Die romantische Schule in Deutschland (1873)

|130| 7.

Der seinfühlige und redliche Schleiermacher bot all seinen Scharf sinn aus, um in seinen Briefen über die »Lucinde« dem Buche etwas Ganzes und Vernünftiges abzugewinnen. Er las seine eigenen Ansichten aus demselben heraus. Aber seine eigene Position war falsch. Er wollte den Versuch machen, sich in ein Verhältnis zur Wirklichkeit zu setzen bei der Besprechung eines unwirklichen Buches; er mühte sich vergebens, eine freiere und höhere Moral aus einem Werke zu erbauen, das, statt, wie es vorgab, die Umgestaltung des Lebens in Poesie darzuthun, in Wahrheit nur die Phantastereien und Reflexionen einiger geistreichen Personen über das Poetische in einer verwilderten Wirklichkeit gab.

Halten wir recht die Hohlheit dieses leeren Idealismus fest. Sie ist ein den verschiedensten Ausläufern der Romantik gemeinschaftliches Charakterzeichen. Wir wissen, daß Goethe’s Prometheus dem Zeus zuruft: »Wähntest Du etwa, ich sollte das Leben hassen, in Wüsten fliehen, weil nicht alle Blüthenträume reisten?« So spricht ein Prometheus, ein Goethe. Aber sehr begreiflich ist es, daß sich, um mit Hettner zu reden,*)*

*) H. Hettner, Die romantische Schule, S. 48.
|134| aus dieser empfindsam thatenscheuen Jugend eine Gruppe herausbildet, die »weil nicht alle Blüthenträume reisten«, aus verzweifelter Ungenüge am Wirklichen in die leere Luft greift, nach Phantomen jagt, und diese mit eigensinnigem Trotz zu lebendiger Wesenheit verkörpern will, eine Jugend, welche die Anschauung predigt, Kunst und Poesie und deren Element und Organ, die Phantasie, sei das allein Wesenhafte und Lebendige, alles Uebrige aber, Leben und Wirklichkeit, sei als platte Prosa für das wahre Genie ohne Bedeutung und überhaupt vom Uebel. Der Kultus der Poesie ist ein neuer Dionysoskultus geworden. Die Jünglinge dieser Zeit sind ihre dithyrambischen Priester.

Und doch war es sehr weit davon entfernt, dass die Priester dieser neuen Lehre bacchantisch oder wild begonnen hätten. Im Gegentheil, die erste Physiognomie, welche uns hier begegnet, ist die sanfteste und unschuldigste, vielleicht die reinste und mildeste, welche sich überhaupt in der modernen Literatur findet. Es ist Wackenroder’s edles, bleiches Gesicht.

Ihren ersten Ausdruck erhielt die romantische Kunstbegeisterung in dem zarten und passiven Erzeugnisse eines schwärmerischen Jünglings, welcher sich aufreibt in dem Zwiespalte zwischen seiner glühenden Liebe zu einem der Kunst gewidmeten Leben und einem äußerlichen Zwange, der ihn mit der Macht väterlicher Gewalt unter das Joch praktischer Interessen beugt, so daß |135| er mit erschöpsten Kräften in seinem fünfundzwanzigsten Jahre stirbt. Sein Leben glich dem sanften, lauen Zephyrhauche, der an einem Frühlingstage die Luft erwärmt und die ersten Blumen hervor lockt. Tieck und er waren die vertrautesten Freunde. Seine Briefe an Tieck, den er im höchsten Grade bewundert, zeugen von einer fast mädchenhaften Liebe zu dem männlicher hervortretenden Freunde.

Auf jeder Bibliothek findet man ein kleines, fein gedrucktes, elegant ausgestattetes Buch in Klein-Oktav vom Jahre 1797, ohne Verfassernamen, aber mit dem Titel »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders«, und mit einem schwärmerischen Rafaelskopfe als Vignette, einer Zeichnung, auf welcher Derselbe mit seinen großen Augen, seinen üppigen Lippen und seinem schlanken Halse wie ein geistvoller und christlich exaltirter Venusjünger aussieht, der an einer Brustkrankheit sterben wird. Unter dem Bilde steht nicht Rafael schlechtweg, sondern »Der Göttliche Rafael«, d. h. der Rafael der Romantik. Dies kleine, zierliche Buch ist gleichsam die Urzelle der Romantik und des romantischen Gewebes. Um dasselbe lagern sich die späteren Produktionen. Seine Keimfähigkeit hat sich als bewunderungswürdig stark erwiesen, so wenig es selbst das Erzeugnis einer energischen Schöpferkraft ist. Es ist ein Buch, das lauter energischen rankende Stimmungen, lauter passive Eindrücke enthält, aber in so klarem und reinem |136| Wachse abgedrückt, daß das Gepräge kräftig und bestimmt geworden ist. Es sind, wie der Titel besagt, Herzensergießungen, ein Strom inniger und religiöser Begeisterung für die Kunst, und sie sind im schlichtesten Stile mit wenigen, einfachen Ideen geschrieben, ohne Theorie und ohne Aesthetik. Es ist also nicht das Produkt eines großen oder bedeutenden Geistes, aber es hat einen Vorzug: es ist selbständig. Für den Klosterbruder ist das einzige wahre Verhältnis zur Kunst Andacht, und die großen Künstler sind für ihn auserwählte und gottbegnadete Heilige. Seine Bewunderung ihnen gegenüber ist die eines anbetenden Kindes.

Mehrfach haben an dieser Schrift Tieck und Wackenroder gemeinschaftlich gearbeitet. Aber von Wartenroder’s eigener Hand stammt in den Herzensergießungen die einfache Selbstbiographie, welche als von einem jungen Musiker, Joseph Berglinger, abgefaßt gedacht ist, – eine Gestalt, die in ihrer Feinheit und sanften Zartheit nicht geringe Aehnlichkeit mit jenem Joseph Delorme besitzt, unter dessen Zügen Sainte-Beuve als junger Anfänger aus der Bahn der Romantik sich selbst schilderte. Berglinger ist Wackenroder. Wie Jener, kämpft er, um gegen den Willen seines Vaters Künstler zu werden, und gleichzeitig besteht er einen noch härteren Kampf mit sich selbst über sein Verhältnis zur Kunst. Was ihn quält, was merkwürdig genug der beginnenden Romantik hier auf der Schwelle als Schatten ihres |137| Schicksals begegnet, ist die Furcht, durch allzu ausschließliches Aufgehen in der Kunst untüchtig für das Leben zu werden. Rückert hat Das drastisch mit den Worten ausgedrückt:

Die Kinder, lieber Sohn, der Gaukelschwertverschlucker
In Madras üben sich nicht an Konfekt und Zucker,
Von Bambus lernen sie die Spitzen zu verschlingen,
Um wachsend in der Kunst es bis zum Schwert zu bringen.
Willst Du als Mann das Schwert der Wissenschaft verdaun,
Mußt Du als Jüngling nicht Kunstzuckerbröckchen kaun.

Und Joseph drückt Das folgendermaßen aus: Die Kunst ist eine verführerische, verbotene Frucht; wer einmal von ihrem innersten, süßen Safte gekostet, Der ist unwiderruflich verloren für die thätige, lebendige Welt. Die »weich gebildete« Künstlerseele steht der Wirklichkeit rathlos gegenüber. Diesen peinlichen Gemüthszuständen wird Joseph nur entrissen, so oft eine herrliche Musik ihn hoch über alle Plagen des Erdenlebens erhebt; aber er wird in Stimmungen hin und her geworfen, und so, sagt er, »wird meine Seele wohl beständig der schwebenden Aeolsharfe gleichen, in deren Saiten ein fremder, unbekannter Hauch weht, und worin wechselnde Lüfte nach Gefallen sich regen«. Wackenroder verstand und liebte die Musik über alle Künste. In seinen hinterlassenen »Phantasien über die Kunst« preist er sie daher vor allen andern.

Wackenroder war von derselben Komplexion wie Novalis, aber mitnoch geringerer Widerstandskraft gegen |138| die Stürme des Lebens ausgerüstet. Er war gutmüthig und leichtgläubig bis zum Exceß, und bei dieser echt romantischen Leichtgläubigkeit fand er überall Mysterien und Wunder. Dieser Hang zum Tiefsinnigen und Mystischen ging bei ihm so weit, daß derselbe oft ein Gegenstand des Scherzes und Spottes für seine doch gleichfalls mehr oder minder mirakelgläubigen und hallucinirten Kameraden ward. Ich kann nicht umhin, hier eine Anekdote zu erzählen, wie sie nur in der Lebensgeschichte der Romantiker vorkommt; denn man begreift nicht die Theorien dieser seltsamen Leute, wenn man sie nicht in ihren vier Pfählen und an ihrem Schreibtische erblickt hat. Wackenroder war ein eifriger Kollegiengänger, und nie hätte er eine Vorlesung ohne die dringendste Veranlassung versäumt. Zwei minder gewissenhafte Freunde benutzten eine Stunde, in welcher er im Kolleg war, um einen Hund, der ihnen gehörte, in sein Zimmer zu schaffen. In aufrecht fitzender Stellung banden sie ihn auf dem Stuhle vor Winkenroders Arbeitstische an; die beiden Vorderpfoten ruhten auf einem mächtigen Folianten, welchen man vor ihm aufgeschlagen hatte. Das gelehrige Thier, das solcher Kunststücke gewohnt war, machte auf dem Sessel eine ganz überraschende Figur. Die beiden Muthwilligen verbargen sich darauf in der anstoßenden Kammer, um den Erfolg ihrer List abzuwarten. Früher als gewöhnlich kehrte Wackenroder zurück, um ein vergessenes |139| Heft zu holen. Voll Ueberraschung blieb er stehen; sein Auge war auf den Hund und dessen tiefsinnige Stellung gefallen. Er warf noch einen scheuen Blick auf das Thier, und steckte dann die vergessenen Blätter geräuschlos zu sich. Die Furcht, seine Pflicht zu versäumen, und die Besorgnis, die wunderbare Erscheinung durch längeres Verweilen zu stören, trieben ihn fort. Eilig und leise verließ er das Zimmer. Abends, als kein rechtes Gespräch in Gang kommen wollte, brach er das Schweigen, und begann mit vielsagender, tiefsinniger Miene: »Freunde, ich muß Euch eine geheimnisvolle Begebenheit mittheilen, deren Zeuge ich heute gewesen bin. Unser Stallmeister (so hieß der Hund) kann lesen.«*)*

*) R. Köpfe, Ludwig Tieck. Bd. 1, S. 177.

Ist es nicht, als erlebe man eine Scene aus Tieck’s »Gestiefeltem Kater« oder aus Hoffmann’s Erzählung von dem Hunde Berganza? Ist es nicht, als wären diese Bücher, die so barock unwirklich erscheinen, nur aus dem Privatleben der Romantiker übersetzt? Ganz ähnlich sagt ja z. B. der Kater in »Kater Murr«: »Nichts zog mich in des Meisters Zimmer mehr an, als der mit Büchern, Schriften und allerlei seltsamen Instrumenten bepackte Schreibtisch. Ich kann sagen, daß dieser Tisch ein Zauberkreis war, in den ich mich gebannt fühlte, und doch empfand ich eine gewisse heilige Scheu, die mich abhielt, meinem Triebe ganz mich hin|140|zugeben. Endlich eines Tages, als eben der Meister abwesend war, überwand ich meine Furcht und sprang hinauf auf den Tisch. Welche Wollust, als ich nun mitten unter den Schriften und Büchern saß und darin wühlte.« Geschickt schlägt dann der Kater mit der Pfote ein ziemlich dickes Buch auf und versucht die Schriftzeichen darin zu verstehen; zuletzt scheint es ihm, daß ein ganz besonderer Geist über ihn komme. In diesem Augenblick überrascht ihn der Meister, der mit einem lauten »Seht die verfluchte Bestie!« mit erhobener Birkenruthe auf ihn zuspringt, aber plötzlich mit dem Ausrufe inne hält: »Kater – Kater, Du liesest? Ja, Das kann, Das will ich Dir nicht verwehren. Nun sieh – sieh! – was für ein Bildungstrieb Dir inwohnt!«

Ich frage: erscheint Dies verwunderlich in einem Märchenromane, wenn man gesehen hat, was in der Wirklichkeit vorfallen konnte? Sehen wir nicht, wie der Regenbogen der Phantastik sich über der ganzen romantischen Gruppe ausspannt, von ihrem ersten sanft-ernsthaften Seher bis zu ihrem letzten dämonischen Manieristen, von Wackenroder bis zum Führer ihrer Arrieregarde, Hoffmann? Hören wir ferner, daß Tieck’s Leben von ähnlichen Täuschungen und Hallucinationen wimmelt, so werden wir ahnen, daß nichts noch so Phantastisches sich in den Schriften der Romantiker auffinden läßt, was ihre Fiebervisionen ihnen nicht im wirklichen Leben vorgaukelten.

|141| Höchst interessant ist es nun, nicht bloß den Einfluß zu sehen, den die Wackenroder’schen Stimmungen und Gefühle auf Tieck ausüben, sondern auch den Antheil, welchen er selbst, von dem gleichaltrigen Freunde beeinflußt, an Wackenroder’s Erzeugnissen nimmt. Der erste Punkt, welcher uns hier frappirt, ist der Umstand, daß Tieck, der früher nur in erlösenden Augenblicken des Schaffens frei spielend mit seinem schönen Talente sich hatte über das finstere Brüten in WilIiam Lovell’schen Stimmungen erheben können, von Wackenroder lernte, an Phantasie und Kunst als Lebensmächte zu glauben, und so die einzige feste Stütze für eine Weltanschauung gewann, die er jemals erhielt. Der zweite Hauptpunkt ist, daß er, als der verhältnismäßig Abhängige, welcher der Spur des Anderen folgt, alle Tendenzen Wackenroder’s auf die Spitze stellt und sie zu exaltirten, aber natürlichen Konsequenzen entwickelt.

In denjenigen Partien der »Herzensergießungen«, an welchen Tieck mitgearbeitet hat, tritt die katholische Tendenz unverschleiert hervor. Es ist eine Hinzufügung von Tieck, wenn der Maler Antonio hier nicht bloß die Kunst, sondern auch »die Mutter Gottes und die erhabenen Apostel« anbetet, und wenn es heißt, die wahre Liebe zur Kunst müsse »eine religiöse Liebe oder eine geliebte Religion« sein. Am merkwürdigsten aber als Dokument ist doch das Aktenstück, welches, trotz späterer Ableugnungsversuche, nach dem eigenen Zeugnisse Tieck’s |142| (in der Nachschrift zur ersten Auflage des »Sternbald«, Bd. I, S. 374) unzweifelhaft von seiner Hand herrührt, der Brief nämlich, in welchem ein junger Mann, der als Schüler Albrecht Dürer’s nach Rom gekommen ist, um die Kunst zu studiren, seine Bekehrung zum Katholicismus schildert. Dieselbe findet in der Peterskirche statt: »Der volle lateinische Gesang, der sich steigend und fallend durch die schwellenden Töne der Musik durchdrängte, gleich wie Schiffe, die durch die Wellen des Meeres segeln, hob mein Gemüth immer höher empor. Und indem die Musik auf diese Weise mein ganzes Wesen durchdrungen hatte, und alle meine Adern durchlief, – da hob ich meinen in mich gelehrten Blick, und sah um mich her, – und der ganze Tempel ward lebendig vor meinen Augen, so trunken hatte mich die Musik gemacht. In dem Moment hörte sie auf, ein Pater trat vor den Hochaltar, erhob mit einer begeisterten Gebärde die Hostie, und zeigte sie allem Volke, – und alles Volk sank in die Kniee, und Posaunen, und ich weiß selbst nicht was für allmächtige Töne, schmet terten und dröhnten eine erhabene Andacht durch alles Gebein – da kam es mir ganz deutlich vor, als wenn alle die Knieenden. . . alle um meiner Seelen Seligkeit zu dem Vater im Himmel beteten, und mich mit Unwiderstehlicher Gewalt zu ihrem Glauben hinüber zögen.«

Ich lege ein ganz besonderes Gewicht auf diese |143| Stelle, weil sie einen entscheidenden Beweis, den selbst der sonst fast niemals fehlgreifende Hettner übersehen hat, dafür liefert, daß der Hang zum Katholicismus von Anfang an tief im Princip der romantischen Schule wurzelte. Hettner sowohl wie Julian Schmidt messen dem Umstande eine zu große Bedeutung bei, daß A. W. Schlegel als Greis in dem bekannten Briefe an eine französische Dame die katholische Tendenz aus einer bloßen »prédi1ection d’artiste« herleitet. Denn die Sache ist, daß diese Künstler-Vorliebe ihren tieferen Grund in der gleich Anfangs eingeschlagenen Richtung des sich Abwendens vom Rattonellen hatte.

Die Beziehung zum Katholicismus ist indeß nicht die einzige Tendenz bei Wackenroder, welche augenblicklich von Tieck und der Schule ergriffen und weiter geführt wird. In den »Phantasien über die Kunst« preist Wackenroder die Musik als die Kunst der Künste, als die, welche es vor allen verstehe, die Gefühle des Menschenherzens zu verdichten und festzuhalten, und welche uns lehre, »das Gefühl selbst zu fühlen«. Was fühlte die romantische Schule anders! Dies nimmt Tieck auf. Wenn Wackenroder die Ueberlegenheit der Musik über die Poesie, und die Sprache der Musik als die reichere von den beiden hervorhebt, bei wem mußte Dies wohl so zünden, wie bei Tieck, dessen Gedichte mehr ein Ausdruck für die Stimmungen waren, in denen man Poesie schreibt, als wirkliche poetische Erzeugnisse, |144| mehr Kunststimmungen, als Kunstwerke! Tieck geht weiter, als Wackenroder. Von der Musik sondert er wieder die Instrumentalmusik aus, denn nur in dieser ist die Kunst wirklich frei, befreit von allen Schranken der Außenwelt. Deshalb bezeichnet auch später der durch und durch musikalische Hoffmann die Instrumentalmusik als die romantischste aller Künste, und als ein merkwürdiger Beweis für den Zusammenhang, welcher stets zwischen den großen geistigen Phänomenen eines Zeitalters stattfindet, und dafür, wie die Romantiker, bei all ihrer vermeintlichen Willkür und wirklichen Ungebundenheit, unbewußt einer sie beherrschenden geschichtlichen Nothwendigkeit gehorchten und dem Strome derselben folgten, mag es hervorgehoben werden, daß gerade zu dieser Zeit Beethoven die Instrumentalmusik frei macht und sie zu ihrer höchsten Höhe erhebt. Indem man jetzt die Begeisterung für die musikalische Stimmungsinnigkeit auf die Dichtkunst überträgt, wird für Tieck die in Stimmungen und Klingklang aufgehende Poesie die wahre, »die reine Poesie«. Man hatte ja der stofflichen Wirklichkeit den Rücken gewandt. Handgreifliche Körperlichkeit, feste Plastik, selbst nur plastische Gestaltung von Seelenzuständen sind also den Romantikern unmöglich. Sie erstreben dieselbe nicht einmal. Das leiblich Gestaltete erscheint ihnen als grob und platt. Jede physiognomische Bestimmtheit löst sich daher in dissolving views auf. Nian fürchtet, an Unendlichkeit |145| und Tiefe zu verlieren, was man vielleicht an Begrenzung und Form hätte gewinnen können.

In diesem Punkte begegnen sich alle Meister der Schule. Da ist zuerst und vor Allen Novalis. Seine »Hymnen an die Nacht« und seine ganze Lyrik überhaupt war eine Poesie der Nacht und der Dämmerung, deren Halblicht keine festen Umrisse duldet. Seine Psychologie ging, wie er sagte, darauf aus, die anonymen, unbewußten Kräfte der Seele zu ergründen. Deshalb kommt auch seine Aesthetik daran hinaus, unsere Sprache müsse wieder musikalisch, wieder Gesang werden, und deshalb lehrt er, in eigentlichen Gedichten gebe es keine andere Einheit, als die des Gemüths, also nicht des Gedankens oder der Handlung »Es lassen sich,« sagt er, »Erzählungen ohne Zusammenhang, jedoch mit Association, wie Träume, denken; Gedichte, die bloß wohltlingend und voll schöner Worte sind, aber auch ohne allen Sinn und Zusammenhang, höchstens einzelne Strophen verständlich, wie Bruchstücke aus den verschiedenartigsten Dingen. Diese wahre Poesie kann höchstens einen allegorischen Sinn im Großen, und eine indirekte Wirkung, wie Musik, haben.« – Und wie völlig stimmt. Das mit den Theorien Friedrich Schlegel’s überein! Er, dessen Wesen rein fragmentarisch war, dessen Leben in Launen verstrich, dessen Wille nie einen Plan festzuhalten vermochte, und dessen Lebenslauf einer Arabeske gleicht, die mit einem Thyrsusstabe beginnt |146| und mit einem Kreuze endet, das aus einem Messer und einer Gabel besteht, – er sagt: »Die Arabeske, dieses harmlos musikalische Wiegen der Linie in sich selbst, ist die älteste und ursprünglichste Form der menschlichen Poesie. Ihre Kontouren sind nicht bestimmter, als die Wolken des Abendhimmels.«

Das Wort ist treffend, falls man es nur nicht aus die Phantasie überhaupt, sondern aus die Phantasien der Romantiker anwendet. Tieck’s Lyrik ähnelt der Goethe’schen, wie Wolken am Horizonte festen Schneegebirgen ähnlich sehn. Der romantischen Lyrik steht der Hörer gegenüber, wie Polonius der Wolke im »Hamlet« gegenüber steht: »Sie sieht beinahe aus wie ein Kamel. – Ja, auf Ehre, sie gleicht einem Kamel – Mir scheint, sie gleicht einem Wiesel – Hinten sieht sie aus wie ein Wiesel – Oder wie ein Walfisch? – Ganz wie ein Walfisch.« Bei Novalis ist die Kunstform noch in den Gedichten höchst solid und bestimmt, bei Tieck wird Alles verwischt und schwimmt in einem Nebel und Dunst der Formen, welcher dem Ahnungsvollen und geheimnisvoll Innigen des Inhalts entsprechen soll. Das Kunstwerk wird in seinem ersten embryonischen Zustande als Dunstkugel fixirt. Die Phantasie in diesem elementaren Zustande wird als Urpoesie bezeichnet. Um die bestimmt begrenzte Dichtkunst zur Urpoesie zurück zu führen, muß die feste, bestimmte Kunstsorm aufgelöst und zusammen geknetet werden. |147| Wie Tieck bei den großen Dichtern Dasjenige vorzog, was sie zu einer Zeit geschrieben, wo ihre Form noch nicht entwickelt war – er gesteht z. B., daß kein Shakepeare’sches Stück solchen Eindruck wie »Perikles« auf ihn gemacht habe, – so schuf er selbst Werke wie »Genoveva« und »Oktavian«, in welchen die epische, die lyrische und die dramatische Form zu einem Ragout zusammen gehackt sind. Bei uns in Dänemark wird diese bunte Mischung aller Formen nachgeahmt. Sie eignet sich recht wohl für einen Stoff wie Oehlenschläger’s »Sankt Johannis-Spiel« und zum Theil auch für einen Stoff wie »Aladdin«, bisweilen aber führt sie zu einem sehr ungünstigen Resultat, wie bei Hauch’s »Hamadryade«. – Nicht einmal für die reine Stimmungslyrik ist bei Tieck Form genug übrig. In solchem Grade fehlt es während seiner romantischen Periode seinem Talente an Koncentration. So viel er von Musik und von Musik der Sprache redet, ist doch seine rhythmische Begabung höchst unvollkommen. Sein Ohr scheint nicht feinhörig gewesen zu sein. In diesem Punkte wird er von A. W. Schlegel weit übertroffen. Man lese z. B. Dessen wundervolle Uebersetzung der eingeflochtenen Lieder in Shakspeare’s »Was Ihr wollt«. Aber von Tieck, wie von den Romantikern überhaupt, gilt es, daß sie in der Regel, bei alI’ ihrem Trumpfen auf melodische Form, nur dann melodische Wirkung erreicht haben, wenn sie die südländischen Versmaße wieder aufnahmen, an deren be|148|stimmtes Schema sie sich halten konnten. Sie füllten Sonett- und Kanzonen-Rahmen aus, wie unsere Damen eine Kanevas-Stickerei ausfüllen. Allein nicht bloß das Metrum entnehmen sie aus Spanien und Italien, sondern alle möglichen kleinen Handgriffe. Mit großer Naivetät bemühen sie sich, ein Stimmungsbild mit Hilfe von Assonanzen und tragisch klingenden Vokalen zu liefern. Abwechselnd nehmen sie alle Selbstlauter und und Mitlauter des Alphabets in ihren Dienst; vierzig vollklingende A-Laute hinter einander werden angewandt, um den Leser in guten Humor zu versetzen, einige Dutzend finsterer, schauriger U-Laute jagen ihm einen heilsamen Schreck ein. So z. B. in Tieck’s melancholischer U-Romanze von dem alten Ritter Wulf, den der Teufel holt. Der tragischen Wirkung halber wird hier in manierirt alterthümelnder Sprache »begann« zu »begunnte« etc. etc. Wenn der Leser sein Nervensystem eine halbe Stunde lang vollständig hat betäuben lassen von Versausgängen wie diesen: »Unke – Sturme – hinunter – begunnte – verdunkeln – verschlungen – Wulfen – Münze gulden – großen Klufte – rucke, Drucke – rufen, Zunsten – lugen – bedunken – erschluge – anhube – mit tiefen Brunsten – vielen Unken, die heulten und wunken – zu dem Requiem des todten Wuler, den der dunkle Satan mit vielen Wunden – erschluge, – wenn er Nichts mehr vernimmt, als u-tu-tu, dann ist er auf dem Höhepunkte, die Sprache ist Musik ge|149| worden, und er zerfließt in Stimmung.*)*

*) A. Ruge, Gesammelte Schriften. Bb. I, S. 361.
Am komischsten macht sich diese Vokalmusik im Drama. In Friedrich Schlegel’s »Alarkos«, diesem Arsenal von Assonanzen und Alliterationen, endigt der Held bisweilen zwei oder drei Seiten hinter einander jeden Trimeter mit einem a oder u:

Ihr Männer all’, Pilaster dieser alten Burg,
Genossen, Tapfre! die umkränzt mein Ritterthum,
Deß Glorie wir oft neu gefärbt mit hoher Lust
In unsres kühnen Herzens eignem heißen Blut –
Die alte Ehr’ in tiefer Brust, der lichte Ruhm,
Dem festen Aug in Nacht der einzig helle Punkt,
So folgten Einem Stern wir All’ vereint im Bund;
Der Bund ist nun zerschlagen durch den herben Fluch,
Der mich im Strudel fortreißt fremd’ und eigner Schuld. –
Mich zwingt, von hier zu eilen, ein geheimer Ruf,
Nach fernen Orten muß ich in drei Tagen, muß
Ein groß Geschäft vollenden, und die Frist ist kurz.

U. s. w., u. s. w. Burg, Lust, Muth, Schutz, Bund, Brust, Furcht, muß, Ruhms, thun, Punkt, uns – man hat gerade so Viel davon, wenn man die Assonanzen alleine hört, als wenn man den Rest in den Kauf bekommt. Als »Alarkos« in Weimar aufgeführt wurde und man in ein stürmisches Gelächter ausbrach, erhob Goethe sich von seinem Platze im Parquet und rief mit Donnerstimme: »Man lache nicht!« und gleichzeitig gab er der Polizei einen Wink, Jeden, der lache, hinaus zu schmeißen. |150| Wir Andern, die den »Alarkos« lesen, freuen uns, daß uns Keiner hinauswerfen kann.

Die Ursache, weshalb die Romantiker sich all’ diesem metrischen Zwang unterwerfen, ist leicht zu erkennen. Die vielen kalten, gezwungenen Versformen sind selbstverständlich bequem für Denjenigen, der mit äußerlicher metrischer Virtuosität einen vollständigen Mangel an metrischer Erfindungsgabe verbindet. Allein die Sonette, Terzinen und Ottaverime verhehlen nur schlecht die Formlosigkeit des Inhalts. Wenn der Nebel so dick ist, daß man ihn mit einem Messer zertheilen kann, so schneidet der Romantiker ihn in vierzehn Stücke und nennt ihn ein Sonett.

In den freien Versformen erreichen die Formlosigkeit und die Prosa ihren Gipfelpunkt. Was soll man z. B. zu folgenden Versen aus Tieck’s Reisegedichten sagen:

Weit hinter mir liegt Rom,
Auch mein Freund ist ernst,
Der mit mir nach Deutschland kehrt,
Der mit allen Lebenskräften
Sich in alte und neue Kunst gesenkt,
Der edle Rumohr,
Deß Freundschaft ich in mancher kranken Stunde
Trost und Erheiterung danke.

Der bekannte radikale Kritiker Arnold Ruge hat seiner Zeit diesen Versen folgendes Supplement angehängt:

Hochgeehrter Herr Hofrath!
Dieser Unmittelbaren Lyrik,
|151| Das verzeihen Sie gütigst, weiß ich
Mit dem besten Willen,
Sowohl in alter als in neuer Poesie,
Nichts zur Seite zu stellen,
Als etwa diesen
Schwachen Versuch einer freien Nachbildung.

Doch seine höchste Konsequenz erreicht dies Bestreben, die Sprache zu Gunsten der Musik aufzuheben, eigentlich erst da, wo Tieck so weit geht, der Musik selbst oder den musikalischen Instrumenten Worte zu leihen. Bisweilen wirkt Das gerader komisch. So z. B., wo im »Sternbald« (erste Ausgabe) die Instrumente reden, und die Flöte sagt:

Unser Geist ist himmelblau,
Führt Dich in die blaue Ferne,
Zarte Klangelocken Dich,
Ein Gemisch von andern Tönen.
Lieblich sprechen wir hinein,
Wenn die andern munter singen,
Deuten blaue Berge, Wolken,
Lieben Himmel sänftlich an,
Wie der letzte leise Grund
Hinter grünen frischen Bäumen.

Seinen klassischen Ausdruck empfing dieser Gedankengang in dem Gedichte, das den »Phantasus« abschließt, und dessen Thema nach Calderon’schen Muster ins Unendliche variirt wird:

Liebe denkt in süßen Tönen,
Denn Gedanken stehn zu fern,
Nur in Tönen mag sie gern
Alles, was sie will, versöhnen.
|152| Drum ist ewig uns zugegen,
Wenn Musik mit Klängen spricht,
Ihr die Sprache nicht gebricht,
Holde Lieb auf allen Wegen;
Liebe kann sich nicht bewegen,
Leihet sie den Odem nicht.

Diese überirdische Liebe, welche im Gegensatze zur irdischen die Sprache durchaus nicht als Organ brauchen kann, findet in den Tönen ihr adäquates Ausdrucksmittel, und die Sprache wird nur benutzt, um sich selbst zu verurtheilen und zu erklären, daß sie vor der Musik weiche. Insolchem Grade wird allmählich die romantische Stimmung verfeinert und quintessentirt.

Nur Ein Schritt bleibt jetzt noch übrig, der, welchen Tieck in seinem Lustspiele »Die verkehrte Welt« thut, nämlich die Sprache ausschließlich nach ihrer musikalischen Beschaffenheit zu verwenden. Vor dem Lustspiel findet man hier eine Symphonie als Ouvertüre, und in ihrer vollkommen musikalischen Unbestimmtheit erreicht die Darstellung hier eine wirklich klassische Originalität. Eine solche Umschreibung der Musik durch Worte war bis zu dieser Zeit unerhört gewesen, und der Versuch erscheint daher auch noch heutigen Tages als absolut typisch. Denn wer den Muth hat, seine Tollheit ganz auf die Spitze zu treiben, erreicht eben dadurch, daß diese Tollheit, in welcher Methode ist, einen kräftigen und lebendigen Charakter erhält.

|153| Symphonie.

Andante aus D-Dur.

Will man sich ergötzen, so kommt es nicht sowohl darauf an, auf welche Art es geschieht, als vielmehr darauf, daß man sich in der That ergötzt. Der Ernst sucht endlich den Scherz, und wieder ermüdet der Scherz und sucht den Ernst; doch beobachtet man sich genau, trägt man in Beides zu viel Absicht und Vorsatz hinein, so ist es gar leicht um den wahren Ernst so wie um die wahre Lustigkeit geschehen.

Piano.

Gehören aber wohl dergleichen Betrachtungen in eine Symphonie? Warum soll es denn so gesetzt anfangen? Ei nein! wahrhaftig nein, ich will lieber sogleich alle Instrumente durch einander klingen lassen.

Crescendo

Ich darf ja nur wollen, doch freilich mit Verstand; denn nicht sogleich, urplötzlich, erhebt sich der Sturm, er meldet sich, er wächst, dann erregt er Theilnahme, Angst, Furcht und Lust, da er sonst nur leeres Erstaunen und Erschrecken veranlassen würde. Ist es schwer vom Blatte zu spielen, so ist es noch schwerer, vom Blatte sogleich zu hören. Aber nun sind wir schon tief im Getümmel; Pauken, schlagt! Thompeten, klingt!

Fortissimo.

Ha! das Getümmel, die Attaquen, das Schlachtgewühl von Tönen! Wohin rennt ihr? Woher kommt ihr? Die stürzen sich wie Sieger durch das lauteste Gedränge, jene fallen, verscheiden; die dort kommen verwundet, matt zurück, und suchen Trost und Freundschaft. Da trabt’s heran wie Rossesschnauben; da orgelt’s tief wie Donner im Gebirg; |154| da rauscht es, tobt es wie ein Wassersturz, der verzweifelnd, sich vernichten wollend, über die nackten Klippen stürzt, und tiefer, immer tiefer hinunter wüthet, und keinen Stillstand, keine Ruhe findet.

[…]

Violino Primo Solo.

Wie? Es wäre nicht erlaubt und möglich, in Tönen zu denken und in Worten und Gedanken zu musiciren? O wie schlecht wäre es dann mit uns Künstlern bestellt! Wie arme Sprache, wie ärmere Musik! Denkt Ihr nicht so manche Gedanken so fein und geistig, daß diese sich in Verzweiflung in Musik hinein retten, um nur Ruhe endlich zu finden? Wie oft, daß ein zergrübelter Tag nur ein Summen und Brummen zurück läßt, das sich später wieder zur Melodie belebt?

[…]

Forte.

Alles ist fertig, die Dekoration aufgestellt, der Souffleur zugegen; mehr Zuschauer kommen auch nicht. Die Erwartung ist rege, die Neugier gespannt; nur Wenige denan jetzt schon an das Ende, und daß sie alsdann fragen werden: »Nun, war es denn etwas Besonderes? – Gebt Acht! denn Das müßt Ihr, um nicht Alles auf den Kopf zu stellen. – Gebt aber auch nicht zu sehr Acht, um nicht mehr zu sehn und zu hören, als man Euch hat zeigen wollen. – Gebt Acht! gebt aber ja auf die rechte Art Acht! hört zu! hört zu! zu! zu!! zu!!!

Wer die dänische Literatur kennt, wird bemerken, daß Kierkegard mit seiner berühmten Abhandlung über Don Juan, in deren Schlußchor man die Schritte des |155| Gouverneurs zu vernehmen meint,*)*

*) »Hört Don Juan! Hört den Anfang seines Lebens; wie der Blitz aus dem Dunkel der Wetterwolke heraus fährt, so bricht er aus der Tiefe des Ernstes hervor, schneller als der zuckende Blitz, unstäter als dieser und doch ebenso taktfest; hört, wie er sich in die Mannigfaltigkeit des Lebens hinab stürzt, wie er sich an dem festen Damme desselben bricht, hört diese leichten, tanzenden Violintöne, hört das Winken der Freude, hört den Jubel der Lust, hört des Genusses festliche Seligkeit; hört seine wilde Flucht, an sich selbst eilt er vorüber, immer schneller, immer unaufhaltsamer, hört das zügellose Begehren der Leidenschaft, hört das Säuseln der Liebe, hört das Flüstern der Versuchung, hört den Wirbel der Verführung, hört die Stille des Augenblicks – hört, hört, hört Mozart’s Don Juan!« – S. Kierkegaard’s »Entweder–Oder«. Bd. I, S. 93.
nur die von Tieck eingeschlagene Richtung weiter verfolgt, und es leuchtet ein, in wie nahem Zusammenhang alle Hoffmann’schen Umschreibungen der Musik in Stimmungsergüssen und Geistererscheinungen in den »Kreisleriana« mit der ersten Auffassung des romantischen Ideales bei Tieck stehen. Zuletzt bleibt denn auch die Parodie nicht aus, indem Hoffmann im »Kater Murr« sogar die Katzenklagen und die Katzenmusik in Verse bringt und sie glossirt. Indiesem absolut musikalischen Typus von Poesie erreicht das Wackenroder’sche Kunstideal seine höchste und wahrste Ausbildung. Der kräftige Naturpantheismus, welcher bei Goethe plastisch ist, und welcher sich bei ihm in der Gestaltung der »Diana der Epheser« äußert, ist hier musikalisch geworden. Wie ein stark gesammelter Strom braust durch Tieck’s Jugendschriften unter der |156| Frömmigkeit, unter der Sinnlichkeit, unter den Reminiscenzen aus Wackenroder und Goethe in breiten Wogen der romantische Pantheismus. Es heißt z. B. im »Steinbald« (Bd. II, S. 54): »Oft horchen wir auf und sind auf die neue Zukunft begierig, auf die Erscheinungen, die an uns mit bunten Zaubergewändern vorübergehn sollen: dann ist es, als wollte der Waldstrom seine Melodie deutlicher aussprechen, als würde den Bäumen die Zunge gelöst, damit ihr Rauschen in verständlichern Gesang dahin rinne. Nun fängt die Liebe an aus fernen Flötentönen heran zu schreiten, das klopfende Herz will ihr entgegen fliegen, die Gegenwart ist wie durch einen mächtigen Bannspruch festgezaubert, und die glänzenden Minuten wagen es nicht, zu entfliehen. Ein Zirkel von Wohllaut hält uns mit magischen Kräften eingeschlossen, und eine neue verklärtere Existenz schimmert wie räthselhaftes Mondlicht in unser wirkliches Leben hinein.« Oder an einer andern Stelle (Bd. II, S. 106): »O, unmächtige Kunst, wie lallend und kindisch sind deine Töne, gegen den vollen harmonischen Orgelgesang, der aus den innersten Tiefen, aus Berg und Thal und Wald und Stromesglanz in schwellenden, steigenden Accorden herauf quillt! Ich höre, ich vernehme, wie der ewige Weltgeist mit meisterndem Finger die furchtbare Harfe mit allen ihren Klängen greift, wie die mannigfaltigsten Gebilde sich seinem Spiel erzeugen, und umher und über die ganze Natur sich mit geistigen Flügeln |157| ausbreiten. Die Begeisterung meines kleinen Menschenherzens will hinein greifen, und ringt sich müde und matt im Kampfe mit dem Hohen. . . . Die unsterbliche Melodie jauchzt, jubelt und stürmt über mich hinweg«. – Das Leben und die Poesie gehen hier in Musik auf. Es ist zu allen Zeiten in jeder Kunstart eine große Versuchung für den Künstler gewesen, seine Herrschaft über sein Material dadurch zu zeigen, daß er ihm zu derselben Zeit trotzt, wo er es verwendet. In der Geschichte der Bildhauerkunst erscheint ein Zeitpunkt, wo man sich darüber ärgert, daß der Stein so schwer ist, und wo man ihn zwingen will, das Leichte und Schwebende auszudrücken, oder man trachtet nach dem Malerischen, wie die Manieristen der Renaissancezeit. So mühen sich hier die Romantiker, die Sprache nach der Seite hinüber zu drängen, von welcher sie mit der Musik verwandt ist, sie mehr mit Rücksicht darauf, wie sie klingt, zu benutzen, als mit Rücksicht darauf, was sie bedeutet. Wie alle Schriftsteller heutigen Tages sich mehr oder minder glücklich bemühen, mit Worten zu malen, so wollten die Romantiker musiciren. Daß sie gerade auf diese Einseitigkeit verfielen, erklärt sich leicht. Man erinnert sich ihrer Polemik gegen die Absicht, ihrer Vergötterung der Ironie. Daher wünschen sie nicht ihrem Worte treu zu bleiben, nicht an dasselbe gebunden zu sein. Sie gebrauchen es ironisch in solcher Art, daß sie es wieder zurücknehmen können. Es soll nicht leiblich, |158| wesenhaft, auf eine Absicht und ein Ziel deutend, vor ihnen stehn. Wie sie dadurch, daß sie die Freiheit abstrakt als Willkür auffaßten, auf einen Punkt zurück kamen, wo sie nach Gefallen so oder anders handeln konnten, so gelang es ihnen dadurch, daß sie die Sprache abstrakt als Laut auffaßten, dieselbe zum bloßen Stimmungsausdruck ohne Tendenz zu machen, d. h. ohne Richtung auf das Leben und Handeln. Der Tendenz entrannen sie dadurch nicht – der entrinnt Keiner – weil sie jedoch nicht die Tendenz der Freiheit nach aufwärts und vorwärts hatten, riß die Schwere-Tendenz der Nothwendigkeit sie nach rückwärts hinab. Da sie nun aber ein Mal über das andere das Wort nur austreten ließen, um abzudanken und sich für inkompetent zu erklären im Vergleich mit der Musik, so begreift sich’s leicht, daß die Musiker ihrerseits unter dem Einslusse des herrschenden Zeitgeistes danach strebten, das romantische Kunstideal in ihrer Kunst durch dieselben Mittel auszudrücken, aus welche die Poeten bei ihrer eigenen Ohnmacht beständig hingewiesen hatten.

Von den Komponisten, denen Dies gelingt, ist Weber unbedingt der Bedeutendste. Er folgt den Romantikern auf den Fersen in Betreff der Wahl seiner Stoffe. In »Preciosa« wird das ungebundene Wander- und Vagabundenleben verherrlicht, wie in Tieck’s »Steinbald« und Eichendorff’s » Leben eines Taugenichts«. »Oberon« führt uns in jene ganze Elfenwelt ein, die |159| aus Shakspeare’s »Sommernachtstraum« herstammt, dem Stücke, das bekanntlich der Ausgangspunkt für alle phantastischen Lustspiele Tieck’s war. Im »Freischütz« endlich greift Weber, wie die Romantiker in ihrer späteren Periode, zum Volksthümlichen als Kunstmittel, benutzt Volksmelodien, wie die Romantiker in Deutschland und Dänemark Volkslieder benutzten, nimmt, wie die Romantiker, Volkssagen und Vorstellungen des Volksaberglaubens auf. Wer einer Vorstellung des »Freischütz« auf einer deutschen Bühne beiwohnt, Der würde, selbst wenn er taub wäre, nicht einen Augenblick daran zweifeln können, daß er eine romantische Oper vor sich hat. Er sieht die finstere Schlucht zwischen den Felsen, wo die Naturgeister haufen, das Herumschwirren der Gespenster im Mondenschein, eine Dekoration und ein Personal, welche an die Versuchungen des heiligen Antonius auf niederländischen Gemälden erinnern, endlich die wilde Jagd, deren Schatten wie die Bilder einer Laterna magica mit einer seltsam täuschenden Wirkung durch die Luft fahren. Das Interessanteste offenbart sich freilich erst dem Nicht-Tauben, welcher Acht darauf giebt, wie der Komponist sich zu all’ diesen Aeußerlichkeiten stellt. Denn er wird fühlen, daß Weber mit mehr Genialität, als die Romantiker, sein Material analog der Weise behandelt, in welcher sie das ihrige behandeln. Auch Weber führt seine Kunst auf eins ihrer Extreme hinaus. Wie die Romantiker geneigt sind, die Sprache |160| abstrakt als Laut und Rhythmus zu betrachten, so ist er geneigt, die Musik abstrakt, d. h. gleichfalls als Rhythmus, zu nehmen. So ist z. B. Samiel’s Motiv mehr rhythmisch als melodisch, und macht daher eine gröbere, äußerlichere, aber malerischere Wirkung. Wie die Romantiker in der Poesie musiciren, so malt er also in der Musik. Während Beethoven ein reines Seelengemälde giebt, nichts Aeußeres darstellt, nur seine eigene Seele, giebt Weber Charakteristiken. Er stützt sich seinen Sujets gegenüber stets auf ausgeprägte äußere Physiognomien, auf Etwas, wovon man sich schon von vornherein eine Vorstellung bildet, wie z. B. die Elfen. Wenn man die Pastoralsymphonie ausnimmt, malt Beethoven nur den Eindruck. Weber malt die Sache selbst. Er ahmt die Naturlaute nach. Er läßt die Violinen säuseln, um ein Säuseln in den Bäumen zu schildern. Wenn der Mond zu scheinen beginnt, wird Das durch einen Akkord angedeutet und gemalt. Wenn er mithin rhythmisch dumpfe Schläge statt Tonwellen giebt, also die Mittel seiner Kunst abstrakt benutzt; wenn er kindlich oder volksthümlich sich an die Form des Liedes und die einfachste Harmonisation hält, also die Mittel seiner Kunst naiv gebraucht; wenn er, um eine wild phantastische oder Unheimliche oder gespenstische – Wirkung zu erzielen, die natürliche Lage oder den natürlichen Umfang der Instrumente versetzt (indem er z. B. den Klarinetten tiefe Töne giebt), und also seine |161| Mittel so barock und bizarr verwendet, wie es früher nicht in der Musik erhört worden war, so ist er ganz und gar ein Romantiker, der mit seiner größeren Genialität und seinen weit zweckentsprechenderen Wirkungsmitteln die nothwendige musikalische Ergänzung zu den Poesien der romantischen Dichter bildet. (Vgl. die Einleitung zu George Sand’s »Mouny Robin«.)

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