Das junge Deutschland (1891)

|[144]| XIII

Das Buch Heines, welches in unseren Tagen das populäreste seiner Werke ist, und an welches sich sein Name besonders knüpft sein »Buch der Lieder« aus dem Jahre 1827, besteht aus gruppen aus verschiedenen Jahren und Perioden.

»Junge Leiden«, 1816——1821, ist als die erste Gruppe die schwächste. Sie zerfällt in mehrere Abteilungen, Traumbilder, Gesänge, Romanzen, Sonette. Der Inhalt ist: Kindheitserinnerungen aus Düsseldorf, süße Bilder aus glücklichen Kindertagen, Liebe zur Mutter, Napoleonskultus, viel katholische Rheinlandsromantik, Totentanz mit klappernden Knochen auf Kirchhösen und allerlei Traumgesichte. Hier erklingen scherzende Töne, drollige Klagen über die Geldverlegenheit, welche entsteht, wenn die Dukaten gar zu eilig verschwinden, und schrille Töne, deren Quelle Verzweiflung über Demütigungen ist, die der Dichter als beginnender, bald fallierter Kaufmann unter den Geldmännern in Hamburg erlitten hat. Hier finden sich aus der Studentenzeit Äußerungen voll lebhaften akademischen Freundschaftsgefühles und jugendlicher Begeisterung für den an der Universität wie in der Litteratur gleich hervorragenden A. W. Schlegel; demnächst deutsch-patriotische Ergüsse in dem Burschenstil, den Heine sehr schnell aufgiebt. Hier sind leidenschaftliche Ausdrücke für das Selbstgefühl des Genies, und Liebessorge und Klagen verschiedener Art, zuerst Liebessehnsucht in E. T. A Hoffmanns Manier mit Kirchhofsgreueln vermischt , ferner recht sentimentales Jammern über unerwiderte Liebe, endlich Ausbrüche wilder |145| Verzweiflung Über die Falsche, die ihm den Todesstoß gegeben, und die bei ihrer Hochzeit sein Blut trinkt und sein Herz verzehrt. In dem Gedicht »Die Fensterschau« schlägt die Stimmung ausnahmsweise in eine gewisse grobkörnige Lustigkeit über.

Die vorzüglichsten dieser Jugendgedichte, deren Form im ganzen altmodisch ist, sind: erstens jene berühmten epigrammatischen vier Zeilen, welche beginnen: »Anfangs wollt ich fast verzagen«, das früheste Beispiel der Gedrängtheit in Heines Stil, dann ein paar Sonette, die viel leidenschaftlicher sind, als es sonst deutsche Sonette zu sein pflegen, schließlich unter den Romanzen »Belsazar«, der wahrscheinlich Von Byrons hebräischen Melodieen beeinflußt ist, und das schon besprochene unvergleichliche Gedicht von den zwei Grenadieren.

Die folgende Abteilung, welche den sonderbaren Titel »Lyrisches Intermezzo« führt, weil sie nämlich im Jahre 1823 zum erstenmal als lyrisches Zwischenspiel zwischen den beiden schlechten Tragödien Almansor und Ratcliff erschien, behandelt denselben Stoff wie der erste Abschnitt, aber in eigentümlicheren Formen und auf freiere künstlerische Weise. Der Herausgeber des ursprünglichen Textes des »Buch der Lieder«, Ernst Elster, hat in der Einleitung dazu und ein junger Kritiker, Wilhelm Bölsche, in einem selbständigen Werke über Heine mit viel Scharfsinn nachgewiesen, daß wir hier nur selten eine direkte Ausströmung erlebter Liebessorgen vor uns haben, sondern eine Art von Erinnerungsextrakt. Meistens behandelt hier der Dichter seine alte Liebesqual ganz frei, ja er spielt wohl gar mit ihr; daher ab und an das Vers agen des Ausdruckes. Der Leser glaubt bisweilen nicht recht an den Ernst des Gefühles; er wird bedenklich diesen immer wiederkehrenden Versicherungen tötenden Kummers gegenüber, unter welchem das Leben doch beständig fortgeführt und die Kunst ununterbrochen geübt wird.

Es war aber ganz natürlich, daß Heine hier aufs neue zu der einen derselben Leidenschaft zurückkehrte, obschon sie inzwischen ohne frische Nahrung geblieben war. Er hatte keine spätere erlebt, die |146| sich in Stärke oder Bedeutung für sein Seelenleben mit ihr messen konnte. Sie war und blieb die wichtigste Begebenheit seines Daseins. Es scheint, als sei das Glück, welches diese Leidenschaft vormals ihm gebracht hatte, flüchtigster Art gewesen; als er das erste von seiner Liebe sang, verweilte er deshalb ausschließlich bei seinem Liebeskummer, dem Nichterwidertwerden der Gefühle, der Verlassenheit, dem Verrat, der kalten Grausamkeit der Geliebten. Jetzt, da er dieser Liebe freier gegenüberstand, teilt er ihre ganze wirklich oder umgedichtete Geschichte mit, vom ersten Tage an, wo sie zum Leben erwachte, bis zu der Stunde, wo er wie tot für die Geliebte war; und nicht genug, daß er den ganzen Lebenslauf des Gefühls bis zur Katastrophe hinzufügte, er verlieh dieser Leidenschaft noch grötzere Frische und größeren Reichtum, indem er jedes einzelne ihrer Momente mit einem Rahmen von Naturleben und Naturstimmungs umgab. In den Traumbildern herrschte immer Nacht. Hier herrscht das Knopfen, das Vogelgezwitscher und das Sternengeflimmer der Maienzeit vor.

Daß die ursprüngliche Zärtlichkeit, welche die Geliebte für den in diesen Gedichten Sprechenden genährt haben soll, nur hinzugedichtet ist, nicht mit den wirklichen Verhältnissen übereinstimmt, das verrät Heine unfreiwillig, wenn er zärtliche Szenen zwischen sich und der Geliebten ausmalt. Denn der Liebhaber ist dann nie befitzend, sondern selbst im Augenblick der Umarmung nur sehnsuchtsvoll:

Und wenn Dich mein Arm gewaltig umschließt,
Sterb' ich vor Liebessehnen

Dieser begünstigte Liebhaber, der, wenn sich die Flammen begegnen, vor Sehnsucht stirbt, verrät sich als ein in Wirklichkeit sehr unbefriedigter Bewerber.

Von den rein erostichen Gedichten sind daher diejenigen die vortrefflichten, welche Liebessensucht schildern, und diejenigen, welche wehmütige Auflösung eines Liebesverhältnisses ausdrücken. — Zwischen den zärtlichen und sensuchtsvollen Gedichten strahlt |147| besonders das anmutige morgenländische Gedicht »Auf Flügeln des Gesanges, Herzliebchen, trag ich Dich fort«, bestrickend durch den exotischen Charakter des geschilderten Indiens und durch die feine Innigkeit der Stimmung. Heine sehnte sich nach Indien wie Goethe nach Italien, er war an den Ufern des Ganges wie Goethe an den Ufern des Tiber geistig zu Hause. Wahrscheinlich hat Bopp durch seine Vorlesungen zuerst seinen Sinn für dies östliche Traumland erweckt; übrigens benutzt er zur Darstellung desselben den romantischen Märchenstil, welchen er als Erbteil übernahm und zum Gebrauch für seine Gemälde des Fernen und Lockenden nach seiner Individualität ausbildete.

Einfach schön ist eine Strophe wie die folgende:

Es hüpfen herbei und lauschen
Die frommen, klugen Gazell’n,
Und in der Ferne rauschen
Des heiligen Stromes Well’n.

Nimmt man dagegen eine Strophe wie diese:

Dort liegt ein rotblühender Garten
Im stillen Mondenschein,
Die Lotosblumen erwarten
Ihr trautes Schwesterlein —
so enthält sie, wie schön sie auch ist und so einschmeichelnd sie auch klingt, schon etwas von der Unnatur, die nicht selten dem Leser in Heines Naturgemälden begegnet. Das Kolorit ist stark, aber nicht gesehen, die Lokalfarben machen sich auf Kosten des Gesamttons geltend. »Rotblühend« ist kaum das rechte Wort, mit dem es natürlich erscheint, einen im Mondschein gesehenen Garten zu malen. Ungefähr mit demselben Effekt auf Kosten der natürlichen Wirkung heißt es später in dem gedichte »Abenddämmerung«: »Gegenüber am Fenster fatzen Rosengeschichter dämmernd und mondbeglängt.« Und die Wendung, daß die Lotosblumen in der Verliebten ihre liebe Schwester erwarten, ist ein etwas altmodisches französisches Kom|148|pliment inmitten des reichen Gangesbildes Ungefähr dieselbe Wendung kommt in der bekannten Strophe vor:

Es flüstern und sprechen die Blumen
Und schau’n mitleidig mich an:
Sei unsrer Schwester nicht böse,
Du trauriger, blasser Mann!

Es kommt hier ein Madrigalstil zum Vorschein, über den Heine in reiferen Jahren völlig hinauswächst.

Auch eine andere von den Strophen dieses so stimmungsvollen Gangesgedichts hat Eigentümlichkeiten, die auf Heines Herkunft von der romantischen Schule mit ihrer willkürlichen Naturauffassung zurückweisen:

Die Veilchen kichern und kosen
Und schau’n nach den Sternen empor.

Daß die Veilchen sich liebkosen, ist schon recht kühn. Das erinnert an die verzauberten Gärten Hans Christian Andersens, aber daß sie kichern, ist sicher zuviel des Guten. Das ist der Stil, den so viele Dezennien später Zola in der Schilderung seines Gartens Paradou anschlägt.

In demselben Geiste hat Heine das folgende Lied von der Lotosblume, die sich vor der Pracht der Sonne ängstigt, geschrieben; eine äußerst graziöse Dichtung, in aller Blumenunschuld sinnlich schmelzend wie wenige andere Poesieen. Hier ist die sinnlich-seelische Begierde fast ins Hysterische gesteigert, indem der Dichter sich nicht damit begnügt, den Lotoskelch blühen und glühen, leuchten, duften und zittern zu lassen, sondern ihn sogar weinen läßt, wenn sein Buhle, der Mond, die Blume mit seinen Strahlen erweckt.*

*) Man vergleiche W. Kirchbach: »Heines Dicterwerkstatt« in dem Magazin für die Litteratur. Jahrgang 57 Nr. 18, 19, 20.

Nächst diesen verlangenden Gedichten sind die aufgebenden, die das Hinsterben des Liebeslebens darstellen, die am tiefsten empfundenen. Das hervorragendste Beispiel ist das gedicht Nr. 59 des |149| Intermezzo, das in seiner ersten Strophe schildert, wie ein Stern, der Stern der Liebe, vom Himmel fällt, in der zweiten, wie die Blätter der Apfelblüten von den Bäumen fallen, und in der dritten, wie ein Schwan in sein Wellengrab hinabsinkt, bis alles sich in der Schlußstrophe sammelt:

Es ist so still und dunkel!
Verweht ist Blatt und Blüt,
Der Stern ist knisternd zerstoben
Verklungen ist das Schwanenlied.

Sehr bezeichnend für Heine ist es, daß, so stimmungsvoll das Gedicht auch ist, keines der drei Naturschauspiele, die vorgeführt werden, den Eindruck des Erlebten macht. Sie stehen da wie willkürlich verknüpfte Sinnbilder.

In diese Schwärmereien hinein hat er dann Gedichte ganz verschiedener Art gestreut, die sich um viel leichtere Liebesverhältnisse drehen. Die gewagteren unter ihnen hat er im »Buch der Lieder« fortgelassen, z. B. das folgende:

Du sollst mich liebend umschließen,
Geliebtes schönes Weib!
Umschling mich mit Armen und Füßen
Und mit dem geschmeidigen Leib!

Andere hat er beibehalten, so z. B. »Die Welt ist dumm, die Welt ist blind« mit der Ausmalung der Weichheit der Arme und des Brandes der Küsse. Aber es finden sich auch andere epigrammatische Strophen von ernstem, leidenschaftlichem Charakter, wie z.B. die bekannte: »Ich hab Dich geliebet und liebe Dich noch.« Endlich hat Heine hier mit einer freiwillig, dem Effekte zulieb, gesuchten Trivialität in der Wahl der Worte das Lebensschicksal, das ihn zum erotischen Dichter machte, verallgemeinert. So besonders in dem gegen die Gewohnheit Heines völlig generalisierenden Gedichte, das so berühmt geworden ist: »Ein Jüngling liebt ein Mädchen.«

Desem Abschnitte folgt die Sammlung »Heimkehr«, geschrieben |150| 1823-1824 in Hamburg und Cuxhaven. Das Wort Heimkehr deutet das Wiedersehen von Hamburg, wo der Liebesroman des Dichters sich zugetragen hatte, und wo beim Anblick all der bekannten Ortlichkeiten seine Herzenswunden von neuem aufsprangen. An dieses vorherrschende Thema der Sammlung schließt sich ein anderes an, der erste Anblick des bis dahin noch nicht in der· deutschen Poesie besungenen Meeres.

Hier vermischen sich nun mit den Klagen über die Verlorene, die durch die Umgebung, worin jene alte Tragödie gespielt hat, hervorgerufen werden, neue Eindrücke und neue Bilder. Zuerst quilt die frühere Leidenschaft mit Gewalt wieder hervor; er brütet der alten Qual, es ist ihm unbehaglich zu Mute in der Stadt, wo es ihm vorkommt, als fielen ihm die Häuser auf den Kopf, und noch mehr in den Sälen, wo sie ihm Treue versprochen. Das Neue in diesen Liedern von unglücklicher Liebe ist der immer gleich heftige und wilde Haß, der über dem Grabe des Liebesglückes aufflammt.

Auf der Reise hat der Dichter die Verwandten der Geliebten getroffen; die jüngere Schwester gleicht ihr genau, besonders wenn sie lacht, sie hat dieselben Augen, die ihn so unglücklich gemacht haben. In einem Briefe vom 23.August 1823 teilt er seinen besten Freunde mit, daß eine neue »Thorheit auf die al pfropft ist«. Es ist Ernst Elfter gelungen, durch sorgfältiges Studium der Briefe und Gedichte nachzuweisen, wie bei Heinrich Heine ganz unverkennbar eine Leidenschaft für die acht Jahre jüngere Schwester Amalias, Therese, um diese Zeit jene erste Liebe ablöst, die einen so unbefriedigenden Ausgang gehabt hatte. Heftig ist die neue Leidenschaft gewesen, sie blieb jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach fast ebenso unerwidert wie die erste Jugendpassion. Deshalb die bekannten Seilen:

Wer zum erstenmale liebt,
Sei's auch glücklos, ist ein Gott;
Aber wer zum zweitenmale
Glücklos liebt, der ist ein Narr.

|151| Im Jahre 1828 verlobte und verheiratete Therese Heine sich mit einem Dr. jur. Halle; man hat unter Heines nachgelassenen Gedichten beihende Spottreime auf den Bräutigam und die Hochzeit vorgefunden. Er hatte die unritterliche Poeteneigenschaft, sich durch Spott zu rächen, wenn er abgewiesen worden. Aber die Gedichte in »Heimkehr« enthalten, wo auf Therese angespielt wird, nichts von der Bitterkeit und dem Haß, welcher bei Heine der älteren Schwester gegenüber so häufig hervortritt. Er preist die Schönheit Theresens, ihre entzückenden Augen, ihre Reinheit: sie ist wie eine Blume, er betet zu ihr wie andere zu Paul und Peter oder zur Madonna; und er kämpft gegen seine Gefühle, erschrickt vor dieser neuen Liebe. Sowohl Stolz wie Scheu verbieten ihm, sich zu erklären; es wäre sogar für sie am besten, wenn sie ihn nicht liebte; er hat bisweilen selbst gesucht, das Aufkeimen der Liebe in ihrer Seele zu verhindern, aber jetzt, wo es ihm so leicht gelungen, drängt sich der Wunsch nach ihrer Liebe doch wieder hervor. Er ist zu stolz, von seiner Liebe und seiner Qual zu reden, er scherzt und spottet, während er innerlich verblutet, aber sie versteht ihn nicht, sieht nicht, daß sein Herz zittert und bricht. Daher die Verse:

O dieser Mund ist gar zu stolz,
Und kann nur küssen und scherzen;
Er spräche Vielleicht ein höhnisch Wort,
Während ich sterbe vor Schmerzen.

Aber das Drohen mit dem Tode ist diesmal nicht buchstäblich gemeint. Denn in einem anderen Gedichte heißt es aufrichtig:

Glaub nicht, daß ich mich erschieße,
Wie schlimm auch die Sachen steh’n!
Das alles, meine Süße,
Ist mir schon einmal gescheh'n.

Und doch hat er auch dies Mal tief gefühlt und viel gelitten. So sonderbar es klingt, die Kousinenliebe, dieses in der Regel erstee und schnell vorübergehende Stadium auf der Bahn, |152| diese bloße Einleitung zum eigentlich erotischen Leben,*

*)
Aux prés de l'enfance on ceuille
Les petites amourettes
Qu'on jette au vent feuille à feuille
Ainsi que des pâguerettes,
On ceuille dans ces praires
Les voisines, les cousines,
Les amourettes fleuries
Et qui n'ont pas de racines.
Richepin[0001]
ist die einzige ernste und nicht ganz flüchtige Leidenschaft, die der junge Heine gekannt hat. Und selbst in den Jahren seiner Mannheit erreichte kein späteres Gefühl auch nur annähernd die Kraft dieser jugendlichen Doppelpassion für zwei Schwestern, von welchen der Typus der zweiten ihm den der ersten aufs neue, vergegenwärtigte.

Unter den gefühlvollen Poesieen, die sich aus dieses Stück Seelengeschichte beziehen, hat Heine dann hier wie im Intermezzo kleine Gedichte von Liebeleien weniger ernsten Charakters eingeflochten, Abenteuer aus den Universitätsstädten, die er besucht hatte, ja sogar Verse über ganz platte und bezahlte erotische Freuden. Aus dem »Buch der Lieder« ließ er mehrere der anstößigeren aus, die anfänglich ihren Platz in »Heimkehr« gefunden hatten, so amusante, aber freche:

Blamier mich nicht, mein schönes Kind,
Und griiß mich nicht Unter den Linden;
Wenn wir nachher zu Hause sind,
Wird sich schon alles finden.

— ja, sogar solche muntere und übermütige Reime wie die folgenden:

Himmlisch war’s, wenn ich bezwang
Meine sündige Begier;
Aber wenn mir’s nicht gelang,
Hatt ich dennoch viel Pläsier.

Am meisten in dieser Abteilung hervortretend ist die Doppeltbegabung für Singen und Malen. Außer seinem Talent zum lyri|153|schen Erguß, der trotz seiner gemischten Leidenschaftlichkeit wie der ungekünstelte Schrei des Herzens eines modernen Menschen wirkt, legt er hier eine ganz eigenartige malerische Fähigkeit an den Tag, gestaltenbildend mit Licht und Schatten und Farbe ohne Konturen.

Da ist die Szene in dem stillen Pfarrhause mit der in Streit aufgelösten verzweifelnden Familie (»Der bleiche herbstliche Halbmond«). Der Sohn will Straßenräuber werden, die Tochter sich dem Grafen verkaufen. So lebhaft diese Szene auch dargestellt ist, so gehört sie doch nicht zu den besten; es liegt zuviel altmodische Romantik in dem Einfall, den toten Vater im schwarzen Predigergewand vor dem Fenster stehen, daran pochen zu lassen. Ganz meisterlich ist dagegen das nächste Gedicht (»Das ist ein schlechtes Wetter«), in welchem das alte Mütterchen am Abend spät im Dunkeln während eines Gewitters mit der Laterne über die Straße wankt, um für ihre große schöne Tochter einzukaufen, die zu Hause schläfrig im Lehnstuhle liegt, während die goldnen Locken über das süße Gesicht wallen — es wirkt wie ein altes niederländisches Gemälde.

Doch noch schöner ist die Gruppe von acht Gedichten, die während des Aufenthaltes in Cuxhaven entstanden sind. »Wir saßen am Fischerhause« ist ein kleines Wunder künstlerischer Kraft; in dem Gespräch mit den Mädchen vor der Fischerhütte werden das ferne Indien und das äußerste Thule mit ganz wenig Worten gemalt. Am Ganges duftet und leuchtet es; Riesenbäume blühen, schöne stille Menschen knieen vor Lotosblumen; in Lappland sind schmutzige Leute, klein, mit platten Köpfen und breiten Mäulern u.s.w.

Dann giebt es lustige Gedichte von losen Mädchen, wie jenem, das er in der ganzen Stadt sucht und in einem Prachthotel findet, oder wie von jenem anderen Mädchen, in dessen Herzen blaue Husaren in Einquartierung liegen.

Endlich finden sich da einzelne epigrammatische Verse, die hetzutage alle Menschen auswendig wissen, die aber böses Blut gegen Heine gemacht haben. So besonders die berühmte Strophe:

|154| Selten habt Ihr mich verstanden,
Selten auch verstand ich Euch,
Nur wenn wir im Kot uns fanden,
So verstanden wir uns gleich.

Es ist kaum begreiflich, daß man jemals in diesen Versen ein Geständnis schmutziger Instinkte hat sehen können. Sie geben nur denen einen Hieb, die sich sogleich zu jeder anzüglichen schlüpfrigen Stelle eines Buches wie die Sau zur Pfütze gezogen fühlen und dabei verweilen. Daß Heine hier nicht an das Zugeständnis denkt, er habe an die sinnlichen Triebe oder cynischen Neigungen des Lesers appellieren wollen, das zeigt, wie Bölsche richtig nachgewiesen hat, das folgende Gedicht, das sich unmittelbar an diese Zeilen anschließt und so beginnt:

Doch die Kastraten klagten,
Als ich meine Stimme erhob;
Sie klagten und sie sagten,
Ich sänge viel zu grob.

Er konnte nicht unzweideutiger behaupten, daß er, wo er derb oder cynisch gesprochen, nur seinem modernen Hang zur Wirklichkeitstreue, seinem Unwillen gegen romantisierende Ausschmüchung seinem unwillkürlichen Trieb, der einschneidenden Lebenswahrheit sich zu nähern, gehorcht habe.

Nicht mehr moralische Berechtigung hat die gewöhnliche Klage über die sogenannte Gemeinheit des Gedankensprungs vom Erhabenen zum Niedrigen in Heines Gedichten (Julian Schmidt). Ein typisches Beispiel dieses Umschlagens in Stil und Stimmung ist das Gedicht »Der Friede« aus der Gruppe der Nordseepoesieen, in welchem Heine Jesus als Friedensfürsten sieht, wie er während Meeresstille riesengroß im weißen wallenden Gewand über Land und Meer schreitet. Sein Haupt ragt in den Himmel; als Herz trägt er in den Brust die rote, flammende Sonne, und sein Sonnenherz sendet leuchtende, wärmende Strahlen über Land und Meer. Dann wird die Stimmung durch plötzlich auftauchende Erinne|155|rung an einen elenden, heuchlerischen Stümper in Berlin unterbrochen. Es ist einer, der schwach an Kopf und Lenden, nur stark im Glauben ist — was würde der nicht dafür geben, ähnliche Bilder erfinden und sich damit zum Hofrat hinauf frömmeln zu können in der frommen Stadt an der Spree — wie würde er dann von Gehaltszulage träumen!

Gewiß hat Heine hier seinen Lesern die schöne Vision verdorben. Er hat sein Gedicht zerschlagen, seine Melodie durch grimassierende Disharmonieen gesprengt; aber dennoch versteht man recht wohl, wie das erste Gesicht bei einem Dichter mit den Erfahrungen des modernen Lebens ungekünstelt das andere hervorgerufen hat, und jedenfalls ist es unberechtigt, von dieser Ideenverbindung, von diesem »Gedankensprung« als Symptom niedriger Gesinnung zu reden. Treffend hat Bölsche über diesen Punkt bemerkt, daß niemand Goethe niedriger Gesinnung deswegen beschuldigt hat, weil bei ihm Unmittelbar auf Fausts Glaubensbekenntnis an Gretchen die Spöttereien Mephistos folgen.*

*) Bölsche, Heinrich Heine. S. 106
Und doch ist der Unterschied nur der, daß die Schwärmerei und der Cynismus hier zwei verschiedenen Personen in den Mund gelegt sind, während in dem lyrischen Gedichte der Poet die Verantwortung für beides direkt übernimmt.

Am Ende dieses Cyklus kommen ein paar ungemein tief empfundene und vollendete Gedichte vor, die schon durch die bei Heine ungewöhnliche Stellung der Reime sich aus der Menge der kleineren Lieder ausscheiden. Das eine, »Dämmernd liegt der Sommerabend«, schildert das schöne Elfenmädchen, das sich beim Mondenschein im Bache badet, und ist hingehaucht und duftig wie eine Landschaft von Corot. Das andere steht schon durch die rhythmische Behandlung unter den Gedichten in »Heimkehr« allein. Es ist das folgende seelenvoll phantastisch Gedicht:

|156| Der Tod, das ist die kühle Nacht,
Das Leben ist der schwüle Tag,
Es dunkelt schon, mich schläfert,
Der Tag hat mich müd' gemacht.
Über mein Bett erhebt sich ein Baum,
Drin singt die junge Nachtigall,
Sie singt vor lauter Liebe,
Ich hör es sogar im Traum.

Die »Harzreise«, die folgende Abteilung (1824), enthält die schönen Bergmannsgedichte, die auf einer Fußwanderung, durch welche Heine nach den juridischen Studien in Göttingen Erfrischung suchte, entstanden sind. Hier finden sich anmutige Bilder von Bergegenden und von Bergmanns-Interieurs und eine mit reizenden Übermut durchgeführte, geistvolle und kecke Selbstlobsstimmung. Das schöne, witzige Gedicht von den Rittern vom heiligen Geist hat sich zwar aus dem Motiv der Katechisationsszene in Faust entfaltet aber es besitzt dennoch eine Originalität, die es, so weit die Zivilisation gedrungen, populär gemacht hat.

Dann schließt das »Buch der Lieder« mit den Nordseegedichten, nach einem zweifachen Aufenthalt auf Norderney in starken, freien Rhythmen (1825—26) geschrieben. Es findet sich in ihnen vor allem ein Naturgefühl, das für die deutsche Poesie eine neue Eroberung bezeichnete

Im Verhältnis zur Natur schien Goethe alles erschöpft zu haben. Seine Liebe zu allem Leben, sein Verwandtschaftsgefühl mit Thieren und Pflanzen, seine Empfindung der Wesensgleichkeit des Menschen mit den anderen Geschöpfen der Natur und Anschauung der Einheit des Alls unter verschiedenen Formen in ewigem Wechsel — diese Gabe, die Natur ganz in Gefühl aufzulösen war seine erste Eigentümlichkeit. Sie wurde bald abgelöst oder ergänzt durch seine Fähigkeit, Naturszenen zu beobachten, ohne ihnen die eignen Gefühle unterzuschieben. Er studiert die Natur, wird Beobachter und Forscher, und seine stets tiefergehende |157| Anschauung, sein genialer Blick macht ihn auf zwei Hauptgebieten zum epochemachenden Entdecker. Wir sehen ihn alle Stadien einer großen Seele der Natur gegenüber durchlaufen, das empfindsame, das religiös-pantheistische und dasjenige der dichterisch-wissenschaftlichen Anschauung, zuletzt sich so stark an den sinnlichen Eindruck klammernd, daß er mit aller Macht das Seelische als störend zurückdrängt

Seine Anschauungsweise wird immer mehr positiv und wirklichkeitsliebend. »Ich fürchte den Vorwurf nicht,« sagt er in seiner Abhandlung über den Granit, »daß es ein Geist des Widerspruches sein müsse, der mich von Betrachtung und Schilderung des menschlichen Herzens des jüngsten, mannigfaltigsten, beweglichsten, veränderlichsten, erschütterlichsten Teiles der Schöpfung zu der Beobachtung des ältesten, festesten, tiefsten, unerschütterlichsten Sohnes der Natur geführt hat.« Goethes Werke. Dreiunddreißiger Band S. CLXIV. Er meint den Granit.

Nach welcher Richtung hin war es für einen deutschen Dichter noch möglich, geniales Naturgefühl an den Tag zu legen? Vom menschlichen Herzen bis zum Granit hatte Goethe alles umspannt.

Nur ein einziges Gebiet war übrig geblieben. Goethe hatte niemals das Meer besungen. Als fast Vierzigjähriger sah er es in Venedig zum erstenmal. Es war auf dem Lido. »Ich hörte,« schreibt er, »ein starkes Geräusch; es war das Meer, und ich sah es bald, es ging hoch gegen das Ufer, indem es sich zurückzog, es war um Mittagszeit der Ebbe. So habe ich denn auch das Meer mit Augen gesehen.« Und weiterhin steht der kurze Satz: »Das Meer ist doch ein großer Anblick.« Das ist alles, was von Goethes Hand über das Meer vorliegt.

In Heines Nordseegedichten braust zum erstenmale in der Nordseegedichten braust zum erstenmale in der deutschen Poesie das Meer mit seiner Frische und seiner Gewalt. In ihnen finden sich zum erstenmale Muscheln im Sande und |158| Möven in der Luft. Das Meer wird gemalt in Sturm und Stille, geschildert vom Strand und vom Schiffe aus, bei Tag und bei Nacht, mit dem Frieden, der darüber ausgebreitet liegen kann, und in Gewitterwut, mit den schönen Träumen und mit der Seekrankheit, die es verursacht; aus der Tiefe des Meeres steigen, über seiner Oberfläche schweben Kreise mythischer Gestalten, alte und neue, alte, die zu neuen umgeformt werden, eine bisweilen pathetische, häufiger burleske Welt von Göttern und Göttinnen, Tritonen und Okeaniden. Und doch ist verhältnismäßig wenig Schilderung darin. Die eigenen Erinnerungen, die eigenen Sorgen und Hoffnungen des Dichters sind der Stoff dieser Gedichte. Die tiefe Sehnsucht danach, frei aufatmen zu können, ist es, welche den berühmten Ausruf wiederholt, womit einst zehntausend Griechen nach dem langen, schrecklichen Marsch das Element ihrer Heimat begrüßten: »Thalatta! Thalatta!« oder wie Heine es umschreibt: »Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer!«

Es befinden sich unter diesen Gedichten Heines einige seiner schönsten und unvergeszlichstem: zuerst die humoristisch-frivole Idylle »Die Nacht am Strande«, des Dichters Besuch bei der schönen Fischertochter, mit dem meisterlichen Bilde ihrer Gestalt, wie sie vornübergebeugt an dem Feuer sitzt,

Daß die flackernd roten Lichter
Zauberlieblich wiederstrahlen
Auf das glühende Antlitz,
Auf die zarte, weiße Schulter,
Die rührend hervorlauscht
Aus dem groben, grauen Hemde,
Und auf die kleine, sorgsame Hand,
Die das Unterröckchen fester bindet
Um die seine Hüfte.

Demnächst das durch lyrischen Schwung alleinstehende Gedicht »Erklärung« an jene Agnes, deren Namen der Dichter mit einer feuergetränken Riesenfeder an die dunkle Himmelsdecke schreiben will, schließlich das in seiner bündigen Kürze bewunderungs|159|würdige Gedankenpoem »Fragen«, welches einen Begriff von der Stimmung giebt, in welcher Heine den allzudreisten Vorsatz faßte, nach Goethe einen »Faust« zu schreiben, einen Plan, den er sich sogar erkühnte, dem großen Greise selbst während seines Besuches in Weimar mitzuteilen. In einzelnen dieser Nordseegedichte, auch in den selbstverkleinernden oder selbstverspottenden, herrscht eine Selbstgefälligkeit, die abstoßend wirkt. Unter denen, welche ganz frei davon sind, ist das meisterliche, rein humoristische Gedicht »Im Hafen« zu nennen, die unsterbliche Phantasie vom Ratskeller zu Bremen, worin der fast zur Totalenthaltsamkeit nüchterne Heine das entzückendste Bild von dem heiteren Rausch eines genialen Menschen gegeben hat.

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