Will man ein lebendiges, übermütiges Bild von der jungen romantischen Zigeunerbande, die sich um Hugo sammelte, ein Bild, das sich durch mutwillige Selbstparodie auszeichnet, so lese man Théophile Gautiers »Les Jeunes-France«, das nach des Verfassers Intention eine Satire auf die Romantiker sein sollte, ungefähr so, wie Molière eine solche mit »Les Précieuses ridicules« in Beziehung auf die poetische Ziererei einer früheren Periode geübt hatte. Schade nur, daß »Les Jeunes-France« ein talentvoller Knabenstreich, während »Les Précieuses« ein Werk von bleibendem Werte ist. »Das junge Frankreich« entstand gleich nachdem Gautier ins romantische Lager aufgenommen war, und giebt, ähnlich wie die Poesieen von Petrus Borel und Philothée O’Neddy, einen Einblick in das burschikose Leben der damaligen Jugend. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß Gautier dieses Buch geschrieben, denn im Grunde war und blieb er bis zu seinem Tode der echte Künstler-Zigeuner, beständig mit der Gesellschaft und ihren Begriffen von Achtbarkeit überworfen. Er führte in seiner Jugend sein wahrhaftes Boheme-Leben als Maler, Poet und Reisender; in späteren Jahren haufte er zusammen mit seinen Schwestern und seinen Kindern, ohne je ans Heiraten zu denken. Von seinen verschiedenen Verbindungen währte die mit Ernesta Grisi, der Mutter seiner Töchter Judith und Estella, am längsten. Für ihre Schwester Carlotta hegte er gleichfalls längere Zeit sehr warme Gefühle, und für sie hat er seine Ballette geschrieben. War er auch als Liebhaber flatterhaft, so war er dafür als Bruder und Vater höchst liebreich; |340| er gab seinen Töchtern eine musterhafte Erziehung und hatte unter anderem den guten Einfall, sie Sprachen wie Japanesisch und Chinesisch lernen zu lassen, deren Kenntnis selten genug war, um einer alleinstehenden Dame für alle Fälle als Stütze zu dienen. Es ist bekannt, daß Judith Gautier später auch wirklich Nutzen daraus zog.
Das Buch, welches den vollsten Eindruck von Théophile Gautiers Gemütsleben als Jüngling giebt, ist indeß nicht »Les Jeunes-France«, sondern der unmittelbar nach dieser Schrift entstandene Roman »Mademoiselle de Maupin« (1836). In diesem Werk schäumt die Jugend wie Champagner. Es ist ein sehr heidnisches und stellenweise sehr unanständiges Buch – unanständig wie ein Diang von Crébillon fils – aber es ist Kraft darin; und so übertrieben es auch ist, wenn Swinburne es »the golden book of beauty« nennt, so verrät es doch einen ganz außerordentlichen Schönheitssinn. Es war gleichsam der Absluß einer überströmenden jugendlichen Lebenskraft.
Théophile Gautier war ursprünglich zart und schmächtig gewesen und zeichnete sich bei körperlichen Übungen nur im Schwimmen aus; aber es war sein Ideal, ein rechter Kraftheld zu werden, und die öffentlich auftretenden Athleten und Boxer erschienen ihm als die ersten der Sterblichen. Er nahm mehrere Jahre hindurch Unterricht im Stocksechten, Boxen, Reiten und Rudern, und ließ damit nicht nach, bis seine Körperkonstitution sich gänzlich verändert hatte. An dem Tage, als »Château-Rouge« eröffnet wurde, hatte er den unbeschreiblichen Triumph, einen ganz neuen »Türkenkopf« (einen Apparat zum Messen der Kräfte) mit einem Faustschlag von 532 Pfund Gewicht zu treffen, der historisch geworden ist. »Dies,« sagt er mit naiver Liebenswürdigkeit in seiner selbstbiographischen Notiz, »ist diejenige Handlung in meinem Leben, auf welche ich am stolzesten bin,« und man kann überzeugt sein, daß diese Worte buchstäblich gemeint sind. Denn noch in späteren Jahren pflegte er, wenn man in befreundetem Kreise seinen Para|341|doxen widersprach und Alle zugleich auf ihn einredeten, Stillschweigen zu gebieten, indem er mit seiner weichen, etwas heisern Stimme überlaut rief: »Ich bin ein ganzer Kerl; ich treffe einen Türkenkopf mit 580 Pfund und schreibe ordentlich zusammenhängende Gleichnisse. Was wollt Ihr mehr?«*)*
In »Mademoiselle de Maupin« äußert sich zugleich der junge Dandy, der die Fähigkeit hat, ausgiebige Faustschläge zu erteilen, und andrerseits der feine Künstler, dessen Gleichnisse in Zusammenhang stehen, d. h. der die Worte in übertragener Bedeutung nur solcherweise anwendet, daß der Satz ein Bild für das Auge abgiebt. Aber vor Allem spürt man hier doch das rein antike und plastische Naturell des Dichters, durch welches er sich von allen seinen Zeitgenossen in jener reichen Generation unterscheidet. Gautier hat sich selbst einmal in dem Buch gemalt, da wo er den Helden dessen Wesen schildern läßt: »Ich bin ein Mensch aus den homerischen Zeiten; die Welt, in der ich lebe, paßt nicht für mich, und ich verstehe nichts von der Gesellschaft, die mich umgiebt. Christus ist nicht für mich auf die Welt gekommen, ich bin so heidnisch wie Alkibiades oder Phidias es gewesen. Niemals habe ich Passionsblumen auf Golgatha gepflückt, der tiefe rote Strom, der aus der Seite des Gekreuzigten über die Welt sich ergießt, hat mich nicht in seinen Wellen gebadet. Mein rebellischer Körper will die Oberhoheit des Geistes nicht anerkennen, mein Fleisch mag vom Kasteien nichts wissen. Für mich ist die Erde ebenso schön wie der Himmel, und ich glaube, daß die Vollkommenheit der Form die wahre Tugend ist. Eine Statue ist mir lieber als ein Phantom und der Mittag angenehmer als die Dämmerung. Drei Dinge gefallen mir: Gold, Marmor und Purpur – Glanz, Festigkeit und Farbe. Aus diesen Stoffen sind meine Träume gebildet und alle meine Lustschlösser gebaut […] Niemals seh’ ich Nebel oder Dunst vor mir, nie etwas Unsicheres |342| und Verschwommenes. Mein Himmel hat keine Wolken, oder wenn an ihm doch solche hinziehen, so sind es feste, mit dem Meißel ausgehauene Wolken, aus den Marmorsplittern, die von Jupiters Bildsäule herabgefallen sind, gehäufte […]; denn ich liebe nur, was ich mit Fingern greifen kann, und die Rundung des Kontur will ich bis in die feinsten Falten verfolgen. So bin ich immer gewesen. Ich sehe die Frauen mit dem Auge des Bildhauers, nicht mit dem Blick eines Liebhabers an; ich habe mich mein ganzes Leben hindurch nur um die Form des Flacons, niemals um dessen Inhalt gekümmert. Hätte ich Pandoras Büchse in die Hände bekommen, wer weiß, ob ich sie geöffnet hätte.«Théophile Gautier ist einer von den französischen Romantikern, welche deutliche Parallelen mit den deutschen darbieten. Seine Novelle »Fortunio« ist mit ihrer Verherrlichung des Genusses und des Müßigganges das französische Seitenstück zu Friedrich Schlegels »Lucinde«. Auch seine Geringschätzung des vornehmlich Dichterischen in der Poesie erinnert an die deutschen Romantiker. Er sagte eines Tages zu Taine, der auf Kosten Hugos seine Vorliebe für Musset äußerte: »Taine, Sie scheinen mir in den bürgerlichen Idiotismus zu verfallen. Empfindsamkeit von der Poesie zu verlangen! […] daraus kommt es gar nicht an. Strahlende Worte! Leuchtende Worte mit einem Rhythmus und einer Musik! Das ist Poesie! Das sagt nichts, das beweist nichts! Nehmen Sie z. V. den Anfang von Hugos »Ratbert«, es giebt keine Poesie in der Welt wie diese; es ist das Plateau des Himalaya. Ganz Italien mit allen seinen mittelalterlichen Wappenschilden ist darin vertreten, und doch sind es nichts weiter als Worte.« Er gleicht Tieck in seiner Liebe zu einer Poesie ohne Gedanken, einer Poesie der reinen Form; doch unterscheidet er sich als guter Romane desto schärfer von ihm in einem andern Punkte: während Tieck die Worte zu Tönen verflüchtigen, die Dichtung zu bloßer Stimmung, zu Musik verdünnen wollte (»Liebe denkt in süßen Tönen, denn Gedanken stehn zu fern«), |343| wollte Gautier umgekehrt die Worte Funken und Farben sprühen lassen und die Dichtkunst zu Wortmalerei und Wortplastik verdichten. Dagegen stimmt er mit den deutschen Romantikern vollständig überein im Haß gegen den Utilitarismus. Seine Formel »L’art pour Part« entsprang diesem Haß. Dieser Grundsatz, welchen er in der Vorrede zu »Mademoiselle de Maupin« zum ersten Mal mit Glanz verfocht, ist, von einer Seite betrachtet, unbedingt gültig. Er ist wahr und unbestreitbar in dem Sinne, als die Kunst nicht denselben Schicklichkeitsregeln unterworfen ist, welche mit Recht das Leben beherrschen, noch weniger denen, welche sich mit Unrecht darin geltend machen. Gleichwie inmitten eines Menschenschwarmes nackt dazustehen etwas ist, was sich recht wohl für eine Statue, nicht aber für einen Mann oder eine Frau schickt, so sind überhaupt Leben und Kunst dem Moralbegriff gegenüber himmelweit verschieden. Gautier war daher ununterbrochen bemüht, die Kunst von der moralisierenden Kritik loszukämpfen. In der jugendlich heftigen Vorrede zu »Mademoiselle de Maupin« schleudert er den utilitarischen Kritikern entgegen: »Nein, Ihr Dummköpfe, Ihr Cretins, die Kunst kocht keine Hafersuppen, ein Sonett ist keine Klystierspritze und ein Drama keine Eisenbahn – lauter höchst nützliche Dinge.« Von den ewig nörgelnden Kritikern sagt er: »Wenn auf einem Gemälde oder in einem Buch eine oder die andere Nudität ist, schnüffeln diese Leute gleich danach wie die Sau nach dem Pfuhl […]« und mit Hindeutung auf »Tartuffe« fährt er fort: »Von mir aus kann Dorine, die artige Soubrette, gerne ihren schönen Hals unbedeckt lassen, ich ziehe deshalb nicht mein Taschentuch heraus. Ich betrachte ihn, wie ich ihr Gesicht betrachte, und ist er weiß und wohlgeformt, so hab’ ich meine Freude daran.« Und um sich gegen die wiederholt erhobene Beschuldigung der Unsittlichkeit zu wehren, schreibt er: »Eine äußerst komische Varietät von dem tugendhaften Journalisten ist derjenige mit weiblichen Anverwandten. Um sich als Journalist dieser Art niederzulassen, |344| muß man sich erst mit verschiedenem Hausrat versehen, als da sind: zwei bis drei legitime Gattinnen, einige Mütter, so viele Schwestern wie möglich und ein vollständiges Assortiment von Töchtern und Cousinen. Dann muß man auch Feder, Papier, Tinte und einen Buchdrucker, ein oder das andere Buch, das man herunterreißen kann, haben […] Nun schreibt man: Es ist unmöglich, seine Frau in dies Stück zu führen […] Es ist unmöglich, einer Dame, die man achtet, dies Buch in die Hand zu geben […] Ihre Gemahlin muß ihr Erröten hinter dem Fächer verbergen, Ihre Schwester, Ihre Cousine u. s. w. (man kann die verschiedenen Würden anbringen, es handelt sich nur darum, daß man derlei weibliche Wesen zur Verfügung hat).« – Läßt Gautiers dichterische Praxis sich auch nicht immer verteidigen, so hatte er doch Recht in seiner Theorie. Die Poesie hat ihre eigene Sittlichkeit, diejenige, welche aus dem Wesen der Schönheits- und Wahrheitsliebe folgt, das ihr eigenes Wesen ist, wie verhüllt und indirekt es sich auch äußere; aber sie ist nicht an die gesellschaftlichen Rücksichten unseres Verkehrslebens gebunden. Die Poesie an und für sich ist eine sittliche Macht, ganz wie die Wissenschaft, die Physiologie z. B., obschon auch diese sich nicht an das bindet, was der gute Ton in Beziehung auf die Grenzen dessen, was besprochen werden darf, vorschreibt. Es giebt unsittkiche Poeten, wie es unsittriche Ärzte giebt, aber ihre Immoralität hat nichts mit jener Rücksichtslosigkeit zu schaffen, welche die Aufgabe der Kunst wie die der Wissenschaft bedingt, und welche aus der Natur derselben entspringt.
Zur Einprägung dieser Wahrheit eignete sich besonders ein plastisches und malerisches Temperament wie Gautier es besaß, der sich den sogenannten moralischen Anforderungen an die Dichtkunst nicht unterordnen konnte, ohne sein ganzes Talent zu opfern. Seine besondere Gabe besteht darin, die Sinnenwelt in Worten wiederzugeben. Er ist der Erste, welcher glänzend den Beweis geliefert, daß die Grenzen der Poesie weitere sind, als sie Lessing im |345| »Laokoon« ihr gesteckt hat; er beschrieb Vieles, was Lessing dichterisch zu behandeln für unmöglich hielt. Da ist nichts, wofür ihm Worte fehlten, weder für die Schönheit einer Frau noch für die Physiognomie einer Stadt, weder für den Geschmack einer Speise noch für den Klang einer Stimme. »Seit wir ihn haben,« sagte einmal Sainte-Beuve, »ist das Wort »indicible« (unsagbar) nicht mehr französisch.« Er hatte die gewöhnliche romantischklassische Scheu vor sprachlichen Neubildungen, aber er hat das moderne Französisch mit einer Fülle von Worten aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, die mit Unrecht außer Brauch gekommen waren, und mit einer Menge scharf bezeichnender technischer Ausdrücke bereichert. Bekanntlich waren die französischen Wörterbücher seine liebste, beständige Lektüre.
Gewiß war er ein ganz aufs Äußerliche angelegter Geist; doch bedarf es keiner geringen innern Tiefe und großen künstlerischen Ernstes, um in seinem Sinne äußerlich zu sein; allerdings ging er in seiner Poesie nicht darauf aus, die gefühlvollen Herzen zu rühren; aber selbst Goethe hatte Stimmungen, die ihm Worte eingaben wie folgende:
Gautier’s Roman »Capitaine Fracasse«, welchen er in seiner Jugend entworfen hatte, aber erst in reiferen Jahren ausführte, giebt den klarsten Eindruck von seiner Prosa. Die Personen darin sieht man wie in der Natur in ihrer ganzen äußeren Gestalt, mit ihrer Kleidung, ihren Bewegungen, und nie verliert man den architektonischen oder landschaftlichen Hintergrund aus dem Auge.
Das erste Kapitel mit der Überschrift »Das Schloß des Elends« schildert eine wandernde Schauspielertruppe, welche zur Zeit Ludwigs XIII. in dem verfallenen Ahnenschloß eines armen Barons bei der Beleuchtung von zwei mit Goldpapier überklebten hölzernen Theaterkandelabern ihre Abendmahlzeit hält.
|346| Die Beschreibung erinnert an das unter dem Namen »Esthers Hochzeit« berühmte Rembrandtsche Gemälde in Dresden. Man sieht wie sich die Gesichter im Lichterschein markieren und wie die Schatten an den Wänden hinauskriechen. Nicht ein sentimentales Wort kommt darin vor, aber in der Stimmung liegt eine so feine Wehmut, daß man das Wort versteht, welches Gautier zu Feydeau sagte, als dieser ihn schreibend traf: »Es ist eine genaue Schilderung meines Seelenzustandes.«
Ein anderes Kapitel beschreibt unter der Überschrift »Im Schnee« (Effet de neige), wie der Karren der Schauspieler bei Nachtzeit durch den hohen Schnee fährt; wie derjenige unter ihnen, welcher den Matamore (den großprahlerischen Soldaten) zu spielen pflegt und der dem Karren zu Fuße folgte, von den Anderen vermißt wird; wie sie ihn suchen und vergebens mit aller Kraft ihrer Lungen seinen Namen über das weite Schneefeld rufen. Keine Antwort. Einer von ihnen trägt eine Laterne, deren roter Reflex sich über den Schnee hin bewegt, wir sehen die langen, ungeformten Schatten, welche die Männer auf den weißen Grund werfen. Heulend begleitet sie der schwarze Hund der Truppe. Plötzlich verstummt dieser und es tritt jene Totenstille ein, welche entsteht, wenn der fallende Schnee jeden Laut dämpft. Endlich glaubt der, welcher die schärfsten Augen hat, am Fuße eines Baumes eine phantastische Gestalt zu sehen, seltsam und unheilverkündend steif. Es ist der arme Matamore. Er lehnt mit dem Rücken gegen den Stamm des Baumes und seine langen Beine liegen auf der Erde ausgestreckt, halb bedeckt vom niederwirbelnden Schnee. Sein ungeheurer Degen, den er niemals ablegte, bildet mit seinem Oberkörper einen so possierlichen Winkel, daß man unter anderen Umständen darüber hätte lächeln mögen. Der mit der Laterne leuchtet ihm in das Gesicht und ist nahe daran, sie vor Schreck fallen zu lassen. Das Gesicht, weiß wie Wachs, sieht aus, als ob die knöchernen Finger des Todes die Nasenlöcher zusammengeklemmt |347| hätten; das Nasenbein leuchtet wie die glänzend weiße Rückensläche eines Tintenfisches; die Haut ist stramm über der Schläfe gespannt; Schneeflocken liegen auf den Augenbrauen und den Lidern; die aufgesperrten Augen stieren mit gläsernem Glanz. An den Enden des großen, spitzen Knebelbartes glitzert ein Eiszapfen, unter dessen Gewicht sie sich etwas abwärts biegen. Das Siegel des ewigen Schweigens hat die Lippen geschlossen, von denen so manche lustige Prahlerei hinausging in den Zuschauerraum, und der Tod grinst aus dem bleichen, hagern Gesicht, in welches die Gewohnheit, Grimassen zu schneiden, schauerlich-komische Furchen gegraben. »Ach«, sagt einer von den Kameraden, »der arme Matamore ist tot. Müde und verwirrt vom Schneegestöber, hat er einen Augenblick Rast unter diesem Baume gesucht, und da er nicht zwei Lot Fleisch am Leibe hat, ist er in Mark und Bein erfroren. Um in Paris Effekt zu machen, verringerte er täglich seine Ration und machte sich magerer als ein Windspiel zur Jagdzeit. Armer Matamore! nun bist du sicher vor allen Nasenstübern, Fußtritten und Stockprügeln, welche deine Rolle dich verpflichtete hinzunehmen. Jetzt liegst du da so steif, als hättest du deinen langen Haudegen verschluckt.« Das Gefühlvolle in der Situation kommt hier indirekt durch gewissenhafte Plastik zum Ausdruck.
Es ist jedoch bei einer Kunst, wie die Gautiers war, natürlich, daß er sich in das Gefühlvolle nur selten verlor. Allmählich, besonders mit den Jahren, nahm er eine Art der Beschreibung an, die, so vollendet sie auch war, doch mehr und mehr seelenlos wurde. Er hatte eine Leidenschaft fürs Reisen, besuchte 1840 Spanien, 1845 im Gefolge des Herzogs von Aumale Afrika, 1850 Italien, 1852 Constantinopel, das Jahr darauf Rußland, wo er bis Nowgorod kam u. s. w. Alle diese Reisen hat er beschrieben, oft lange nach der Heimkunft, aber bei seinem fabelhaften Gedächtnis für äußere Dinge mit einer Genauigkeit und Wahrheit ohne gleichen. Nur täuscht sich der Leser, wenn er glaubt, daß diese Beschreibungen, |348| die über Alles und Jedes in jenen Ländern getreulich berichten, auch über die Bewohner derselben Auskunft geben. Als Madame de Girardin sein »Tra los montes« gelesen hatte, soll sie zu ihm gesagt haben: »Aber, Théo, giebt es denn keine Spanier in Spanien?« und diese Kritik paßt auf alle seine Bücher dieser Art. Allmählich hörte der innere Mensch auf für ihn zu existieren, und selbst der äußere verschwand zuletzt hinter dem Kostüm. In Gautiers Gesprächen mit seinem Schwiegersohn Bergerat kommt die drollige und bezeichnende Äußerung vor: »Ein Königstiger ist schöner als ein Mensch; wenn aber der Mensch sich einen prächtigen Anng von Tigerfell fertigt, so ist der Mensch schöner als der Tiger, und ich fange an, ihn zu bewundern. Ebenso interessiert mich eine Stadt nur durch ihre Denkmäler, die ja nichts Anderes sind als das gemeinsame Resultat des Geistes ihrer Bevölkerung. Was schert ich mich darum, ob diese Bevölkerung schmutzig ist, oder ob diese Stadt vielleicht den Inbegriff aller möglichen Verbrechen beherbergt, wenn man mich nur nicht totschlägt, während ich ihre Monumente betrachte.« Hier sehen wir den reinen Schönheits- und Kunstkultus in seine bezeichnendste Äußerungsform ausarten. Das Menschliche, das selig Bewegte, das Moderne, das Leben selbst verlor zuletzt alles Interesse für Gautier in seiner Eigenschaft als Künstler und Kunstliebhaber. Darum ging auch nach und nach sein ganzer Sinn für die dramatische Kunst im Interesse für den Stil, das Kostüm und die Dekoration auf. Er pflegte zu sagen, daß ein Schaufpieldichter Alles das, was er gesagt haben wollte, von der Bühne herab sagen lassen könne mit nur vier Pierrots, die er in verschiedenen Situationen anbringe; denn es handle sich nur darum, »den Eindruck des Lebens, nicht das Leben selbst« darzustellen; »das Leben selbst ist allzu häßlich,« fügte er gerne hinzu.
So lieferte er zuletzt gewissermaßen eine Kritik über sich selbst und verriet allen Anderen, seine blinden Bewunderer ausgenommen, |349| wo seine Grenze lag. Er zeigt die Kehrseite der Losung »L’art pour 1’art«: eine Kunst, die sich nur um ihre eigene Achse dreht, wird notwendigerweise zuletzt unfruchtbar und leer. Die reine Kunstbegeisterung schafft eine Galatea aus Marmor; der Gedankenstrom der Zeit ist allein der göttliche Geist, welcher der Statue Leben einhaucht.
Daß Gautier indes mit einer Energie wie kein Anderer die Kunst von fremden Anforderungen emanzipierte und sie so eigentümlich entwickelte, wie er es that, war ein großes und gutes Werk. War es auch noch kein genügender Gewinn für die Kunst, so war die Leistung für den Einzelnen groß genug. Man kann jedoch keineswegs sagen, daß Gautiers Talent vor seinem Tode nach Gebühr verstanden und geschätzt wurde; er hatte sein Publikum unter allen künstlerisch Gebildeten, aber die bloß litterarisch Gebildeten, nicht zu reden von der großen Lesewelt, verstanden von seinen Vorzügen Nichts. Wie oft ließ ich mir nicht in Frankreich von Gelehrten die alberne Geschichte erzählen, daß Gautier seine Bücher in den Wörterbüchern zusammengesucht habe, ohne für etwas Anderes Sinn als für den Klang und die Seltsamkeit des Wortes an sich zu haben.
Was diesen Unverstand einigermaßen erklärt, ist, daß der Feuilletonist Gautier nach und nach den Poeten dieses Namens so ziemlich in den Hintergrund gedrängt hatte. Schon im Jahre 1886 war er, der den Journalisten so bittere Wahrheiten gesagt, in die Tagespresse eingetreten, um sein Brot zu verdienen. Von da an bis zu seinem Tode – 36 Jahre hindurch – blieb er ununterbrochen Journalist. Die Leichtigkeit, womit er schrieb, kam ihm dabei zu gute. Er vollbrachte als Kunst- und Theaterkritiker eine wahre Herkulesarbeit. Nach seiner eigenen und Bergerats damit übereinstimmenden Berechnung, die wahrscheinlich doch übertrieben sein dürfte, würden seine Werke, falls man alle seine Artikel sammelte, sich auf 300 Bände belaufen. Er schrieb zuerst neunzehn |350| Jahre lang für Girardins »La Presse«, später unter dem Kaiserreich meistens für den »Moniteur officiel«. Ich habe alle seine Theaterkritiken, die er nur widerstrebend verfaßte, gelesen; sie besitzen keinen anderen Wert als den stilistischen. Als Kunstkritiker beschränkte er sich immer mehr auf die Beschreibung von Bildern, und auf diesem Gebiet war er ein unerreichter Meister. Der Überdruß am Handwerk, die Unlust, sich Feinde zu machen, das Mitleid mit Anfängern und Unbegabten, endlich eine große Gutmütigkeit und eine nicht weniger große Gleichgültigkeit machten ihn stets nachsichtiger. Zuletzt lobte er fast Alle und Alles mit demselben souveränen Phlegma und in dem gleichen sichern, farbigen Stil. Das große Publikum kannte ihn nur als Kunstkenner, Kunstschriftsteller und Feuilletonisten.
Aber gleichzeitig übte er in aller Stille auf Dichter und Schriftsteller einen mächtigen Einfluß. Von Théophile Gautier stammen in gerader Linie ab: der ausgezeichnete Prosaist Paul de Saint-Victor, ferner Leconte de Lisle, der Gefühlloseste unter den modernen Dichtern, der »satanische« Lyriker Baudelaire und endlich die ganze Gruppe junger Dichter, welche sich während des Kaiserreichs unter dem Namen »Les Parnassiens« vereinigten. Saint-Victor erbte von ihm den Farben- und Formensinn, seine Liebe zur bildenden Kunst; Leconte de Lisle sein Talent, sich mit den fremden Kulturen zu identifizieren, sowie seine orientalische Ruhe; Baudelaire seine Vorliebe für den Hautgout der Gefühle und der Sinne, und die parnassischen Lyriker seine untadelige Meisterschaft in der Behandlung des Verses.
Doch obgleich Gautier solcherweise weit hinaus über die Zeit von 1830 gewirkt und lang’ über seine Lebenszeit hinaus wirken wird, ist sein Name doch wie nicht leicht ein anderer mit der ersten Kampfperiode des Romantismus eng verknüpft. Es ist ein bezeichnender und rührender Zug, daß sein letzter, unvollendeter Artikel eine Schilderung des Theaterpublikums ist, das der ersten Ausführung von Victor Hugo’s »Hernani« beiwohnte.
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