gegenstände unzweifelhaft hervortreten zu lassen. Nicht die Farbe, sondern das Licht ist die Hauptsache für Rembrandt.*

*) Vgl. Fromentin, Les maîtres d'autrefois
Ihm ist das Licht das Leben; des Lebens Kampf ist bei ihm der Kampf des Lichts, und die Tragödie des Lebens ist die Tragödie des kämpfenden, in Feuchtigkeit und Dunkel hinsterbenden Lichtes. Man müßte, um seine wahre Größe als Maler zu bezeichnen, ihn mit einem Ausdruck von Fromentin eher Luminist als Kolorist nennen, wenn man nämlich unter einem Luministen einen Mann versteht, der das Licht auf eine ganz eigene Art auffast. Er opfert bisweilen die Zeichnung, ja die malerische Ausführung, wo es ihm darauf ankommt, einen Lichtstrahl und eine Lichtwirkung zu erreichen. Man erinnere sich z. B. der schlecht gemalten Leiche auf seinem »Unterricht in der Anatomie«. Das aber, was die ursache ist, daß er bei Aufgaben, welche Porträttähnlichkeit, das Talent Hände zu malen, oder genaue Widergabe der Stoffe er|167|fordern, hinter den eigentlichen Realisten zurücksteht, das eben macht ihn so groß, wo er das Licht ausdrücken läßt, was es nur für ihn bedeutet, das innere Leben, die Welt des wachen Traumgesichts

Auf ganz ähnliche Weise verhält es sich mit Heine.

Wie wenige wirkliche Gestalten hat dieser große Dichter hervorgebracht! Wie wenige sind nach seinem Tode übrig geblieben! Die, welche sein Verdienst auf diesem Punkt behaupten wollen, sind gezwungen gewesen, die grelle, grimassierende Skizze des alten jüdischen Dieners Hyazinth als die vorzüglichste Gestalt Heines zu bezeichnen.

Nein, soll Heine nach seinen Wirklichkeitsbildern beurteilt werden, da stehen viele weit weniger bedeutende Dichter hoch über ihm.

Aber man denke nur an die Visionen in seinen großen Gedichten und in seiner Prosa! In der Regel hält er sich zu Anfang näher an der Erde als andere Dichter, dann aber öffnet sich über diesem dunklen erischen ein leuchtendes Gesicht, das kommt und schwindet.

Es zeigt sich dies sogar in solchen kleinen Gedichten wie dem schon angeführten, das die Gespräche in der Fischerhütte über den Ganges und über Lappland enthält.

Man erinnere sich außerdem, auf welche Weise Heine die Gestalt Napoleons dem Leser vorführt. In seinen »Grenadieren« wird die Vorstellung von Napoleon als ein Gesicht hervorgerufen. Die Worte: »Da reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,« sind wie eine nächtliche Offenbarung vom Glanz der Schwerter beleuchtet. In der nicht weniger bewunderungswürdigen Schilderung in den »Reisebildern« wird das Gesicht als Kindheitserinnerung heraufbeschworen.

Oder man erinnere sich, wie Heine Jesu Gestalt hervorruft. Im Gedichte »Frieden« sieht er Christus als Friedensfürsten im weißen wallenden Gemande risengroß über das Meer wandeln. In »Deutschland ein Wintermärchen« malt er den grauen Wintermorgen auf den Paderborner Wege; und als dann die Rebel zerinnen, erblickt er in dem Frührotschein am Rande des Weges |168| das Holzkruzifix mit dem Bilde des großen Schwärmers, der die Menschheit erlösen wollte und nun dort hängt »als warnendes Exempel«:

Sie haben Dir übel mitgespielt
Die Herren vom hohen Rate.

Die innige Wehmut, der bittere Humor, der sich in vertrauchlichen, herabsetzenden Wendungen äußert, vergrößert hier den Eindruck von dem menschlich Großen und grauenhaft Feierlichen, ungefähr wie dieser Eindruck bei Shakespeare verstärkt wird, wenn Hamlet, als er den Geist des Vaters unter der Erde hört, sein »Wohl gegraben, alter Maulwurf!« ruft. Im Schimmer des Witzes zeigt sich hier vor dem Blick des Lesers das Bild Jesu, nicht als der Fürst des Friedens, sondern als der Leidenschaftliche, der die Geisel gegen die Tempelschänder schwang und Feuer auf die Erde warf.

»Das Wintermärchen« ist als Ganzes ein bezeichnendes Beispiel von Heines künstlerischem Verfahren. Alle die siebenundzwanzig Abschnitte des großen Gedichtes sind völlig gleichartig gebaut. Es wird immer ganz an der Erde, alltäglich, materiel Reiseerinnerungen, platten Wirklichkeitseindrücken begonnen; dann erhebt sich der Erzähler unerwartet in unmerkbaren Übergängen zu mächtiger Leidenschaft empor, zu hohem Pathos, wilder Verachtung flammender Schwärmerei, niederreißender oder aufbauender Begeisterung, einer heiligen Wut, die wie Blitz auf Blitz wirkt bis alles aufs neue zum Grau in Grau alltäglicher Begebenheiten und Situationen herabsinkt.

Heine kommt nach Köln, ißt Eierkuchen mit Schinken, trinkt Rheinwein dazu und treibt sich dann in den Straßen herum. Er gedenkt der Vorzeit der Stadt: hier trieb die Klerisei ihr Spiel, hier brannten auf den Scheiterhausen ketzterische Bücher und Menschen, hier buhlten Dummheit unde Bosheit wie Hunde auf freier Gasse. Dann erblickt der Dichter im Mondenschein den Domn, die |169| große »Geistesbastille«, die seinen Zorn erregt. Aber während er so dahinschlendert, sieht er hinter sich eine Gestalt, die ihm bekannt vorkommt. Und nun gleiten wir in eine ganz neue Welt, die Welt der Vision hinüber. Jene Gestalt geht, als wäre sie sein Schatten, sie steht still, wenn er stehen bleibt. Oft schon zuvor hat er sie in seiner Nähe gesehen, des Nachts an seinem Schreibtisch Unter dem Mantel hält und hielt sie immer etwas verborgen, was seltsam blinkte und einem Beil, einem Richtbeil glich. Es ist der Liktor des Dichters, der ihm folgt, wie der Liktor in Rom seinem Herrn voranschritt. »

In den folgenden Abschnitten offenbart sich sodann Barbarossa in demselben Stil als ein Traumgesicht, das sogar zweimal kommt und verschwindet.

Wenn also Heine in der Geschichte der deutschen Lyrik, ja in der Geschichte der Dichtkunst überhaupt, durch einen ganz neuen Stil: die Vereinigung von Schwärmerei und Witz innerhalb der Lyrik, und durch ein ganz neues Geistesgepräge: die Einführung der Prosa in die Poesie als Folie der Poesie oder Spott über sie, Epoche macht, so beruht dies auf seiner historischen Stellung, auf dem Übergang von romantischer Umgestaltung der Wirklichkeit zu pessimistischem Wirklichkeitssinn, der in jener Zeit sich vollzog und der die Verschmelzung der beiden Elemente erklärt, die sich in seiner Dichtung finden.

Das eigentümlichste Gebiet seiner künstlerischen Herrschaft ist indessen ein ähnliches Helldunkel, wie dasjenige Rembrandts.

Die entscheidenden Partieen aus dem Schatten und dem Halbdunkel, worin sie versunken sind, hervorsteigen, das Licht, das natürliche Licht, geistig, übernatürlich wirken zu lassen, indem es aus einem Meer von dunklen Schattenwellen hervorgezaubert wird, es flackernd oder grell wie eine strahlende Flamme aus dem Halblichte hervorbrechen zu lassen, das Dunkel durchshaubar, das Halbdunkel durchsichtig zu machen — das ist Rembrandts kunst.

|170| Die nah verwandte Kunst Heines ist die, eine rein moderne Welt der Einbildungskraft und des Traumes in unmerkbaren Übergängen aus dem Leben der Wirklichkeit hervortreten und in dieselbe wieder zurücktreten zu lassen, bald dergestalt, daß die Vision in voller Beleuchtung dasteht, während die Wirklichkeit sich im Zwielicht verliert, bald umgekehrt so, daß die Vision verschwindet und die Wirklichkeit nach und nach in heller Tagesbeleuchtung hervortritt.