Das junge Deutschland (1891)

|[136]| XII

Das wahrscheinliche Datum für Heinrich Heines Geburt der 18. Dezember 1797. Sein Vater, Samson Heine aus Hannover, hatte in seiner Jugend als Proviantmeister mit Offiziersrang unter dem Prinzen Ernst von Cumberland den Feldzug in Flandern und Brabant mitgemacht, aber nach seiner Verheiratung mit Peira (Betty) van Geldern sich als Kaufmann in Düsseldorf niedergelassen. Er war ein hübscher, ruhiger, gravitätischer Mann, mäßig begabt, auch nur ein mittelmäßiger Kaufmann, ohne Verständnis für Kunst und Poesie, aber mit einer kindischen Liebe für Uniformen und voll nobler Passionen für Spiel, Theaterdamen, Hunde und Pferde. Er soll zwölf Pferde mit sich geführt haben, als er Düsfeldorf zog. — Die Mutter hatte eine gute Erziehung genossen und sprach Französisch und Englisch fast so fließend wie Deutsch; sie war verständig, seelenvoll, musikalisch, eine Schülerin Rousseaus, dessen »Emil« sie studiert hatte, eine Bewundrerin von Goethe, zeitig auf dem Posten gegen Vorurteil und Konvenienz, und im Kontrast zum Vater, der zu Napoleon hinaussah, eine glühende Patriotin. Erziehen war ihre Lieblingsbeschäftigung, und sie unterrichtete mit großer Umsicht und Geduld ihre Kinder. Das Elternpaar war in religiöser Hinsicht freisinnig, der Vater indifferent, die Mutter Deistin, doch ließen sie ihre Kinder das altjüdische Zeremoniell beobachten

Nach kurzem Besuch einer jüdischen Kinderschule, in welcher vielleicht der Grund zu der Bibelkenntnis gelegt wurde, welche so |137| häufig in Heinrich Heines Schriften hervortritt, wurde der Knabe in eine katholische, von französischen Geistlichen, zumeist Jesuiten, geleitete Unterrichtsanstalt geschickt, welche in einem früheren Franziskanerkloster eingerichtet worden war, deren Lehrer aber trotz ihres geistlichen Standes auch weltlich gebildete Leute waren. Daheim hatte er eine glückliche Jugendzeit verlebt; er fand auch in der Schule Freunde und Beschützer, die sich seiner annahmen, sobald er infolge seiner Konfession oder seiner Spottlust mit Belastigungen bedroht wurde.

Der am frühesten ausfallende Zug bei dem zukünftigen Dichter ist eine immer zunehmende Nervosität, die sich dadurch äußerte, daß ihm aller Lärm verhaßt und peinlich war. Sogar eine schöne klangvolle Stimme, wie die seiner Schwester, geschweige denn Klavierspiel und laute Rede, wirkten auf ihn wie Schreien und Lärmen. Und so scharf wie sein Gehör war sein Geruch. Tabaksrauch war frühzeitig ihm, wie Goethe, ein Greuel. Für Musik hatte er keinen Sinn, und tanzen lernte er nie. Fünfzehn Jahre alt sing er an gute Verse zu schreiben.

Das Rheinland mit seiner Lebenslust, aber auch mit seinem Aberglauben, seinen Sagen und Legenden; der katholische Kultus mit seinen mittelalterlichen Gebäuden, Zeremonieen und Wallfahrten, über welche die herrschende romantische Poesie ihren verklärenden Schimmer warf — die Eindrücke, hervorgerufen durch die israelitische Abstammung, durch die Poesie der Bibel und durch die während der Unterdrückung erzeugte Freiheitssehnsucht und Selbstironie der zeitgenössischen Juden — die Schwärmerei für die Franzosen und Napoleon auf der einen und der gleich darauf folgenden Beeinflussung durch die patriotische Erweckung Deutschlands auf der andern Seite, welche netztere alle Primaner der Schule, darunter Heine, dazu brachte, sich — meistens ohne Erfolg — als Freiwillige während des Freiheitskrieges im Jahre 1813 zu melden: alle dise äußeren Verhältnisse und seelischen Ereignisse formten|138| und prägten das Gemüt des Knaben. Er las am liebster großen Humoristen wie Cervantes und Swift. »Don Quichote« und »Gullivers Reisen« waren seine Lieblingsbücher.

In seinem sechzehnten Jahre fühlte er eine erste romantische Liebe für Josepha, die ebenfalls sechzehn Jahre alte Tochter eines Scharfrichters, welche bei ihrer in der ganzen Umgegend gemiedenen und gefürchteten Tante wohnte, deren Mann auch Scharfrichte wesen war. Heine hat das junge Mädchen als seltsam und bleich mit rhythmisch edlen Bewegungen beschrieben; ein seingeschnittenes Gesicht mit großen dunklen Augen und blutrotem Haar. Sie kannte viele Volkslieder und lehrte sie ihn; sie war nach seiner eigenen Aussage die erste, die seinen Sinn für Volkspoesie erweckte sie übte überhaupt durch die Schönheit, die sie umstrahlte, und durch das Unheimliche und Schaudererregende ihrer Umgebung einen nicht geringen Einfluß auf den werdenden Dichter aus. Man spürt in Heines ersten Gedichten eine Vorliebe für Todesund Grabesgedanken, welche von diesem zärtlichen Verhältnis zwischen den beiden Kindern herzustammen scheint. In Heines »Traumbildern« Nr. 6 scheint die Unseligkeit, für welche die Hingabe des im Traum geoffenbarten jungen Weibes allein erkaust werden kann, die Unehre zu symbolisieren, welche an dem ganzen Geschlechte des Scharfrichters hing, und welche wie ein Fluch auf jeden wirkte, der in Verbindung mit ihm trat.

Vom Jahre 1816 an wird das Bild Josephas in Heines Seele durch dasjenige eines anderen jungen Mädchens verdrängt. Die Eltern hatten Harry (so lautete sein Vorname eigentlich) für den Kaufmannsstand bestimmt; die glänzende Bahn der Rothsschilds hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht. Man sandte den Sohn zuerst in eine Handelsschule nach Düsseldorf, dann auf ein paar Monate zu einem Bankier in Frankfurt, und demnächst ward er auf einem Kontor in Hamburg untergebracht, wo sein Onkel, der bekannte Salomon Heine, sich zu einem Matador in der Handels|139|welt aufgeschwungen hatte. Mit Hilfe des reichen Onkels, von welchem der Bruderssohn sein Lebelang abhängig blieb, eröffnete dieser im Jahre 1818 unter der Firma »Harry Heine und Co.« in Hamburg ein Kommissionsgeschäft in englischen Manufakturwaren, welches, wie es nicht anders zu erwarten war, schon im folgenden Frühjahre seine Zahlungen einstellen mußte. Im Hause des Onkels fand Heine inzwischen nicht nur den mürrischen Wohlthäter, der trotz seiner Güte ihn nie verstand und sich immer über ihn ärgerte, sondern in der dritten Tochter desselben, Amalie Heine, das Mädchen, welches das Schicksal seiner Jugend wurde, und das er unter zahllosen Namen (Marie, Zuleima, Molly, Eveline, Ottilie und anderen) besungen und verwünscht hat. Ihren Reiz zu schildern wird er nie müde, sie strahlt im Glanze der Schönheit, wie die Wellenschaumgeborene; ihre Augen, Lippen und Wangen gleichen dem Madonnenbilde im Kölner Dom, ihre Augen sind Veilchen, ihre Hände Lilien u. s. w.; aber es scheint, daß sie ihn nie geliebt hat. Er hegte indessen die Hoffnung, sie mit der Zeit gewinnen zu können, das eine oder das andere Zeichen von Wohlwollen hat er vielleicht auch empfangen; so viel scheint aus seinen Gedichten klar hervorzugehen, daß ihre Verheiratung mit einem andern, einem Gutsbesitzer aus Königsberg, im Jahre 1821 ihn wie ein Schlag traf und allmählich von ihm als ein unverzeihlicher Verrat betrachtet wurde.

Neue Hilfe des Onkels setzte Heine in den Stand, die Universität zu beziehen, da er sich für die ihm im höchsten Grade widerwärtige kaufmännische Wirksamkeit so ungeeignet gezeigt hatte. Nachdem er die Judenfehde in Hamburg ums Jahr 1819 miterlebt, reiste Heine über Düsseldorf nach Bonn, um dort Rechtswissenschaft zu studieren und sich den Grad eines Doktor juris, dessen Erlangung der Onkel von ihm gefordert hatte, zu erweben.

Die Universität zu Bonn, die viele Jahre lang unter dem französichen Regimente geschlossen gewesen, war vor kurzem von neuem eröffnet worden; sie hatte eine Reihe vortreffischer Pro|140|fessoren. Da aber eben gleichzeitig die Verfolgung der Burschenschaften und aller nationaler Bewegungen innerhalb der Studentenwelt infolge der Karlsbader Beschlüsse begann, wurde Heine gleich bei seiner Ankunft wegen eines Studentenfestes am Jahrestage der Schlacht bei Leipzig in Verhör genommen und in einen kleinischen und erfolglosen politischen Prozeß verwickelt, der nichts anderes konnte, als seinen persönlichsten Abscheu vor der hereinbrechen Reaktion zu erwecken. Das Zeugnis, welches er bei dem Maturitätsexamen an der Universität im Jahre 1819 empfing, besagte, daß er kein Griechisch gelernt, geringe Einsicht und Übung im Latein und nicht im stande gewesen sei, sich der Prüfung in der Mathematik zu unterwerfen, aber daß er »nicht ohne alle Kenntnisse in der Geschichte sei«, und daß seine deutsche Arbeit, wiewohl auf wunderliche Weise abgefaßt, »den Beweis eines guten Bestrebens liefere«.

Der junge Student in der Samtjacke, mit Spitzenmanschetten und gebrannten Strichen, befleißigte sich in Kleidung und Auftreten einer nachlässigen Eleganz. Er war von Mittelgröße und trug sein rotbraunes Haar ziemlich lang um das bartlose Gesicht; er hatte regelmäßige Züge, eine fast griechische Nase, blaue Augen, einen großen ausdrucksvollen Mund, dessen Lippen sich häufig zu kalten spöttischen Lächeln verzogen, das so häufig in seinen Gedichten vorkommt, endlich ungewöhnlich schöne weiße Hände.

Er hörte Vorlesungen über die Geschichte der deutschen Sprache, über die Germania des Tacitus, über das Nibelungenlied, überhaupt teils litteratur- und kulturhistorische Vorträge, teils rein juridische Vorlesungen über römisches Recht und deutsches Staatsrecht. Von den Professoren übte das Haupt der romantischen Schule, A. W. Schlegel, einen entschiedenen Einfluß auf den werdenden Dichter aus, der ihm seine Verse vorlegte und zu dieser Zeit seine erste Tragödie »Almansor« schrieb.

Gegen Schluß des Jahres 1820 fiedelte Heine von Bonn nach der Universität Göttingen mit guten Vorsätzen juristischen Fleißes |141| über; die Stadt gefiel ihm jedoch, wie seine »Harzreise« genügend bezeugt, gar wenig, und als er nach einem Aufenthalt von wenigen Monaten wegen eines unbedeutenden Streites mit einem andern Studenten das Consilium abeundi erhielt, reiste er 1821 nach Berlin. In das Haus Varnhagens eingeführt, den geistigen Mittelpunkt der Stadt, wo Rahel die Aristokratie der Bildung, des Talentes und des Blutes um sich herum versammelte, lernte er bald die Blüte der besten Berliner Gesellschaft kennen. In Lutter und Wegeners noch existierender Weinstube in der Behrenstraße traf er abends mit den guten Köpfen und genialen Zigeunern der damaligen Zeit zusammen, unter denen sich Männer wie E. T. A. Hoffmann und Grabbe fanden. Und hier gelang es ihm nach mehreren vergeblichen Versuchen einen Verleger zu finden, der sich willig erklärte, seine erste Gedichtsammlung herauszugeben und mit vierzig Freiexemplaren zu honorieren. Sie erschien im Dezember 1821, machte seinen Namen bekannt, fast berühmt, und schon diese erste Sammlung rief sowohl Nachahmungen wie Parodieen hervor.

Heine hörte an der Universität die ausgezeichnetsten zeitgenössischen Gelehrten: Hegel, den er mit Leidenschaft verehrte, Bopp, den Sanskritisten, und Wolff, den klassischen Philologen, auch den Juristen Eduard Gans. In jugendlichem Eifer ließ er sich mit einem Kreis von Männern ein, die eine Reform des Judentums erstrebten und sich bemühten, ihre Glaubensgenossen in die europäische Kultur einzuweihen. Mit nicht weniger jugendlichen Erbitterung griff er in »Almansor« die abgefallenen Juden, welche die gemeinsame Sache ausgaben, und indirekt unter dem fremden Kostüm das Christentum an, das er als feindliche Macht betrachtete. Die Tragödie erschien — gleichzeitig mit der zweiten Anfängerarbeit »William Ratcliff« — im Jahre 1823, wurde aufgeführt, fiel aber infolge zum Teil des Rassenhasses gegen den Autor, durch.*

*) G. Karpeles, Biographie Heinrich Heines, 1885

|142| Der Aufenthalt in Berlin zeigte sich nicht fördernd für Heines Brotstudium. Er hatte sich schon in Hamburg an ein recht leichtfertiges Leben gewöhnt, und er setzte es hier fort. Um sich zu sammeln, reiste er 1823 nach Lüneburg zu seinen Eltern, von dort nach Hamburg und aufs neue nach Göttingen, wo er im Jahre 1825 für den juridischen Doktorgrad disputierte. Gleich darauf ließ er sich taufen. Er wechselte die Religion, nicht aus Überzeugung von der Wahrheit des Christentums, im Gegenteil voll Abneigung gegen die Staatsreligion und voll Scham über den Schritt, den er unternahm; er wollte aber den Versuch machen, sich der demütigenden und drückenden Abhängigkeit von seinem Onkel zu entziehen, und konnte unter keiner anderen Bedingung Einnahmen, Lebensstellung oder ein Amt erlangen. Man findet seine Stimmung in jenen Tagen in dem mit Unrecht mit Lob überschütteten Bruchstücke »Der Rabbi von Bacharach« ausgedrückt, das nur in Einzelheiten lebhaft und künstlerisch erzählt, in Wirklichkeit Heines Mangel an Befähigung, einen historischen Roman zu schreiben, darthut, das jedoch in seinem Schluß durchs die Selbstschilderung, welche der Dichter hier unter fremder Maske gegeben hat, sein Schamgefühl darüber verrät nominell zu einer Glaubensgemeinschaft übergetreten zu sein, die für ihn das feindliche Lager war.

Im Briefwechsel zwischen Varnhagen und Rahel findet man ab und zu malende Worte über Heines Person und Wesen zu jener Zeit. Merkwürdigerweise citiert Varnhagen gleich das erste Mal, wo er »unseren kleinen Heine« erwähnt, eine Äußerung Rahels an diesen, die unglaublich schlagend ist, weil sie zeigt, mit welchem Scharfblick sie gerade diejenige Dichterpersönlichkeit herausfand, mit welcher Heine etwas Gemeinsames hatte, und unter deren Einfluß er sich zum Teil befand, welcher er aber unter keinen Umständen ähnlich sein durfte, sollte er nicht als Mensch und Dichter zu Grunde gehen. Die Äußerung lautet: "»Sie sollen kein Bentano werden, ich leide es nicht!« Rahel schreibt humoristisch: »Heine muß und |143| soll »wesentlich« werdens und sollte er Prügel haben. Mensch, werde wesentlich!«

Und wie gut hat ihn nicht Varnhagen selbst gekannt, wie sein ist nicht die folgende, sechs Jahre später niedergeschriebene Wendung in einem Brief an Rahel: »Und nun hast Du, außer den andern klugen und gescheiten Menschen, die Dich erfreuen und unterhalten, auch noch Heine, den eigengearteten, herumgereisten, frischen Heine bei Dir! Frisch braucht hier nicht zu heißen, wie er aus dem Meere kommt, auch eingesalzene Heringe sind ja als solche selbst noch frische genannt!« Fast in demselben Gleichnis bewegt sich die folgende Äußerung über den dreißigjährigen Heine: »Hoffentlich siehst Du ihn oft, und er benutzt es zu seinem Heile. Er muß sich in guter Geistesluft konservieren, denn er hat viel in sich, was leicht verdorben geht.«*

*) Briefwechsel zwischen Varnhagen und Rahel. Sechster Band S. 48, 56, 316, 344. Andere interessante Aufsprüche von Rahel über Heine sind folgende: »Heine sehe ich fast nicht; er wälzt sich so in sich herum, sagt, er müsse viel arbeiten, ist fast erstaunt, daß ihn so etwas Reelles als des Vaters Tod, der Mutter Leid darüber betraf. . . Aussehen thut er gesünder; klagt beinah nicht wieder; aber es ist so manche vorüberfliegende Wiene festgestellt zwischen seinen Zügen, die ihnen nicht wohl thut; so im Munde in Zerren, wenn er spricht, was ich sonst — auch schon — fast als eine kleine Grazie bemerkte, obgleich es nie schön Zeugnis gab« — »Von Hienen wollt ich Dir eben schreiben. Das Resumé, was ich heraus habe, ist und bleibt sein großes Talent, welches aber auch in ihm reisen muß, sonst wird's inhaltsleer und höhlt zur Manier aus.« — Varnhagen antwortet: »Für Heine giebt es nur ein Heil, er muß Wahrheitsboden gewinnen, auf dem innerlich ganz fest gegründet sein, dann mag er sein Talent in der Welt auf die Streife schicken um Beute zu holen und Mutwillen zu üben.« Briefwechsel zwischen Varnhagen und Rahel. Sechster Band S. 347,356,365.

Rahel und Varnhagen wurden die ersten Verfechter seines Talentes. Die erste lobende Anzeige seiner Gedichte stammt von dem feinen diplomatischen Beschützer her. Aber man fühlt sehr wohl, daß das Paar einen scharfen und bekümmerten Blick für die Schwächen seines Charakters hatte, die für die großen dichterischen Gaben gefährlich und verderblich werden konnten.

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