Es giebt eine Dichtungsart, in welcher der Mensch vorzugsweise von der Seite geschildert wird, von welcher sein Wesen Freiheit und Geist ist, – das Drama. In der lyrischen Poesie herrscht die Stimmung vor, in der epischen wird der Charakter durch die breite Ausmalung der Verhältnisse und Mächte, welche ihn bestimmen, zurückgedrängt; aber der Gegenstand des Dramas ist die Handlung, und der menschliche Charakter nöthigt als handelnd und wollend, weil er selbst lauter Form und Bestimmtheit ist, den Dichter, seinem Erzeugnisse Bestimmtheit und Form zu geben. Das Drama erfordert Klarheit und Geist; die Naturmächte müssen hier, wo Alles motivirt ist, als die Diener oder Herren des Geistes erscheinen, aber sie müssen vor Allem verständlich sein, sie können nicht als dunkle und lichtscheue Despoten austreten, welche ihr Wesen und ihren Beruf nicht zu erklären brauchen. Die beiden romantischen Dramen Tieck’s, das Trauerspiel »Leben und Tod der heiligen Genoveva« und das zehnaktige Lustspiel »Kaiser Oktavianus«, sind eigentlich nur dem Namen nach Dramen. Shakspeare’s »Wintermärchen« und »Perikles«, Calderon’s lyrische und musikalische Episoden verleiteten ihn zu einer lyrisch-epischen Formlosigkeit ohne Gleichen in der Ge|333|schichte der Poesie. Stillosere, kompositionslosere dramatische Dichtungen, als diese, findet man nicht. Worauf es Tieck allein ankommt, ist, was er »das Klima der Begebenheit« nennt, ihre Luft und ihr Duft, ihr Ton und ihre Farbe, ihre Stimmung und Abspiegelung im Gemüthe, ihre eigenthümliche Beleuchtung, welche unabänderlich die des Mondscheins ist. Er legt den Menschen des frühen Mittelalters die Stimmung in den Mund, in welche die Lektüre der alten Legenden ihn selbst versetzt hat. Es war eine Art religiöser Gemüthszustand, der ihn auf diesen Weg gebracht hatte. Schleiermacher’s »Reden über Religion« hatten damals gerade Eindruck auf ihn gemacht. In der Meinung, eine Goldgrube von Lächerlichkeiten zu finden, hatte er Jakob Böhme’s »Morgenröthe« aufgeschlagen, und war aus einem Spötter ein begeisterter Jünger geworden. Endlich war er so eben mit Novalis zusammengetroffen und stand unter Dessen Einflusse.
Geht man indessen die »Genoveva« kritisch durch, so findet man bald, was Tieck auch zugesteht, daß die Religion darin, die Frömmigkeitsstimmung, welche die künstlerische Einheit bilden sollte, Nichts anders ist, als die romantische Sehnsucht nach Religion. Gerade so urtheilte auch Solger darüber. Von dieser Sehnsucht findet man zahlreiche Zeugnisse in dem Stücke. Die alte, gläubige Zeit, welche vor uns entrollt wird, seufzt, ganz wie Tieck’s eigene, nach einer anderen älteren, viel |334| gläubigeren, auch ihre Religion ist nur Sehnsucht nach Religion. Golo sagt von dem alten Ritter Wolf, der für ihn die gute, alte Zeit repräsentirt: »Wie könnt’ ich Dein kindliches Gemüth verspotten wollen!« Genoveva schaut nach der Vorzeit zurück; wie Tieck selber, verbringt sie all ihre Tage mit der Lektüre alter Legenden; ja, sie sagt sogar echt romantisch:
Die männliche Hauptperson in diesem Stücke, der larmoyante Schurke Golo, ist wieder William Lovell, welcher nicht einnehmender dadurch geworden ist, daß er zur dramatischen Figur in einer mittelalterlichen Tragödie aufgeputzt ward.
»Oktavianus«, auf dessen allegorische Manier »Heinrich von Ofterdingen« stark eingewirkt hat, ist, wo möglich, noch form- und zusammenhangsloser, als »Ge- noveva«. Man kann das Stück zunächst als eine großartige Musterkarte aller möglichen nord- und südeuropäischen Versarten betrachten, und in Wirklichkeit ist es nur eine ermüdende Reihe sorgfältig ausgepinselter Natureindrücke und Naturstimmungen.
In der Einleitung zum »Phantasus« hat Tieck selbst geschildert, wie alle bestimmten Eindrücke von der Außenwelt ihm in einen mystischen Naturpantheismus zusammenfließen:
Aber was solchermaßen von Wald und Berg bei Tieck gilt, Das gilt eben so sehr vom Menschenleben; auch hier ertränkt er alle Bestimmtheit und allen »Charakter in den buntfarbigen Wellen der Naturmystik. Dieser mystische Pantheismus im Drama bereitet den christlich-mystischen Charakter des romantischen Dramas vor.
Die deutsche Romantik hat nach Tieck zwei bedeutende Dramatiker, Zacharias Werner und Heinrich von Kleist, hervorgebracht, und von Diesen ist wieder der Letzte am hervorragendsten, er ist als Dichter im Besitz so reicher Gaben, daß ich für mein Theil geneigt bin, ihn über alle Poeten der Schule zu stellen. Er besitzt vor allen andern eine bestimmte und plastische Form, er hat ein Pathos, das man nicht bei Goethe findet, Alles, was er geschrieben hat, ist seelenvoll, innig |336| und glühend sinnlich, und die Form doch in den besten Werken fest und ohne Ornamente. Kleist ist Deutschlands Mérimée, und ein Studium seiner Eigenthümlichkeit wird uns zeigen, was die deutsch-romantische Geistesrichtung aus einem Mérimée machen könnte. Wir werden sehen, wie der romantisch-poetische Wahnwitz die bestimmte, präcise Form in seinem Genius durchbricht Woran wir hier besonders achten müssen, Das ist die Weise, in welcher dieser innerlich so energische Dichter den dramatischen Charakter darstellt. Als ich die Psychologie der Romantiker schilderte, zeigte ich, wie sie durch Zerstückelung der Individualität dahin gelangten, das Hauptgewicht aus Alles zu legen, was die Form derselben zersprengt: Traum, Hallucination und Wahnsinn. Was die Charaktere Kleist’s von den übrigen Charakteren der Romantiker unterscheidet, ist, daß sie Nichts von dem Verwischten oder Verschwommenen haben, was diese kennzeichnet; aber was ihnen und den andern gemeinsam ist, Das ist das Pathologische in ihrem Grundgepräge. In jeder Leidenschaft ergreift Kleist den Zug, durch welchen sie ihre Familienähnlichkeit mit der fixen Idee oder dem willenlosen Wahnsinne verräth, bei jedem noch so kräftigen Geiste bohrt er seine Sonde in den kranken Punkt hinab, wo der Geist seine Herrschaft über sich selbst verliert: Somnambulismus, thierische Befangenheit, Zerstreutheit, Feigheit aus Todesangst. Nehmen wir eine Leiden|337|schaft wie die Liebe, so ist dieselbe ganz gewiß nicht von rein rationeller Natur, aber sie hat eine Seite, von welcher man sie im Zusammenhange mit Vernunft und Geist betrachten kann. Deshalb eben schildert Kleist sie durchgehends und mit bewundernswerther Energie als rein pathologisch, als Manie. Wie Käthchen von Heilbronn zum ersten Male den Grafen Wetter von Strahl er blickt, läßt sie im selben Augenblick Alles, was sie in Händen hat, das Geschirr mit Erfrischungen, Flaschen und Gläser fallen und stürzt leichenblaß mit gefalteten Händen vor ihm hin, als ob sie ein Blitz nieder geschmettert hätte. Der Graf sagt ihr ein freundliches Wort und will fortreiten; als sie ihn von ihrem Fenster aus zu Pferde steigen sieht, springt sie, um ihm zu folgen, dreißig Fuß hoch auf das Straßenpflaster hinab und bricht sich beide Lenden. Sechs Wochen liegt sie im Fieber. Kaum geheilt, erhebt sie sich, schnürt ihr Bündel und entflieht aus ihrem väterlichen Hause, um den Grafen aufzusuchen und ihm »in blinder Ergebung von Ort zu Ort zu folgen; geführt vom Strahl seines Angesichts, fünfdrähtig wie ein Tau um ihre Seele gelegt, auf nackten, jedem Kiesel ausgesetzten Füßen, das kurze Röckchen, das ihre Hüfte deckt, im Winde flatternd, Nichts als den Strohhut auf, sie gegen der Sonne Stich oder den Grimm empörter Witterung zu schützen. Wohin sein Fuß im Lauf seiner Abenteuer sich wendet, durch den Dampf der Klüfte, durch die Wüste, die der |338| Mittag versengt, durch die Nacht verwachsener Wälder: wie ein Hund, der von seines Herren Schweiß gekostet, schreitet sie hinter ihm her; und die gewohnt war, aus weichen Kissen zu ruhen, und das Knötlein spürte in des Bett-Tuchs Faden, das ihre Hand unachtsam darin eingesponnen hatte: Die liegt jetzt, einer Magd gleich, in seinen Ställen, und sinkt, wenn die Nacht kommt, ermüdet auf die Streu nieder, die seinen stolzen Rossen untergeworfen wird.«
Die brutale Energie, welche in diesen Worten ihres Vaters liegt, schildert wahr. Der Graf, der sich ohne Schuld weiß, sucht sie auf alle Weise zu entfernen. Als er sie Nachts einmal im Stalle findet, stößt er das junge Mädchen mit Füßen von sich, mehr als einmal erhebt er die Hundepeitsche gegen sie; er läßt sie sich für seine Braut aufopfern, welche sie in ein in hellen Flammen stehendes Haus hinein jagt, um sein Bild für sie heraus zu holen, ja noch einmal, um das Futteral für dies Bild zu holen, und mit der höchsten Begeisterung und der tiefsten Demuth duldet sie Alles und thut sie Alles. Nach Käthchens Bilde hat Henrik Hertz in »Svend Dyring’s Haus«,*)*
seine zartere und mattere Schilderung einer allüberwältigenden, unerwiderten Leidenschaft geformt. Ich will die Komposition des deutschen Stückes nicht zergliedern, welches neben vielem Lächer|339|lichen und Verletzenden viel Erhabenes enthält; aber man wird schon aus dem Angeführten erkennen, daß diese Leidenschaft, welche sich mit der Plötzlichkeit eines Schlaganfalles einstellt, welche gleich einer fixen Idee alle fanderen Vorstellungen in der Seele verzehrt, und welche, selbst ein Mirakel, mit Hilfe eines Cherubs Mirakel vollbringt, über die Grenze des Natürlichen und Gesunden hinausgetrieben ist. Ich leugne nicht, dass trotzdem etwas Schönes darin liegt. Es hat Kleist, der einen so glühenden Abscheu vor der Phrase hegte, Genügen gewährt, ein liebendes Weib zu schildern, bei dem Alles, was bei andern liebenden Weibern nur Phrase ist, Wahrheit und Wirklichkeit wird. Ihn sehen und ihn lieben, war Eins – dem Geliebten über die ganze Erde folgen – ihm treuer und ergebener als ein Hund sein – durchs Feuer für ihn gehen: es ist wohlthuend, all’ diese Phrasen hier zur Wirklichkeit werden zu sehn. Dennoch gehört dies Alles zur Pathologie. Dazu kommt die romantische Motivirung. Käthchen erschrickt beim Anblick des Grafen, weil sie ihn Nachts einmal in einem Traumgesichte erblickt hat. Aber während sie dies Traumgesicht hat, liegt der Graf todkrank am Nervenfieber, wie eine Leiche in seinem Bette ausgestreckt, und es ist ihm selbst, als träte er in Käthchen’s Kammer. Ihre Vision und sein Traum entsprechen einander Punkt für Punkt, so daß der Gras, als er den Zusammenhang erfährt, angstvoll ausrufen muß:Wir sehen hier wieder die Doppelgängerei als Lieblingsgedanken der Romantiker in naher Verbindung mit dem Somnambulismus.
Eine ähnliche Rolle spielt der Somnambulismus in Kleist’s herrlichem Drama, dem besten vielleicht, das die Romantik hervorgebracht: »Der Prinz von Homburg«, in welchem die wichtigsten Charaktere sämmtlich wie aus Stein gemeißelt erscheinen. Die Repliken sind kraftvoll und klar, jedes Wort ist scharf geprägt wie eine Medaille. Das Sujet des Stückes ist bekannt: Der junge Reitergeneral verletzt die Disciplin und siegt, nachdem er den Kampf auf eine Weise aufgenommen hat, die ihm durch seine Instruktion untersagt war. Der Kurfürst verurtheilt ihn zum Tode. Indem Glauben, das Urtheil werde niemals vollstreckt werden, nimmt der junge Held es für eine bloße Formalität, wird aber, als er sieht, daß es Ernst ist, von einer so plötzlichen Todesangst ergriffen, daß er aufs Unwürdigste um sein Leben bettelt. Der Werth des Stückes beruht auf der Genialität, mit welcher die innere Erregung geschildert ist, kraft deren er sich wieder auf sich selbst besinnt und die Todesstrase als sein Recht fordert. Aber hier ist wieder die Nachtseite des Geistes erfaßt. Der Prinz ist nervös, krankhaft und zerstreut. Zu Anfang des Stückes geht er schlafwandelnd umher; am |341| Ende desselben wird seine Vision verwirklicht. Er übertritt die Ordre, nicht wie der Sohn des Manlius Torquatus aus Jugendübermuth und kriegerischer Begeisterung, sondern weil er, der in seiner nervösen Zerstreutheit den Kopf voller Träume hat, als die Instruktion diktirt wird, Nichts davon hört und somit blindlings losschlägt.
Man sieht aus Kleist’s Biographie, wie lebhaft das Werk Schubert’s »Die Nachtseite der Naturwissenschaft« ihn beschäftigt hat. Dies Buch, welches von dem zu seiner Zeit populärsten unter den Naturphilosophen verfaßt ist, gehört zu den verschrobensten Produkten der Zeit. Die Nachtseite eines Planeten nennt man diejenige Seite desselben, welche der Sonne abgewandt ist und sich durch ein schwaches, phosphoreseirendes Licht auszeichnet, in welchem die Gegenstände auffallend anders als im Sonnenlicht erscheinen. Daher der Name. In diesem Buche walten Geister, Nachtwandler, Gespenster und Dämonen als Alleinherrscher der Erde. Es wird hier eine vollständige Theorie der Geister entwickelt. Zwischen Geist und Körper giebt es zwei Mittelglieder: die Seele und den Nervengeist, welcher letztere, der nach dem Tode isolirt wird, Gestalt und Farbe hat und solchermaßen erblickt werden kann. Die Farbe richtet sich nach der Beschaffenheit der Seele; ganz böse Geister sind grün; wenn sie sich bessern, gehen sie allmählich ins Gelbe über, u. s. w.
|342| Von Anfang an hat, nach Schubert’s Lehre, das Menschenwort wunderthätige Kraft gehabt. Durch die Sünde hat es seine Macht über die Natur verloren, und dadurch ist etwas Finsteres und Dämonisches in die wunderthätige Gabe gekommen, wie z. B. in der Zaubermacht der griechischen Orakel und der heidnischen Hexerei. In Christus erneuerte sich die alte natürliche Wunderkraft. In ihrer dämonischen Gestalt ist sie wieder bei den Rosenkreuzern und Illuminaten, den geheimen Freimaurer-Gesellschaften erstanden, welche in den Vorstellungen der Zeit eine so große Rolle spielen, und sie verräth sich ferner in Erscheinungen wie dem thierischen Magnetismus, der Clairvoyance etc. Adam Müller sagt in seinen Briefen an Gentz von diesem Buche: »Schubert’s Buch scheint mir allerdings das beste Produkt der Naturphilosophie, und der Autor an Gemüth, an Gerechtigkeit und vornehmlich an Gelehrsamkeit, wenn auch nicht an polemischem und kritischem Talente, dem Schelling weit überlegen. . . . Schubert bildet, freilich eigenthümlicher und poetischer und erhabener, aber im Wesen sehr deutlich, eine frühere Periode meiner Bildung ab, wo ich das Menschliche, das Persönliche meiner irdischen Thatkraft hätte mögen in Rauch ausgehen lassen, um dem Gott, den ich anbetete, einen süßen Geruch zu bereiten; wo ich meines Namens, meiner Individualität mich hätte entschlagen mögen, um der allerhöchste Märtyrer, der geistlichste Geistliche zu werden.«
|343| Ein Buch wie dies war daher in Aller Händen, und selbst ein Geist wie derjenige Kleist’s vertiefte sich, wie gesagt, mit seinen klaren Gedanken in all’ diese anspruchsvolle Thorheit. Aber die Mystik war an der Tagesordnung, und es ist seltsam zu sehen, wie das mystische Element, jene absonderliche Trinität von Wollust, Religion und Grausamkeit, überall in den Dramen dieses Dichters auftaucht. So z. B. in dem merkwürdigen Trauerspiele »Penthesilea«. Die Heldin ist die wilde Königin der Amazonen, welche Krieg sowohl mit den Griechen wie mit den Trojanern führt, und überall siegreich ist. Es ist ein Gesetz Unter den Amazonen, daß sie im Kriege sich die Männer sangen müssen, denen sie angehören sollen; nach dem Ende des Kampfes leben sie dann mit ihnen herrlich und in Freuden. Penthesilea ist von einer eben so sterblichen Liebe zu Achilles, wie Käthchen zum Grafen von Strahl, ergriffen worden. Aber bei ihr erhält dieselbe den entgegengesetzten Ausdruck; sie nimmt den Schein haßerfüllter Grausamkeit an. Sie verfolgt Achilles überall in den Schlachten, sie will sein Blut sehen. Liebte Käthchen wie ein Hund, so liebt Penthesilea wie eine einem Bacchantenzug entsprungene Tigerin. Ihre Liebe äußert sich in Worten wie diesen:
|344| Der letzte Wunsch, seine üppigen Glieder von den Sicheln der Wagen abgemäht zu sehen, ist keine bloße Vorstellung. Dies zeigt sich denn auch am Schlusse der Dichtung: die Amazonen sind geschlagen worden, und die ohnmächtige und verwundete Königin ist in Achilles’ Hände gefallen. Er liebt sie, und um sie nicht in Trauer und Verzweiflung zu stürzen, macht er den Versuch, ihr einzubilden, daß sie gesiegt habe, und daß er ihr Gefangener sei. Aber die Wahrheit kommt bald an den Tag, und jetzt fordert Achilles sie zum Einzelkampfe heraus, in der Absicht, sich von ihr überwinden zu lassen und so ihr Verlobter zu werden. Als Penthesilea jedoch die Herausforderung empfängt, versteht sie nicht deren Sinn, sondern geräth in eine Art Berserkerwuth, wirft sich auf ihr Roß und stürmt an der Spitze ihrer ganzen Hundekoppel gegen ihn los. Aus weiter Ferne schon sieht er sie und erschrickt, als sie ihren Bogen spannt, »daß sich die Enden küssen«, zielt und ihm einen Pfeil durch den Hals jagt. Er stürzt, versucht aber röchelnd sich zu erheben, da hetzt sie ihre ganze Meute auf ihn, alle Hunde schlagen ihre Zähne in seinen Leib, und sie gleich ihnen, bis das Blut ihr von Mund und Händen trieft:
Erst lange nachher kommt sie wieder zu sich selbst und erfährt, was sie gethan hat. Ihr erster Eindruck ist Verzweiflung, dann aber sagt sie:
Also, sie war nicht so verrückt, wie es schien. Hier, wie vorhin: Was bei den Andern Phrase war, soll hier zur Wirklichkeit werden. Manche sagt, sie möchte den Geliebten vor Liebe auffressen, aber Penthesilea thut es. Der Kuß ist mit dem Bisse verwandt. Sie sagt:
Und doch ist Das noch nicht die volle Erklärung. Wir haben hier nur noch die zwei Glieder: Wollust und Grausamkeit. Aber das dritte, die Religion, fehlt nicht. Es findet sich als die Supplementfarbe ein, wenn man die beiden ersten recht betrachtet. Wir entsinnen uns der Worte von Novalis:
Das christliche Mysterium war damals ein Gegenstand, welcher alle Köpfe beschäftigte, so auch Heinrich von Kleist, zu dessen intimsten Freunden der erste Mystiker der Zeit, der geistvolle Sophist Adam Müller, gehörte. Im Verein mit Diesem gab Kleist zweimal eine Zeitschrift heraus, und er erfreute sich Dessen besonderer Protektion, wie z. B. der Briefwechsel zwischen Gentz und Adam Müller beweist, in welchem so viel von Kleist die Rede ist. Kein Lob ist hier Müller zu hoch. Man |347| mag sich wundern oder verletzt fühlen, wenn man dogmatisch-mystische Vorstellungen in einem heidnischen Drama von einer Amazonenkönigin hindurchblicken sieht; aber um Dies und manche verwandte Erscheinungen zu verstehen, muß man auch das relativ Wahre und Berechtigte in dieser Mystik bedenken. Diese Männer konnten nicht die religiösen Begriffe in einer Schublade apart liegen haben ohne Zusammenhang mit ihrem Leben und Thun. Sie beschäftigten sich nicht in einer müßigen Vormittagsstunde oder dreimal im Jahre mit einer Idee wie dem Abendmahle, dieselbe durchdrang alle ihre Gedanken, und sie bemühten sich, die Wirklichkeit im Lichte des Mysteriums zu sehen. Man findet in Friedrich von Baader’s gesammelten Werken (IV. Bd., Anthropologie) unter vielen kleinen Abhandlungen: »Ueber die Ekstase oder die Verzückung der im magnetischen Schlafe Redenden«, »Ueber dieSeherin von Prevorst«, »Vierzig Sätze der religiösen Erotik«, auch eine Abhandlung mit dem Titel: »Daß alle Menschen in der geistigen, guten oder schlimmen Bedeutung des Wortes Anthropophagen [Menschenfresser] sind«, und die Abhandlung beginnt folgendermaßen: »Der Mensch, nämlich als Herz, oder, wie die Schrift sagt, als innerer Mensch im Gegensatze zum äußern, lebt nicht von äußerer Nahrung oder von leiblichem Brot, sondern er lebt, und zwar nicht in übertragenem, sondern im allerreellsten Sinne, nur von anderen inneren Menschen, Herzen |348| oder persönlichen Wesen, als von Denen, die ihn nähren, und von ihren Worten als Speise.«
Das religiöse Mysterium endet damit, die Centralidee selbst für die Philosophen zu werden. Henrik Steffens liefert ein Beispiel davon. Er, von dem Julian Schmidt treffend bemerkt, daß »sich ein gewisser angeborner Servilismus aus seinem Charakter nicht wegleugnen läßt«, sprach sich zu derselben Zeit, wo er in Breslau die Untersuchung gegen die Demagogen leitete (eine Pflicht, deren er sich »sehr im Widerspruch mit dem gesunden Menschenverstand und dem natürlichen Rechtsgefühl entledigte«), trotz der naturphilosophisch-pantheistischen Ansichten seiner Jugend, auch so reaktionär, wie möglich, in Betreff des Religiösen aus. So heißt es in seiner Schrift: »Wie ich wieder Lutheraner ward«: »Das Abendmahl ist der höchste individualisirende Proceß im Christenthume; mittels desselben senkt das ganze Geheimnis der Erlösung in seiner reichen Fülle sich in die empfängliche Persönlichkeit herab. Der fruchtbringende Strom der Gnade, der seit jenen Zeiten der großen Wiedergeburt durch die ganze Natur und Geschichte wogt, und der uns für eine selige Zukunft reif macht, nimmt hier die Gestalt des Erlösers an, damit Das, was Alles in Allem ist, ganz zugegen sei. . . . Was der Christ recht glaubt, was sein ganzes Leben durchdringt, was den Tod überwindet, – aber zugleich ihn in die Sinnlichkeit zurückdrängt, Das wird durch die beseligende Gegenwart des Erlösers, |349| welche für ihn, ganz für ihn stattfindet, hier Gewißheit, Genuß, Nahrung. . . . Das Abendmahl ist mir die höchste, wichtigste, mysteriöseste aller religiösen Handlungen, ja so wichtig erscheint es mir, daß für mich durch dasselbe jede Lehre die unergründlichste Bedeutung empfängt.« Hiedurch versteht man auch die ungeheure Rolle, welche dies Sakrament in der christlichen Mystik der damaligen Zeit spielt. Zwischen den Heiligen und der geweihten Hostie findet das innigste Verhältnis, fast ein Liebesverhältnis statt. Ich verweise auf den zweiten Theil von Görres’ Mystik. Die Gläubigen wittern die Hostie in ungeheurer Entfernung. Um mit dem Heiligsten zu beginnen, sagt Görres, so haben Alle, welche das Gebiet eines höheren geistigen Lebens betraten, die Hostie in weitester Entfernung verspüren können. Eine Menge Beispiele wird hieraus angeführt, und man ersieht aus der Vorrede, daß alle die angeführten Thatsachen zum ersten von zahllosen Zeugen bestätigt worden sind, sodann von den unverwerflichsten, die man sich denken kann, entweder von Geistlichen oder den frömmsten Laien; und drittens, daß diese Zeugen in der günstigsten Lage gewesen sind, sehen und Zeugnis ablegen zu können. So erfahren wir denn nicht blos, wie der Heilige die Hostie findet, wo sie auch verwahrt fei, sondern wie die Hostie eine Anziehungskraft zu den Frommen empfindet, so daß sie von dem Priester weg in ihren Mund springt. Ja, zuweilen fühlt der Priester, |350| daß sie ihm gewaltsam aus der Hand gerissen wird, angezogen wie das Eisen vom Magnetstein, und umgekehrt wird der Fromme von den heiligen Dingen angezogen und durch die Lust zu ihnen hingeführt.
Nirgends jedoch ist es merkwürdiger, in Kleist’s Dramen die Mystik sich eines durchaus heidnischen, obenein höchst leichtfertigen Stoffes bemächtigen zu sehen, als in seinem »Amphitryon«, einer Bearbeitung des bekannten Molière’schen Lustspiels. Man erinnert sich des häkligen Sujets: In der Gestalt Amphitryon’s und während seiner Abwesenheit besucht Zeus Dessen Gemahlin Alkmene, welche ihn für ihren Gatten hält. Der wirkliche Amphitryon kehrt heim, und jetzt entsteht eine Reihe komischer Verwechselungen und drolliger Mißverständnisse zwischen dem wirklichen und dem fingirten Ehemanne, dem wirklichen Diener Sofias und Merkur als Sofias, bis der wahre Zusammenhang aufgeklärt, und Amphitryon damit getrostet wird, dass eine Verschwägerung mit Jupiter nichts Entehrendes habe, eine Moral, welche zu schützen und zu verbreiten im Interesse Ludwig’s XIV. liegen mußte.
In echt französischer Manier ist die Pointe des Stückes als eine Kollision zwischen dem Gatten und dem Liebhaber aufgefaßt, und als Alkmene Jupiter wegen |351| der harten Worte angreift, die er (d. h. Amphitryon) ihr gesagt hat, antwortet er, indem er sich hinter der feinen Distinktion verschanzt:
Man sieht, Jupiter drückt sich mit der erlesensten Hofgalanterie aus, und als am Schlusse des Stückes die Umstehenden den armen Amphitryon beglückwünschen, hält Sofias einen Epilog, welcher dem Ganzen eine scherzhafte Wendung giebt, und darauf hinausläuft, daß es am besten sei, von derlei Geschichten so wenig wie möglich zu reden.
Selbstverständlich mußte Kleist den Stoff von einer ganz anderen Seite auffassen.
Zum ersten war augenscheinlich hier die Doppelgängerei das Anziehende für ein romantisches Gemüth. Sodann lag hier eine Möglichkeit vor, leise, aber deutlich, auf eines der wichtigsten Mysterien des christlichen Glaubens anzuspielen. Alkmene empfängt Herakles nicht |352| von ihrem Manne, jedoch nicht im Ehebruche, also unbefleckt; die Frucht, welche sie gebären soll, ist nicht das Kind eines Menschen, sondern eines Gottes. Deshalb ist in der entscheidenden Scene zwischen Jupiter und Alkmene Jupiter pantheistisch zum Weltgeiste erweitert; er ist nicht der leichtfertige Olympier der Griechen, sondern so göttlich und geistig, wie das Absolute der Naturphilosophie selbst. Er sagt zu Alkmene:
Und deshalb redet er denn auch wiederholt Alkmenen mit den Worten: »Du Heilige« an:
Adam Müller gab das Stück mit einer begeisterten und mystischen Vorrede heraus. In einem seiner Briefe an Gentz schreibt er: »Hartmann hat ein großes, herrliches Bild gemalt, »Die drei Marien am Grabe«, |353| welches zugleich mit dem Amphitryon mir eine neue Zeit für die Kunst verkündigt. Der Amphitryon handelt ja wohl eben so wohl von der unbefleckten Empfängnis der heiligen Jungfrau, als von dem Geheimnis der Liebe überhaupt.« Ja, auch Goethe fühlte Dies und sagte: »Das Stück enthält nichts Geringeres, als eine Umdeutung der Mythe in christlicher Richtung, Mariä Ueberschattung vom heiligen Geiste.«
Man sieht also, es ist keine Grille von mir, wenn ich das Nächtliche in der Natur und das nächtlich Mysteriöse in der Religion den Charakter und die Kunstform bei diesem ersten Dramatiker der Romantik durchbrechen sehen zu können vermeine.*)*
Kleist wurde 1776 zu Frankfurt an der Oder geboren; sein Vater war Officier. Mit neunzehn Jahren wurde er Fähndrich in der Garde zu Potsdam und machte den Rheinfeldzug mit. Später nahm er, da der Militärstand ihm mißfiel, den Abschied und betrieb mit |354| außerordentlicher Energie die verschiedenartigsten wissenschaftlichen Studien, besonders Mathematik und Philosophie. Man sieht ihn sich ganz in das Studium von Kant verlieren, und erfährt aus seinen Briefen die tiefe Verzweiflung, die er über das trostlose Resultat empfand, zu welchem die kantische Philosophie ihn zu führen schien: daß, wer grüne Brillen hat, die Gegenstände grün, und wer rothe hat, sie roth sehe. Eine beständige, ununterbrochene Melancholie begleitet ihn bei all’ diesen Studien. Es giebt Augenblicke, wo er im Begriffe steht, auf jede Hoffnung, die Wahrheit auf wissenschaftlichem Wege zu erreichen, zu verzichten. Aus Dresden schreibt er: »Nichts war so fähig, mich wegzuführen von dem traurigen Felde der Wissenschaft, als die in dieser Stadt angehäuften Werke der Kunst. Nirgends fand ich mich aber in meinem Innersten gerührt, als in der katholischen Kirche, wo die erhabenste Musik zu den andern Künsten tritt, um das Herz gewaltsam zu bewegen. Unser Gottesdienst |355| ist keiner. Er spricht nur zu dem kalten Verstande; aber zu allen Sinnen ein katholisches Fest. Mitten vor dem Altar, an seinen untersten Stufen, kniete ein gemeiner Mensch, betend – mit Inbrunst; ihn quälte kein Zweifel, er glaubte. Ich hatte eine unbeschreibliche Sehnsucht, mich neben ihm nieder zu werfen und zu weinen. Ach, nur einen Tropfen Vergessenheit, und mit Wollust wäre ich katholisch geworden.«
Kleist’s Wesen war höchst absonderlich, und wirkte trotz seiner Liebenswürdigkeit abstoßend auf die Meisten. Er hatte die Gewohnheit, brütend in Anderer Gegenwart zu sitzen, litt, wie sein »Prinz von Homburg«, im höchsten Grade an Zerstreutheit, stockte zuweilen bei einem einzelnen Worte mitten im Gespräch, starrte vor sich hin und schien sich mit sich selbst zu unterhalten. Goethe sagt von ihm: »Mir erregte Kleist, bei dem reinsten Vorsatz einer ausrichtigen Theilnahme, nur Schauder und Abscheu, wie ein von Natur schön intentionirter Körper, der von einer unheilbaren Krankheit ergriffen wäre.« Als das Lustspiel »Der zerbrochene Krug« wegen der willkürlichen Akteintheilung, die Goethe damit vorgenommen, in Weimar durchfiel, schrieb Kleist die giftigsten Epigramme wider Goethe (von dem »frühreisen Genie«, das schon zur Hochzeit seiner Eltern das Vermählungskarmen gemacht etc.), und sandte sogar dem Dichter eine Herausforderung. In all’ seinen Produktionen findet sich jener krankhafte Zug. Sogar im »Kohlhaas«, |356| welcher sonst so bestimmt gezeichnet ist, endet Alles im Traumleben. Zuletzt treten eine wunderliche Zigeunerin, welche die verstorbene Gattin des Kohlhaas ist, der kranke, halb wahnsinnige Kurfürst und andere gespenstische Gestalten auf, welche im schroffsten Gegensatze zu dem frischen Tageslichte im Anfang der Erzählung stehen. »Die heilige Cäcilie« führt uns in die Mysterien des Tollhauses ein, und der Wahnsinn hat hier eine Dosis Katholicismus als Zugabe erhalten. Ziemlich früh verfiel Kleist dem Opiumsgenusse. Einen tiefen und ermannenden Eindruck machte das Unglück des Vaterlandes während der napoleonischen Kriege auf ihn. Alles, was geschieht, besonders die ganze romantische Bewegung, dünkt ihn matt und kläglich. Fichte’s »Reden an die deutsche Nation« erschienen ihm als widerwärtige Phrasen; er verhöhnt Fichte als einen Pedanten ohne Thatkraft. Tiefe Verachtung hat er gegen die »Tugendbündler« und ihre ängstliche Unthätigkeit. Er schreibt sein Trauerspiel »Die Hermannsschlacht«, um seine Landsleute aufzufordern, Napoleon zu behandeln, wie Hermann den Varus behandelte. Gegen die thatlosen »Schwätzer« sind die Worte in der »Hermannsschlacht« gerichtet:
Er verlangt einen Krieg, wie die Spanier ihn führten, mit Mord und Eidbruch, mit brennenden Dörfern und vergifteten Brunnen. Einmal hätte er sich fast mit Opium getödtet.
Im Jahre 1811 trat die Katastrophe ein. Durch Adam Müller war er mit Frau Henriette Vogel bekannt geworden, einer begabten Dame, welche, gleich ihm, an Melancholie litt und sich einredete, mit einer unheilbaren Krankheit behaftet zu sein. Es fand zwischen ihnen nur ein Freundschafts-, kein Liebesverhältnis statt. Eines Tages erinnerte sie ihn daran, daß er ihr früher das Versprechen gegeben, ihr, so bald sie es verlange, den größten Freundschaftsdienst zu leisten. Er antwortete, daß er jeder Zeit dazu bereit sei. »Wohlan, so tödten Sie mich,« sagte sie. »Meine Leiden haben mich dahin geführt, daß ich das Leben nicht mehr zu ertragen vermag. Es ist freilich nicht wahrscheinlich, daß Sie Das thun, da es keine Männer mehr auf Erden giebt.« Das war genug für Heinrich von Kleist. Am 20. November 1811 fuhren er und Henriette gemeinsam nach einem Wirthshause am Wansee, in der Nähe von Potsdam, hinaus. Sie waren anscheinend in heiterster Stimmung und trieben allerlei Muthwillen. Bis zum folgenden Nachmittag blieben sie dort, dann |358| gingen sie an das Seeufer hinab, und Kleist erschoß erst seine Freundin,»dann sich selbst, nachdem Beide zuvor gemeinschaftlich an die Frau Adam Müllers den bekannten wunderlichen, wehmüthig humoristischen Abschiedsbrief geschrieben.
So wird die groß und schön angelegte Dichterpersönlichkeit ungefähr eben so, wie die meisten seiner Kunstwerke, durch finstere und unheimliche Naturzufälle zerbrochen, welche den Willen lähmen und die freie Spannkraft des Geistes vernichten.
In dem anderen namhaften deutschen Dramatiker, Zacharias Werner, war von vornherein weit weniger zu zerbrechen. Er paßt von Anfang an vollständig zum romantischen Typus. Er war von einer gemüthskranken Mutter geboren, die sich einbildete, daß sie die Jungfrau Maria und ihr Sohn der Weltheiland sei. Dieser Heiland führte ein in hohem Grade wüstes und unsittliches Leben, trat jedoch aus religiösen Ursachen in den Freimaurerorden, in der Meinung, daß mit Hilfe desselben eine neue, tiefere Religiosität sich über die Welt verbreiten werde. Er wurde als Beamter in Warschau angestellt, verheirathete sich dort dreimal, und ließ sich in sechs Jahren dreimal scheiden. Einen großen Einfluß auf ihn gewann ein Priester, Namens Christian Mayr, ein Fanatiker, welcher, um ein Gesicht aus der Apokalypse zu verwirklichen, den größten Theil eines Bibelexemplares verschlang, und ernstlich krank dadurch |359| wurde. Er war in jeder Hinsicht ein Sonderling, schoß mit Pistolen von der Kanzel, um diejenigen seiner Zuhörer zu wecken, welche eingeschlafen waren, und bildete sich ein, das; er wirkliches Fleisch und Blut beim Abendmahle hervorbringen könne. Dieser Mann wollte Werner zum Mitglied einer großen geheimen Gesellschaft, der »Kreuzesbrüder im Orient«, machen. Werner ging zuerst mit leidenschaftlicher Begeisterung darauf ein, später wurde er mißtrauisch, und dies Mißtrauen gehörte zu den Beweggründen seines Uebertrittes zum Katholicismus. Werner ist der Hauptrepräsentant der mystischen Poesie. Als Solcher erhielt er 1805 eine einträgliche Sinekure in Berlin, gehörte eine Zeitlang zum Hofe der Frau von Staël wo er sehr bewundert wurde, und begann nach seinem Religionswechsel in Rom das tollste Leben, täglich zwischen den niedrigsten Ausschweifungen und glühender Ekstase, zwischen den gemeinsten Sinnengenüssen und Andacht und Gebet umhertaumelnd. Als Prediger in Wien hielt er dann unter ungeheurem Zulauf Predigten nach der Manier des Kapuziners im »Wallenstein«, voll überspanntesten Schwulstes und plattester Cynismen und Obscönitäten, voller Schimpfreden gegen die Ketzer und Lobpreisungen aus den heiligen Rosenkranz. Sein Leben ist der Schlüssel zu seinen Schriften, welche in so hohem Grade seinen Zeitgenossen imponirten, und welche uns zunächst als Krankheitssymptome interessiren. Er besitzt große Eigen|360|schaften als Poet. Seine Verse sind meist sehr melodisch und schmeicheln dem Ohre wie südländische Kirchenmusik. Die Charaktere sind oft trefflich angelegt (man sehe z. B. die Schilderung des Franz von Brienne im ersten und zweiten Akte der »Templer auf Cypern«), und die Handlung spannt und interessirt; aber der Kern des Ganzen, der dreifache Kern: Wollust, Religion und Grausamkeit, ist übelschmeckend und ungesund. Sein erstes größeres Werk, »Die Söhne des Thals«, das wieder in zwei je sechsaktige Theile zerfällt, behandelt den Untergang des Templerordens. Die Freimaurerei, welche,« wie wir sahen, auch Schubert beschäftigte, welche schon in Goethe’s »Wilhelm Meister« eine Rolle spielte, und welche einen so großen Theil von Werner’s Privatleben in Anspruch nahm, hat ihm augenscheinlich die Idee gegeben.
Die Einkapselung einer Form in eine andere, welche von Anfang an bei den Romantikern so beliebt war, hat hier den Charakter angenommen, daß man die Schalen beständig als Hüllen um ein Mysterium sieht, welches gesucht wird, das Mysterium der heimlichen Gesellschaft, in welches wir stets tiefer und tiefer eindringen, welches aber gleichzeitig immer weiter zurück zu weichen scheint. Der Templerorden hat seine Geheimnisse, und wir wohnen der umständlichen Einweihung der Neophyten in diese bei. Da bewegen wir uns in unterirdischen Grüften mit kolossalen Skeletten, |361| geheimnisvollen Büchern und Vorhängen, Schwertern und Palmen etc. Der Inhalt dieser Mysterien ist: »Aus Blut und Dunkel quillt Erlösung.« Aber der Templerorden ist nur eine Tochterloge; die Mutterloge »Das Thal«, welche wir im zweiten Theile des Werkes kennen lernen, ist im Besitz aller höheren Mysterien und der höheren Macht. Ihr tiefstes Mysterium ist wiederum nur dies rein negative Idee der Entsagung und Aufopferung. Verborgene Stimmen sprechen »in einem gesangähnlichen, hohlen Tone«:
Um dem Leser eine Vorstellung davon zu geben, in welchem Grade die Mysterien hier zur Oper- und Ballett-Dekoration ausgebeutet werden, will ich bloß erwähnen, daß in der zwölften Scene des fünften Aktes, welche aus vierundsechzig Zeilen besteht, nur sechs Zeilen gesprochene Worte vorkommen, die übrigen aber Anweisungen für den Dekorateur und die Schauspieler in Betreff »eines mit Rosen bedeckten hohen Grabhügels, an dessen vier Ecken die transparenten Bilder eines Engels, eines Löwen, Stieres und Adlers stehen«, in Betreff der Trachten der Aeltesten »des Thales«, von |362| welchen einige in Goldstoff, andere in Silberstoff, andere feuerfarben, andere luftblau, andere wassergrau, andere blutfarben gekleidet sind, sodann Vorschriften über die Rauchfässer, Harfen, Glocken, Kronen und Dornenkronen, Kreuzesfahnen und »die kolossalische Bildsäule der Isis« enthalten, welche in dem Stück eine Rolle spielen.
Der Templerorden ist in Verfall gerathen. Die Mutterloge beschließt daher, ihn zu vernichten, und »das Thal« verurtheilt den Großmeister desselben, den wunderbar edlen und heldenmüthigen Jakob Bernhard von Molay, zum Flammentode, obschon er ganz unschuldig am Verfall des Ordens ist, ja, denselben mit äußerster Energie bekämpft hat. Der Erzbischof, welcher die Untersuchung wider ihn leitet, ist von der Ungerechtigkeit der Anklage überzeugt, liebt und bewundert den Ritter, – aber er muß höheren Instruktionen gehorchen. Molay steht dem Scheiterhauer so ruhig gegenüber, wie Paludan-Müller’s Kalanus, er liebt den Tod, er betrachtet die Verbrennung nur als eine Läuterung. Alle um ihn her haben Mitleid mit ihm und flehen ihn an, sich dem Scheiterhaufen durch die Flucht zu entziehen, aber wie Kalanus widersteht er allen Aufforderungen. Die Gefühle des Erzbischof-s für ihn werden von den Uebrigen getheilt, so daß er von einer ganzen Schaar sentimentaler Büttel umgeben ist, die ihn mit Bewunderung und Hochachtung braten. Sie sind weichherzige und |363| grausame Kopfhänger, wie Werner selbst. Das widerlich Rührende haftet an allen Personen des Stückes. So sagt Molay’s alter Waffenbruder, da es ihm verwehrt ist, ihn aus dem Richtplatze zu befreien, »gutmüthig«:
Aber Molay stirbt, so schuldlos er auch ist. Es ist hier, wie bei Kleist, das christliche Mysterium, das ins Drama hinein spielt, und Molay wird von eben Denjenigen, welche ihn verbrennen, wie ein zweiter Christus verehrt. Als er todt ist, ereignet sich in der Schlußscene folgendes Wunder: »Die Strahlen der Sonne vergolden den Hain. Ueber der Pforte der Thalshöhle erscheinen unter dem erleuchteten Namen »Jesus« die Namen »Johannes«, »J. B. Molay« und »Andreas« in einer Reihe, gleichfalls transparent. Alle Kreuzesbrüder sinken auf die Kniee. Lange feierliche Pause, während deren man aus dem Inneren der Höhle, unter Begleitung von Harer und Glockenklangen, die Alten des Thales, jedoch in dumpfen, unverständlichen Tönen, das Dreimal-Heilig! nach der gewöhnlichen Kirchenmelodie singen hört.«
Das Martyrium ist Werner’s Specialität. Todtschlag mit Keulen, Schmoren in großen Kesseln, alle Leidensstufen der Folterbank sind sein Gebiet. Er schwelgt |363| in diesen Qualen, ganz wie Görres, dessen Wollust man gleichsam empfindet, wenn er im ersten Theile seiner »Christlichen Mystik« von der Mystik des Martyriums spricht: »Hier werden die Schlachtopfer auf die Folterbank gelegt, auf Räder gespannt und all’ ihre Glieder mit Schrauben aus den Gelenken gerenkt, . . . während die Liktoren ihre Seiten mit Fackeln versengen oder sie mit Eisenkrallen durchfurchen. Ketten werden ihnen dann oft um den Leib geschnürt, um ihnen die Rippen zu zerbrechen, mit spitzen Rohren werden Gesicht und Augen durchstochen; der Mund wird mit Faustschlägen zermalmt, während Nägel des kaum mehr Athmenden Füße durchbohren, und glühende Erzstangen, auf die weichen Stellen gelegt, sich tief einbrennen, etc. etc.« In Werner’s »Attila« wird ein junger Mann, den Attila liebt, des Meineids angeklagt und gesteht sein Verbrechen Attila umarmt ihn unter heißen Thränen und läßt ihn dann von Pferden zerreißen. Attila wird überhaupt als der weichmüthigste Schwärmer geschildert. Die zerreißungswüthige Empfindsamkeit, die schwärmerische Bestialität ist romantische Fashion. Dem Attila steht der Papst Leo gegenÜber, eine Gestalt, welche gleichfalls der Görres’schen «Mystik entsprungen zu sein scheint, insonderheit dem Kapitel, das von dem ekstatischen Schweben in verschiedener Höhe handelt. Denn während er in dem Drama ein Gebet spricht, hebt er sich beständig mehr und mehr in die Höhe, bis er zuletzt schwebend auf den |365| Fußspitzen steht. Er sympathisirt im Uebrigen mit Attila und wirkt elektrisch aus ihn ein.
In Werner’s »Martin Luther, oder die Weihe der Kraft« wird das Mysterium der religiösen Weihe, man könnte sagen der Ordination, behandelt. Das Stück eröffnet bezeichnungsvoll mit dem Auf- und Niedersteigen Hardenbergscher Bergleute in einem Bergwerke. Luther ist hier mehr wie ein katholischer Heiliger, als wie der protestantische Reformator geschildert. Die Gestalt der Katharina von Bora ist zur Höhe einer Heiligen aufgebauscht. Beide werden das Stück hindurch von einem Engel begleitet, Luther von dem Knaben Theobald, welcher in Wirklichkeit die Kunst als Seraph ist, Katharina von dem Mädchen Therese, welche der Glaube als Cherub ist. Wenige Jahre nachdem Werner solchermaßen die Reformation verherrlicht hatte, wechselte er seinen Glauben und schrieb ein Gedicht »Die Weihe der Unkraft«, in welchem er dies Drama in Ausdrücken wie folgenden zurücknahm:
Durch dies Gaukelblendwerk sprach ich der Wahrheit Hohn.
In Werner’s letzter Tragödie, »Die Mutter der Makkabäer«, behandelt er einen Stoff, der wie geschaffen war, den Folterqualen aller Märtyrerlegenden Raum zu geben, und der eine Ueberfülle an körperlichen Martern und heiligen Ekstasen darbot. Die Söhne der Makkabäerin Salome sollen von den Opferspeisen des Zeus kosten oder auf die schrecklichste Weise hingerichtet werden. Das komische Motiv, |366| daß es als eine Lebenssache betrachtet wird, ob Kinder von irgend einer Speise kosten oder nicht, ist hier mit dem höchsten Pathos behandelt. Salome fordert in verzückter Ekstase ihre Kinder, eins nach dem andern, aus, sich spießen, schinden, verbrennen zu lassen u. s. f. Antiochus bewundert Salome höchlich, ja, dieser empfindsame Oberhenker wirst sich sogar vor ihr auf die Kniee mit den Worten:
Und Salome ist selbst gefühlvoll genug, ihn zu segnen. Ihrem Sohne Benoni werden, nachdem er ebenfalls seine Mutter gesegnet hat, die Hände und Füße abgehauen, und daraus wird er in Oel gesotten. Sodann hört man zwei laute Axthiebe: es sind Abir’s Füße, die abgehackt werden. Juda wird gemartert, und so geht es weiter. Antiochus, der barbarische König, und Werner, der eben so barbarische Dichter, lassen den Kindern Glied für Glied zerknacken und dann ihnen die Glieder abreißen. Er erspart uns kein einziges Gelenk. Während Alledem empfindet die Mutter, welche Alles mit ansehen muß, nur die höchste Wollust der Märtyrerlust, und als Antiochus sich jetzt zum zweiten Male in seiner wahnwitzigen Sentimentalität »tief bewegt« mit den Worten vor ihr verneigt:
|367| da legt sie die rechte Hand aus sein Haupt Und spricht »sehr seierlich«:
Zuletzt öffnet sich der Hintergrund: man erblickt die Marterinstrumente und den kolossalen Kessel mit siedendem Oel, in welchem Benoni liegt; seine Gattin starrt gebeugten Hauptes in den Kessel hinab. Daneben ein brennender Scheiterhaufen. Salome’s Geist erscheint über den Flammen und löscht das Feuer.
Man denke sich, daß es eine Zeit gab, wo Dergleichen für Poesie galt. Goethe nahm sich Werner’s stets mit Wärme an und führte mehrere seiner Stücke auf der Hosbühne zu Weimar auf. Er schrieb 1808 über ihn an Jacobi: »Es kommt mir, einem alten Heiden, ganz wunderlich vor, das Kreuz auf meinem eigenen Grund und Boden ausgepflanzt zu sehen, und Christi Blut und Wunden poetisch predigen zu hören, ohne daß es mir gerade zuwider ist. Wir sind Dieses doch dem höheren Standpunkt schuldig, auf den uns die Philosophie gehoben hat. Wir haben das Ideelle schätzen gelernt, es mag sich auch in den wunderlichsten Formen darstellen.«
Ich bezweifle, daß irgend Jemand heut zu Tage geneigt sein würde, ein so mildes und tolerantes Urtheil zu fällen. Ich meine, uns Jetztlebenden ist Dergleichen durchaus zuwider. Denn wir haben gesehen, wohin |368| es führt. Wir haben gesehen, daß diese »christliche Poesie« wesentlich mitwirkte zur Herbeiführung der schlimmsten geistigen Reaktion, welche die neuere Zeit gekannt hat. Man spielte so lange mit den »läuternden Flammen«, bis man sie selbst zu verherrlichen begann. Es ist nur ein geringer Sprung von Werner zu Görres, der mit Leidenschaft Teufelaustreibung und Hexenprocesse verficht, und es ist ein noch geringerer Sprung von Görres zu Joseph de Maistre, der sich folgendermaßen ausspricht: »In manchem gut regierten europäischen Lande sagt man von Dem, welcher Feuer an ein bewohntes Haus legt und bei dieser Gelegenheit selbst verbrennt: »Das hat er wohl verdient.« Glaubt man, daß ein Mensch, der sich verschiedener theoretischen und praktischen (d. h. religiösen) Ruchlosigkeiten schuldig gemacht, weniger verdiene, verbrannt zu werden? – Wenn man bedenkt, daß das Inquisitionstribunal sicherlich die französische Revolution hätte verhindern können, so weiß man nicht recht, ob der Souverain, der ohne Weiteres sich selbst einer solchen Waffe begabe, nicht der Menschheit einen unheilschwangeren Schlag versetzen würde.«
So gewiß Ruge Recht hat, wenn er das Christenthum, das sich nicht in Humanismus auflösen läßt, Romantik nennt, so gewiß ist Joseph de Maistre ein echter Romantiker.
Die ganze Geschichte der Romantik bestätigt die Definition, welche Ruge seiner Zeit in dem berühmten |369| Manifeste der »Hallischen Jahrbücher« gab: »Ein Romantiker ist ein Schriftsteller, der mit den Mitteln unserer Bildung der Epoche der Aufklärung und der Revolution entgegen tritt, und das Princip der in sich befriedigten Humanität auf dem Gebiete der Wissenschaft, der Kunst, der Moral und der Politik verwirft und bekämpf.«
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