Das junge Deutschland (1891)

|[120]| XI

Auch für Heinrich Heine ist, wie schon bemerkt, im in neuen Deutschen Reich der Augenblick wenig günstig. Was man ihm vorzuwerfen hat, ist soviel, daß es sich nicht kurz auszählen läßt. Erstens sein Liebesverhältnis zu Frankreich und seine damit zusammenhängende Frivolität. Dann sein ungermanischer Ursprung und Witz, seine Empfindsamkeit, sein Stutzertum, seine Ausgelassenheit; dann die herausfordernde Art, mit der er sein Heidentum herauskehrte. Das neue Deutschland ist in religiöser Hinsicht ind indifferent, aber es ist es stillschweigend; in moralischer Hinsicht ist es diszipliniert. Während im heutigen Deutschland die höchsten Tugenden, Wahrheitsliebe, Selbständigkeit, die Feinheit und der Stolz Seele, weniger gelten als Pflichterfüllung, Korrektheit, bürgerliche Zucht, militärischer Schwung, »Schneidigkeit« wie man sagt, war es zu Heines Zeit umgekehrt. Disziplin stand nicht im Preise. Und wie Religiosität damals mehr galt als Religion, so galt Menschlichkeit mehr als Nationalgefühl. Patriotismus war zu jener Zeit in den Augen der Besten eine Tugend, die nicht für unbedingt angesehen wurde; sie meinten, daß Gerechtigkeit nicht aufhöre, Tugend zu sein, auch wenn sie gegen ein fremdes Volk geübt werde.

In Heine gesellte sich zu der abstrakt radikalen Geistesrichtung der Haß gegen Preußen, dessen Zukunft er nicht ahnte und dessen Stärke er nicht verstand, jene Stärke Preußens, die Carlyle in seiner Schilderung vom Vater Friedrichs des Großen am besten veranschaulicht hat: die Fähigkeit, mit nüchterner Strenge das Chaos zu |121| überwinden, das Gefchwätz niederzuschlagen, und zu administrieren. Heines Haß war im Grunde die Todfeindschaft des damaligen Rheinländers gegen Preußen. Man lese die Strophe an den preußischen Adler:

Du häßlicher Vogel! wirst Du einst
Mir in die Hände fallen,
So rupfe ich Dir die Federn aus
Und hane Dir ab die Krallen.
Du sollst mir dann in lustiger Höh’
Auf einer Stange sitzen,
Und ich rufe zum lustigen Schießen herbei
Die rheinischen Bogenschützen.

Auf dem Wiener Kongreß hatte Preußen nach langer Weigerung die Rheinlande übernommen. Es erhielt dadurch statt der Abrundung, die es für sich im Osten erhofft hatte, eine ganz zerrissene Gestalt. Zugleich kam ein von dem Altpreußentum ganz verschiedener Volksstamm unter das preußische Szepter. Das war die Gegend, durch welche einstmals die Scheidelinie zwischen Kelten und Germanen lief. Hier hatte die römische Militärprovinz sich hineingeschoben. Über diesem Lande hatte später die Priesterherrschaft gebrütet, so daß im vorigen Jahrhundert der Geist Friedrichs des Großen hier gar keinen Einfluß gewann. Der alte morsche Klerikalismus stieß gerade hier' mit der französischen Revolution zusammen, und man begrüßte die Männer, welche die Ideen derselben verbreiteten, mit Jubel.

Die Altpreußen nährten gegen die Rheinlander das Mißtrauen der Abneigung, und diese vergalten ihnen dies Gefühl mit Zinsen. Die Preußen waren und blieben am Rhein etwas Fremdes, Unheimliches. Vom Sohne, der im Heere diente, hieß es: »Er ist bei den Preußen.« Der Berliner als Beamter in Köln oder Düsseldorf betrug sich übermütig, feßte alles herab, und der Rheinländer betrachtete eine Anstellung in den alten preußischen Provinzen fast wie eine Verweisung nach Sibirien. Überall hörte man darüber klagen, |122| daß den Preußen die Fähigkeit mangle, sich die Herzen der Stämme, die neu hinzugekommen waren, zu gewinnen.*

*) R. Mendelssohn-Bartholdy, Preußen und Frankreich zur Zeit der Julirevolution. S. XXV flg.

Heine ist am Schluß des Jahrhunderts (1797 oder 1799) in Düsseldorf, der damaligen Hauptstadt des Herzogtums Jülich-Berg, geboren. Die Stadt war sechs Jahre lang von französischen Revolutionstruppen besetzt, bis sie im Jahre 1801 an den Kurfürsten Max Joseph abgetreten wurde. Als dieser 1806 die königliche Würde annahm, wurde an seiner Stelle Joachim Murat Großherzog. Schon 1808 mußte dieser jedoch das Land an den ältesten unmündigen Sohn des Königs von Holland, d. h. an Napoleon als Vormund des Knaben, abtreten. Es wurde nun ganz französischem Muster regiert, Leibeigenschaft, Lehnswesen und Frondienst wurden aufgehoben, das Rechtswesen umgestaltet und unbedingte Religionsfreiheit eingeführt. Letzteres war die Ursache, weshalb Napoleon von der jüdischen Bevölkerung der Rheinland· Erretter aus tausendjähriger Unterdrückung begrüßt wurde.

Ohne Zweifel hat die Berührung mit den kühnen und siegreichen Franzosen der damaligen Zeit viel dazu beigetragen, dem Geist Heines den ersten Schwung zu geben. Der Respekt überlieferten Autoritäten erhielt zeitig einen Stoß. Sein angeborener Witz entwickelte sich nach der Seite hin, welche die Franzosen Esprit nennen. Der Keim zu seiner Napoleons-Bewunderung wurde hier gelegt. Heutzutage erscheint diese Bewunderung von Heines fast wie eine isolierte Thatsache in der deutschen Litteratur des Jahrhunderts. Sie war gar weit davon entfernt, das zu sein.

Man kann bis auf Wieland zurückgehen und bei ihm eine ebenso lebhafte Bewunderung für Napoleon finden, noch bevor der Gang der Geschichte sie gutgeheißen hatte. Schon 1798 erklärt er, daß Frankreich eines Diktators bedürfe, und daß sich keiner besser dazu eigne, als der General Bonaparte, der damals in Ägypten |123| war. Im Jahre 1800 weissagt er, daß Bonaparte sich zum König machen will und muß, und er verteidigt ihn gegen die Angriffe der englischen Zeitungen. Napoleon, der von diesen Weissagungen unterrichtet worden, unterhielt sich aus diesem Grunde lange mit Wieland in Erfurt 1808.

Keiner von den großen Deutschen an der Wende des Jahrhunderts hatte Nationalhaß gekannt. Ohne einen Funken davon hat Goethe im Jahre 1793 den Feldzug in Frankreich als Zuschauer mitgemacht. Schiller hatte sich seines französischen Bürgerbriefes gefreut und gedacht, er könne vielleicht einmal seinen Kindern zugute kommen. Knebel, Goethes Freund, hatte gewünscht, die Siege Bonapartes besingen zu dürfen. Goethe sah denn auch mit großem Gleichmut, wie Napoleon das Reich Friedrichs II. in Trümmer zerschlug; der preußische Staat mußte sich in seinen Augen wie eine vorübergehende Erscheinung in der Geschichte Deutschlands ausnehmen. Er war Zeuge des Emporkommens und des Siegeslauss Napoleons gewesen, hatte gesehen, wie er die ihm selbst, dem Aristokraten und Evolutionisten, so verhaßte Anarchie bezwang. Dann lernte er ihn in dem Kreise seiner Marschälle kennen, umgeben von Frische, Liebenswürdigkeit, Genialität, Unwiderstehlichkeit. Der Eindruck, den Napoleon persönlich auf ihn machte, war so stark, daß er die im voraus gehegte Bewunderung nur vermehrte. Daher wiederholte er, sogar nach dem russischen Feldzuge, sogar während der Erhebung Deutschlands, sein »Das nützt ihnen nichts, der Mann ist ihnen zu groß«. Erst als alles aus war, leistete er durch das Festspiel zur Feier des Friedens eine Art notgedrungener Abbitte.

Weniger bekannt als Goethes so oft behandeltes Verhältnis zu Napoleon ist dasjenige Hegels, der als der Lehrer Heines und als der Denker, der ihm immer als der vorzüglichste erschien, einen ebenso unzweifelhaften Einfluß auf ihn ausgeübt hat. Hegel, der in dem kleinen, despotisch regieren Württemberg geboren war, und es nie |124| gekannt hatte, was es heißt, ein Vaterland zu besitzen, wie mächtig er sich auch danach sehnte, war zu Beginn des Jahrhunderts so erfüllt von Bitterkeit über die deutschen Zustände, so voll von Ärger und Sarkasmen über die politische Schlafsheit seiner Landsleute, daß er, genau so wie Goethe, Napoleon mit der überströmenden Bewunderung eines Kosmopoliten entgegenkam. Er, der immer in einer gedachten, phantastischen Versöhnung des Idealen mit dem Wirklichen geschwelgt, hatte seine ganze Jugendzeit hindurch den Eins wirklicher Macht entbehrt, bis Napoleons Gestalt ihm entgegentrat und ihn begeisterte. Wie man von Goethe gesagt hat, daß er Kanonendonner der Schlacht bei Jena benutzt habe, um in Stille Christiane Vulpius zu heiraten, ebenso heißt es von Hegel, daß er in Jena selbst seine »Phänomenologie des Geistes« während des Donners der Geschütze vollendete. Wahr ist, daß er gerade in jenen Tagen die letzten Bogen dieses Werkes an Niemeyer fandte, und der Kontrast ist schlagend zwischen seiner unendlichen Gleichgültigkeit für Preußens Untergang und seiner leidenschaftlichen Angst davor, daß eine der kostbaren Manuskriptsendungen in der unruligen Zeit mit der Post verloren gehen könne. Einer von den Brifen, die die Sendungen begleiteten, trägt das Datum der Schlacht.

Das Werk, an das er unter diesen Verhältnissen die letzte Hand legte, stellte den Entwickelungsgang des Menschengeistes mit einer eigentümlichen Vermischung der psychologischen und der historischen Anschauungsweise dar. Hier sollte der Geist als selbstbewußter Geist seine Vollendung erreicht haben, indem er alle Wirklichkeit als Geisteswirklichkeit verstanden hatte. Die Menschheit stand dieser Philosophie jetzt am Ziele; die einzelnen sterblichen Menschen, die nun das höchste Prinzip der Erkenntnis erreicht hatten, waren in Einsicht den Göttern gleich geworden, und ihr wirksames Leben war nun auch nur die schöne Entsaltung eines Daseins wie desjenigen, welches die Griechen den Göttern zulegten: vollkommen zufrieden und vollkommen veröhnt. Als Hegel seine Schlußworte |125| schrieb, die darauf hinausgingen, daß die Weltgeschichte nur ein heiteres Spiel des sich in Geistesgestalt wissenden Geistes sei, da hielt Napoleon zu Pferde vor den Thoren Jenas.

Und Hegel sah ihn, und er sah ihn mit Freuden: »Ich habe,« schreibt er aus Jena, »den Kaiser gesehen, diese Weltseele. Es ist in der That eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier, auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die Welt hinweggreift und sie beherrscht. Den Preußen war freilich kein besseres Prognostikon zu stellen, aber von Donnerstag bis Montag sind solche Fortschritte nur diesem außerordentlichen Manne möglich, den es nicht möglich ist nicht zu bewundern.« Und Hegel bewundert nicht nur ihn, sondern das ganze französische Volk. Ein Vierteljahr später schreibt er, daß er in der Geschichte des Tages den überzeugenden Beweis davon sieht, daß Bildung über Roheit und der Geist über geistlosen Verstand und Klügelei den Sieg davonträgt. Ja, er fügt hinzu: »Wie ich schon früher that, so wünschen jetzt alle der französischen Armee Glück, was ihr bei dem ganz ungeheuren Unterschiede ihrer Anführer und des gemeinen Soldaten von ihren Feinden auch gar nicht fehlen kann.«*

*) Haym, Hegel und seine Zeit S. 258.

Heine hat gewiß nicht gemeint, daß feine Schwärmerei für Napoleon einer Verteidigung bedürfe; sonst hätte er sich darauf berufen können, daß er hier zum Vorgänger den Mann gehabt, von dem er immer nur mit Ehrfurcht als »dem großen Hegel, dem größten Philosophen, den Deutschland seit Leibniz hervorgebracht« gesprochen, den Mann, von dem er als zweifellose Thatsache den höchst zweifelhaften Satz wagt, »daß er hoch über Kant emporragt«, und den er nur so schonend und milde wie in der folgenden Wendung tadelt: »Hegel ließ sich in Berlin krönen, leider auch ein wenig salben.«

Doch nicht Heines große Vorbilder und Lehrer, auch Zeitgenossen von ihm Varnhagen von Ense, der doch sein Blut im |126| Kampfe gegen Napoleon vergossen, hegten dieselbe Bewunderung vor ihm und hielten sich ebenso frei von germanischem Nationalhaß. Über den Danen Baggesen, der, in seinem Wesen halbdeutsch, sich deutscher als die Deutschen gebärdete, sagt Varnhagen, daß er Napoleon und die Franzosen auf ganz widerwärtige Weise zum Ekel heftig und grundlos hasse; denn alles, was bei den Deutscher gut sei, und »weshalb wir diese höher schätzen«, sei ihm auch ein Greuel; das hoffe er mit Kant, Jacobi, Voß und Klopstock zu zwingen. Kant ist hier augenscheinlich wegen des so wenig deutschen kategorischen Imperativs genannt, die übrigen wegen der Borniertheit ihres Nationalgefühls.

Man sieht also, daß dieselbe Verehrung Napoleons sich bei den Männern verfolgen läßt, die den größten Einfluß auf Heine, wie auf die Entwickelung des jungen Deutschlands gehabt haben.

Dieser Napoleon-Kultus trug bei Heine dichterische Frucht mehrere Jahre früher, als er in Frankreich epidemisch ward, und erreichte bei ihm eine Höhe, die weder bei Beyle, noch bei Hugo übertroffen wird. Ja, man kann sagen, der poetische Ausdruck desselben in Heines berühmtem Jugendgedicht »Die zwei Grenadiere« (das er nach seiner eigenen Angabe als kaum Sechszehnjähriger, wahrscheinlicher jedoch in seinem neunzehnten Jahre geschrieben hat) übertrifft sogar alles von ähnlicher Art in Frankreich. Nicht einmal Bérangers Meisterwerk »Souvenirs du peuple« läßt sich an Einfachheit und Größe damit vergleichen, obgleich es besser als irgend anderes Gedicht der Napoleonslegende im französischen Volke handgreiflichen und rührenden Ausdruck gegeben. In Heines Grenadieren entspricht der Rhythmus jeder Zeile aufs genauest der Stimmung und dem Inhalte; die wehmütigen Jamben: »Der andere sprach: das Lied ist aus«; die feurigen Anapästen: »Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab«. Man liest, ohne besonders gestört zu werden, über die unmögliche Bitte hin, die Leiche nach Frankreich mitzunehmen. Und die Hauptstrophe:»Was schert mich |127| Weib, was schert mich Kind?«, der Protest des Grenadiers dagegen, sich an Frau und Kind gebunden zu fühlen, hält durch seine Wildheit der Empfindsamkeit des Romanzenstils meisterlich das Gegengewicht. Nur anscheinend handelt dieses Gedicht von der Treue gegen Napoleon allein; es verherrlicht die glühende Treue gegen den Feldherrn, die unendliche Begeisterung für die große Persönlichkeit überhaupt.

Die Gabe, in der Lyrik durch Vorführung von Gestalten zu schildern, war Béranger und Heine gemeinsam. Aber Béranger war ein Liederdichter, Heine ein Genie. »Die Grenadiere« fangen, wie fast alles bei Heine, ganz still und schlicht an. Nichts liegt ihm ferner, als Victor Hugos lyrische Anläufe: Lui, toujours lui! Er wirkt nicht durch direkte Darstellung, sondern durch Ausmalen des Geringeren, des Kleinen, in dem die große Geschichte sich spiegelt und das den Maßstab für sie abgiebt, bis endlich die Schwärmerei eines Traumgesichts aus dem einfachen Dialog hervorbricht.

War auch der Gegenstand dieser Verehrung ihrer nicht wert, so ist doch das Gefühl selbst deshalb nicht weniger schön und es ist von ganz derselben Art da, wo Heine in den Reisebildern schildert, wie er als Kind Napoleon durch den herzoglichen Garten in Düsseldorf reiten sah. Das Kapitel beginnt: »Aber, wie ward mir erst, als ich ihn selber sah, mit hochbegnadigten, eigenen Augen, ihn selber, Hosianna! den Kaiser.« Man bemerke dieses Hosianna! Im Augenblick der Ekstase kommt die Kindheitserinnerung, der alttestamentriche Heil- und Jubelruf, wieder auf seine Lippen. Und woran dachte damals das Kind? Daß es bei fünf Thaler Strafe verboten sei, durch die Allee zureiten. Und siehe da! Der Kaiser mit seinem Gefolge ritt mitten durch die Allee. — Die schauernden BBäume beugten sich vorwärts, wo er vorbeitkam...

Heine gilt als politischer Dichter für revolutionär, und er war es. Aber seine politische Leidenschaft wendet sich ausschließlich gegen mittelalterliche Zustände und mittelalterlichen Glauben. Er |128| ist im Ernst antiklerikal, aber nicht im Ernst demokratisch begeistert. Sein größtes politisches Gedicht »Deutschland ein Wintermärchen« giebt das erschöpfendste Zeugnis dafür ab. Wirkliche Leidens enthält es nur, wo der unsichtbare Begleiter des Dichters, der Liktor mit der fürchterlichen Axt, im Kölner Dom die Skelette der heiligen drei Könige zerschlägt, »die armen Skelette des Aberglaubens«. Aber in diesem großen Poem — Heincs gewichtigstem Werk — die politischen Stimmungen und Gedanken, die ihn erfüllten, reinsten ausgedrückt. Hier findet sich das in der deutschen Poesi neue Element des kriegerisch Herausfordernden und des im Handgemenge Streitenden. Das war bei Goethe nicht vorhanden gewesen. Goethe war zwar zuletzt von »der vollständigen Wertlosigkeit« seines Zeitalters durchdrungen, aber er fürchtete, daß ein Umsturz der Autoritäten alles nur verschlimmern würde. Auch nicht bei Schiller hatte man irgend ein direktes Verhältnis zur Politik entdecken können. Sein Pathos machte sich in Freiheitsdramen Luft. Aber bei Heine läßt sich seit dem Jahre 1830 dieses direkte Verhältnis immer verfolgen. Es liegt seine Seele darin. Er ist auf allen Punkten ehrlich gewesen, selbst da, wo man seine Ehrlichkeit verkannt hat.

Man schlage die Stelle in den »Reisebildern« nach, die ihn besonders als Ausdruck der Prahlerei und Affektation vorgeworfen worden, den Passus, der auf die Schilderung des Besuchs des Schlachtfeldes von Marengo folgt. »Es wird ein schöner Tag werden, mein Reisegefährte — Ja, es wird ein schöner Tag werden, wiederholte leise mein betendes Herz, und zitterte vor Wehmut und Freude. Ja, es wird ein schöner Tag werden, die Freiheitssonne wird Erde glücklicher wärmen, als die Aristokratie sämtlicher Sterne; emporblühen wird ein neues Geschlecht, das erzeugt worden in freier Wahlumarmung, nicht den Zwangsbette und unter der Kontrolle geistlicher Zöllner; mit der freien Geburt werden auch in den Menschen freie Gedanken Gefühle zur Welt kommen, wovon |129| wir geborenen Knechte keine Ahnung haben ...« und gegen den Schluß die folgenden Worte: »Ich weiß nicht, ob ich es verdiene, daß man mir einst mit einem Lorbeerkranz den Sarg verziere. Die Poesie, wie sehr ich sie auch liebte, war mir immer nur heiliges Spielzeug oder geweihtes Mittel für himmlische Zwecke . .. Aber ein Schwert sollt Ihr mir auf den Sarg legen; denn ich war ein braver Soldat im Befreiungskriege der Menschheit.«

Überall in der deutschen Litteraturgeschichte, Geschichte, Ästhetik und Kritik, nicht nur bei Menzel, sondern auch bei Goedeke, bei Treitschke, bei Heines Nachäffer und Verurteiler Grisebach, bei dem sonst so fein urteilenden Hehn wird man diesen politischen Kampf Heines mit der tiefsten Verachtung besprochen finden. Selbst Scherer verhält sich kalt und abweisend. Ja, als der italienische Dichter Carducci vor einigen Jahren in einer Ode Heine als Freiheitshelden verherrlichte, legte sogar Karl Hillebrand, Deutschlands bester Kritiker und Heines vormaliger Sekretär, der immer mit Pietät und Bewunderung von dem großen Verstorbenen geredet, eine Art von Protest dagegen ein: Heine selbst habe dies niemals so feierlich genommen.

Die Sache ist in erster Reihe die: es fehlten Heine »die pathetischen Geberden«, er war zu stolz, sie anzuwenden. Das verwirrt den Leser. Sodann muß offen eingeräumt werden, daß Heine 1828 in München, um ein Amt zu erlangen, 1837 in Paris, um ungehinderten Eingang in Preußen für eine geplante Zeitung zu erreichen, sich geneigt zeigte, mit den herrschenden Gewalten zu paktieren. Aber dennoch war und blieb das politische Freiheitspathos das große Pathos seiner Seele. Er hat das in späteren Lebensjahren geschriebene Gedicht »Enfant perdut«, das eine Abteilung des »Romanzero« abschließt, ganz gefühlt. Er war wirklich, wie er sich hier nennt, »ein verlorener Posten« in dem Freiheitskreiege, dem Niderschießen preisgeben. Und wenn es seiner nachgelassenen Hymne in Prosa heißt: »Ich bin das Schwert, ich bin die |130| Flamme«, so ist das wahr. Es sprühen noch heute Funken aus seinen Schwerthieben, und seine Flamme giebt noch heute Licht. Viele wärmen sich noch an seinem Feuer.

Wie schon erwähnt, findet Börne in seinen »Briefen aus Paris« Heine als Politiker inkonsequent, weichlich, charakterlos. Er wirkt ihm nicht so sehr Selbstüberschätzung vor, wie daß er überhaupt die Wirksamkeit der einzelnen überschätze; denn nach Börnes Weinung haben die Persönlichkeiten der neueren Zeit nicht mehr dasselbe Gewicht, wie diejenigen der Vergangenheit. Selbst ein Voltaire und ein Rousseau würden jetzt nicht mehr von großer Bedeutung sein. Die Persönlichkeiten seien nur die Herolde der Völker. Das vergesse Heine. In seinem Bestreben, sich den Demokraten angenehm zu machen, sage Heine, daß die jesuitisch-aristokratische Partei in Deutschland ihn verleumde, weil er dem Absolutismus kühn die Stirn biete; um sich bei den Aristokraten einzuschmeicheln, sage er gleichzeitig, daß er dem Jakobinismus die Stirn geboten ein guter Royalist sei und immer fortfahren werde monarchisch gesinnt zu bleiben.

Börne versteht eben nicht Spaß. Heine erzählt, daß er in einem Pariser Putzladen unter acht dort arbeitenden jungen Mädchen mit ihren acht Liebhabern, alle von höchst gefährlicher republikanischer Denkart, der einzige Royalist gewesen sei; er sagt ferner: »Ich bin, bei Gott, kein Republikaner. Ich weiß, wenn die Republikaner siegen, schneiden sie mir die Kehle ab . . . ich verzeihe ihnen gern diese Narrheit.« Börne fügt hinzu: »Ich nicht. Republikaner, die solche Narren wären, daß sie Heine glaubten aus dem Wege räumen zu müssen, um ihr Ziel zu erreichen, die gehörten in das Tollhaus.«

Es ist etwas in jenen Äußerungen Heines, was, trotz des Scherzes den Leser stutzig macht: abwechselnd Ausbrüche des äußersten Radikalismus, durchgängig die scheidenste revolutionäre Stimmung des Grundakkord - und diese beständig wiederkehrenden Versicherungen nicht Jakobiner, ja, nicht einmal Republikaner zu sein.

|131| Hier ist eine Erklärung nötig, die meines Wissens bisher niemand gegeben hat. Denn die Erklärung, daß Heine charakterlos war, charakterlos in einem solchen Grade, daß er ununterbrochen in der ernstesten Angelegenheit, während auf ihm die Augen zweier großer Länder ruhten, sich selbst auf den Mund schlug — die erklärt nichts. Er hatte seine Schwächen, seine Eitelkeit, seine Unbeständigkeit, die sich besonders in den äußersten Qualen zu erkennen geben konnte, aber das alles hat hiermit nichts zu schaffen. In allem Wesentlichen ist er von Anfang bis ans Ende eine seinen Prinzipien treue Seele. In den Prinzipien also muß die Unklarheit liegen.

Man erinnere sich seines andauernden, unbegrenzten Napoleonskultus, der sich im »Wintermärchen« noch zum letztenmal Luft macht in dem Trauerliede auf den toten Kaiser, als sein Sarg Von St. Helena nach Paris geführt wurde:

Die elysäischen Felder entlang
Durch des Triumphes Bogen,
Wohl durch den Rebel, wohl über den Schnee
Kam langsam der Zug gezogen. . .

Und man erinnere sich aus den »Reisebildern« in der Szene auf der Ebene von Marengo des Russen, welcher Heine dort fragt: Sind Sie gut russisch? — und der Antwort Heines: Ja, ich bin gut russisch. — Dann erklärt er, der wunderliche Wechsel der Losungsworte und der Repräsentanten in dem großen Kampfe habe herbeigeführt, daß die glühendsten Freunde der Revolution nur noch in Rußlands Sieg das Heil der Welt sehen und den Kaiser Nikolaus als den Gonsaloniere der Freiheit in Europa betrachten müßten · Die russische Regierung sei durchdrungen Von liberalen Ideen, ihr Absolutismus sei nur eine Diktatur, um diese Ideen unmittelbar ins Leben treten zu lassen u.s.w.

Der Irrtum ist kolossal in seiner Naivetät. Aber in diesem Zusammenhang ist er gleichgültig, das einzig Interessante daran ist: Wäre der Absolutismus in Rußland so beschaffen, wie Heine vor|132|aussetzt, so hätte er seine Billigung und Sympathie, ganz wie Napoleons Gewaltherrschaft sie gehabt hatte.

Aber man überlege: Heine, der am weitesten gehende Repräsentant des Radikalismus in der Poesie seines Zeitalters, preist als den Bannerträger der Freiheit Nikolaus, den härtesten Tyrannen seiner Zeit. — Ist das derselbe Mann, der eine kindische Freude daran findet, die Vorstellungen von Königs- oder Kaiserwürde und von Guillotineschlägen beständig miteinander in nahe Verbindung zu bringen? Man erinnere sich der Worte Heines an Varbarossa »Du wirst hier an ein Brett geschnallt — das denkt sich« . . . u.s. w. und des Schlußrufes an den alten ehrwürdigen Kaiser: »Die Republikaner lachen uns aus — sehn sie an unserer Spitze — so ein Gespenst mit Szepter und Kron« ... Er macht sic alsoh etwas aus dem Urteil der Republikaner und teilt in gewisser Hinsicht ihren Standpunkt.

Oder man erinnere sich des unsäglich witzigen Gedichts »1649 — 1793 ???«, das zuerst die kürze Justiz behandelt, die an den Königen in der englischen und französischen Revolution geübt wurde und darauf die kommende deutsche prophezeit:

Hoch auf dem Bock mit der Trauerpeitsche
Der weinende Kutscher — so wird der deutsche
Monarch einst nach dem Richtplatz kutschiert
Und unterthänigst guillotiniert.

Wenn das nicht bloß ein Spiel mit Worten und ein Spiel mit Gefühlen ist, so muß es dafür eine Erklärung geben, eine Auslegung, deren Schlüssel Heine selbst nicht gekannt hat. Denn haß hier ein innerer Widerspruch in den Worten, im Wortlaut liegt, ist unleugbar.

Die Erklärung ist folgende: Heine war zu gleicher Zeit ein großer Freiheitsanbeter und ein ausgeprägter Aristokrat. Er hatte die ganze Freiheitsliebe einer nach Freiheit dürftenden Natur, er schmachtete nach Freiheit, er entnejrte und liebte sie von ganzer

|133| Seele, aber er besaß auch die Vorliebe der großen Natur für menschliche Größe und das rein nervöse Grauen der seinen Natur vor allem Mittelmäßigkeitsregiment.

Mit anderen Worten: In Heines Seele war nicht Ein konservativer Blutstropfen. Sein Blut war revolutionär. Aber ebensowenig war in seiner Seele Ein demokratischer Blutstropfen. Sein Blut war aristokratisch, er wollte das Genie als Führer und Herrscher anerkannt sehen. Er klatscht Beifall, wenn er in seinem historischen Rückwärtsschauen oder Zukunftstraum einen erbärmlichen König oder Kaiser guillotiniert werden sieht. Aber er will Cäsar geben, was Cäsars ist. Apodote ta kaisaros kaisaros ist sicher das Wort Jesu im neuen Testament, das am tiefsten in sein Gemüt gedrungen ist. — Er fürchtet einen Freiheitszustand nicht, gegen den alles, was man bisher von Freiheitan der Erde gesehen hat, Kinderspiel wäre, aber er hält es für unmöglich, daß die Durchschnittsideale der Philisterbildung Freiheit in ihrem Schoß tragen. Er verabscheut die Mittelmäßigkeit, auch die liberale, auch die republikanische, als den Feind der großen Persönlichkeit und der großen Freiheit.

Daher sein Mißtrauen gegen die nordamerikanischen Freistaaten, seine geringe Schwärmerei für ihre Freiheit:

Manchmal kommt mir in den Sinn
Nach Amerika zu segeln,
Nach dem großen Freiheitsstall,
Der bewohnt von Gleichheitsflegeln.

Wenn Heine die Marseillaise preist, so thut er das, weil das Lied für ihn das-Symbol der großen Revolte ist. Wenn er Napoleon verehrt, so thut er es, weil dieser der Demütiger der Könige und der alten Weltordnung ist, und wenne er alles Freiheitsfeindliche an ihm übersieht, so geschieht es, weil Napoleon ihm als Repräsentant des Volkes erscheint, von keinem Tropfen demokratischer Mittelmäßigkeit besprengt.

|134| Es geschieht daher auch bloß in einzelnen Momenten des Mißmuts, in denen er nicht er selbst ist, sondern in von auswärt geholten Formeln spricht, daß er sich darauf einläßt, die plebeijische Albernheit auszutischen, die Bedeutung der großen Persönlich sei vorüber, eine Behauptung, die nur der klassische Ausdruk des bürgerlichen Neides ist. Im Grunde seines Wesens ist Heine so überzeugt vom Gegenteil, daß er zu dem verrückten Extrem kommen kann, in Nikolaus, dem verstockten Repräsentanten alles Zwangs der damaligen Zeit, das Haupt der Freiheitsmänner in Europa zu sehen. Aber Nikolaus war wenigstens eine Persönlichkeit, eine Kraft. Und Heine war Genie genug zu fühlen, daß es in letzter Instanz einzig und allein auf Persönlichkeiten und Kräfte ankommt. Die Zahl thut es nicht, Monarchen thun es auch nicht, auch nicht Monarchen in reichlichster Anzahl. Darum Heines ewiges Scherzen mit den drei Dutzend deutscher Monarchen.

Wovor Heine graute, das war vielleicht in erster Linie ein Leben ohne Schönheit. Das Fouriersche Phalanstère, das große Arbeitshaus ohne Überfluß, wo es nur das Unentbehrliche giebt, und wo auch kein Platz übrig ist für den Überfluß, den die Kunst repräsentiert — das schien ihm in der Zukunft unvermeidlich, aber es befriedigte ihn nicht.

Was aber seinen Unwillen in noch höherem Grade erweckte, war ein Leben ohne Größe, mit Gleichheit in der Mittelmäßigkeit Religion — mit dem Haß gegen das Genie, gegen die suchenden Geister und alle, welche die nazarenische Askese offen verwerfen, als einzige wirkliche Moral. Was er in gleichem Grade verabscheute war eine Gesellschaft, wie er sie kannte, von einer Klerisei Geist und einer Aristokratie ohne Feinheit regiert, und eine Gesellschaft, wie er sie voraussah, bestehend aus emanzipierten Sklavenseelen, welche die Griecheri, die ihr Instinkt war, nur aufgegeben hatten, um ihren Neid die Zügel schießen zu lassen, der den Kern all ihrer Sittlichkeit bildete.

|135| Er war sicherlich für die Revolution gegen Ludwig XVI., diesen ehrlichen Schlosser, der König geworden war. Aber er war eben so sicher für Cäsar gegen Brutus, diesen Tölpel von einem Wucherer, der nichts konnte, als ein Messer in einen großen Mann stoßen.

Er bildete sich ein, Monarchist zu sein, er nannte sich Royalist aus Überzeugung, weil er eäsarisch gesinnt war und ihm das richtige Wort fehlte. Er bildete sich ein, Demokrat zu sein, er nannte sich so, weil er als Plebejer geboren war, alle ungerechten Geburtsprivilegien haßte und sich in eine ewige Opposition gegen Junker und Pfaffen gestellt fühlte. Aber in seinem innersten Seelenleben war er konsequent. Der anscheinende Widerspruch in seinen politischen Sympathieen und Tendenzen kam daher, daß er Größe und Schönheit gleich sehr wie Freiheit liebte und die höchste Entwicklung des Menschengeschlechts nicht aus dem Altar einer unwirklichen Gleichheit und wirklichen Mittelmäßigkeit opfern wollte.

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