Die Form von Mérimée’s Wesen ist strenge oder spöttische Zurückhaltung. Sie offenbart sich schon in seiner offiziellen Schriftstellerthätigkeit, in den knappen, in Fachausdrücken sich bewegenden Beschreibungen der Denkmäler Südfrankreichs (»Notes sur le Midi de la France« u. s. w.). Kein Wort über sich selbst, niemals ein Ausbruch der eigenen Empfindung! Nicht ein einziger Reiseeindruck, nicht die geringste für den Laien berechnete Wendung. Welch’ ein Spaß, so gründlich alle diejenigen zu foppen, die gehofft hatten, in dem Inspektor der historischen Denkmäler den Dilettanten und Novellisten zu ertappen!
Seine Zurückhaltung tritt ferner in der charakteristischen Neigung zum Mystifizieren hervor, die sich bei dem Dichter des spanischen Theaters und der illyrischen Balladen findet. Dieser Zug erinnert an Beyle, hat aber einen etwas anderen Charakter. Seine Pseudonymität währte nie lange, war aber, so lange er sie behauptete, streng durchgeführt. Es ergötzte ihn im höchsten Grade, die Lesewelt in den April zu schicken, und selbst außerhalb des Spiels zu bleiben. Er versäumt kein Mittel um die Existenz seiner Pseudonyme glaubwürdig erscheinen zu lassen: nicht nur ihre Biographie, sondern sogar ihr Porträt wird ihren Werken beigegeben, und um den Spaß vollständig zu machen, ließ er für das Theater Clara Gazuls sich selbst als Spanierin im ausgeschnittenen Kleid und mit der Mantilla über den Kopf abzeichnen und in Kupfer stechen.
|312| Wer durch Schweigen täuscht, muß doch endlich sprechen, und wer sich darin gefällt, die Welt zu mystifizieren, muß fich, wenn das Geheimnis verraten wird, preisgeben. Es giebt aber einen besseren Panzer als Schweigen und Pfendonymität – und ein solcher Panzer ist für Mérimée, wie für Beyle, die Ironie gewesen.
Er hatte von Anfang an eine satirische Ader. Seine leidenschaftliche Vorliebe für die unverfälschte Energie des Charakters ergab von selbst die spöttische Haltung den Phrasenhelden gegenüber. Ein Schauspiel wie »Les Mécontents« enthält z. B. die höhnischste Satire, die wohl jemals über Revolutionäre in Schlafrock und Pantoffeln geschrieben worden ist: legitimistische Landedelleute, Mumien und Dummköpfe, welche nur die Leidenschaft haben, sich selbst reden zu hören, stiften eine Boudoir-Verschwörung gegen das erste Kaiserreich, geben einander geheime Signale, entwerfen Pläne und streiten sich um den Vorsitz bei ihren Versammlungen; der Anblick eines Gendarmen aber jagt sie ins Bockshorn. Das aus einer weit späteren Zeit stammende Schauspiel »Les deux Héritages ou Don Quichotte,« welches wahrscheinlich Emile Augier zum Vorbild für einige feiner Dramen gedient, enthält eine analoge Satire über die gesellschaftliche und kirchliche Heuchelei, den politischen Humbug, die Unritterlichkeit und Berechnung einer entnervten Jugend, im Vergleich mit welcher Mérimée geneigt sein konnte, sich als einen Schwärmer und Idealisten zu betrachten.«
In diesen dramatischen Werken, die schon als Lesedramen eine gewisse Unvollkommenheit in der äußeren Form zeigen, kommt die Mérimée eigenste Art der Ironie nicht zum Vorschein. Er ist hier geneigt, die Farben etwas zu grell aufzutragen; seine Stärke beruht hauptsächlich in seiner Eigenschaft als Novellist. Weit feiner als in den Dramen ist die Ironie in der liebenswürdigen Miniaturnovelle »L’abbé Aubain«, welche zugleich von der bemerkenswerten Viel- seitigkeit Mérimée’s zeugt. Er nähert sich hier beinahe der Art |313| und Weise Edmond Abouts, den er jedoch an Eleganz weit übertrifft. »L’abbé Aubain« ist eine kleine Sammlung von Briefen, teils von einer Dame geschrieben, die sich von einem jungen Abbe geliebt glaubt, teils von dem Abbe selbst, der gegen einen Kollegen über die Liebe, welche die Dame für ihn hegt, in gezwungener Weise scherzt. Wir lernen zwei schwache, aber fein konstruierte Wesen kennen, die einander, sich selbst und ihre Umgebung belügen, und über deren naschhafter, aber gemächlicher Neigung und erheuchelter Selbstbeherrschung die stumme Satire des Dichters schwebt.
In einer Novelle dieser Art ist der Erzähler unbeteiligt; man kann also hier so wenig wie bei den Schauspielen beobachten, wie der Autor sich zurückzieht. Am deutlichsten aber tritt die Mérimée absolut eigentümliche Form der Ironie da hervor, wo er den Erzähler zwar durchblicken läßt, trotzdem aber sich außerhalb der von ihm geschilderten Gemütsbewegung stellt. Seine charakteristische Vortragsmethode besteht darin, durch seine Ironie, die sich in kleinen Zügen verrät, die Wirkung des Erzählten zu verstärken, und zwar entweder dadurch, daß er die rührenden Stellen mit halbem Lächeln für sich selbst reden läßt, oder dadurch, daß er das Schmerzliche, Empörende, Leidenschaftliche in die Interesselosigkeit und Kälte der Umgebung einrahmt. Ich werde einige Beispiele anführen.
Mérimée hat in dem kleinen Meisterwerk »Le Vase étrusque,« der einzigen seiner Novellen, worin er einen Stoff aus der modernen Zeit mit Sympathie behandelt, die Geschichte eines jungen Paares erzählt, das sich heimlich liebt. Von einem nächtlichen Stelldichein heimgekehrt, hält der junge Mann folgenden Monolog:
»Wie glücklich bin ich! sagte er sich jeden Augenblick. Endlich bin ich dem Herzen begegnet, welches das meinige versteht! […] Ja, ich habe mein Ideal gefunden, ich besitze zugleich einen Freund und eine Geliebte […] Welch’ ein Charakter! […] welche leidenschaftliche Seele! Nein, sie hat nie einen anderen geliebt als mich! […] Und da die Eitelkeit sich auf dieser Erde in Alles mischt, |314| rief er aus: Sie ist die schönste Frau in ganz Paris! und seine Eitelkeit malte sich ihre ganze Anmut aus.«
So geht die Schilderung noch eine Zeitlang fort; dann miterbricht sich Mérimée mit der eingeschalteten Bemerkung: »Ein glücklicher Liebender ist fast so langweilig wie ein unglücklicher.« Als endlich das Verhältnis zwischen den Beiden seine vollste, schönste Blüte erreicht hat, als Saint-Clairs flüchtige aber so verhängnisvolle Eifersucht auf die Vorzeit der Geliebten sich in ein Mißverständnis, ein Nichts aufgelöst hat und wir Zeugen einer Liebesszene gewesen sind, welche der zartfühlendste, einschmeichelndste Dichter nicht feiner hätte malen können, einer Szene, in welcher die Thränen der Reue sich mit Lächeln und Küssen mischen – auf welche Weise sagt er uns als dann sechs Zeilen weiter unten, daß Alles im selben Nu vorbei und Saint-Clair am Morgen darauf im Duell gefallen ist? Wir erfahren es so, wie man derartiges im Leben zu erfahren pflegt.
»Nun,« sagte Roquantin zu Oberst Beaujeu, den er abends bei Tortoni traf, »ist die Neuigkeit wahr?«
»Alle wahr, lieber Freund,« antwortete der Oberst mit düstrer Miene.
»Erzählen Sie mir, wie es zuging.«
»O, ganz einfach. Saint-Clair fing damit an, zu erklären, daß er Unrecht habe, sich jedoch Thémines’ Kugel aussetzen würde, eh er sich zu einer Abbitte verstünde. Ich konnte dem nur beistimmen. Thémines wollte, daß das Los entscheide, wer den ersten Schuß haben solle; Saint-Clair forderte, daß Thémines es sei. Thémines schoß; ich sah Saint-Clair sich einmal um sich selbst drehen, dann fiel er tot um. Ich habe oft dies sonderbare Umdrehen, das dem Tode vorhergeht, bei Soldaten gesehen, die von einer Kugel getroffen wurden.«
»Das ist jedenfalls sonderbar,« sagte Roquantin. »Und was that Thémines?«
»Er that, was sich bei solchen Gelegenheiten ziemt. Er warf |315| mit bedauernder Miene seine Pistole weg; mit solcher Heftigkeit schleuderte er sie zu Boden, daß der Hahn zerbrach. Es ist eine englische Pistole von Manton. Ich glaube nicht, daß er in ganz Paris einen Büchsenmacher findet, der ihm seine Pistole wieder so gut zurecht machen kann.«
Indem Mérimée uns das Mitgefühl wohlwollender Bekannten schildert, nicht wie sentimentale Schriftsteller pflegen, sondern wie es wirklich ist, tritt das zärtliche Verhältnis der Liebenden um so leidenschaftlicher aus dem harten Rahmen, in welchen es eingefügt, hervor. Er weiß, daß der heiße Champagner dadurch gewinnt, in Eis vorgerichtet zu werden.
Noch ein paar Beispiele von der Fähigkeit des Dichters, über der Gemütsbewegung zu stehen, die er in Szene setzt und bei dem Leser hervorruft. Man lese in »Die Erstürmung der Schanze« die Stelle, wo der Hauptangriff erzählt wird: »Wir kamen schnell bis zum Fuß der Schanze; die Palissaden waren zerbrochen und die Erde von unseren Kugeln zerwühlt. Die Soldaten warfen sich in die Breschen mit dem Rus: »Es lebe der Kaiser!« und der Ruf war stärker als man es von Leuten, die schon so lange geschrieen hatten, erwarten sollte.« Der Erzähler ist hier nicht der Dichter selbst; er läßt einen Offizier seine ersten kriegerischen Erlebnisse mitteilen, aber dieser ist nichtsdestoweniger von seiner Art, denn er teilt nicht die Begeisterung der stürmenden Soldaten. Weit entfernt, ihren Enthusiasmus für Napoleon als den Mut anfeuernd oder als patriotisch zu preisen, kritisiert er kaltblütig die Kraft ihrer Lungen.
Man darf sich nicht allzusehr wundern, wenn dieser Stil, dieser Ton, der die Objektivität des Dargestellten so überraschend sichert, immer wieder als Symptom der Herzenskälte aufgefaßt wird. Er ist es aber in Wirklichkeit so wenig, wie die Wahl der schaurigen Stoffe ein Symptom von Mérimée’s Grausamkeit ist. |316| Wie oft ist jene Ironie des Vortrags im Gegenteil nur der durchsichtige Schleier der Sympathie und Entrüstung! Man studiere diese Ironie in der kleinen Novelle »Tamango«, wo schon die Wahl des Stoffes dem oberflächlichen Leser als Beweis für einen Hang zum Empörenden dienen könnte; denn was erregt mehr Abscheu als der Sklavenhandel und die Sklavenquälerei oder als Schiffbruch, Hungersnot und Totschlag? Und alles dieses nun gar mit einem ironischen Lächeln vorgetragen! Aber man fühlt, was diese Ironie bedeutet, wenn man einen Satz wie den folgenden liest:
»Der Kapitän gab dem halbbetrunkenen Negerkönig den Handschlag, und sogleich wurden die Sklaven den französischen Matrosen übergeben, die sich beeilten, die langen Holzgabeln, in welchen die Neger jene geführt hatten, von den Hälsen zu entfernen und eiserne Halsringe und Armschellen anstatt derselben anzulegen, eine Veränderung, welche die Überlegenheit der europäischen Civilisation beweist.«
Man fühlt es noch stärker, wenn man zu der Stelle kommt, wo der Kapitän durch wuchtige Schläge mit dem Tauende das schöne Negermädchen fügsam zu machen sucht:
»Mit diesen Worten ging der Kapitän in die Kajüte hinunter, ließ Ayché kommen und versuchte sie zu trösten; aber weder Liebkosungen noch Schläge (denn man verliert zuletzt die Geduld) vermochten die schöne Negerin seinen Wünschen willfährig zu machen.«
Man muß stumpf sein, um nicht zu fühlen, wie gerade hier die ruhige Kälte, welche sich damit begnügt, die Thatsache zu konstatieren, daß die Menschen so sind und es im Leben so zugeht, den stechenden Eindruck der Gewaltthat vermehrt. Man legt das Buch nicht ohne Rührung aus der Hand. Was zuerst kalt erschien, darin erblickt man alsdann nur den erstarrten Ausbruch von dem inneren Feuer der Künstlerseele; man begreift, daß Gemütsbewegung hinter der schüchternen und doch so energischen Form |317| dieser Arbeiten steckt, und daß eben die innere Erregung sie so medaillenscharf geprägt hat.
In keiner von Mérimée’s Novellen dürfte die ironische Anlage der Erzählung und das tiefe Gefühl, welches sich aus den Windeln aller Vorurteile befreit hat, vollendeter zusammenschmelzen als in »Arsène Guillot«. Die Tugendetikette der Vornehmen christlichen Dame bildet hier den Gegensatz zu der Unkenntnis, in welcher das arme, schon von der Mutter verkaufte Mädchen sich befindet, das von dem ganzen moralischen und christlichen Gesellschaftsbrauch nichts weiß. In einem Augenblick der Verzweiflung springt es aus dem Fenster, bricht ein Bein und mehrere Rippen, und die Novelle spielt sich an seinem Krankenlager ab. Im Laufe der Erzählung sorgt wie gewöhnlich die Ironie dafür, daß Mitleid und Rührung das künstlerische Maß nicht überschreiten; gegen den Schluß, wo Arsène’s Tod geschildert wird, ist es jedoch dem Herzen verstattet, zu reden; und die einfache Sprache desselben verleiht der sterbenden Grisette einen Zauber, wie er schöner nicht Alfred de Mussets Benerette im Tode verklärt. Aber zu allerletzt tritt die künstlerische Ironie durch eine einzige Zeile wieder in ihre Rechte ein. Denn die Zeile: »Die arme Arsène, sie bittet für uns«, von einer weiblichen Hand fein mit Bleistift auf Arsène’s Grabstein geschrieben, belehrt uns in ihrer Kürze, daß die strenge Dame derselben Versuchung erlag wie das ungebildete Kind, und daß, als Arsène heldenmütig starb, ihre Beschützerin deren Geliebten erbte. Und doch ist das Wort Ironie hier fast zu grob; es fehlt mir ein Ausdruck, um diese Nuancen zu bezeichnen. Jene schwach-ironische Bleistiftzeile enthält in ihren sieben Worten eine Mérimée’sche, das heißt lakonische Toleranzpredigt.
Eine von d’Haussonville mitgeteilte Äußerung Mérimée’s an Emile Augier über seine kleine, 1869 für die Kaiserin geschriebene Novelle »La Chambre bleue« giebt darüber Aufschluß, wie diese anfangs aus seinem Naturell unbewußt hervorgegangene Erzählungs|318|methode zuletzt bewußte Manier wurde. Er sagte: »Die Geschichte hat einen großen Fehler, der darin besteht, daß ich anfangs einen tragischen Schluß geplant hatte und also natürlicherweise im scherzenden Ton zu erzählen begann. Dann änderte ich meine Idee und schloß mit einer scherzhaften Lösung. Ich hätte nun von vorn anfangen und die Geschichte im tragischen Ton erzählen müssen, aber das langweilte mich, und ich ließ sie, wie sie war.« – Die Form, welche ursprünglich die stilistische Ausdrucksweise einer sehr sensiblen und sehr stolzen Seele war, artete gegen das Ende von Mérimée’s Leben zu einer raffinierten, übertriebenen Anwendung der Kontrastwirkung als künstlerischem Mittel aus.