Während die Triumphe der romantischen Schule in der Lyrik, dem Roman, der Novelle und der Kritik bald als unbestreitbar dastanden, vermochte sie auf einem einzigen Gebiet die kühnen Erwartungen nicht zu erfüllen, mit welchen sie ins Leben hinaus getreten war, und zwar in derjenigen Kunstart, die man, zufolge der ästhetischen Überlieferungen, in jener Zeit als die höchste betrachtete und seltsamerweise noch heute dafür hält – nämlich das Drama. Da diese Kunstart so, hohes Ansehen genoß, machte sich der verhältnismäßig geringe Erfolg in dieser Richtung um so schmerzlicher geltend. Das Schauspiel der romantischen Schule machte niemals eigentliches Glück und gelangte nie dazu, das Repertoire eines Theaters zu bilden. Hugo’s Stücke wurden nur populär als Textbücher zu italienischen Opern, diejenigen Mérimée’s gelangten gar nicht zur Aufführung, George Sand und Balzac erreichten auf den Brettern meistens nur einen succes d’estime, von Alfred de Musset sahen erst spät ein paar Kleinigkeiten das Licht der Lampen, während Scribe nebst seinen Mitarbeitern in allen französischen und nichtfranzösischen Theatern das Haus füllte. Und doch hat die Schule auch auf dramatischem Gebiet sehr bedeutende Kräfte aufzuweisen.
Der älteste Versuch, der innerhalb dieses Kreises in dramatischer Richtung gemacht wurde, war höchst originell und geradezu bewunderungswürdig. Es waren die »Dramatischen Szenen«, welche Vitet in den Jahren 1826–29 herausgab, und die er später unter |389| dem Titel »La Ligue« sammelte. Er hatte den Einfall, Begebenheiten aus Frankreichs Geschichte in dramatischer Form darzustellen, ohne irgend etwas hinzuzudichten, so daß er seine Phantasie ausschließlich dazu gebrauchte, die Geschichte ins Leben zu übersetzen. Dies ist ihm unvergleichlich geglückt. Er brachte es wirklich zustande, seine »Szenen« mit der Atmosphäre einer längst vergangenen Zeit zu erfüllen und seinen Gestalten aus dem 16. Jahrhundert in allen ihren Gesprächen ein solches Gepräge von Glaubwürdigkeit zu verleihen, daß man gleichsam die Geschichte Stunde für Stunde zu durchleben vermeint, wenn man seine Bücher liest.
Ludovic Vitet, 1802 in Paris geboren, machte die Normalschule durch, nahm als Liberaler an den politischen Bewegungen Teil, war Mitglied der Gesellschaft »Aide toi – le oiel t’aidera« und schrieb, wie wir gesehen haben, für den »Globe« als leidenschaftlicher Verfechter des Romantismus. In diese erste Jugendperiode fällt seine ganze historisch-dichterische Produktion mit einziger Ausnahme der bedeutend schwächeren Reihe dramatischer Szenen, welche er 1849 unter dem Titel »Les états d’Orléans« herausgab. Sein Lebenslauf ist überaus einfach. Er scheint die Gräfin Duchâtel geliebt und bei ihr Gegenliebe gefunden zu haben. Als durch die Julirevolution seine Freunde zur Macht gelangten und Graf Duchâtel in Guizots Ministerium eintrat, wurde Vitet zum Inspektor der historischen Denkmäler Frankreichs ernannt – eine Stelle, welche Guizot eigens für ihn schuf. Er ging alsdann zur Politik über; 1834 wurde er Mitglied der Deputiertenkammer, 1836 Mitglied des Staatsrats, 1846 Mitglied der Akademie. Als Politiker trat er konservativ und monarchistisch aus, hielt sich während der Jahre 1851–71 von jeder Berührung mit den öffentlichen Angelegenheiten fern und nahm erst nach dem Kriege von neuem eine hervorragende Stellung unter Thiers ein, bis er 1873 vom Tod hinweggerafft wurde.
Er ist ein Beispiel dafür, wie eine starke künstlerische Bewegung, |390| wenn sie die Zeit erfaßt, selbst solche Geister, die im Übrigen nicht für die Kunst geschaffen sind, zu Meisterwerken inspirieren kann. Nach 1830 zeigte er sich in seiner schriftstellerischen Wirksamkeit nur noch als ein unter den Kunsthistorikern hervorragender gelehrter Fachmann; er schrieb, charakteristisch genug, eine Biographie des Grafen Duchätel; seine litterarischen und historischen Essays sind so trocken und langweilig, wie diejenigen Mérimée’s.
Man wendet sich darum immer aufs neue seinen Jugend werken zu: »Les Barricades«, »Les états de Blois« und »La mort de Henri III.« Die Hauptcharaktere, die Könige Heinrich II. und Heinrich III. sowie die Herzöge von Guise, die wir durch mehrere Generationen kennen lernen, sind so trefflich gezeichnet, daß sie einen Vergleich mit den Hauptpersonen in Shakespeare’s »KönigsDramen« Vertragen (»Heinrich IV.« und »Richard III.« allerdings ausgenommen). Die Denkweise und die Sitten des Zeitalters sind mit so kräftiger Hand hervorgehoben, daß kaum ein Zeitgenosse sie besser zu schildern vermöchte. »Die Stände in Blois« ist sicher das bedeutendste unter diesen Werken. Um auf etwas Bestimmtes hinzudeuten, empfehle ich die Szenen zu lesen, welche die Ermordung des Herzogs von Guise darstellen. Selten hat ein Dichter in einem historischen Schauspiel gewagt, bis zu diesem Grade allen poetischen Brauch bei Seite zu schieben. Diese Szenen sind bei ihm bei weitem schöner und wahrheitsgetreuer, als auf Delaroche’s sonst so vortrefflichem Gemälde, wo Heinrich III. durch die halbgeöffnete Thür nach der am Boden liegenden Leiche seines großen Gegners späht. Vitet läßt uns sehen, wie der König Heinrich III. um 4 Uhr nachts auf seinem Zimmer kostbare spanische Dolche in Weihwasser taucht, und bebend, ohne daß er es wagt, den Namen seines Gegners zu nennen, dieselben unter seine Vertrauten verteilt. Wir haben im Gemach des Herzogs die Szene durchlebt, wie seine Mutter und seine Geliebte ihn vergebens anflehen, sein Leben zu wahren und am nächsten Morgen nicht in |391| die Ratsversammlung zu gehen. Jetzt findet er sich dort ein: ein unheimliches Gefühl erfaßt ihn; seine Nase beginnt zu bluten; er hat sein Taschentuch vergessen und sendet jemand danach. Die schottischen Gardisten sperren im Unverstand zu früh seinem Boten den Durchgang; doch merken sie ihr Versehen, und der Herzog bekommt das Tuch. Aber er ist unruhig; und der Held, welcher, ohne zu erbleichen, so manchem gezücktem Schwert entgegen getreten, fühlt sich nicht wohl, ihm wird übel zu Mut. Er ist noch nüchtern; es wird vorübergehen, wenn er etwas zu sich nimmt. Er öffnet die kleine Bonbonniere, die an seinem Gürtel hängt – sie ist leer. Man schickt fort, um etwas Konfekt oder Obst herbeizuschaffen. Da kommt Rävol aus dem Gemache des Königs mit den Worten: »Der König wünscht Euch zu sprechen, Monseigneur!« Schweigend blicken die Ratsherren einander an. Der Herzog erhebt sich und nimmt den Mantel um; dieser gleitet bald von der einen, bald von der anderen Schulter wieder herab. Unwillkürlich sucht Guise sein Fortgehen zu verzögern, zu stolz, um dem Ruf nicht zu folgen, und ginge es auch in den Tod, aber Mensch genug, um auf der Schwelle vom Leben zum Tod einen Augenblick zu beben. Er verlangt noch ein zweites Taschentuch, da das erste ganz blutig geworden; wieder entfernt sich einer von den Verschworenen; die anderen stehen wie auf Kohlen. Mit vollendeter Meisterschaft ist hier jene Stimmung von Unruhe, Ungeduld und thörichtem Schamgefühl wiedergegeben, die bisweilen jeden von uns so heftig ergreifen kann, daß wir, nur um aus einer lächerlich peinlichen Situation herauszukommen, uns blindlings in die kühnsten Wagestücke stürzen. Wieder bleibt der aus, welcher nach dem Tuch gesandt wurde; da verliert der stolze Guise die Geduld; mit den Worten: »Ich kann den König nicht länger warten lassen«, geht er durch die Thür; sie fällt hinter ihm zu – und ein Dutzend Offiziere stoßen ihm ihre langen Dolche in den Leib.
Wie man sieht, geht Vitet in ein Detail, das auf der Bühne |392| unmöglich wäre. Seine Szenen sind nur auf das Lesen berechnet. Sie sind darum auch keine eigentlichen Schauspiele. Dies beruht darauf, daß Vitet bei all’ seinem historischen Scharfblick sowohl dichterische Leidenschaft als auch künstlerisches Gestaltungstalent abging. Da er wenig Pathos zu entwickeln vermag und das allmähliche Ansteigen zu einem Höhepunkt, von dem aus alles Andere sich wie Vorbereitung und Folge ausnimmt, bei ihm fehlt, kann er auch nicht zu eigentlich künstlerischer Durchbildung gelangen. In seinem Wesen war augenscheinlich eine gewisse unkünstlerische Verzagtheit, eine Bedenklichkeit, nur das Geringste an dem historisch gegebenen Stoffe zu ändern, eine Abneigung, seine eigene Persönlichkeit durchschimmern zu lassen. Er besaß nicht genug individuelle Eigentümlichkeit, um kunstvolle Münzen mit seinem Bilde zu prägen. Daß er so bald verstummte, hat seinen Grund darin, daß die so mächtige Phantasie, welche seine Werke hervorgebracht hat, nicht dichterisch frei war, weder in ihren Beobachtungen, noch in ihrer Darstellung; sie war von Gelehrsamkeit, von Archivstaub beschwert und behindert. Dieser so schöne, so feurige Pegasus stand in einer Bibliothek angeschirrt.
Es wäre schnödes Unrecht, dies von dem romantischen Dichter zu sagen, welcher, direkt in Vitets Spuren tretend, es versuchte, historische Stoffe zu dramatisieren, und der schon ein Jahr vor Hugo (1829) mit einem historischen Drama »Henri III. et sa cour« durchschlagenden Erfolg hatte. Es war Alexander Dumas (geb. 1808), ein sprudelndes, unmittelbares Talent und ein riesenstarkes Temperament. Er entwickelte in der Litteratur ebenso herkulische Anlagen, wie sein Vater sie in den Kriegen der Republik gezeigt. Vierzig Jahre hindurch schrieb er ununterbrochen Tragödien, Lustspiele, Schauspiele, Romane, Novellen, Reisebeschreibungen und Memoiren. Es würde unbillig sein, über eine so ungeheure Erfindungsgabe, eine so unglaubliche Fruchtbarkeit zu spötteln. Man spürt in diesen Schriften das französisch-afrikanische Blut, etwas von dem sorglosen, |393| kreolischen Wesen und etwas von dem sinnlichen Feuer der schwarzen Rasse. Unter Beihilfe zahlreicher, aber weit unter ihm stehender Mitarbeiter hat Dumas die Schaubühne, die Buchhändlerläden, die Zeitungsfeuilletons mit seinen Produktionen gefüllt. Die Druckerpressen ächzten und stöhnten, um mit seiner flinken Feder gleichen Schritt zu halten. Zu bedauern ist indes, daß der leichte Sinn des Weltkindes ihn keine ordentliche Entwickelung durchmachen ließ. Nur in seiner ersten Jugend war er Künstler. In der Periode der Romantik schrieb er romantisch, in derjenigen der Industrie wurde er industriell.
Mit »Heinrich III. und sein Hof« gelang ihm, was Vitet mit demselben Stoff nicht zuwege gebracht, ein lebensvolles Bühnendrama zu liefern. Doch nur in ganz oberflächlicher Weise wich er hier von der klassischen Theaterkonvenienz ab. Er wagte, die Hofetikette aufzuheben. Auf jenen Brettern, wo ein paar Jahrhunderte hindurch der Held und sein Vertrauter mit schlaff niederhängenden Armen oder mit der Hand auf dem Schwertknauf ihre Deklamationen vorgetragen hatten, kam nun eine Schaar von König Heinrichs Höflingen mit Bilbouquets daher, einer Erfindung der damaligen Zeit, und unterhielt sich in den Pausen damit, kleine Pfeile durch lange Pustrohre zu blasen. Im übrigen aber fühlten und sprachen sie wie die jungen Männer von 1828.
Dumas’ übrige historische Schauspiele aus seiner Jugend (»Napoléon Bonaparte«, »Charles VII chez ses grands-vassaux« u. s. w.) haben eine ebenso oberflächliche Psychologie. Erst später, als er ein Zeitalter fand, dessen Geist er kannte und beherrschen konnte, gelang es ihm, so vortreffliche Bilder aus einer entschwundenen Periode, zu geben, wie es in den reizenden und dramatisch höchst wirkungsvollen Schauspielen »Eine Ehe unter Ludwig XV.« und »Gabrielle de Belle-Is1e« der Fall ist, von denen besonders das letztere mit seiner direkten, leicht idealisirenden Darstellung der Sitten aus der Regentschaftszeit poetischen Wert hat. Doch schon im Jahre 1831 |394| war es Dumas beschieden, der jungen romantischen Generation einen von den Typen zu geben, wonach sie selbst sich benannte. Er schrieb »Antony«.
Trotz aller seiner Mängel hat dieses Stück etwas an sich, das ihm größere Bedeutung verleiht als selbst den besten unter seinen übrigen Arbeiten. Es ist wärmeres Blut, mehr Menschlichkeit darin als in den anderen. Wenn es trotz seiner Naivetät einen verhältnismäßig mächtigen Eindruck macht, so ist der Grund davon der, daß Dumas hier sein eigenes Ich in all’ seiner leidenschaftlichen Gewaltsamkeit, mit seinem jugendlichen Enthusiasmus und seinen ritterlichen Instinkten auf die Szene gebracht hat. Antony ist ein Held von 1880, so beschaffen, wie es auch Hugo’s Helden alle sind: breitschultrig, mit einer Löwenmähne, begeistert und verzweifelt, geschaffen, um Schlaf und Speise entbehren zu können, immer bereit, sich oder einem Andern eine Kugel vor die Stirn zu schießen. Der heftige Beifall, welchen Antony fand, beruhte jedoch darauf, daß Dumas – was Hugo sniemals gewollt oder gekonnt – die Handlung um 1880 spielen und den Helden in demselben schwarzen Rock austreten ließ, den auch die Zuschauer trugen. Der Romantismus hatte sich im Drama freiwillig auf’s Mittelalter beschränkt. Hier stand er in der Gegenwart, in modernem Gewand.
Im Stücke selbst wird die Sache des Stückes verfochten. Im vierten Akt ist ein Gespräch eingelegt, das auf die litterarischen Kämpfe der Zeit anspielt, und bei dieser Gelegenheit sagt einer der Handelnden, ein Dichter, welcher die romantische Wiederbelebung des Mittelalters verteidigt:
»Das leidenschaftliche Drama muß notwendigerweise als historisches austreten. Denn die Geschichte meldet die leidenschaftlichsten Handlungen wie nackte Thatsachen. Wenn wir versuchten, mitten in unsrer modernen Gesellschaft das Herz zu enthüllen, das unter unsern häßlichen, unbequemen, schwarzen Röcken schlägt, würde die Ähnlichkeit zwischen dem Helden und dem Publikum allzugroß sein; |395| der Zuschauer, welcher die Entwickelung einer Leidenschaft verfolgt hat, würde in dem Augenblick Halt rufen, wo sie die Grenze überschreitet, an welcher er selbst stehen geblieben; er würde rufen: »Das ist verkehrt, ich fühle nicht so; wenn meine Geliebte mich betrügt, so schmerzt es mich gewiß, aber ich töte sie nicht und nehme mir auch nicht selbst das Leben.« Und der Ruf: Übertreibung, Bühnen-Effekt! würde den Beifall der wenigen Menschen übertäuben, welche fühlen, daß die Leidenschaft im neunzehnten Jahrhundert dieselbe ist wie im sechzehnten, und daß das Blut ebenso heiß unter einem Tuchrock wallt wie unter einem Stahlpanzer.«
Man kann sich den Beifallssturm denken, den diese Worte hervorriefen. Alle wollten zu diesen Wenigen gehören. Die Leidenschaft war an der Tagesordnung, man bewies die seinige durch Applaudieren. »Antony« ist auch in der That ein Konzert von rasenden Leidenschaften, das seinesgleichen sucht. Der Held kommt von einer mehrjährigen Reise nach Paris zurück und findet seine Jugendgeliebte verheiratet. Er rettet sie, als die Pferde mit ihrem Wagen durchgehen; dabei empfängt er einen Deichselstoß gegen die Brust, der ihn schwer verletzt. So wird er in ihr Haus getragen. Antony ist Bastard und Findelkind, darum ein geborener Rebell gegen die Gesetze der Gesellschaft: »Andre Menschen,« sagt er, »haben einen Vater, eine Mutter, einen Bruder; sie finden offene Arme, die sie aufnehmen, wenn sie leiden; mir gehört nicht einmal ein Grabstein, aus dem ich meinen Namen lesen und wo ich weinen kann; ich habe kein Vaterland, keine Familie. Alles war für mich in einem einzigen Namen enthalten, und diesen Namen auszusprechen soll mir verboten sein.« – Seine Geliebte erinnert ihn an die Forderungen der Gesellschaft: »Mögen es Gesetze sein oder Vorurteile, sie sind nun einmal so.« – »Warum«, versetzt er, »sollte ich mich ihnen unterwerfen! Wer hat mich je vor einem Unglück bewahrt, wer kann sich rühmen, mir einen Dienst erzeigt zu haben! |396| Ich habe nur Unrecht empfangen und ich schulde nur Haß. Man hat mir die Schande meiner armen Mutter auf die Stirne gebrannt.«
Adele liebt Antony, will ihn aber fliehen. In seiner Leidenschaft überrumpelt er sie auf einer Reise und bemächtigt sich ihrer in dem Gasthaus, wo sie sich aufhält, mit Gewalt. Selbst nach dieser unwürdigen Handlung entzieht sie ihm ihre Liebe nicht. Wir finden das Paar in Paris wieder. Das Abenteuer Beider ist bekannt geworden. Wir hören, wie heuchlerische Damen, welche die heimliche Lust zu Verbotenem mit untadelhafter Wahrung des Scheins Vereinen, Adelens Ruf zu vernichten bemüht sind. Diese Angriffe werden seitens guter Personen mit harmvollen Ergüssen über die Gesellschaft und deren Heuchelei beantwortet. Doch das Drama nähert sich seinem Abschluß: Der Ehemann, Oberst d’Hervey, kehrt von einer Reise zurück. Vergebens fordert Antony die Geliebte auf, mit ihm zu fliehen; schon hört man im Vorzimmer die Schritte des gekränkten Gatten – da zieht der Liebhaber seinen Dolch und stößt ihn Adele ins Herz, indem er, um ihre Ehre zu retten, dem Eintretenden zuruft: »Sie verschmähte mich und ich habe sie ermordet!«
Liest man das Stück heute, so nimmt es sich absurd und empörend aus. Es kommt Einem vor, als ob man ein solches Drama, falls es neu wäre, nicht sehen könnte, ohne da zu lächeln, wo man bewegt sein sollte. Man fragt sich heutzutage, woher es kam, daß ein gewähltes Theaterpublikum im Jahre 1831 bei der ersten Ausführung zu wahnsinnigem Jubel hingerissen wurde; denn die Zuschauer klatschten, weinten, heulten, und riefen Bravo ohne Ende. Das Stück wurde durch Bocage’s und Marie Dorval’s meisterhaftes Spiel getragen. Die begeisterte Jugend riß, wie Dumas erzählt, ihm seinen hübschen, grünen Rock geradezu in Stücken vom Leib, um die Fetzen als Reliquien zu bewahren. Wenn man diese Anekdote auch nicht buchstäblich nehmen darf, so ist es doch gewiß, daß die Begeisterung alle Grenzen überstieg.
|397| Die Erklärung liegt darin, daß wir niemals über ein Werk lachen, worin unsre Stimmungen und Gefühle zu Worte kommen. Antony repräsentierte die Leidenschaft, welche bis zur Roheit geht, aber diese vereint sich mit einem Zartgefühl, das eher sich eines Mordes schuldig macht, als daß es die Geliebte Kränkung und Hohn aussetzt; zugleich war. Antony auf Bhronsche Weise der heimlich auserwählte junge Held, welche gegen die Ungerechtigkeit des Schicksals kämpft und größer ist als sein Schicksal
Gänzlich blieb Übrigens auch in der damaligen Zeit eine überlegene Auffassung nicht aus. Bocage, welcher den Antony spielte, fand die Schlußworte so albern, daß er derselben gern überhoben gewesen wäre. Eines Abends fiel der Vorhang, ohne daß er dieselben gesprochen. Aber demselben Augenblick fing das Publikum an, wie besessen zu schreien und zu toben. Man wollte den Schluß . haben. Bocage hatte die Bühne bereits verlassen; da hatte Madame Dorvalf die ermordet auf sdem Theaterboden lag, die Geistesgegenwart, den Vorhang wieder heben zu lassen. Sie richtete sich halb « in die Höhe und sagte lächend, indem sie die Pronomina vertauschte: »Ich verschmähte ihn und er hat mich ermordet.«*)*
Eine einzige scharf satirische Stimme ließ sich aus der Peripherie des romantischen Kreises vernehmen. Wenn man in Jules Janins »Histoire de-1a littårature dramatique« die lange, vortreffliche Kritik über »Antony« liest – sicher die beste Kritik, welche Janin je geschrieben – wird man das Vergnügen haben, diese delirierende Romantik von heiterem Lachen übertönt zu sehen.Du kan slå ord fra Brandes' tekst op i ordbogen. Aktivér "ordbog" i toppen af siden for at komme i gang.