Die romantische Schule in Frankreich (1883)

|[319]| XXVI.

In einem Briefe vom 22. November 1821 schrieb der Maler Mérimée: »Ich habe einen erwachsenen Sohn von achtzehn Jahren, aus dem ich einen Advokaten machen möchte. Er hat solche Anlagen für die Malerkunst, daß er, ohne jemals etwas kopiert zu haben, Skizzen macht wie ein junger Schüler.« – Wie so viele der hervorragendsten französischen Romantiker gab Prosper Mérimée die Beschäftigung mit der bildenden Kunst nie auf; er malte Aquarelle, war aber vor allem ein unermüdlicher und begabter Zeichner. Sein Talent zum Zeichnen scheint mit seiner sprachlich stilistischen Fähigkeit eng verwandt.

In der Generation von 1830 scheinen Prosper Mérimée und Théophile Gautier in stilistischer Hinsicht einander zu ergänzen. Der Umriß, die strenge Linie ist die Stärke Mérimée’s, eine glühende Farbe dagegen der Vorzug Gautiers, von welch’ letzterem man glauben möchte, daß er nicht mit der Feder, sondern mit dem Pinsel schreibe. Gautier liebt vor allem Draperie und Beleuchtung; sein üppiger Stil ist venetianisch; es ist lauter Brokat und Samt, was er vor uns ausbreitet, mit Flittern und Schmelzperlen übersät. Mérimée’s einfache, jedoch im höchsten Grade elegante Darstellungsweise ist farblos und düster, aber was er sagt, ist wie mit dem Grabstichel herausgearbeitet. Sein Stil hat eine Eigenschaft, welche von der glänzendsten Sprachbehandlung nicht übertroffen werden kann – er ist durchsichtig: seine Gestalten und Charaktere erscheinen in ihrer frappierenden Wildheit greifbar |320| lebendig. Alle Umrisse zeigen sich uns in trotziger Schärfe, wie diejenigen eines Gemäldes oder einer Radierung von Jacques Callot, an dessen Manier die Mérimée’s erinnert. Eine junge männliche Figur Callots, die, den aufgekrämpten Federhut keck auf’s Ohr gedrückt, im enganschließenden Waffenrock, den langen Degen an der Seite, mit weiten Stiefeln, die sich schmuck um die kräftigen Waden falten, in stolzer, herausfordernder Haltung der Zeuge irgend einer Gewaltthat ist, würde z. B. eine ausgezeichnete Illustration zu »Chronique du règne de Charles IX« abgeben.

Von der Zurückhaltung und Diskretion Mérimée’s giebt endlich und letztlich Zeugnis die klassisch elegante Strenge seines Stils. Seine Form ist licht und glatt wie blank polierter Stahls kein Zierrat, keine Blume, niemals irgend welches Ornament; aber jede Gestalt wie aus Metall getrieben, durchgeformt und wahr, ebenso kostümgetreu wie lebendig. Keiner unter den zeitgenössischen französischen Dichtern hat in sprachlicher Hinsicht solchen aristokratischen Konservatismus gezeigt wie Mérimée, nicht einmal Charles Nodier. Er hat die Sprache genommen, wie sie ihm von Haus aus gegeben war, er ließ jedem Satz, den er schrieb, sein Gepräge, ohne je ein absonderliches Wort zu Hülfe zu nehmen oder gewöhnliche Worte in ungewöhnlicher Weise anzuwenden. Er scheute vor allem die allgemeinen Ausdrücke und die abstrakten Worte, welche über den Gedanken einen Schleier breiten, hinter dem er sich größer und bedeutender ausnehmen soll. Was ihn insbesondere auszeichnet, ist die Sicherheit des Ausdrucks, die Gabe, mit dem ungeschmückten Wort, dessen Gepräge durch den Gebrauch abgenutzt erschien, genau die Vorstellung hervorzurufen, die er im Auge hat. Hugo schrieb anschaulich, pathetisch; Gautier und diejenigen, welche sich ihm anschlossen, einen sinnlichen bilderstrotzenden Stil; beide suchten durch Wort-Architektur zu wirken. Bei den Meistern war dies Streben berechtigt. Die Versuche ihrer Nachahmer und Schüler erinnern aber nur zu oft an jene prachtvollen Aquädukte aus der Römerzeit, die, |321| weil man nicht wußte, daß das Wasser aus eigner Kraft aus dem Thal emporsteigen könne, mit ungeheuern Kosten von einem Höhepunkt zum andern ausgespannt wurden. Wir bewundern diese Denkmäler; aber unsere Bewunderung würde zehnmal größer sein, wenn wir anstatt ihrer einfache Röhren, die sich an die Erde hielten, gefunden hätten. Der künstliche, schwungvolle Ausdruck ist wie der Aquädukt; das einfache Wort, welches gerade auf’s Ziel los geht, ist wie die unansehnliche Röhre. Der Stil Mérimée’s hält sich gerade wie die Röhre an die Erde, hat keine unnütze Pracht, keinen unnötigen Schwung, verliert seine Kräfte nicht daran, sich zu spreizen. Dieser Stil entbehrt deshalb nicht der Anmut, aber er hat keine andere Grazie als die der vollkommenen Kraft. Da ist kein Wort zu viel und jeder Satz steht im Dienste des Ganzen. Das alte Motto: »Ne quid nimis« scheint die Losung dieser Erzählungskunst gewesen zu sein.

Der Zweck, den Mérimée damit verfolgte, war augenscheinlich der, durch Verzichten auf jegliches Beiwerk seine kleinen Kunstwerke so unangreifbar wie möglich für den Zahn der Zeit zu machen. Sein Bestreben erinnert an das eines florentinischen Bildhauers; man hat die eigentümlich gedrungene Haltung von Donatello’s herrlichem St. Georg – die enganliegenden Arme und Hände – dahin zu erklären gesucht, daß er an den Bildsäulen des Altertums sorgfältig beobachtet hatte, welche Körperteile am meisten gelitten hatten und warum. Auf analoge Weise hat Mérimée seine Werke, damit sie dem wechselnden Zeitgeschmack Trotz böten, von allem Außenwerk und allen Abschweifungen von dem Wesen der Sache frei gehalten.«

Dennoch schlug seine Schreibweise für die nächste Zukunft nicht durch: nicht er, sondern Gautier war’s, der als Stilist eine Schule ins Leben rief. Ich gehöre nicht zu denen, die es beklagen, daß ein reicherer und sinnlicherer Stil denjenigen Mérimée’s verdrängt hat, und daß die neueren französischen Schriftsteller nicht |322| nur den Satz korrekt und klar bilden, sondern ihm womöglich eine Melodie, eine Farbe, einen Duft geben. Die Schreibweise, welche von Gautieri auf Flaubert und von diesem auf Zola und Daudet übergeht, hat indes auch ihre bedenkliche Seite, und der Repräsentant des deskriptiven Stils, welcher in unserer Zeit das meiste Aufsehen erregt, ist nicht blind dafür. Ich finde in einem der Feuilletons Zola’s folgende Betrachtung:

»Das Schlimmste ist nach meiner Überzeugung das geworden: daß der Jargon unseres Zeitalters, jener Teil des Stils, welcher der Mode angehört und veralten muß, für eine der ungeheuerlichsten Stilarten der französischen Sprache gelten wird. Das läßt sich mit fast mathematischer Sicherheit voraussagen. Was besonders leicht veraltet, ist das Bild. So lang es neu ist, packt und begeistert es; wenn es zwei oder drei Generationen hindurch angewandt worden, wird es ein Gemeinplatz, zuletzt eine Lächerlichkeit. Man sehe Voltaire mit seiner trockenen Sprache, seinem kräftigen Satz ohne Adjektiva, welcher erzählt und nicht malt: er bleibt ewig jung. Man sehe Rousseau, unsern Stammvater, mit seinen Bildern, seiner leidenschaftlichen Rhetorik; er hat widerwärtige Seiten geschrieben […] Wir haben also ein hübsches Los vor uns, wir, die wir Rousseau noch überboten haben, unsre Sätze malen, singen, wie Marmorblöcke bearbeiten und von den Worten das den Dingen eigene Aroma fordern. All’ das regt die Nerven der Leute auf, wir finden es ausgesucht, nun gut, es mag ja nicht so übel sein. Nur ist die Frage, was unsere Urenkel dazu sagen werden. Ihre Empfindungweise wird sicherlich sich geändert haben, und ich bin überzeugt, daß sie vor manchen unserer Werke erstaunt dastehen werden. Fast Alles wird an ihnen veraltet sein.«

Der Verfasser dieser wehmütigen Selbstverdammung geht jedenfalls viel zu weit. Wenn unsere Nachkommen sich um unsere Bücher wenig kümmern – was wahrscheinlich genug ist – so wird |323| der Stil, in welchem sie geschrieben sind, die geringste Schuld daran haben. Jedenfalls aber sind Zola’s Worte merkwürdig als Zeugnis eines litterarischen Koloristen zu Gunsten der Rationalisten des Stils, unter welchen in unserem Jahrhundert Mérimée wohl einer der ersten ist. Die besten seiner Werke sind wahre Monumente. Selten sind in der Weltlitteratur kleine Prosaarbeiten in so großem Stil ausgeführt worden. Es ist die Sache selbst, die im schärfsten Sonnenlicht vor uns steht, ohne vom Nebel der Empfindsamkeit umhüllt zu sein. Den bilderreichen Prosaisten weniger zu schätzen, weil seine Bilder durch die Wiederholung schnell veralten, würde unbillig sein; ebensogut könnte man einem Komponisten zur Last legen, daß uns seine Melodien durch die Drehorgel verleidet werden. Aber das läßt sich nicht leugnen, daß ein strenger, bilderfreier Stil, wie derjenige Mérimée’s, der nichts Begetabilisches an sich hat, die Erzeugnisse der beschreibenden Stilart überdauert, wie die Bronze-Statue einen blühenden Baum.

Ursprunglich galt dieser Dichter für einen reinen Naturalisten. Alfred de Musset hat in seiner Jugend über Mérimée, den er naiver Weise mit Calderon zusammenstellt, einige Verse geschrieben, die uns auf höchst interessante Weise den Eindruck vergegenwärtigen, welchen die Zeitgenossen von Mérimée’s Talent empfingen; es kam ihnen. vor, als ob er nur Abgüsse nach der Wirklichkeit machte:

L’un, comme Calderon et comme Mérimée,
Incruste un plomb brûlant sur la réalité,
Découpe à son flambeau la silhouette humaine,
En emporte le moule, et jette sur la scène
Le plâtre de la vie avec sa nudité.
Pas un coup de ciseau sur la sombre effigie,
Rien qu’un masque d’airain, tel que Dieu l’a fondu.

»Nicht einen Meißelhieb,« ist ein drolliges Wort zur Charakteristik des energischsten Stilisten der Epoche, aber soviel ist klar, daß er Alfred de Musset als ein vollblütiger Naturalist erschien. Dies beruht darauf, daß sich, wie schon erwähnt, in der Romantik von Anfang |324| an ein naturalistisches Element vorfand. Man fühlte damals im romantischen Lager gar keinen Zwiespalt zwischen Naturalismus und Romantismus. Gewiß war die Poesie der Federbüsche und Toledoklingen Einem lieber als das Wesen des realen Lebens; aber auch die Wirklichkeit ließ sich poetisch verwerten, wenn sie Farbe und Charakter, Flamme und Leidenschaft und exotischen Duft hatte, und das war bei Mérimée der Fall. Die Keime des späteren Naturalismus finden sich bei ihm sowol wie bei den anderen Romantikern, nur daß bei diesen die Liebe zur Kunst die Naturnachahmung beherrschte. Indessen ist Mérimée mit seiner Vorliebe für brutale Stoffe, mit seiner gemachten Kälte ganz deutlich ein Vorläufer derjenigen Geschmacksrichtung, welche in der folgenden litterarischen Generation hervortrat. In Taine’s »Vie et opinions de M. Graindorge« (1867) findet sich eine Zeile, die ein Urteil über das gesellige Leben abgiebt, aber eine größere Tragweite hat: »Depuis dix ans une nuance de brutalité complète l’élégance.« Man fühlt das bei fast allen den größeren Schriftstellern des zweiten Kaiserreiches, bei dem jüngeren Dumas, bei Flaubert, welchen man den Mérimée unserer Tage nennen möchte, endlich bei Taine selbst, der sich ganz in Mérimée’s Seele hinein freut, wenn er »einen schönen Mord« zu schildern hat, und seinen Graindorge dem Leser eine genaue Anweisung über die praktischste Methode, sich mit einem Rasiermesser die Kehle abzuschneiden, geben läßt.*)*

*) »Quand Cromwell passe en Irlande, il marque le nombre et la qualité des gens massacres, et puis c’est tout. Et cependant quels beaux massacrés! Quelle occasion pour pénétrer le lecteur de la froide fureur qui poussait les épées des fanatiques!« Taine: Essai sur Guizot.

Heutzutage gilt Mérimée für einen Klassiker. Seine klare, durchsichtige Form, seine Scheu vor lyrischen Extravaganzen, vor metaphorischer Rhetorik scheinen ihm einen Platz außerhalb der romantischen Gruppe zu sichern. Aber wir haben gesehen, daß |325| in einem gewissen Sinn alle französischen Romantiker als Klassiker. zu betrachten sind und das nur deutlichere klassische Gepräge Mérimée’s sondert ihn also durchaus nicht von der großen litterarischen Gruppe der französischen Romantiker aus.

Wenn man aber noch bedenkt, daß er, so gut wie Hugo und de Vigny, dem Einfluß Walter Scotts unterworfen gewesen ist; daß er eine unverkennbare Verwandtschaft mit dem Byronschen Satanismus hat; daß er, der nüchterne Zweifler, sogar Sachen in Hoffmannscher Art wie »La vision de Char1es XI« schrieb; daß er Beyle’s unmittelbarer Schüler war; daß er, echt romantisch, fast immer das Fremde und Unmoderne darstellte, dann wird man so viele den französischen Romantikern gemeinsame Züge bei ihm finden, daß man in ihm das echte Kind seines Zeitalters erkennt.

Seine Gestalt hebt sich, auch ohne daß man ihm eine künstliche Originalität zuerteilt, aus der genialen Generation von 1830 hinlänglich hervor. Die Andern sprengten in bunten Waffenröcken, mit vergoldeten Helmen und wehenden Fahnen in die Arena. Er ist der schwarze Ritter in dem großen romantischen Turnier.

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