Die romantische Schule in Frankreich (1883)

|[326]| XXVII.

An einem der ersten Tage des Jahres 1880 wandelten in Paris drei junge Leute nach einem abseits liegenden Hause nahe den Champs Elysees, dem einzigen, das damals in der eben erst abgesteckten Straße stand. Der eine, im Alter von neunzehn Jahren stehend, hatte einen Gang, der an das hüpfende Trippeln eines Vogels gemahnte, seine Haltung war vornübergebeugt, seine Taschen strotzten von Manuskripten. Es war der seine Phantast, der liebenswürdige Poet Gerard de Nerval, dessen Hauptbeschäftigung es bildete, sich im Dienste seiner Freunde die Beine abzulaufen. Neben ihm schritt in würdiger Haltung mit castilianischem Ernst in den Mienen der bleiche, schwarzbärtige Petrus Borel, der als der ältere – er zählte schon zweiundzwanzig – der Mittelpunkt einer ganzen Gruppe von kunstbegeisterten Jünglingen war; in einigem Abstand endlich folgte zögernden Ganges und sehr erregt ein achtzehnjähriger, hübscher Mensch mit olivengelber Gesichtsfarbe und regelmäßigen Zügen, welchem die Freunde versprochen hatten, ihn bei Victor Hugo, dem Bewohner des einsamen Hauses, einzuführen, da ihnen das vielbeneidete Glück zu Teil ward, dort gern gesehene Gäste zu sein.

Zweimal stieg der junge Gautier hinter Nerval und Borel die Treppe hinauf, langsam, als hätte er Blei in den Füßen; nur mit Mühe konnte er atmen, der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirne und sein Herz klopfte hörbar. Jedesmal, wenn sie an die Thüre kamen und sich anschickten, die Glocke zu ziehen, |327| jagte er, von Angst überwältigt, beschleunigten Laufes die Treppe wieder hinunter, verfolgt von seinen lachenden Beschützern. Wie es im Märchen zu gehen pflegt, glückte erst der dritte Versuch. Gautier bat um Erlaubnis, ein Weilchen auf der obersten Stufe ausruhen zu dürfen, er wollte sich etwas erholen, denn Alles schien um ihn zu tanzen. In diesem Augenblick öffnete sich die Thür des Vorzimmers, und in einem Strahlenglanz, wie er Phöbus Apollo umfließt, erschien gegenüber der dunkeln Treppe kein geringerer als Victor Hugo selbst in all seiner Ruhmesherrlichkeit, durchaus bürgerlich gekleidet, in schwarzem Rock und grauen Hosen, und ebenso sorgfältig rasiert wie der erste beste Philister. Er lächelte beim Anblick des betroffenen Jünglings, schien aber nicht sehr überrascht – war er es doch gewohnt, junge Dichter und Künstler aus seiner Schwelle bald errötend, bald erbleichend sich in Stammeln verlieren zu sehen. Er stand augenscheinlich zu Gautiers höchlichster Verwunderung im Begriff, auf die Straße zu gehen wie ein gewöhnlicher Sterblicher; es hätte ihn weniger verblüfft, wenn Hugo im Triumphwagen durch die Stadt gefahren wäre, gezogen von milchweißen Rossen, mit der Siegesgöttin, einen goldenen Kranz über seinem Haupte haltend, voran. Indes kehrte der Dichter wieder in sein Zimmer zurück, und Théophile Gautier wohnte als stummer Zuhörer dem Gespräch zwischen ihm und seinen beiden jungen Freunden bei; er selbst war viel zu befangen, um mitzureden. Aber mit diesem Besuch beginnt gleichwohl eine neue Epoche in seinem Dasein; denn von diesem Augenblick an bis zu seinem Tode war er Hugos geschworener Anhänger, dessen glühender Bewunderer, dankbarer Schüler und unverdrossener Herold. Niemals, auch nicht nur flüchtig, selbst nicht während langjähriger Trennung, noch bei dem Abstand, den verschiedene politische Richtungen mit sich bringen, vergaß er die unbedingte Treue gegen den, welchen er im Innern seit der ersten Begegnung seinen Herrn und Meister nannte.

|328| Die Veranlassung zu diesem Besuch war die erste Aufführung von »Hernani« im Théâtre francais. Man kam, um einige Packete von jenen kleinen, viereckigen Billets zu holen, an welchen mittels Stempel »Hierro « gedruckt stand. Gautier, welcher »Die Orientalen« gelesen hatte, war für das Stück schon begeistert, eh’ er es nur kannte.

Er war in dem Viertel, das er bewohnte, längst bekannt durch seine Extravaganz. In jeder Weise forderte er jenen abstrakten Spießbürger heraus, der den jungen Romantikern so verhaßt war. Er ging für gewöhnlich in einem kurzen, schwarzen Sammetrock und gelben Lederschuhen, immer barhaupt, das lange, dunkelbraune Haar, das trefflich zu seinem mattgelben Teint stimmte, ließ er bis zum Gürtel herabwallen; so stolzierte er unter einem ausgespannten Regen- oder Sonnenschirm, die Cigarre im Munde, mit strammer Haltung und jugendlicher Majestät einher, ohne sich im entferntesten um die höhnischen Blicke der indignierten Bürger oder um die Zurufe der lachlustigen Gassenjungen zu kümmern. Er strafte ihre Meinung mit vollkommener Verachtung.

Aber er fühlte die Notwendigkeit, zu der ersten Ausführung von Hernani noch ganz besondere Vorbereitungen zu treffen. Er bestellte sich »die rote Weste« – jene Weste, die eines der weltberühmtesten Kleidungsstücke werden sollte. Ihre Farbe war nicht das Rot, welches Revolutionsmänneri als Symbol erwählt und an welches die Politiker bei seiner Erwähnung denken – nein, es war das Feuerrot, welches die damaligen jungen Künstler als Emblem für ihren Haß gegen das Graue deuteten. Es war ein Stückscharlachfarbenen Atlas, dessen Farbentöne den jungen Maler und Dichter entzückten. Er sah es mit Blicken des Wohlgefallens an, wie ich mir denke, daß Paul Veronese ein Stück Seidenzeug betrachtet haben mag. – Als Gautier in Besitz dieses Schatzes gelangt war, ließ er den Schneider zusich bescheiden. Er entwickelte ihm seinen Plan: aus diesem Stoff sollte eine Weste ge|329|fertigt werden, ja eine Weste; sie sollte sein wie ein Küraß, über der Brust gewölbt und rückwärts zugehakt werden. »Wenn man«, erzählt Gautier, »unter den akademischen Abbildungen, die die verschiedenen menschlichen Gesichtsausdrücke wiedergeben, eine von denen heraussucht, welche die Bezeichnung »Verwunderung« haben, so kann man sich ungefähr eine Idee von der Miene machen, die der Schneider zeigte.« – »Aber eine solche Weste ist nicht modern«, wandte er furchtsam ein. – »Sie wird schon in Mode kommen«, versetzte Gautier. – »Doch ich kenne diesen Schnitt nicht. Er nähert sich mehr dem Theaterstil als der alltäglichen Tracht; ich fürchte den Stoff zu verschneiden.« – »Seien Sie ganz ruhig, ich werde Ihnen ein Muster in Leinwand zuschneiden.« – Die Weste wurde gefertigt, und mit ruhigem Stolz und überlegener Kaltblütigkeit hielt Gautier an jenem denkwürdigen, stürmischen Theaterabend das ganze Kreuzfeuer aus, welches die Fernrohre der Philister gegen ihn sprühen ließen, während zugleich die Menge mit Fingern nach ihm zeigte. Sein Name verschmolz mit der Legende von der roten Weste, obschon er dieselbe nur an jenem einen Abend trug; man wußte lange nichts weiter von ihm, als daß er sie damals angehabt – ich selbst habe 1867 in Paris Leute getroffen, die meinten, er trüge sie noch – sie strahlt bis auf den heutigen Tag in der Geschichte der französischen Litteratur als ein kindliches Symbol von der Vorliebe jener enthusiastischen Jugend für das Leuchtende und Farbenprächtige im Leben.

Aber das eigentlich Leuchtende und Feuerrote war für ihn die Kunst, die reine Kunst. Die unbegrenzte, rücksichtslose Liebe zur Kunst als solcher erfüllte selten ein Herz in dem Maße wie das Gautier’s. Er bewahrte diese Liebe bis zum Tode; aber in seiner Jugend gab sie ihm alle jene Genüsse, welche sie spendet, alle die Bewunderung, die sie verursacht, all’ den Mut, den sie einflößt, und all’den Haß, den sie entfacht.

Diese Liebe war auch schuld daran, daß er in tiefer edler |330| Bescheidenheit voll Bewunderung zu Künstlern emporblickte – er, der doch selbst ein Meister war. Er wurde Hugos Page, Balzacs aufopfernder Freund. Er war Dichter, aber die Bewunderung machte ihn zum Kritiker. Keiner hatte eine größere Freude als er an einem wohlgebauten Vers, einem leuchtenden Wort, einem malerischen Ausdruck, einer kräftigen Phantasie, einer kühnen Schwärmerei. Er war Maler, bevor er Poet wurde; Niemand erkannte so warm wie er die mächtige, wenn auch etwas unsicher tastende Originalität Delacroix’ an, dessen glänzende Pracht des Kolorits, welche alles Verzeichnete überstrahlte. Mit Heftigkeit fiel er deshalb als Kritiker über Scribe’s Platitüden und Delavigne’s reformatorische Vorsicht her, über schale Vaudevilles und leidenschaftslose Tragödien; denn er betete den Stil an und lieber, weit lieber, als er im Gymnase-Theater sich ein bürgerliches Lustspiel ansah, wohnte er einer Kunstreitervorstellung im Cirkus bei, wo man doch nur Hop! und Hü! schrie und also bei weitem nicht so viele Sünden gegen Syntax und Metrik beging als Scribe. Mit welchem Zorn griff er nicht Delaroche an, als dieser (dessen Talent sich erst spät entfaltete) durch seine geleckten Darstellungen aus der Geschichte des Mittelalters die Halbgebildeten hinriß, welche so weit gingen, sein Mittelalter demjenigen Hugo’s und Delacroix’ vorzuziehen! Das zaghafte Talent höher zu stellen als das rücksichtslose und erschreckende Genie – das war in Gautiers Augen die eigentliche Sünde gegen den heiligen Geist; mit wahren Tigersprüngen stürzte er sich auf die Popularität dieser Talente. Er hätte, wie er es später selbst gesteht, zu jener Zeit Delaroche mit Haut und Haar verschlingen können, ohne sich Gewissensbisse darüber zu machen.

Die Kunst um der Kunst willen! Die Kunst als Selbstzweck! Das war Gautiers Losung. Er liebte die Kunst (wie man überhaupt liebt) um des geliebten Gegenstandes selber willen (1’art pour l’art), das heißt er liebte sie ohne Rücksicht auf die |330| sogenannte Moralität oder Im moralität, Nationalität oder Fremdartigkeit, Nutzen oder Nutzlosigkeit derselben.

Durch diese seine Vergötterung der Kunst bezeichnet er eine Entwickelungsstufe in der Geschichte der Romantik. Die litterarische Renaissance hatte ja mit der Andacht gegenüber dem Katholizismus und dem legitimistischen Königreich begonnen. Als die Bewegung mit Hugo an der Spitze ihren zweiten großen Anlauf nahm, geschah dies eine Zeitlang aus Begeisterung für die Kunst nur als Kunst; doch diese Begeisterung war bei der Mehrzahl ihrer Vertreter halb unbewußt, sie verbarg sich hinter der Schwärmerei fürs Mittelalter, für das sechzehnte Jahrhundert, für heftige Leidenschaften, die Lokalfarbe u. s. w. Gautier war der einzige, welcher sich jenes latenten Prinzips voll und ganz bewußt war; daher ist sein Name gleichbedeutend mit jener ganzen Phase der Bewegung, unter welcher die Poesie ihr eigenes Recht verficht. Wohl konnte es, wenn man sich an gewisse von Hugo’s Vorreden hält (z. B. an die zu »Die Orientalen«), den Anschein haben, als ob seine Poesie nichts mit den anderen idealen Mächten des Lebens zu schaffen habe, sondern sich nur die eigene Freiheit erkämpfen wolle, doch Hugo war eine allzu agitatorisch angelegte Natur, um in diesem Kampf mehr als die erste, vorläufige Aufgabe zu sehen. Dem Schüler, welcher dem Herzen des Meisters am nächsten stand, war es vorbehalten, diese Station als die endliche und letzte zu betrachten. Für Gautier wie für dies deutschen Romantiker war der Romantismus ein Kampf gegen die Nützlichkeitslehre, eine Proklamation der unbedingten Unabhängigkeit der Kunst.

Théophile Gautier ist zu Tarbes in Südfrankreich am 30. August 1811 geboren und gehört einer angesehenen, leidenschaftlich royalistisch gesinnten Familie an. Wie Hugo und Dumas stammt er von einem tapferen Offizier ab. Hugos Vater kämpfte als Major unter Napoleon gegen Fra Diavolo in Italien, als General |332| und Provinzial-Gouverneur unter Joseph Bonaparte gegen die tapferen spanischen Insurgenten. Dumas’ Vater war ein Athlet, von welchem die Sage ging (wenigstens behauptete es der jüngere Dumas), daß er ein Pferd zwischen seinen Beinen erdrückt, einen Helm mit den Zähnen durchgebissen, und ganz allein die Brücke bei Brixen gegen eine Patrouille von zwanzig Mann verteidigt hatte. Gautiers Großvater machte seinen Namen dadurch berühmt, daß er der erste beim Angriff auf Bergen-op-Zoom war; er war von kolossaler Körperkraft, ein Riese, der immer in freier Luft, meistens auf der Jagd, lebte, den man niemals anders sah, als mit dem Gewehr über der Schulter, und der, sobald er fröhlich war, wieder und wieder in die Lust zu seuern pflegte. Er wurde hundert Jahre alt. Bei Th. Gautiers Vater, welcher gleichfalls ein hohes Alter erreichte, zeigte sich die angeerbte Stärke vornehmlich auf intellektuellem Gebiet. Er besaß vielseitige Kenntnisse und eine gründliche Bildung. Wie litterarisch begabt und vorurteilsfrei er war, beweist am besten der Umstand, daß er sich von der Vorrede zu »Cromwell« in hohem Grade angesprochen fühlte, wie er auch die poetische Richtung des Sohnes vollkommen billigte, ja in dessen tollkühne »Mademoiselle de Maupin« so vernarrt war, daß er, während das Werk entstand, den Sohn oft einsperrte, indem er zu ihm sagte: »Nun kommst du nicht eher wieder heraus, als bis du ein paar Seiten Maupin geschrieben hast.« Die Mutter, eine majestätische Schönheit, von der gesagt wird, daß Bourbonisches Blut in ihren Adern floß, ließ sich’s gleich dem Vater angelegen sein, den von der Natur so verschwenderisch ausgestatteten Sohn zu verhätscheln und zu vergöttern. Théophile gehörte zu denen, welche geschaffen sind, der Liebling nicht nur ihrer nächsten Angehörigen, sondern von aller Welt zu werden, und welche die Zeitgenossen nur mit Schmeichelnamen nennen; er war ein großer Künstler und ein großes Kind. Wie bezeichnend ist nicht die Abkürzung Theo, unter der er in hundert und aber hundert |333| Schriften vorkommt. Es ist die Familiarität der Bewunderung, welche seinen Namen abkürzte.

Um die für sein Wesen bezeichnenden Denkwürdigkeiten hinsichtlich seiner Herkunft zu vervollständigen, erübrigt es noch zu erwähnen, daß sich seinem Geschlecht zweifellos orientalisches Blut beigemischt. Dies ist höchst interessant, weil es – ganz wie die Neger-Abstammung von Alexander Dumas manches von dessen Kraft und Gewaltsamkeit – physiologisch das orientalische Gepräge erklärt, welches Th. Gautiers Persönlichkeit und Produktion mit den Jahren annahm. Er schien wie dazu geschaffen, einen Fes oder Turban zu tragen, sich langsam und mit Würde zu bewegen, und es ist nur natürlich, daß er damit endigte, in seinen Werken möglichst wenig Gemütsbewegüng an den Tag zu legen.

Schon als kleines Kind kam Théophile Gautier von Südfrankreich nach Paris. Ein Zeichen, wie früh sich seine Eigentümlichkeit entwickelte, ist es, daß er in der Schule durchgehends diejenigen Schriftsteller, welche dem sogenannten goldenen Zeitalter der Sprache vorangingen oder folgten, den klassischen und korrekten Dichtern vorzog. Aus der französischen Litteratur studierte er mit Vorliebe Villon und Rabelais, während Corneille und Racine ihn vollständig kalt ließen; von den Lateinern las er mit Leidenschaft die Schriftsteller und Dichter aus der Verfallzeit: Claudian, Martial, Petronius und Apulejus, und ahmte sie in seinen lateinischen Versen in allen möglichen Versmaßen nach, hingegen sah er über Cicero und Quinctilian mit vollständiger Gleichgültigkeit hinweg. Dies beruht in erster Linie in seiner künstlerischen Liebe zu einem farbenbunten, wortreichen Stil, demnächst in seinem Haß gegen alle der Menge imponierenden allgemeinen Wahrheiten und Gemeinplätze, die notwendigerweise bei jedem Schriftsteller, der als klassisch betrachtet werden soll, vorkommen müssen. Ein Franzose, so wild und toll wie Villon, oder so farbenreich, so voll Kraft und Saft wie Rabelais, hatten in Gautiers Augen den unschätzbaren |334| Vorzug, von der abstrakten Politur des großen Jahrhunderts unberührt zu sein; ein Römer, oder afrikanisches Blut in den Adern hatte, wie Apulejus, oder egyptischen Ursprungs war wie Claudian, war ihm seiner Natur nach lieber als die geschmackvollen Redner und Poeten des Augusteischen Zeitalters; denn er hielt auf das stark Charakteristische, das Pikante und Paradoxe, schreckte nicht zurück vor dem Manierierten und Gesuchten, wenn es nur seinen Reiz hatte, und fühlte sich in der Litteratur stets von einem kleinen Hautgout angezogen. Die Vorliebe des Knaben für die Poeten des silbernen Zeitalters verließ auch den reifen Mann nicht. Sie war’s, welche ihn bewog, die vortreffliche Sammlung von Charakterschilderungen zu schreiben, die er unter dem Titel »Les Grotesques« heransgab, und worin er es unternahm, die ganze Gruppe von kleineren Dichtern zu rehabilitieren, welche Boilean in seiner »L’Art poétique« gebrandmarkt und erschlagen hatte, um für die großen Poeten, welche die Regeln des Aristoteles und die Gesetze des Geschmackes beobachteten, desto besseren Platz zu machen. Die armen Teufel waren ungelesen im Veinhaus der Litteratur liegen geblieben mit einem Vers Boileau’s auf ihrem Schädel. Als Feind aller Regeln und jeder Trivialität nahm Gautier sich ihrer an. Sein plastischer und malerischer Sinn fand keine Befriedigung im Studium der würdigen Dichter, die mit der Allongeperrücke auf dem Haupt und in Spitzenmanschetten in steifer Haltung geschrieben hatten; dagegen ergötzte es ihn, all’ jene vergessenen, grotesken Poeten mit ihren eigentümlichen Profilen und Grimassen aufzusuchen, bei denen man neben vielen Geschmacklosigkeiten auch zahlreichen Bizarrerien begegnete, originellen Geistesblitzen, witzigen und malerischen Versen, ja selbst so lebendigen und trefflichen größeren Gedichten, wie die besten von Francois Villon und Théophile de Viau es sind. War ihre Muse auch keine Schönheit, so galt doch von ihr, was Gautier einmal über eine einnehmende Frau schreibt:

|335|Elle a dans sa laideur piquante
Un grain de sel de cette mer
D’où jaillit nue et provocante
L’âcre Vénus du gouffre amer.

Solch’ ein armer Poet aus dem 15., 16. oder 17. Jahrhundert, der betrunken in der Gosse gelegen, oder sich mit seinem Degen durch die Welt geschlagen, oder wohl gar sein Leben als Ohrgeschmeide des Galgens beschlossen hatte, gab in seiner Laune und in seinen Versen für Gautier eine Silhouette, ein lebensvolles, charakteristisches Profil, das ihn fesselte und ihn reizte, einen Abriß davon zu nehmen.

Seinem Wunsche gemäß wurde der junge Gautier aus der Schule genommen, um Schüler bei dem Maler Rioult zu werden. Sowohl er selbst als seine Verwandten überschätzten anfänglich seine Anlage zum Zeichnen und Malen. In Wirklichkeit war dieselbe nur eine untergeordnete Beigabe zu seinem nie zuvor gesehenen, epochemachenden malerischen Talent als Schriftsteller Victor Hugo’s Auftreten wurde für seine Laufbahn bestimmend. Als dieser Hernanis Horn an den Mund setzte, folgte Gautier dem Ruf und verließ die Malerkunst, um sich der Litteratur zuzuwenden. Von seinem Atelierleben bewahrte er übrigens nicht nur den Blick des Malers; er bewahrte auch in seiner mündlichen Außerungsform, sowie bei den Stellen, wo er (wie in der Vorrede zu »Mademoiselle de Maupin«) sich mitderselben Freiheit wie im Verkehr ausspricht, die übermütige, dem Künstlerjargon entnommene »Ausdrucksweise, welche in allen französischen Künstlerateliers blüht und gedeiht.

Er debütierte als lyrischer Dichter. Fünf Monate nach der Aufführung von Hernani und unglücklicherweise an demselben Tage, als die Julirevolution ausbrach, gab er seine ersten »Poesien« heraus, die selbstverständlich in jenem Augenblick vom Strom der Zeit hinweggespült wurden, die aber selbst zu einem ruhigen Zeitpunkt kaum Aufmerksamkeit erregt haben würden. Als Lyriker ist |336| Gautier unpopulär; er zeichnet sich durch eine entschiedene, untadelhafte Form aus, doch sein Naturell ist allzu sehr aufs Äußerliche angelegt, um echt lyrisch zu sein; ihm mangelt Innigkeit und Gemüt. Am besten ist er in seinen Jugendpoesien, wo er seinem antik-heidnischen Epikuräismus, der dem römischen am nächsten kommt, Ausdruck verleiht. »Schöner Sonnenschein, eine Frau, ein Pferd« – in diesen drei Dingen sieht er hier sein Glück. Gut sind auch jene Lieder, in welchen er (wie in dem Gedicht »Le Débauche«) die freie Lebensfreude verherrlicht, Farbe, Gesang und Verse preist; oder wo er (wie in »Le premier Rayon de mai«) der beinahe sinnlichen, aber jedenfalls ganz einfachen Glücksstimmung in der Nähe der Geliebten Worte verleiht. Meisterlich und absolut typisch für Gautier ist das kleine Gedicht »Fatuité«, dessen launiger Titel auf feinste Weise jeden Angriff auf den Inhalt pariert. Es spricht den muntern Übermut eines Jünglings im Vollgefühl seiner Kraft aus. Ich führe die beiden ersten Strophen an:

Je suis jeune; la pourpre en mes veines abonde;
Mes cheveux sont de jais et mes regards de feu,
Et, sans gravier ni toux, ma poitrihe profonde
Aspire à pleins poumons l’air du cie1, 1’air de Dieu.
Aux vents capricieux qui soufflent de Bohême,
Sans les comptet, je jette et mes nuits et mes jours,
Et, parmi les flacons, souvent l’aube au teint blême
M’a surpris dénouant un masqsue de velours.

Erst in seinen reiferen Jahren drang Théophile Gautier als Lyriker entschieden durch. »Emaux et Camées« – eine Sammlung von Gedichten (sämtlich in kurzen achtsilbigen Versen), die in ihrer Form leise an eins und das andre in Goethe’s »West-östlicher Divan« und Heine’s »Buch der Lieder« erinnern – gaben dem persönlichen Stil des Dichters in lyrischer Poesie bestimmten Ausdruck. Die Behandlungsweise war ganz im Geiste der bildenden Kunst. Der Dichter versuchte durch Kraft und Schmelz der Farben, durch die Vollkommenheit und Feinheit der Form, durch strengste |337| Reinheit und sicher abgemessene Harmonie des Reims, kurzum, durch eine Meisterschaft, der nichts, aber auch nicht das Geringste entging, Seitenstücke zu den Miniatur-Meisterwerken in Achat oder in Onyx, welche die Alten uns hinterlassen haben, oder auch zu der italienischen oder französischen Email-Malerei auf Goldgrund aus der Renaissancezeit zu liefern. Er erreichte in diesen Poesien, denen man noch das als anstößig nicht darin aufgenommene, aber über alles Lob erhabene Gedicht »Musée secret« – gedruckt in Bergerats »Théophile Gautier« – beizählen kann, eine Schönheit des Ausdrucks, die sich geradezu als ideal bezeichnen läßt und mit welcher höchstens die sprachliche Plastik in einzelnen späteren Gedichten Leconte de Lisle’s verglichen werden kann. Das Gedicht »L’Art«, welches den Abschluß der Sammlung bildet, und das als sprachliches Kunstwerk wol ein Gedächtnismal genannt werden darf, enthält im Monumental-Stil Gautiers Kunstanschauung. Er liebte die Kunst, für welche er ein so tiefes Verständnis hatte, so sehr, daß er sie über Alles auf Erden stellte und in ihr das einzig Bleibende im Wechsel der Zeiten sah. Wohl war er allzu sehr geneigt, den Wert eines Kunstwerkes von den überwundenen Schwierigkeiten abhängig zu machen, aber nur weil er glaubte, es sei der Kampf mit den Schwierigkeiten, welcher das fertige Werk wetterfest und gegen Rost unangreifbar mache. Es heißt am Schlusse des Gedichtes: »Alles vergeht. Selbst die Götter sterben. Die lebensvolle Kunst allein ist ewig. Die Statue überlebt die Stadt; die mit scharf geschnittenem Stempel geprägte Denkmünze, welche der Landmann in der Erde findet, giebt Kunde von einem längst verstorbenen Kaiser. Die erhabenen Verse sind unvergänglich; sie dauern fort, fester als Erz.«

Man höre dies in seiner Sprache:

Tout passe. – L’art robuste
Seule a l’éternité.
Le buste
Survit à la cité.
|338|Et la medaille austère
Que trouve un laboureur
Sous terre
Révèle un empereur.
Les dieux eux-mêmes meurent
Mais les vers souverains
Demeurent
Plus forts que les airains.

Dies gilt von den Versen, wie er sie schrieb.

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