Sicherlich hat im allgemeinen Urteil der Nachwelt Heine nichts mehr geschadet, als seine Geschwätzigkeit auf geschlechtlichem Gebiet. Einzelne Gruppen seiner Poesieen haben aus diesem Grunde sogar durchgehends einen Üblen Leumund, so z. B die Gedichte, welche die Sammlung »Verschiedene« bilden; die meisten von ihnen sind übrigens ungerecht verurteilt worden, während andere freilich recht platt in ihrer Denkweise sind, wie auch ihr Inhalt nichts weniger als erhaben genannt werden kann. Goethe hatte in »Der Gott und die Bajadere« ein Beispiel gegeben, daß sogar ein sehr kühn gewählter Stoff durch die Größe des Stils geadelt werden kann, und selbst wo er, wie in den venetianischen Epigrammen, Bajaderen behandelt, die durchaus nicht durch die Liebe geläutert werden, und wo er bei dem Verhältnis des Dichters zu ihnen verweilt, da wirkt schon das antike Versmaß entfernend, und es kommt kein anstößiges Wort vor; schließlich ertrinken diese ausgelassenen Epigramme in der Masse anderer Dichtungen; man fühlt auch beim Lesen derselben, daß Goethe der Mann ist, den die Allnatur erschuf, um durch ihn zu erfahren, wie sie ganz aussehe.
Bei Heine nimmt die Geschwätzigkeit über sein Verhältnis zum andern Geschlecht einen zu großen Platz ein und ist nicht immer geschmackvoll. Sie schafft ihm zehn Leser für jeden, den sie ihm nimmt, aber der eine, den sie entfremdet, war zuweilen mehr wert alsw die zehn, die sie verschaffte. Und doch ist dies Offenheit in den gewisser Hinsicht zugleich seine Stärke. Sie hätte nicht so persönlich |194| zu sein gebraucht; aber sie ist notwendig für denjenigen, der mit der Halbkugel des Ernstes auch diejenige des Komischen umspannen will. Sie nähert Heine dem vorzüglichsten rein komischen Dichter aller Zeiten
Am Schluß seines »Wintermärchens«, unmittelbar nach jener ausgelassenen Stelle, wo er sich dadurch zu der Kunde von Deutchlands Zukunft riecht, daß er den Kopf in den Thronsessel Karls des Großen steckt, spricht er es in dreistem Selbstlob aus, daß die edelsten Grazien die Saiten seiner Leier gestimmt haben, und daß diese Leier dieselbe ist, die einstmals sein Vater, der selige Herr Aristophanes, der »Liebling der Kamönen«, in Griechenland ertönen ließ. Er fügt hinzu, daß er in seinem letzten Kapitel versucht habe »die Vögel«, das beste der Dramen des Vaters, nachzuahmen
Er hat also seine Ehre darein gesetzt, seine Kunst von dem größten komischen Dichter des alten Griechenlands abzuleiten.
Man stutzt im ersten Augenblick darüber. Denn während mehrere andere deutsche Poeten, wie Platen und Prutz, die Formen der aristophanischen Komödie nachgeahmt haben: die Trimeter Chöre und Parabasen, die ganze von der griechischen Komikert geschaffene, zugleich freie und feste Kunstform, hat Heine nicht einmal einen Versuch gemacht, sich diese Form der Dichtung, ebensowenig wie irgend eine andere, anzueignen. Es ist eigentümlich für ihn, daß, so hartnäckig strebend und unbedingt gewissenhaft er mit Rücksicht auf die schlagende Sicherheit des einzelnen, metrischen oder ungebudenen Ausdrucks war — ich habe nie eine an Verbesserung überreiche Handschrift wie die zu »Atta Troll« in der Königlichen Bibliothek zu Berlin gesehen — es ihm dennoch unmöglich war, sich den künstlerischen Zwang der großen Formen aufzuerlegen. Es stimmt damit überein, das in seinen größeren Dichtungen der Plan ganz lose, jede einzelne Zeile aber wieder und wieder durchgearbeitet ist.
Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, daß er niemals als Künstler sich eine Aufgabe gestellt und sie gelöst habe.
Ein einziges Mal hat er den Versuch gemacht, eine zusammen|195|hängende größere Profakomposition, einen Roman zu schreiben. Nur ein Bruchstück ist übrig geblieben, ob nun wirklich, wie behauptet worden, der größte Teil des Manuskriptes bei einer Feuersbrunst zu Grunde gegangen oder ob es nie vollendet worden ist, was ich für meinen Teil glaube. Aber selbst dieses Fragment »Der Rabbi von Bacharach« ist, genauer betrachtet, nur eine Umschreibung von Heines eigenen privaten Verhältnissen, welche hier in die ferne Vorzeit zurückverlegt werden.
Niemals hat er sich auch an eine streng zusammenhängende metrische Komposition gewagt. Seine beiden einzigen größeren Dichtungen: »Atta Troll« und das »Wintermärchen«, sind freie, launige Phantasieen, Seifenblasen, die sich aus Gehirngespinsten wiegen; sie werden nur durch die Einheit des Tones und die Gleichartigkeit der inneren Bauart zusammengehalten.
Aristophanes zu bearbeiten oder zu übersetzen konnte Heine nicht einfallen. Er war anders geartet als Goethe, der trotz seines ungeheuren selbständigen Schaffens sich dazu herabließ, fremde Schriftsteller (wie Diderot, Benvenuto Cellini, Voltaire) zu übersetzen und zu bearbeiten. Als Goethe dem Aristophanes auf seinem Weg begegnet, wird er von ihm bezaubert, und er, nicht Heine, geht daran, »Die Vögel« auf deutschen Boden zu verpflanzen; aber — bezeichnend genug — er unterwirft das Schauspiel einer Verwandlung, wodurch die Satire aus einer politischen zu einer litterarischen wird. Die beiden politisch unzufriedenen Hauptpersonen sind bei Goethe zu litterarifchen Abenteurern geworden; mit der Eule wollte er — wie durch einen Brief von Jacobi an Heine bewiesen ist — Klopstock treffen, mit dem Papagei den jungen Cramer. In dem Epilog zu dieser Bearbeitung giebt Goethe Aristopbanes die unsterbliche Bezeichnung des ungezogenen Lieblings der Grazien, die so gut auch Heine paßt
Wäre Heine auch nicht allzuwenig arbeitsam gewesen, um jemals einen Dichter des Latertums zu studieren, zu übersetzen, zu bearbeiten |196| oder nachzuahmen, so hätte er doch nie, wie Goethe oder Platen einfache Litteraturkomödieen aus den aristophanischen Komödien machen können; gerade die große politische Satire zog ihn an.
Wahrscheinlich ist Heine der witzigste Mensch, der je gelebt hat, wenigstens der witzigste der modernen Zeit. Zwar steht Voltaire als eine Art Personifizierung des Witzes da, aber sein Witz ist verständig und trocken, nicht dichterisch, kein Phantasiewitz wie derjenige Heines
Es war seiner Zeit unklug von Platen, daß er, stolz steif wie er war, das Werk, worin er Heine verhöhnen wollte: »Der romantische Odipus«, in der äußeren Form und Manier aristophanischen Komödie schrieb; denn er hatte nur die Feinheit der Verse und die Grobheit der Worte mit Aristophanes gemein. Heine hingegen besaß alle die aristophanischen Haupteigenschaften vereint: den Witz, die Wildheit, die Einbildungskraft, die schmelzende Lyrik und die Schamlosigkeit — alles in den Formen der Grazie. Ohne Grazie und Witz ist die Schamlosigkeit freilich eine niedere und abstoßende Eigenschaft; aber in dieser ihrer Vereinigung hoher Begabung ist sie ungewöhnlich. Der aristophanische Dichter darf und kann nicht den Stolz haben, der davor zurückschreck, die Gemeinen zu ergötzen, diejenigen, welche ihn nur verstehen, wenn sie ihm im Kote begegnen. Er darf sich nicht davor scheuen bis zu einem gewissen Punkte sich, d. h. sein moralisches Wesen, preiszugeben, um ein größeres dichterisches Feld dadurch zu gewinnen.
Es nützt nichts, daß ein Autor wie Platen, der vor allen den Eindruck eines edlen Dichters machen und Respekt durch seine Person einflößen will — es nützt nichts, daß er verkündet, er wolle »seine Gegner zermalmen mit wirklichem Witz«. Man kann nicht zur selben Zeit als seiner Mann und als Aristophaniker auftreten. Man scheitert in dieser letzten Eigenschaft, wenn man höheren Preis auf die Achtung anderer, als auf den Triumph der Kunst setzt. Aber bei dem wirklichen Aristophaniker erhält die Poesie zum Ersatzt einen Um|197|fang, wie ihn niemals der seierliche Dichter (ein Schiller oder Victor Hugo) erreichen kann; sie spiegelt das Menschenleben ganz ab, von den höchsten bis zu den niedrigsten Funktionen.
So wenige formelle Berührungspunkte sich auch zwischen Heines lyrisch-satirischen Gedichten und den großen phantastischen Schauspielen des Aristophanes finden, so ist doch aller Wahrscheinlichkeit nach seit den Tagen des griechischen Altertums kein mit dem aristophanischen verwandterer Witz erstanden, als der von Heinrich Heine.
Dieser Ausspruch beruht nicht auf Verkennung des unermeßlichen Unterschiedes zwischen dem Charakter ihres Lebenswerkes. Die aristophanische Komödie ist mit ihrer großartigen und festgezimmerten Kunstform ein Ausdruck der künstlerischen Bildung eines ganzen Volkes, aus religiösen Festen als ein Festmonument entstanden. Begründet und unterbaut von einer ganzen Reihe hervorragender Vorgänger, deren Stil gleichartig, deren Talent verwandt war und deren Erbe Aristophanes übernahm (ungefähr wie Shakespeare dasjenige seiner Vorgänger), ist die aristophanische Komödie als Form eine Kollektivarbeit in weit höherem Grade, als die Heinesche Strophe es ist. Selbst ganz abgesehen von Eupolis’ und Kratinos’ Beschuldigungen gegen Aristophanes wegen unerlaubter Aneignung ihrer Einfälle, können wir allein aus den »Rittern« sehen, daß schon der Komiker Magnes Stücke mit Titeln, wie »die Vögel«, »die Wespen«, »die·Frösche« ausgeführt hat. Die als Reptile, Insekten, Vögel verkleideten Chöre waren also etwas, das Aristophanes nicht erfand, sondern übernahm. Nur weil wir nicht die Vorläufer des griechischen Dichters kennen, steht sein Lebenswerk uns jetzt als ein rein individuelles Erzeugnis vor Augen. Es bleibt der Typus einer großen phantastischen Komik, und fast alle moderne Komik und Phantastik erscheint verzagt und dünn im Vergleich mit dieser Kühnheit.
Die aristophanische Welt ist die verkehrte. Wenn in »Der |198| Frieden« Trygaios einen stinkenden Mistkäfer aufzäumt und auf diesem wie auf seinem Pegasus durch die Luft hinauf zu den Wohnungen der Götter steigt, oder wenn er später mittels eines kllasterlangen Seils den Frieden herauszieht aus dem tiefen Brunnen, in welchen der Krieg die Göttin gestürzt hat, so sind das Dinge, die vorgeführt werden, als wären sie gewohnte, bekannte Möglichkeiten; er läßt sie ohne irgend welche Erklärung vor unseren Augen so einfach vor sich gehen, daß wir gezwungen werden, daran zu glauben. — Wenn wir in »Die Vögel« zwei unreife Jungen als weise Männer auftreten sehen und verrückte Pläne, eine Stadt in den Wolken zu bauen, entwickeln hören, so klingt das vor unsern Ohren zuerst wahnsinnig genug, und wenn wir die Vögel sie mit Ehrfurcht empfangen sehen, so bekommen wir dadurch keine besseren Gedanken von ihrer Intelligenz, genießen im Gegenteil die Komik, das die dummen Tiere ihr Heil von ihnen erwarten. Doch wenn wir schließlich hören, daß die Stadt wirklich gebaut und alles gelungen ist, und wir sehen, wie Erfolg und Glück das Unternehmen begleiten, so fühlen wir, daß die Welt, die wir hier beobachten, nicht diejenige ist, in der wir uns zum alltäglichen Gebrauch befinden sondern eine, mit deren Gesetzen das übereinstimmt, was gegen die Gesetze in der unseren streitet.
Diese neue Welt ist also ganz phantastisch, insofern sie im Streit mit den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit und der Natur steht. Das ist eine Welt, in welcher die Tollheit selbst triumphiert, und der Dichter thut, als ob das ganz in der Ordnung sei. Erst wenn der Zuschauer bedenkt, wo diese verkehrte Welt wohl liegen, wo es wohl derart zugehen könne, wo die politische Unverschämtheit in so großem Stil getrieben werde, und weit davon entfernt, Beschämmung zu erleiden, Zutrauen gewinne und Lohn ernte — erst dann wird er zur Wirklichkeit zurückgeführt, indem er in dieser Welt seine eigene, seine Heimat Athen, wiederkennt.
Von den aristophanischen Stücken, die wir besitzen, gehen »Die |199| Vögel«, »Die Frösche«, »Der Frieden« entweder gar nicht oder nicht ganz auf der Erde vor sich; es sind meteorische oder unterirdische Schauspiele. In diesen allein kommen Götter vor, freilich nur um durchgehechelt, lächerlich gemacht oder durchgeprügelt zu werden. Aber in der Welt der Wirklichkeit offenbaren sie sich nicht, denn nur in der phantastischen wird an sie geglaubt.
Nun, eine solche übernatürliche Welt wagt Heine als moderner Dichter gar nicht aufzustellen, obgleich er sie nicht entbehren kann. Daher sein immer wiederkehrender, immer erneuter Gebrauch und Mißbrauch des Traumes, wozu wir kaum bei irgend einem anderen modernen Dichter ein Seitenstück finden. Aber innerhalb des Rahmens des Traumes wagt er dann auch das Außerordentliche, das Aristophanische.
Wie schon berührt: er gleicht Aristophanes in der Tiefe seiner Schamlosigkeit und in dem hohen Flug seiner Lyrik.
Zwar kommen die Anspielungen auf die Beschwerlichkeiten der Verdauung und ähnliches etwas weniger häufig bei Heine als bei Aristophanes vor, der ja übrigens selbst, wie er erklärt, diese Art von Komik geringschätzte. Sie diente seiner eigenen Aussage nach nur dazu, die Lachlust des am wenigsten entwickelten Publikums hervorzurufen. Aber es wird bei Heine häufig, und bisweilen breit, über derartige Sachen gesprochen (am breitesten in der Polemik gegen Platen), und man schützt sich bei Heine fast ebenso oft gegen gewisse häßliche Insekten, wie bei Aristophanes.
Da Heine selbstverständlich nicht eine so freie Sprache in bezug auf das Geschlechtliche wie der alte Grieche führen kann, versagt er sich zum Ersatz dafür keinerlei Anspielung, die das ersetzen könne, was seinen Äußerungen an Geradheit fehlt. Ab und zu ist fast gar keine Umschreibung angewandt, und der sonst durch ein Lächeln oder eine Fratze angedeutete Cynismus wird aus voller Kehle in die Welt hinausgelacht, so am Schluse des »Wintermärchens«, in Gedichten wie »Der Ungläubige« und ähnlichen.
|200| Und wiederum wie bei Aristophanes: Von jenem steten Verweilen bei alle Dem im Menschen, was daran erinnert, daß er in seinem ersten Keime sich zwischen einer Blase und einem Mastdarm entwickelt, erhebt Heine sich bis zur feinsten, zartesten Lyrik. Er, der so gut den materiellen Ursprung der Naturwesen kennt, leitet in einem seiner Gedichte alles Vom Gesange der Nachtigall her:
Das erinnert förmlich an die lieblichen Verse in »Die Vögel« in welchen es heißt:
Bei Heine wie bei Aristophanes wird über die Götter losgezogen, gleichwohl ist natürlicherweise die Satire bei ihm vorsichtiger als bei dem alten Griechen; die moderne Welt verträgt auf diesem Gebiet nicht so derben Spaß wie die antike. Wenn selbst Dionysos, der Gott der Komödie, in »Die Frösche« sich großprahlend und feige erweist, eine Tracht Prügel nach der anderen bekommt und zuletzt seinen Priester, der unter den Zuschauern Ehrenplatz einnimmt, um Beistand in der Not anruft, so giebt es kein Seitenstück zu einer derartigen Gotteslästerung bei Heine, der unter der Zensur der Polizei und der modernen Gesellschaft schrieb. Und doch versagt er sich sehr wenig von dem leichten Scherz zum derben Spaß und den beißendsten Verspottungen. Bekannt ist aus den Reisebildern die Erklärung Hyaeinths von dem Wert der verschiedenen Religionen. Er verwirft den Katholizismus, der mit seinem Glockengeläute, seinen Weihrauchduft und seiner »Melancholik« seine Religion für einen Hamburger sei; er prüft den Protestantismus dadurch, daß er in der Lotterie die Kummern der Psalmen |201| setzt, die er an der schwarzen Tafel in einer lutherischen Kirche sieht; und er fertigt das Judentum mit den bekannten Worten ab: »Es ist gar keine Religion, sondern ein Unglück.« — Lustig und übermütig ist das Gedicht »Disputation«, in welchem der Rabbi wie der Kapuziner, ein jeder für seine Dogmatik redet, ein jeder den Seligkeitszustand seiner Lehre, noch dazu in recht anstößigen Ausdrücken preist, bis die Königsbraut, die den Streit schlichten soll, sich dazu außer stande erklärt: das einzige, was sie gemerkt hat, ist, daß Kapuziner und Rabbiner alle beide stinken. — Fast dramatisch ist schließlich die Religionsverspottung an der Stelle in Heines Buch über Börne, wo er erzählt, wie er während seines Aufenthaltes auf Helgoland häufig von einem preußischen Justizrat in Erörterungen Über die Dreieinigkeit hineingezogen werde, und dann ferner berichtet, wie, während sie oben disputieren, Stimmen durch den dünnen Bretterboden aus dem darunterliegenden Zimmer sich erheben, wo ein dort wohnender phlegmatischer Holländer der Wirtin gerade entwickelt, wie man Kabeljau, Laberdan und Stockfisch voneinander unterscheide; es sei im Grunde ein und dasselbe; mit den drei Namen bezeichne man nur drei verschiedene Einsalzungsgrade.
In bezug auf die irdischen Gewalthaber ist Heine gewiß nicht weniger dreist und nicht weniger phantastisch in seiner Komik als Aristophanes.
Aristophanes zeigte Mut in seinen Angriffen auf Kleon und Theramenes; halb zufällig nur hat er mitunter die gute Sache verteidigt, in der Regel vertrat er jedoch die schlechte; er machte sich zum Verfechter eines unhaltbaren Konservatismus und ungerechtfertigter Angriffe. Heine war seltener ungerecht und niemals konservativ, aber er erinnert doch an Aristophanes durch seinen aristokratischen Hang und durch die Form der Angriffe, z. B. durch amüsantes Benutzen von bekannten pathetischen Dichterstellen.
Man finder bei ihm eine ganz Reihe witziger Angriffe auf Friedrich Wilhelm IV., in seinem »Wintermärchen«, wo Hammonia |202| Heine vor dem »König im Thule« warnt, wie im Gedichte »Der neue Alexander«. Ein ganzer Cyklus Gedichte richtet sich gegen König Ludwig I. von Bayern und dessen Wirksamkeit. König Ludwig, den Heine anfangs selbst gepriesen hatte, war als Mäcenas von einer großen Künstler- und Dichterschar jener Zeit umschmeichelt. In den »Lobgesängen« aus ihn geiselt Heine alle seine Schwäcken; er verspottet seine Schönheitsgalerie im Münchner Schlosse und seine schlechten Verse, sowie seinen Ärger darüber, daß mehrere von ihm beschützte berühmte Gelehrte und Künstler sich von Mün nach Berlin hatten ziehen lassen.
Über die Schönheitsgalerie heißt es:
Die Auswanderung einiger berühmter Männer Münchens Berlin benutzt Heine, um seinem alten Prügelknaben Maßn einen Seitenhieb zu versetzen:
Über König Ludwig als Dichter heißt es hier:
|203| Noch witziger ist die Parodie auf den Versbau König Ludwigs in der folgenden Inschrift, die über Atta Troll in der Regensburger »Walhalla« gesetzt wird:
Die Härte der Verse und die gezwungenen Partizipialkonstruktionen erinnern in gleich hohem Grade an den Stil der Verse des Königs, wie sie jedem Fremden unter den Rottmannschen Fresken in den Arkaden zu München entgegentreten.
Diese Satire auf gekrönte Häupter ist nur persönlicher Art. Aber bei Heine wie bei Aristophanes breitet sich die Satire über alle politischen, sozialen und litterarischen Zustände aus; in solchen Fällen braucht Heine als künstlerisches Hilfsmittel den Traum. Der führt ihn in die Unterwelt hinab oder in jene phantastische Welt über die Wolken hinauf, in welcher der griechische Dichter zu Hause war, wie dies schon im »Wintermärchen« oben nachgewiesen ist. Man sehe hier, mit welcher Sorgfalt und mit welcher Meisterschaft Heine die phantastische Schilderung von Barbarossas unterirdischem Aufenthalt im Kyffhäuser vorbereitet hat. Zuerst die Einführung des Refrains eines alten Volksliedes: »Sonne, Du klagende Flamme!« und die Erzählung der alten Sage von der Sonne als Anklägerin des Mörders eines jungen Mädchens; demnächst die Schilderung der gutherzigen alten Amme, die jenes Lied sang und so viele schöne Geschichten erzählte, die von der Königstochter als Gänsenmädchen und die von dem Kaiser im Berge, welche nun weitläufig berichtet wird — bis der Rahmen in Vergessenheit gerät, |204| und wir Barbarossa mit seinen in Eisen gekleideten Männern vor uns sehen, ihn hören, wie er sie zu ihren Pferden, zu den Waffen ruft, um die Schmach zu rächen, welche die Mörder Über die goldlockige Germania gebracht haben. Aufs neue wird dann alles wieder zu der Stimmung des Ammenliedes und zu seinem jetzt mit Begeisterung und Jubel angestimmten Schlußreime zurückgeführt: »Sonne, Du klagende Flamme!« Es ist aristophanischer Schwung in poetischen Ausmalung des alten Arsenals, der leeren Rüstungen, der verblichenen Fahnen, der schlafenden Soldaten, und dann in dem Umschlag, in dem Appell an die erwachende Kraft und in inständigen Gebete, lieber das Mittelalter zurück zu bekommen, das scheinheilige Preußen der damaligen Zeit mit seinem Gemisch von gotischem Wahn und moderner Lüge. In den beiden folgenden Abschnitten wird die Schilderung Vom Innern des Berges fortgesetzt und werden im Traumzustande Zwiegespräche mit Barbarossa während des Schlafs in einem Reisewagen geführt.
Auf dieselbe Weise ist die preußenfeindliche Phantasie im Wirtshause zu Minden begründet. Heine will den preußischen Adler vergegenwärtigen, um ihn zu vernichten. Hätte Aristophanes einen ähnlichen Zwist mit einem Adler auszugleichen gehabt, so würde er ihn ohne weiteres uns vor Augen geführt haben. Heine geht auf seinem gewöhnlichen Umwege ans Werk. Bei ihm wird während des beginnenden Traumzustandes im Halbschlaf die rote Bettquaste über seinem Kopf zu einem Adler mit Federn und Krallen, der damit droht, ihm die Leber aus der Brust zu hacken, und gegen diesen singt er dann seinen Haß aus.
Nur in ganz einzelnen Stellen ist Heines dichterisches Verfahren kühner, ähnlicher demjenigen des großen Griechen. So z. B. in der prächtigen Rede an die Wölfe zur Nachtzeit im Teutoburger Walde. Der Reisende hört sie zur Mitternacht um den Wagen heulen, dessen eines Rad losgegangen ist. Er steigt aus den hält an die wilden Bestien eine Rede:
Die Rede ist eine humoristische Nachahmung solcher, wie sie große Männer bei ähnlichen Gelegenheiten zu halten pflegen: Diese Stunde sei ewig unvergeßlich Eine Lüge sei es, daß er zu den Hunden übergegangen; er habe niemals daran gedacht, Hofrat in der Lämmerherde zu werden. Den Schafspelz, den er sich dann und wann umgehängt, habe er nur dazu gebraucht um sich zu wärmen, er sei und bleibe Wolf und werde immer mit den Wölfen heulen.
Eine direkte Nachahmung der Hochzeit des Paisteteros mit Basileia in den »Vögeln« ist schließlich, wie Heine selbst ausgesprochen hat, die Szene zwischen dem Dichter und Hamburg als dem kräftigen Weibe mit der Mauerkrone. Sie ist äußerst mutwillig, knabeuhaft ausgelassen und in ihrer Lüsternheit im Grunde anstößiger als ähnliche Stellen bei Aristophanes, der auf der Bühne sich selbst ja nur Vorführt, wenn es gilt, sich als Dichter zu verteidigen. Heines Schamlosigkeit ist, wenn auch weniger weitgehend, doch mehr persönlich als die seine.
In »Atta Troll« liegt der Vergleich mit Aristophanes noch näher. Die Einbildungskraft bewegt sich hier freier, weil die Hauptperson kein Mensch, sondern ein Bär ist. Eine außerordentliche Phantasie ist an der Stelle entfaltet, wo der Bär nach seiner Flucht im Mondenschein vor seinen Jungen tanzt. Es liegt ein unvergleichlicher Humor in seiner Deklamation gegen die Menschenrechte und seinem Pochen auf die älteren Rechte der Bären, das an die schöne Parabase in den »Vögeln« erinnert, wo bewiesen wird, daß die Welt der Vögel die älteste ist: Alles enstamme dem Ur-Ei alles entspringe der Liebe, und die Vögel seien eben Kinder der Liebe.
Überaus anüsant ist der Stolz des Bären auf die Tierwelt |206| am amüsantesten jedoch deshalb, weil Heine ihn benutzt, um in die Äußerungen Atta Trolls übermütige Anzüglichkeiten hineinzuflechten gegen diejenigen, denen er zusetzen will, so z. B. gegen Freiligrath, dessen populäres aber thörichtes Gedicht »Löwenritt«, wie das mißlungene »Der Mohrenkönig« seinen lustigsten Spott hervorgerufen hatten.
Ein gutes Teil dessen, was der Bär sagt, klingt wie eine Satire auf dumme kommunistische Demokratie. Da ist das Geschwätz gegen das Eigentum: Die Bären werden ohne Taschen geboren, die Menschen füllen die ihren. Und da ist das Geschwätz über die Gleichheit:
Im übrigen ist es aber eine unschuldige, harmlose Satire, die rein phantastisch mit Klerikalen wie mit Kommunisten, mit Misanthropen wie mit Revolutionären, mit Weltbürgern wie mit Nationalen Possen treibt — denn der Bär hat etwas von den Redensarten aller. Wie wunderbar ist nicht die Predigt Atta Trollsw gegen den Atheismus, und die Entwicklung seines deistischen Systems, die so beginnt:
|207| Es liegt ein munterer Tiefsinn in dieser Ermahnungsrede gegen den Einfluß von Feuerbach und Bauer, und ein Witz, der so geistvoll ist, wie der Voltaires, aber reicher und wärmer, findet sich in der folgenden Schilderung des Schöpfergottes:
Welcher Humor in der Ausmalung der Bärenheiligen, die seinen Thron umtanzen!
Besitzt der Bär auch etwas Von den Redensarten aller Parteien, so hat er doch am meisten von denjenigen der Urdeutschen. Über sie geht es besonders her. Die wohlgeleckten Bärenjungfrauen erinnern an deutsche Pastorentöchter; das jüngste Bärlein schlägt Purzelbäume wie Maßmann selbst und ist gleich ihm die Blüte autochthoner Bildung; es ist nie imstande gewesen, irgend eine andere Sprache als die Muttersprache zu erlernen, versteht weder Griechisch noch Lateinisch. So führt Heine auf wild phantastischen Umwegen den Leser immer wieder zur Wirklichkeit seines Vaterlandes zurück.
Aristophanisch ist auch in dieser Hinsicht die Stelle, wo es regnet und wo gerufen wird: Sechsunddreißig Könige für einen Schirm! und die Stelle, wo man wieder unter Dach gekommen ist und es heißt: Sechsunddreißig Könige für einen Schlafrock!
Durchaus aristophanisch ist schließlich die ausgemerzte Stelle, wo der Vogel Hut-Hut darüber berichtet, wie Salomo und Balkis nach ihrem Tode einander Rätsel zu raten aufgeben:
Balkis, an welche die Frage gerichtet wird, sendet Geheimboten durch alle deutschen Reiche und Lände, um die Frage zu erforschen,|208| aber so oft sie Salomo den Fund eines ganz ungewöhnlichen Lumpen verkündet, lautet die Antwort:
Und es wird als eine Besonderheit Deutschlands entwickelt, daß, so oft man glaube dort den größten Lumpen entdeckt zu haben gleich ein noch größerer entstehe; kein Fortschritt sei so sicher wie derjenige des Lumpentums. Gestern noch erschien X. als der größte Lump; heute ist er nur noch ein Unterlümpchen im Vergleich N. N. Es ist ein Beweis dafür, wie reich Heine künstlerisch gewußt hat, daß er in der schließlichen Redaktion des Gedichtes dieses Mittel, seine Gegner, den einen nach dem andern auf heiterste Weise zu treffen, verschmäht hat.
In der rein litterarischen Satire findet sich endlich eine nicht geringe Ähnlichkeit zwischen dem Verfahren von Heine und Aristophanes. Ein Beispiel ist die Satire Über die schwäbische Dichterschule in »Atta Troll«: Die Katze in der Hütte der Hexe, die ein verwandelter Schwabendichter ist, wird wieder Mensch werden, sobald eine reine Jungfrau Gustav Pfizers Gedichte in der Sylvesternacht lesen könne ohne in Schlaf zu fallen. Ein anderes Beispiel ist die Satire ebendaselbst über die folgenden possierlichen Zeilen von Freiligraths »Mohrenfürst« mit ihrem gesuchten ungereimten Vergleich:
Es ist ein Gedicht von einem Negerkönig, der gefangen und nach Europa gebracht wird, in einem Zirkus trommeln muß, dabei an seine ehemalige Größe denkt und das Trommelfell so kräftig schlägt, daß es rasselnd zerspringt. Daß der schwarze Mann in der Zeltöffnung dem Monde, der durch Wolken hindurchscheint, gleichen solle, ist unleugbar komisch.
|209| Wie der Mond sich zwischen weißen Wolken zeigt, so hängt bei Heine die rote Zunge aus dem schwarzen Rachen des Bären heraus. Gegen den Schluß des Gedichtes trifft der Erzähler im Jardin des plantes einen Neger, der aus die Tiere aufpaßtz dieser offenbart sich ihm als der Freiligrathsche Negerkönig, welcher sich mit einer weißen Köchin aus dem Elsaß verheiratet hat, deren Füße ihn an die der Elefanten in seiner Heimat erinnern und deren Französisch seinen Ohren wie Negersprache klingt. Sie hat ihm so viel Gutes zu essen gegeben, daß er ein rundes Bäuchlein bekommen hat. Es schaut aus dem Hemde hervor wie ein schwarzer Mond, der aus den weißen Wolken tritt. .
Nicht am wenigsten spürt man schließlich etwas Aristophanisches in der rücksichtslosen und brutalen Satire über Platen im letzten Teile der Reisebilder. Ja sogar gewisse lustige Kniffe in dem litterarischen Streit find dem deutschen und dem griechischen Komiker gemein.
In den »Fröschen« paßt Äschylos während des Wettkampfes mit Euripides, den Aristophanes mit seinem Haß verfolgt, einen drolligen Refrain: »verdarb sein Lekytion« (d. h. seine Vershälfte oder feine Kruke) allem an, was Euripides von sich selbst citiert. In den »Reisebildern« rächt sich Heine an Platen dadurch, daß er Hyazinth abwechselnd die Worte »von vorn« und »von hinten« an die Verse Platens anhängen läßt, und unterwirft sie dadurch der boshaftesten Verdrehung.
Die aristophanische Komödie gleicht einem weiten Gewölbe mit Fresken in großem Stil bedeckt. Heines Komik ist im Vergleich damit das, was Fresken gegenüber sorgfältig ausgeführte Staffeleibilder sind. Es ist Licht und Platz in jenem griechischen Luftspiel, wie in Michel Angelos sixtinischer Kapelle: Alles ist hier wie in der Capelle sistina groß, geräumig, gewaltig, von einem Geiste geschaffen, der durch den lyrischen Sturm seiner Gefühle, durch die Kühnheit seiner Verkürzungen und die Macht seiner Alle|210|gorieen herkömmlichen Regeln trotzt. Nur daß die Welt Michel Angelos tragisch, wildfeierlich, während die Welt des Aristophanes dithyrambisch, eine Welt der Karikatur in dem Rahmen griechischer Lebensverhältnisse ist.
Mit Aristophanes verglichen ist Heine ein Privatmann, der für sich zu Hause lebt. Aristophanes bewegt sich in dem vollen Tages des Theaters mit Tausenden von Zuhörern um sich herum; Heine teilt sich von seinem Zimmer aus dem Publikum mit. Aber die Gessichte, die sich nur auf der Netzhaut seines Auges malen, haben ein glühenderes, heftigeres Leben als diejenigen, welche Aristophanes auf einer Bühne verkörperte. Seine Bestrebungen hatten nicht das rein lokale Gepräge, wie jene des griechischen Dichters. Er wendet sich da, wo er am höchsten steigt, an Millionen in seinem Volk und außerhalb desselben, ja an die Elite aller derer, die lesen können. Seine Lyrik ist persönlicher, innerlicher und nervöser als die irgend Griechen, wie seine Satire allgemeinen Ideen gewidmet ist, die für Aristophanes nicht existierten. Er ist nicht weniger witzig als griechischer Vorgänger, und er hat immer für politische Entwicklung und persönliche Freiheit gekämpft, während der Gegner von Euripides und Sokrates am häufigsten für eine Vorzeit focht, die unwiderruflich vorbei war und zu der er selbst am allerwenigste gehörte.
Du kan slå ord fra Brandes' tekst op i ordbogen. Aktivér "ordbog" i toppen af siden for at komme i gang.