Die romantische Schule in Deutschland (1873)

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Görres sagt in seiner »Christlichen Mystik« (II. Bd., S. 39), als ein zunächst sich darbietendes Kennzeichen eines im wiedergeborenen Leben zu höherer Harmonie verklärten Leibes müsse der Wohlgeruch gelten, von dem selbiger dufte. »Wie nämlich übler Geruch der Ausdruck eines krankhaften und zum Mißklang zerrissenen organischen Lebens ist, so wird die innere Harmonie desselben sich in dem von ihm ausgehenden Wohlgeruche bekunden. Die Redensart »im Geruche der Heiligkeit stehen« ist daher keineswegs eine nur bildliche, sie ist aus der Erfahrung abgeleitet, nachdem es sich unzählige Male bestätigt hat, daß von Solchen, die ein heiliges Leben führen, ein Wohlgeruch ausgeht.« Und er führt zahllose geschichtliche Beispiele an.

Falls Görres, was ich gar nicht bezweifle, Recht hat, so müssen die Persönlichkeiten, welche ich zum Schlusse schildern will, äußerst lieblich geduftet haben; denn es sind Persönlichkeiten, an denen die Kirche und Görres Wohlgefallen finden. Ich will, um das Bild der romantischen Gruppe entsprechend abzuschließen, die Männer vorführen, welche die Principien derselben ins Leben Und in die Politik übertragen. Als Re|371|präsentanten der deutschen Politiker dieser Richtung wähle ich Denjenigen unter ihnen, welcher mir in jeder Beziehung als der interessanteste erscheint, Friedrich von Gentz.*)*

*) Vgl. Briefwechsel zwischen Friedrich Gentz und Adam Heinrich Müller. – Dr. K. Mendelssohn-Bartholdy, Friedrich von Gentz. – Aus dem Nachlasse Friedrich’s von Gentz. 2 Bände.

Die absolute Gleichgültigkeit der Form gegen den Inhalt, welche die Romantik in der Poesie proklamirt hatte, wurde von Gentz in der Politik zur Geltung gebracht. Wie Kleist der deutsche Mérimée ist, so ist Gentz der deutsche Talleyrand. Als gereifter Mann hätte er die Worte unter sein Bild setzen können, welche Metternich unter das seine schrieb: »Nur kein Pathos!« Er ist die handgreifliche Personifikation der romantisch-ironischen Genialität, der inkarnirte Geist der »Lucinde.« Typisch wird er erst nach seinem vierzigsten Jahre, als auf die Zeit der napoleonischen Kriege und der Staatsumwälzungen die Thätigkeit der Diplomatie folgte, und als das Losungswort Reaktion ward, d. h. Ruhe, Ruhe um jeden Preis, Löschung aller Feuersbrünste Europas, Stille, tiefe Stille für alle Müden, Kranken und Rekonvalescenten Europas, und als jedes Streben daher, wie in einer Krankenstube, daraus ausging, die Unruhestifter beiseit zu schaffen und so geräuschlos, wie möglich, Lärm und Spektakel zu verhindern. »Gentz wußte, |372| sagt Gottschall, »der officiellen Publicistik jenen unsäglichen Firnis, jene klassische Glätte, jene olympische Hoheit zu ertheilen, welche, ungerührt von dem Schicksale der Sterblichen, keinen Tropfen Nektar und Ambrosia aus der Götterschale vergoß, mochte auch in den niederen Regionen das Blut in Strömen fließen. Dies vornehme Hinweggleiten über die kleinlichen Anstöße, an denen Nationen zerschellten, gab der damaligen absolutistischen Kongreßpolitik einen sanften, graciösen Ausdruck. Man hörte nur den Hauch, nicht den Knall; es war das tonlose Morden einer Windbüchse.« Nach außen repräsentirte man das Princip der Legitimetät. In Wirklichkeit war Das Lug und Heuchelei; in Wirklichkeit war man äußerst wenig legitim, wenn die eigenen Interessen Einem das Gegentheil anriethen. In solchem Falle verfuhr man ganz nach Goethe’s Worten: »Niemand ist legitimer, als wer sich erhalten kann.« Die Sache, welche man verfocht, war also nicht die gute. Aber selbst der Vertheidiger einer schlechten Sache wird interessant, wenn er ein hervorragendes Talent besitzt. Und Gentz ist äußerst talentvoll. Mit Recht sagt Varnhagen von ihm: »Niemals ist der deutsche Schulstaub mit größerem Glanze aufgewirbelt, nie die pedantische Kraft in üppigerer Fülle ausgeschlagen.«

Friedrich von Gentz wurde 1764 von bürgerlichen Eltern zu Breslau geboren, und wenn er sich später zu den höchsten Stellungen aufschwang und in den höchsten |373| Gesellschaftskreisen lebte, so verdankte er Nichts seiner Geburt, sondern Alles seiner Tüchtigkeit. Er studirte zu Königsberg, verlegte sich mit großem Eifer auf die kantische Philosophie, und stand, damals noch ein schwärmerischer Jüngling, in einem innigen und platonischen Verhältnisse zu einer jungen unglücklichen Frau, Elisabeth Graun. 1786 kam er nach Berlin, erhielt eine Anstellung bei dem Königlichen General-Direktorium, erst als Geheimer Sekretair, später als Kriegsrath, und verheirathete sich hier aus äußeren Rücksichten mit der Tochter eines Finanzraths. In Berlin stürzte er sich in eine endlose Reihe zügelloser Ausschweifungen, und nahm an all’ den jämmerlichen Vergnügungen Theil, welche bei Hofe gepflegt wurden, »wo ein widerliches Gemisch entnervter Sünder und frömmelnder Betschwestern den alternden König Friedrich Wilhelm II. umdrängte.«

Während dieses Lebens überraschte ihn die französische Revolution. Die erste Wirkung derselben war, eine jugendliche Begeisterung in seiner Seele zu entzünden. »Das Scheitern dieser Revolution«, schrieb er, »würde ich für einen der härtesten Unfälle halten, die je das menschliche Geschlecht betroffen haben. Sie ist der erste praktische Triumph der Philosophie, das erste Beispiel einer Regierungsform, die auf Principien und ein zusammenhängendes System gegründet wird. Sie ist die Hoffnung und der Trost für so viele alte Uebel |374| unter denen die Menschheit seufzt. Sollte diese Revolution zurückgehen, so würden alle diese Uebel unheilbarer. Ich stelle mir so recht lebendig vor, wie allenthalben das Stillschweigen der Verzweiflung, der Vernunft zum Trotz, eingestehen würde, daß die Menschen nur als Sklaven glücklich sein können, und wie alle großen und kleinen Tyrannen dieses furchtbare Geständnis nutzen würden, um sich für den Schrecken zu rächen, den ihnen das Erwachen der französischen Nation eingejagt hat.«

Bald jedoch veranlaßten ihn die Schrecken im Gefolge der französischen Revolution, seinen Standpunkt gänzlich zu wechseln. Er ward plötzlich der eifrigste Verfechter der alten Zeit. Der Kampf gegen die Uebermacht der öffentlichen Meinung, gegen »die Thorheit, welche in Horden geht«, ward seine Lebensaufgabe. Er vermag nicht in der französischen Revolution das nothwendige Resultat des Unrechts und der Gährung von Jahrhunderten zu sehen, er bildet sich ein, das Uebermaß kalter Verstandesbildung, das Uebermaß der Aufklärung sei Ursache der Anarchie. Das ist ein wahrhaft romantischer Zug. Die »Menschenrechte«, welche er in seiner ersten Abhandlung »Ueber den Ursprung und die obersten Principien des Rechts« so warm vertheidigt hatte, scheinen ihm jetzt nur »als elementare Vorstudien« von Bedeutung für den praktischen Staatsmann zu sein. Die Theorie dieser Rechte war ihm für die Staatskunst nur eben Das, was die mathematische |375| Theorie der Geschütze für den Bombenwurf ist. Langsam bildet sich jetzt die eigentliche reaktionäre Anschauung bei ihm heraus, welche nicht das Volk, sondern die Regierung als den Hauptfaktor im Staatsleben ansieht. Die Mitwirkung des Volkes bei der Gesetzgebung hält er für eine bloße Form, und die Freiheit schrumpft zu einem frischen, freudigen Gehorsam ein. Durch den Umgang mit Wilhelm von Humboldt und durch den Einfluß der ästhetischen Ideen der Zeit über ein harmonisches Privat- und Staatsleben wird jedoch diese Erbitterung wieder gemildert, und jetzt wird die englische Verfassung Gentzens Ideal. Als Friedrich Wilhelm III. den Thron besteigt, läßt Gentz sich sogar hinreißen, ein Sendschreiben an Se. Majestät zu richten, in welchem er mit warmen Worten den König auffordert, Preßfreiheit zu gewähren, – Preßfreiheit, die er selbst wenige Jahre nachher als den Urquell alles Bösen bezeichnet. Der loyale Goethe« war höchst erstaunt über diesen Versuch, seinem Souverain gleichsam Etwas »abnutzen« zu wollen, und als der König den Brief ignorirte, ließ Gentz denselben schleunigst fallen und bemühte sich, ihn in Vergessenheit zu bringen. Von jetzt an läßt er sich von der englischen Regierung bezahlen; er verkauft sich nicht geradezu, aber er wird regelmäßig und mit runden Summen bezahlt, oder für seine politische Thätigkeit im Interesse Englands belohnt. Und er brauchte Geld. Hand in Hand mit hohem Spiele, |376| beständigem zügellosen Verkehr mit Schauspielerinnen und Tänzerinnen, unaufhörlichen nächtlichen Schwelgereien gehen Anfälle von Sentimentalität und, wie er sich ausdrückt, »ein halbes, zwar artiges, doch wüstes Leben mit der Frau.« Im April 1801 notirt er in sein Tagebuch: »Tiefe Rührung über den Tod eines Hundes.« Auf einer Reise nach Weimar, wo er mit allen Literaturgrößen der Zeit zusammen trifft, lernt er die Dichterin Amalie von Imhof kennen, faßt eine leidenschaftliche Liebe zu ihr, und gleichzeitig die besten Vorsätze, sein Leben gründlich zu ändern. Aber kaum nach Berlin zurückgekehrt, schreibt er: »Effekt der Vorsätze in Weimar – am dreiundzwanzigsten December verlor ich Alles, was ich besaß, im Harzardspiel.« Er schreibt noch eine Zeitlang sechs bis acht Bogen lange Briefe an Amalie von Imhof, dann verliebt er sich mit toller Leidenschaft in die Schauspielerin Christel Eigensatz und vergißt darüber Alles. »Maintenant c’est le délire complet!« heißt es im Tagebuche. Mitten unter Allediesem verläßt ihn seine Frau und trägt auf Scheidung an. Gentz sucht am selben Abend diese Unannehmlichkeit beim Trente et quarante zu vergessen. Da ein längerer Aufenthalt in Berlin ihm jedoch aus mancherlei Gründen jetzt peinlich, ja unmöglich geworden ist, so nimmt er das Anerbieten einer Anstellung in Oesterreich an und geht nach Wien, wo er allmählich ganz zu einem Werkzeuge in Metternich’s Händen herab sinkt.

|377| Ehe jedoch Letzteres eintritt, hat Gentz seine große und geniale Periode. Der Stumpfsinn, mit welchem man sich zu Wien in die französische Suprematie, in Niederlagen und Demüthigungen ohne Maß und Ziel fand, rief Alles, was in Gentz an Genie und Leben, an Schlagfertigkeit und Geistesgegenwart war, zu den Waffen. Der glühende Haß wider Napoleon, welcher ihn beseelte, und welcher seine geistige Lebensthat erzeugte, macht ihn während der Unglücksfälle und der allgemeinen Niedergeschlagenheit eine kurze Weile zu Deutschlands Demosthenes, nur daß seine Leidenschaft einzig der Unabhängigkeit, nicht der Freiheit, galt. In Napoleon schien ihm die ganze Revolution koncentrirt zu sein. Ihm gegenüber hatte selbst ein Mittel wie Meuchelmord nichts Abschreckendes. Aus allen Kräften, unermüdlich arbeitet er an einer Alliance zwischen den deutschen Mächten und an einer Erhebung des deutschen Volkes. Nach seiner Natur wendet er sich jedoch nicht so sehr an das Volk, wie an die wenigen Auserwählten, in denen er das Schicksal des Volkes erblickt. Seine Vorrede zu den »Politischen Fragmenten«, seine Proklamationen und Kriegsmanifeste sind mit einer kraftvollen Leidenschaft, in einem fließenden, pomphaften, aber männlichen Stile geschrieben, dessen rhetorischer Schwung breit, aber niemals geschmacklos ist. Selbst die Schlachten bei Ulm und Austerlitz zermalmten ihn nicht. Aber mit tiefer Trauer gewahrt er in Preußen |378| vor der Schlacht bei Jena die Jämmerlichkeit des ganzen preußischen Wesens. Während Johannes von Müller und Andere, auf die er gezählt hatte, sich von Napoleon schmeicheln und gewinnen lassen und abfallen, bleibt er allein ungebeugt und fest, und spricht in dem berühmten Briefe an Müller mit blutig strafendem Hohne von Denen, »deren Leben eine immerwährende Kapitalation is .« Aber als in den Jahren 1809 und 1810 die nationale Sache in Oesterreich aufgegeben war und, wie es häufig in solchen Fällen geht, der Leichtsinn und die Genußsucht mit den Niederlagen und Unglücksfällen aufs Höchste stieg, befand auch Gentz sich so tief im Wirbel der betäubenden Genüsse, daß seine ruinirten Vermögensverhältnisse ihn die Verbindung mit Metternich als die einzige Rettungsplanke im Schiffbruch erblicken ließen. Der Einfluß des Mannes, welchen Talleyrand den »Wochenpolitiker« nannte, weil sein Gesichtskreis« nicht über die laufende Woche hinaus reichte, und den ein angesehener Russe »lackirten Staub« genannt hat, war nicht heilsam für Gentz. Von jetzt ab beginnen in seinen Briefen die Klagen über »eine geistige Schlaffheit, Muthlosigkeit, Leere, Indifferenz«, die er zuvor weder kannte noch ahnte, und die er treffend als »eine Art geistiger Auszehrung« bezeichnet. Von jetzt ab nennt er sich »höllisch blasirt.« »Glauben Sie mir,« schreibt er an Rahel, »ich bin höllisch blasirt, habe so Viel von der Welt gesehen und genossen, daß |379| man mit Illusionen und Schaugepränge Nichts mehr bei mir ausrichtet. . . . Ich bin durch Nichts entzückt, vielmehr sehr kalt, blasirt, höhnisch von der Narrheit fast aller Anderen und meiner eigenen – nicht Weisheit – aber Hellsichtigkeit, Durch-, Tief- und Scharfsichtigkeit, mehr als es erlaubt ist, durchdrungen, und innerlich quasi teuflisch erfreut, daß die sogenannten großen Sachen zuletzt solch ein lächerliches Ende nehmen.« So schlaff ist er geworden, daß die endliche Entscheidung von Napoleon’s Schicksal, welche er vormals so leidenschaftlich gewünscht hatte, ihn in solchem Grade kalt läßt. »Ich bin unendlich alt und schlecht geworden«, gesteht er, wie früher bemerkt, selbst mit der liebenswürdigen Friedrich Schlegel’schen Frechheit, welche ihn nie verließ. Zu dieser Zeit ist es, daß die Todesangst bei ihm permanent zu werden beginnt, und von jetzt an notirt er beständig in seinem Tagebuche, ob sie zu einem gewissen Zeitpunkte im Zunehmen oder Abnehmen begriffen sei. Alle Schwächen eines nervösen Frauenzimmers haben sich in seinen Briefen ein Denkmal gesetzt. In dieser Hinsicht ist besonders fein Briefwechsel mit Adam Müller lächerlich. Sie sind Beide gleich angst vor dem Donner, und die Gewitterfurcht zieht sich durch all’ ihre Briefe. Ja, zuweilen ist selbst die Wirkung eines Briefes ihm zu stark. »Ihre Briefe«, schreibt er an Müller, »zerschmettern meine weichlichen Gefühlsnerven.« Die Todesangst war zunächst die |380| Furcht, ermordet zu werden. Als Kotzebue durch Sand’s Dolch gefallen war, erreichte diese Furcht, ein Opfer des Hasses der liberalen Jugend zu werden, ihren Höhepunkt. Bei dem Anblick eines blanken Messers konnte er, wie er selbst in seinen Briefen bekennt, in Ohnmacht fallen. Er schreibt 1814 an Rahel: »Es ist nun gottlob in Paris Alles aus. Ich bin gottlob sehr gesund. Bin abwechselnd in Baden und Wien, frühstücke abwechselnd Briochen mit trefflicher Butter oder andere göttliche Kuchen, habe Meubles acquirirt, bei denen sich das Herz im Leibe freut, und fürchte mich weit weniger vor dem Tode.«

Er blickt um diese Zeit auf Görres als den Einzigen, der noch ernstlich zu schreiben verstehe, und ist selbst außer Stande zu jeglicher Art von Produktion. Zur selben Zeit steht er gesellschaftlich auf solchem Höhepunkte, daß er sich in seiner Wohnung vor Souverainen verleugnen lassen kann. In seinem Tagebuche steht unterm 31. Oktober 1814: »Refusé le prince royal de Bavière, le roi de Danemark etc.« Er trifft mit Talleyrand zusammen und wird zur höchsten Bewunderung hingerissen; um dieser Bewunderung eine praktische Richtung zu geben, überreicht der kluge französische Diplomat ihm ein Geschenk von 2400 Gulden vom Könige von Frankreich. Am Schlusse des Jahres 1814 schreibt er in sein Tagebuch: »Der Anblick der öffentlichen Dinge ist traurig. . . . Da ich mir indessen |381| Nichts vorzuwerfen habe, so dient mir die genaue Kenntnis dieses kläglichen Ganges aller dieser kleinlichen Wesen, welche die Welt regieren, weit entfernt davon, mich zu betrüben, nur zum Amusement, und ich genieße dieses Schauspiel, als gäbe man es expreß für mein Privatvergnügen.« Spricht Gentz hier nicht wie Jean Paul’s Roquairol? Lebensmüde, wie er ist, ist jede Ruhestörung ihm durchaus zuwider. Das Bestehende um jeden Preis aufrecht zu erhalten, wird seine Aufgabe. 1815 bedenkt er sich nicht einmal, die Vortrefflichkeit des Pariser Friedens Görres gegenüber zu vertheidigen. Er war zu klug und kalt, ein zu großer Hasser der Phrase, um nicht seinen blutigen Spott über die Burschenschafter, die altdeutsche Tracht und die Deklamationen vom »Teutoburgerwald« und »wälschen Tand« ergehen zu lassen, aber Sand’s Attentat dient ihm als Vorwand, die patriotischen Vereine zu verbieten, da man überall Mordanschläge und Verbrechen witterte. Gentz sorgte dafür, daß die Universitäten unter Kuratel gestellt wurden, und daß die Presse geknebelt ward. Er schreibt jetzt über die Preßfreiheit: »Es bleibt bei meinem Satze: es soll zur Verhütung des Mißbrauchs der Presse binnen einer gewissen Anzahl von Jahren gar Nichts gedruckt werden.« Dieser Satz als Regel, mit äußerst wenigen Ausnahmen, die ein Tribunal von anerkannter Superiorität zu bestimmen hätte, würde uns in kurzer Zeit zu Gott und zur Wahrheit zurückführen.«

|382| Als der griechische Freiheitskrieg ausbricht, sieht man, daß er trotz seines reaktionären Eifers doch allzu verständig ist, um, wie Adam Müller und die Uebrigen, in vollem Ernste an das Legitimetätsprincip und die Königsmacht von Gottes Gnaden als offenbarte Wahrheiten zu glauben. Im Jahre 1818 hatte er an Müller geschrieben: »Sie sind der einzige Mensch in Deutschland, von dem ich sage, daß er göttlich schreibt, so oft er es will; und von allen Frechheiten unserer Tage ist keine, die mich mehr befremdet und mehr aufbringt, als die, sich mit Ihnen messen zu wollen. . . . Ihr System ist ein geschlossenes Ganzes. Es irgendwo angreifen wollen, wäre vergeblich. Man kann nur ganz drinnen oder ganz draußen sein. Können Sie uns beweisen, begreiflich machen, daß alle wahre Wissenschaft, Einsicht in die Natur, Gesetzgebung, gesellschaftliche Verfassung, selbst Geschichte (wie Sie irgendwo behaupten) das Werk einer göttlichen Offenbarung sei und nur von dieser ausgehen könne, so haben Sie (mit mir wenigstens) Alles gewonnen. So lange Ihnen Dies aber nicht gelingt, stehen wir von fern, bewundern Sie, lieben Sie auch, – aber sind durch eine unübersteigliche Kluft von Ihnen geschieden.« Man muß sich erinnern, daß Adam Müller sogar aus der heiligen Dreifaltigkeit bewies, jedes auf einem einzigen Princip beruhende nationalökonomische System müsse falsch sein. So beweist er die Nothwendigkeit der Drei|383|felder-Wirthschaft. Jetzt, als Griechenland sich erhebt, äußert Gentz sich dahin, das Legitimetätsprincip müsse, als in der Zeit geboren, auch durch die Zeit modificirt werden, und bricht in die merkwürdigen Worte aus: »Ich war mir stets bewußt, daß ungeachtet aller Majestät und Stärke meiner Vollmachtgeber und ungeachtet der einzelnen Siege, die wir erfochten, der Zeitgeist zuletzt mächtiger bleiben würde, als wir, daß die Presse, so sehr ich sie in ihren Ausschweifungen verachtete, ihr furchtbares Uebergewicht über alle unsere Weisheit nicht verlieren würde, und daß die Kunst der Diplomaten so wenig als die Gewalt dem Weltrade in die Speichen zu fallen vermag.«

In seinem fünfundsechzigsten Jahre befiel den abgenutzten, gichtbrüchigen, leidenden Greis eine doppelte Schwärmerei, die im barocksten Gegensatze zu seinem Alter und seiner Geistesrichtung stand. Der Jüngling tauchte wieder in ihm auf. Der eine Gegenstand seiner Bewunderung war die damals neunzehnjährige Fanny Elsler. Seine Begeisterung und Leidenschaft für Dieselbe ist wahrhaft schrankenlos. In seinen Briefen heißt es: »Ich habe sie einzig und allein durch die Zauberkraft meiner Liebe gewonnen. Als sie mich kennen lernte, ahnte sie nicht, daß es eine solche Liebe gäbe. . . . Denken Sie sich die Seligkeit eines täglichen, durch Nichts gestörten Umganges mit einer Person, an der Alles mich entzückt, die nicht nöthig hat, »wie Venus |384| aus dem Meere zu steigen,« in deren Augen, deren Hände, in deren einzelne Reize ich mich stundenlang vertiefen kann, deren Stimme mich bezaubert, und mit der ich, wie mit der gelehrigsten Schülerin – ich erziehe sie mit väterlicher Sorgfalt« – zugleich meiner Geliebten und meinem treuen Kinde, unerschöpfliche Gespräche führe.«

Die zweite Schwärmerei, welche ihn übermannte, war die für Heine’s unlängst erschienenes »Buch der Lieder«. Es nützt wenig, daß er den kühnen Dichter einen »verruchten Abenteurer« nennt. Der alte Reaktionair vermag den Zauberweisen nicht zu widerstehen. »Noch immer«, schreibt er »labe ich mich an dem »Buch der Lieder«. Mit Prokesch bade ich mich stundenlang in diesen melancholischen süßen Gewässern. Selbst die Gedichte, welche an wirkliche Gotteslästerung streifen, lese ich doch nicht ohne die tiefste Emotion, und klage mich manchmal selbst darüber an, daß ich sie so oft und so gern lese.« Seine empfängliche Natur vermochte hier nicht zu widerstehen. Ganz richtig hat er sich selbst als Weib bezeichnet. Mit einer Wendung, die an den hermaphroditischen Zug in der »Lucinde« erinnert, schreibt er an Rahel: »Wissen Sie, Liebe, warum unser Verhältnis so groß und vollkommen geworden ist? Ich will es Ihnen sagen. Sie sind ein unendlich producirendes, ich bin ein unendlich empfangendes Wesen; Sie sind ein großer Mann, ich bin das erste aller Weiber, |385| die je gelebt haben.« Er war jetzt so nervös, daß er über einen kräftigen Händedruck erschrak, ja der Anblick eines martialischen Schnurrbarts konnte ihn ängstigen. Der Besuch harmloser Reisender jagte ihm Furcht ein, weil er verkleidete Mörder in ihnen sah. Im letzten Lebensjahr wurde seine Haltung gebeugt, sein Gang schleichend und unsicher. Die hellen und klugen Augen, die man in der Jugend an ihm rühmte, waren jetzt durch einen scheuen Ausdruck wie verschleiert. In Gesellschaft suchte er sich durch ein Paar große schwarze Brillen Kontenance zu geben. Als Fanny Elsler ihm einst bei einem Feste ein Glas schäumenden Champagners brachte, kredenzte sie es ihm mit den schalkhaften Worten: »Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht.« Gentz antwortete: »Mich und den Metternich hält’s noch aus.« In diesen Worten liegt sein Charakter und das Urtheil über seinen Standpunkt.

In religiöser Hinsicht war Gentz äußerst schwankend, bald sprach er sich dahin aus, daß die Religion ihm nur eine politische Angelegenheit sei, bald machte er, der doch äußerlich nicht zum Katholicismus übertrat, demselben nach romantischer Weise die weitgehendsten Koncessionen. Nicht nur, daß er im Staube liegt vor dem katholischen Mystiker Adam Müller, der buchstäblich Napoleon als eine Inkarnation des Teufels betrachtet und z. B. in einem Briefe an Gentz vom Juli 1806 davon spricht, daß es »die Aufgabe des |386| Christen sei, den Bonaparte, den wir in uns haben, zu überwinden«, sondern wir lesen z. B. in einer um dieselbe Zeit von ihm verfaßten Denkschrift an den Kaiser von Oesterreich unter den Gründen seines Ausscheidens aus dem preußischen Staatsdienste folgendes Motiv: »endlich, um hier Nichts zu verschweigen, mein längst genährter Widerwille gegen den Protestantismus, in dessen ursprünglichem Charakter und fortschreitender bösartiger Tendenz ich nach mannigfaltiger angestrengter Prüfung die Wurzel alles heutigen Verderbens und eine der Hauptursachen des Verfalls von ganz Europa entdeckt zu haben glaube.« In politischer Hinsicht vertritt Gentz mit scharfem Bewußtsein die offene Reaktion, und er scheut nicht, wie andere heuchlerische Reaktionäre, das Wort. In einem Brief aus Verona vom Jahre 1822 erzählt er, daß er bei einem Diner bei Metternich zum ersten Male Chateaubriand gesehen habe, der äußerst liebenswürdig gegen ihn gewesen sei und ihn mit großer Auszeichnung behandelt habe: »Er sagte unter Anderem, es wäre eine merkwürdige Erscheinung, die der Geschichte unmöglich entgehen würde, daß vor vier oder fünf Jahren, wo Alles hoffnungslos schien, sich eine Handvoll Menschen – sie ließen sich an den Fingern abzählen – in Europa erhoben hätten, um die Revolution ernsthaft zu bekämpfen, und daß es Diesen gelungen wäre, heute mit Kabinetten und Armeen gegen den gemeinschaftlichen |387| Feind zu Felde zu ziehen. Als die beiden großen Epochen dieser kühnen Reaktion bezeichnet er – in Frankreich die Stiftung des »Conservateur«, – in Deutschland den Kongreß von Karlsbad. Er blickt mit fast sanguinischem Muth in die Zukunft und hält den Sieg der guten Partei für gewiß. Alle wahre Kraft und alle wahren Talente wären auf unserer Seite, in ungefähr zehn oder zwölf Köpfen koncentrirt. Nichts sei uns gefährlicher, als die Angriffe der Revolutionairs zu hoch anzuschlagen, oder gar sie zu fürchten; sie wären mit all ihrem Lärm nur elende Schwätzer, und ich könnte mir kaum vorstellen, wie tief solche Leute, wie Benjamin Constant, Guizot, Royer-Collard, heute selbst als Schriftsteller und Redner in der Meinung gesunken wären, etc. ect. Dies und Mehreres sprach er übrigens ohne Feuer und Lebhaftigkeit, mit großer Kälte und Ruhe aus« .

Als Gentz Dies schrieb, ahnte er nicht, welche Ueberraschung ihm dieser Mann bald bereiten sollte. Zwei Jahre nachher trat das Ereignis ein, das den Wendepunkt in der Literaturgeschichte des Jahrhunderts, gleichsam die Wasser- scheide, bezeichnet: die Ausstoßung Chateaubriands aus dem Ministerium und fein Uebertritt zur liberalen Opposition, deren Führer er wird. Es ist« dies Ereignis, das neben Byron’s gleichzeitig erfolgendem Tode den -Liberalismus in der ganzen civilisirten Welt zu den Waffen ruft.

|388| Gentz vermag seinen Groll nicht zu beherrschen. Er schreibt nach Chateaubriand’s Artikel im »Journal des Débats« über die Aufhebung der Censur an einen Freund: »Ich unterschreibe jedes Wort, das Sie über Chateaubriand sagen. Auch mich hat seit langer Zeit Nichts so erschüttert und empört, als dieser wirklich ruchlose Artikel. Es ist das Werk eines Menschen, der, da es ihm nicht gelingen will, seine Feinde durch Trommeln und Pfeifen in ihrer Ruhe zu stören, endlich die Fackel ergreift und das Dach über ihren Köpfen in Brand steckt. Da man in Frankreich heute Alles darf, wonach Einem gelüstet, so liegt nichts Unerklärbares in diesem Entschlusse; denn wer gleich bei dem ersten Schritte auf dem Wege einer rachsüchtigen Opposition Pflicht und Ehre und Wohlanstand in dem Grade verletzen konnte, wie dieser Unhold am dritten Tage nach seiner Verabschiedung gethan, Der mußte zuletzt, da das Gefühl seiner Ohnmacht ihn immer mehr und mehr reizte, so weit vorangehen, als er es, ohne Gefahr eingesperrt zu werden (und wo ist die in seinem Lande?), wagen konnte.«

Allein Gentzens Zorn hielt den Gang der Ereignisse nicht auf, und bald lag die Reaktion, welche er repräsentirt, in ihren letzten, krampfhaften Zuckungen.

Ein Brief von Gentz an Pilat aus dem Jahre 1820 lautet folgendermaßen: »Was ist Duller, was ist La Mennais, was sind (außer Bonald) alle Schriftsteller unserer Zeit, gegen Maistre! Das Buch »Ueber den |389| Papst« ist, nach meinem Gefühle, das erhabenste und wichtigste seit einem halben Jahrhundert erschienene. Sie haben es nicht gelesen; wie könnten Sie sonst davon schweigen? Folgen Sie meinem Rath: lesen Sie es nicht à bâton rompu, nicht unter dem Lärm und den Zerstreuungen, von welchen Sie stets umringt sind, sondern heben Sie diese Lektüre auf bis zu einem Zeitpunkte anhaltender Ruhe und Koncentrirung Ihrer Gedanken. Ihre sogenannten Freunde kennen es sicher, aber keiner sagt ein Wort davon. Solche Speise ist allen diesen lauen, kritischen Seelen zu stark. Mich hat es mehr als eine schlaflose Nacht gekostet; aber welchen Genuß habe ich damit erkauft! So viel Tiefsinn, mit einer so erstaunungswürdigen Gelehrsamkeit, mit einem politischen Blick, wie kein Montesquieu ihn je gehabt, einer Burke’schen Beredtsamkeit, einer zuweilen an hohe Poesie grenzenden Begeisterung, dabei noch alle weltlichen Talente, eine Geschicklichkeit, eine Zartheit, eine Schonung der Personen, indem man ihre Lehren und Meinungen in den Staub tritt, eine ungeheure Weltkenntnis – und das Alles für solche Resultate, für eine solche Sache! Nein, jetzt glaube ich steif und fest, daß die Kirche nie untergehen wird. Wenn auch nur in jedem Jahrhundert einmal ein solcher Stern ihr leuchten, so muß sie nicht nur bestehen, sondern siegen. Das Buch hat einige schwache Seiten! Ich sage es, damit meine Bewunderung nicht blind er|390|scheine; aber sie verlieren sich wie Flecken in der Sonne. Andere mögen vor Maistre gewußt, gefühlt haben, was der Papst ist; aber gesagt hat es noch nie ein Schriftsteller, wie er. Dies außerordentliche Buch, wovon das elende Geschlecht unserer Zeit kaum Notiz nimmt, ist die Frucht eines halben Lebens. Der Autor, ein jetzt mehr als siebzigjähriger Mann, hat offenbar zwanzig Jahre daran gearbeitet. Man sollte ihm in einer der großen Kirchen in Rom ein Denkmal setzen. Alle Könige sollten sich nach ihm drängen; und doch hat er von seinem Hofe, nachdem er sein ganzes Vermögen zugesetzt hatte, nur mit harter Noth den Titel als Minister und so Viel, daß er in Turin sehr eingeschränkt leben kann, erhalten. Nie aber hat ein Mensch größeres Recht gehabt, seinen Kindern zu sagen:

Disce, puer, virtutem ex me, verumque laborem,
Fortunam ex aliis!

Welch ein Mann! Und wie wenige seiner Zeitgenossen wissen nur, daß er unter ihnen lebt!«

Hier ist der Punkt, wo die deutsche Reaktion zu der französischen hinüber weist. Um die Richtung meiner Arbeit anzudeuten, und zu zeigen, welchen Kours wir inne halten, will ich noch flüchtig diesen energievollsten Kopf der französischen Reaktionszeit skizziren. Graf Joseph de Maistre ward im Jahre 1754 zu Chambery in Savoyen in einer Familie geboren, die dem hohen |391| Beamtenstande angehörte, und in der ein strenger und religiöser Geist herrschte. De Maistre ward in einem so absoluten Gehorsam erzogen, daß er noch auf der Universität zu Turin sich niemals ein Buch zu lesen gestattete, ohne zuvor die Erlaubnis seines Vaters eingeholt zu haben. Er vertiefte sich von Kindheit an in die ernsthaftesten Studien, und verstand sieben Sprachen, was bei einem Franzosen eine Seltenheit ist. Mit zwei und dreißig Jahren verheirathete er sich, und ward der trefflichste Familienvater. Da pochte die französische Revolution an seine Thür, Savoyen wurde in Frankreich inkorporirt, und er verließ seine Heimat, um seinem Könige treu zu bleiben. Er hielt sich jetzt einige Jahre in der Schweiz auf und verkehrte eine Zeitlang mit Frau von Staël, die sein Genie bewunderte, und die er folgendermaßen beurtheilt: »Ich kenne keinen verrückteren Kopf; Das ist die unfehlbare Wirkung, welche die moderne Philosophie auf jedes weibliche Wesen hervorbringt; aber ihr Herz ist durchaus nicht schlecht: in dieser Beziehung thut man ihr Unrecht. Sie ist erstaunlich geistreich, besonders wenn sie sich keine Mühe giebt, es zu sein. Da wir weder in der Theologie noch in der Politik von derselben Schule sind, haben wir in der Schweiz Scenen ausgeführt, bei denen man hätte vor Lachen sterben können, ohne doch jemals Feinde zu werden.«

Der entscheidende Zug in de Maistre’s Grund|392|anschauung ist, daß er wirklich und buchstäblich an das Regiment der Vorsehung auf Erden glaubte. Denn wohl trifft man häufig genug Menschen, welche sagen, daß sie daran glauben, aber seltener trifft man Solche, die in allen ihren Handlungen oder all ihren Urtheilen sich so benehmen, als glaubten sie wirklich an die Vorsehung. Um so recht einen Eindruck von diesem seinem Glauben zu erhalten, muß man seine »Considérations sur la France« lesen, welche 1797 erschienen, jene merkwürdige Schrift, in welcher er die Restauration sogar in Einzelheiten voraussagt. Einer seiner Lieblingssätze war: »Die Welt ist voll gerechter Strafen und Todesurtheile, deren Vollstrecker sehr schuldig sind«. Er war von Natur kein Mann der That, sondern der Betrachtung, und als handelnd und in seinen Grundsätzen für handelndes Eingreifen nicht ohne Mäßigung. Er sagt z. B.: wenn er Minister einer Nation wäre, die Nichts von den Jesuiten wissen wollte, so würde er die Zurückberufung Derselben nicht anrathen; aber er definirt dann freilich die Nation als die Verbindung des Souverains und seiner Aristokratie, – eine nicht sonderlich demokratische Definition.

Der König von Sardinien, welcher genöthigt worden war, auf seine Felseninsel zu flüchten, und von allen Seiten bedrängt wurde, schickte 1802 de Maistre als seinen Gesandten nach St. Petersburg, und dort blieb er vierzehn Jahre, schmerzlich getrennt von seiner |393| Familie, unter allen Ereignissen leidend, die Europa erfüllten, den Stoß jedes Sieges von Napoleon empfindend, verlassen und so arm, daß er Winters nicht einmal einen Pelz hatte. Doch nennt er nicht, wie die deutschen Reaktionäre, Bonaparte einen Teufel. Er schreibt: »Bonaparte nennt sich Gottes Sendboten. Nichts ist wahrer. Bonaparte kommt direkt vom Himmel herab, – wie der Blitz.« Ja, er bemüht sich sogar aus Liebe für sein Vaterland, wie Viel es ihn auch kostet, ein Gespräch mit dem Kaiser zu erlangen und für Sardiniens Sache zu reden. Es mißlingt, doch nimmt Napoleon, welcher das Genie in allen Lagern anerkannte, ihm seine Kühnheit keineswegs übel; dagegen thut Das sein eigener Hof. Man fühlt sich sehr verletzt, und läßt ihn wissen, das Kabinett sei erstaunt über den Schritt, den er gethan habe. Mit stolzer Ironie antwortet er: »Das Kabinett ist erstaunt! Dann ist Alles verloren. Vergebens stürzt die Welt zusammen, Gott bewahre uns vor einer unvorhergesehenen Idee! Und Das ist es, was mich noch lebhafter überzeugt, daß ich nicht Euer Mann bin; denn ich kann Euch wohl versprechen, die Angelegenheiten Sr. Majestät so gut wie ein Anderer zu besorgen; aber ich kann Euch nicht versprechen, daß ich Euch nie erstaunen werde. Das ist ein Fehler in meinem Charakter, dem ich nicht abzuhelfen vermag.« Er fühlte, was er irgendwo gesagt hat, daß auf die Standhaftigkeit des Wohlwollens eines Hofes zu |394| bauen, »buchstäblich Dasselbe sei, als wollte man sich auf einen Mühlenflügel legen, um sicher zu schlafen.« Mittlerweile zehrte manche Sorge an seinem Vaterherzen. Seine jüngste kleine Tochter war ihm völlig fremd. In seinen Briefen schreibt er über sie die rührenden Worte: wenn er Nachts, überangestrengt vom Arbeiten, schlaflos aus seinem Lager liege, glaube er »es in Turin weinen zu hören.« Sein Sohn nimmt am Kriege gegen Napoleon Theil. »Niemand weiß,« sagt er, »was Krieg bedeutet, wenn er nicht einen Sohn hat, der mit dabei ist. Ich bemühe mich, so gut ich es vermag, die Träume von abgehauenen Armen und zerschmetterten Köpfen, welche mich unaufhörlich peinigen, zu verscheuchen; so esse ich denn zu Abend wie ein Jüngling, schlafe wie ein Kind, und erwache wie ein Mann, Das heißt früh.«

Man sieht, dieser Lobredner des Scheiterhaufens und Henkers hatte ein gutes, menschenfreundliches Herz, es fehlt ihm in seinen Privatäußerungen weder an Humor, noch an Gutmüthigkeit. Er hatte, wie Sainte-Beuve geistvoll von ihm sagt, »Nichts anders vom Schriftsteller, als das Talent.«

Am liebenswürdigsten zeigt er sich vielleicht in den Briefen an seine Tochter:*)*

*) Lettres et opuscules. Tome I, pag. 145 ff.
»Du fragst mich, liebes Kind, woher es komme, daß die Frauen zur Mittel|395|mäßigkeit verurtheilt seien. Das sind Sie keineswegs. Sie können sich sogar hoch erheben, aber auf weibliche Art. Jedes Wesen muß sich auf seinem Platze erhalten und nicht anderen Vorzügen nachstreben, als denjenigen, welche ihm zukommen. Ich habe hier einen Hund, Namens Biribi, der unsere Freude ist. Wenn der eines Tages Lust bekäme, sich fatteln und zäumen zu lassen, um mich aufs Land hinaus zu tragen, so würde ich mich über ihn eben so wenig freuen, wie über das englische Pferd Deines Bruders, wenn es Lust bekäme, mir aufs Knie zu hüpfen oder Kasse mit mir zu trinken. Der Irrthum gewisser Frauen besteht darin, daß sie sich einbilden, um sich auszuzeichnen, müßten sie es wie Männer thun. Wenn eine schöne Dame mich vor zwanzig Jahren gefragt hätte: »Glauben Sie nicht, daß eine Dame eben so gut ein großer General sein könnte, wie ein Mann?«, dann hätte ich nicht unterlassen, ihr zu antworten: Ganz gewiß, gnädige Frau; wenn Sie eine Armee kommandirten, würde der Feind sich vor Ihnen auf die Kniee werfen, gerade wie ich es thue, und Sie würden mit Trommeln und klingendem Spiel in die feindliche Hauptstadt einziehen. Wenn sie mir gesagt hätte: »Was hindert mich, eben so viel von der Astronomie zu verstehen, wie Newton?«, dann würde ich ihr eben so aufrichtig geantwortet haben: Nichts in der Welt, meine göttliche Schönheit! Nehmen Sie das Fernrohr zur Hand, und die Sterne werden es für eine |396| große Ehre ansehen, von Ihren schönen Augen belorgnettirt zu werden, und sich beeilen, Ihnen all’ ihre Geheimnisse zu verrathen. Siehst Du, so spricht man zu den Frauen, in Versen wie in Prosa. Aber Die ist schön dumm, welche Das für baare Münze nimmt.« Er zeigt nun, daß der Beruf der Frau darin bestehe, Männer zu gebären und zu erziehen, und fährt fort: »Uebrigens, mein liebes Kind, soll man Nichts übertreiben. Ich meine, daß die Frauen im Allgemeinen sich nicht auf Kenntnisse verlegen sollen, welche ihren Pflichten widerstreiten, aber ich bin sehr weit davon entfernt, zu meinen, daß sie vollkommen unwissend sein sollten. Ich wünsche nicht, daß sie glauben sollten, Peking liege in Frankreich, oder Alexander der Große habe sich mit einer Tochter Ludwig’s XIV. verheirathet.« Und in einem der folgenden Briefe: »Ich sehe, Du bist etwas erzürnt über meine impertinenten Ausfälle wider die gelehrten Frauen; wir müssen indeß nothwendig vor Ostern Frieden schließen, und die Sache scheint mir um so viel leichter, als Du mich gewiß nicht recht verstanden hast. Ich habe nie gesagt, daß die Frauen Affen seien. Ich schwöre Dir bei Allem, was mir am heiligsten ist, daß ich sie immer ohne Vergleich hübscher, liebenswürdiger und nützlicher, als Affen, gefunden habe; ich habe nur gesagt, und dabei bleibe ich, daß die Frauen, welche Männer sein wollen, nur Affen sind; denn gelehrt sein wollen, heißt Mann sein wollen. Ich finde, daß der |397| heilige Geist viel Geist bewiesen hat, indem er es so einrichtete, wie betrübend es sonst auch scheinen mag. Ich verbeuge mich tief vor dem Fräulein, von welchem Du sprichst, das sich auf ein episches Gedicht eingelassen hat, aber Gott bewahre mich davor, ihr Mann zu sein; ich würde allzu große Angst haben, sie in meinem Hause mit der einen oder andern Tragödie oder gar mit der einen oder andern Farce niederkommen zu» sehen; denn wenn das Talent einmal im Schusse ist, hält es nicht so leicht inne. . . . Was in Deinem Briefe am besten und entschiedensten ist, Das ist Deine Beobachtung über die Materialien zur menschlichen Schöpfung. Streng genommen ist nur der Mann Asche und Staub. Wenn man ihm die Wahrheit ins Gesicht sagen wollte, so müßte man ihn Koth nennen, während das Weib aus einem Teige geformt wurde, der schon präparirt und zum Range der Rippe erhoben war. Corpo di Bacco! questo vuol dir mo1to. Uebrigens, mein liebes Kind, kannst Du nach meiner Ansicht nicht zu viel vom Adel der Frauen, geschweige der bürgerlichen Frauen, reden. Er darf für einen Mann nichts Vortrefflicheres geben, als eine Frau, ganz wie für eine Frau u. s. w. . . . Aber gerade kraft dieser hohen Idee, die ich von jener sublimen Rippe habe, werde ich ernstlich böse, wenn ich Einige sehe, die sich zu primitivem Koth machen wollen. Mir scheint, hiemit ist die Frage vollständig ins Klare gebracht.«

|398| Man wundert sich, den streng orthodoxen Katholiken so frei mit der biblischen Legende scherzen zu sehen; allein selbst im Witz und Scherz verleugnet der reaktionäre Grundzug sich nicht. Es ist überhaupt charakteristisch für de Maistre, daß ein gewisser prickelnder Witz bei ihm Hand in Hand mit der gewaltsamen und dämonischen Energie des Zornausbruches geht, einer Energie, die sich u. A. in solch einem kleinen Symptom äußert, daß das Wort à brûle-pourpoint sein Lieblingswort ist; es bedeutet bekanntlich wortgemäß, eine Feuerwaffe direkt auf dem Rocke des Gegners abbrennen. In den »Soirées de Saint-Petersbourg« schüttet er seine Erbitterung über Baco aus; er sagt, und mit einer Einsicht, deren Resultat die neueste Naturwissenschaft zu billigen geneigt ist: »Baco war ein Barometer, das schönes Wetter verkündigte, und weil er es verkündigte, so glaubte man, er habe es geschaffen.« In seinen Briefen bemerkt er dann: »Ich weiß nicht, wie ich dazu kam, mich auf Tod und Leben mit dem seligen Kanzler Baco zu schlagen. Wir haben mit einander geboxt wie zwei Boxer von Fleetstreet, und hat er mir gleich einige Haare aus dem Schopfe gerissen, so denke ich doch, daß seine Perücke nicht mehr an ihrem Platze sitzt.«

Wenn er auf seine Lieblingsidee kommt: daß man die Staaten durch Strafe und Zucht zusammen halten müsse, hat sein Witz zuweilen fast einen voltairianischen |399| Charakter; so an der Stelle, wo er im zweiten Theil der »Soiréen« von den Mitteln spricht, wie man den Esprit de corps aufrecht erhalten könnte. Welche grenzenlose Menschenverachtung liegt hier in seinen Späßen! »Um die Ehre und Disciplin,« sagt er, »in einem Corps oder in einer beliebigen Verbindung zu behaupten, sind privilegirte Belohnungen nicht einmal so wirksam, wie privilegirte Strafen.« Er weist darauf hin, wie die Römer darauf verfallen seien, die militairische Bastonnade zu einem Vorrechte zu machen, indem die Soldaten alleine das Recht hatten, mit Rebstöcken geprügelt zu werden. Keiner, der nicht Militair war, durfte mit einem Rebstocke geprügelt werden, und mit keinem anderen Holze durfte man einen Militair prügeln. »Ich begreife nicht, daß nicht eine ähnliche Idee in dem Hirne eines modernen Souverains entstanden ist. Wenn man mich Betreffs dieses Punktes fragte, so würde mein Gedanke nicht zum Rebstocke zurück kehren, denn sklavische Nachahmungen taugen Nichts. Ich würde das Holz des Lorbeerbäumes vorschlagen.« Er entwickelt nun, wie in der Hauptstadt ein großes Treibhaus errichtet werden müßte, das ausschließlich dazu bestimmt wäre, die nöthigen Lorbeerbäume heran zu ziehen, um in den Händen der Unterofficiere der russischen Armee das Fell zu gerben. Dies Treibhaus sollte unter der Aufsicht eines Generals stehen, welcher Ritter des St. Georgsordens mindestens zweiter |400| Klasse wäre, und welcher den Titel »Oberinspektor des Lorbeertreibhauses« führen sollte. Die Bäume sollten nur von Invaliden von makellosem Rufe gewartet, gepflegt und beschnitten werden dürfen. Das Modell für die Stöcke, welche alle genau gleich sein müßten, sollte im Kriegsministerium in einem rothen Etui aufbewahrt werden, jeder Stock sollte im Knopfloche des Unterofficiers an einem St. Georgsbande hängen, und an dem Fronton des Treibhauses sollte die Inschrift zu lesen stehen: »Es ist mein Holz, das meine Blätter trägt.«

De Maistre’s Hauptwerk, das Buch über den Papst, enthält die Quintessenz der Ansichten dieses genialen Reaktionärs. Er sagt dort: »Eine große und mächtige Nation hat kürzlich vor unseren Augen die größte Anstrengung in der Richtung der Freiheit gemacht, welche die Welt gesehen hat.« Was hat sie erreicht? Sie hat sich mit Spott und Schande bedeckt, um zuletzt einen korsikanischen Gendarm auf den Thron des französischen Königs zu setzen.« Er zeigt, daß das katholische Dogma, wie männiglich bekannt, jede Art von Revolte verbiete, während der Protestantismus, der von der Souverainetät des Volkes ausgehe, die Entscheidung in das innere Gefühl lege, das sich von einem gewissen moralischen Instinkt herleiten sollte (S. 160): »Es besteht so viel Analogie, so viel Bruderähnlichkeit, so viel gegenseitige Abhängigkeit zwischen der päpstlichen und der königlichen |401| Gewalt, daß man erstere nie erschüttert hat, ohne letztere anzutasten.« Und er citirt (S. 174) als Beweis dafür die Worte Luther’s: »Die Fürsten sind im Allgemeinen die größten Narren und die ausgemachtesten Schurken von der Welt; man kann nichts Gutes von ihnen erwarten, sie sind Gottes Schergen, deren er sich bedient, um uns zu züchtigen.« »Er zeigt, daß der Protestantismus, welcher die Königsmacht nicht respektire, auch keine Achtung vor der Ehe habe: »Hatte Luther nicht die Frechheit, in seinem Kommentar zur Genesis 1525 zu schreiben, daß hinsichtlich der Frage, ob man mehr als Eine Frau haben dürfe, die Autorität der Patriarchen uns unsere Freiheit ließe, daß die Sache weder erlaubt noch verboten sei, und daß er für sein Theil Nichts entscheiden wolle, – eine erbauliche Theorie, die bald im Hause des Landgrafen von Hessen-Kassel ihre Anwendung fand.« Man weiß, daß Luther diesem Fürsten gestattete, zwei Frauen auf einmal zu haben. – De Maistre stellt die paradoxe Behauptung auf, daß der Mensch von Natur ein Sklave, und daß Nichts unwahrer als der Rousseau’sche Satz sei: »Der Mensch ist frei geboren und liegt doch überall in Fesseln.« Im Gegentheil, der Mensch sei ein geborener Sklave, und erst das Christenthum habe ihn auf übernatürliche Art frei gemacht. Daher nennt er auch die christliche Frau ein in Wahrheit übernatürliches Wesen. Man begreift hienach, in welchen Ausdrücken er von Voltaire redet, dem Manne, |402| »in dessen Hände die Hölle ihre ganze Macht niedergelegt hat«. Das Buch gipfelt in seiner Staatstheorie: »Die Monarchie ist ein Mirakel, und statt sie als solches zu ehren, schelten wir sie Despotie. Der Soldat, welcher einen Menschen nicht tödtet, wenn ein legitimer Fürst es ihm befiehlt, ist nicht weniger schuldig, als Der, welcher einen Todtschlag ohne Ordre verübt.« Die Staaten, welche den Protestantismus eingeführt haben, sind durch Verkürzung der Lebenszeit ihrer werthen Monarchen gestraft worden. Denn de Maistre hat ausgerechnet, daß die Regierungszeit der Fürsten in den protestantischen Ländern kürzer, als in den katholischen ist. Nur Eine Schwierigkeit begegnet ihm hier, die er nicht zu erklären weiß. Wir sind es, die ihm dieselbe verursachen. Er findet, daß einzig in Dänemark unter den protestantischen Ländern die Fürsten nach der Reformation eben so lange, wie vor derselben, leben (S 383): »Dänemark scheint, kraft des einen oder andern verborgenen, aber sicherlich für die Nation ehrenvollen Grundes, nicht diesem Gesetze von der Verkürzung der Regierungszeit unterworfen gewesen zu sein.«

Der energische Vertheidiger des Systems der Vergangenheit konnte sich endlich am Schlusse seines Lebens nicht enthalten, eine Ehrenrettung der großen Verkannten, der Inquisition, zu unternehmen. Dies geschah in den »Briefen an einen russischen Edelmann über die spanische Inquisition«. Er versucht in diesem Buche mit all |403| seinen Kräften, die Schwarzen so weiß wie möglich zu waschen; aber man wird bei der Lektüre unwillkürlich an das tiefsinnige Wort erinnert, welches der alte Tiger in der indischen Hitopadesa spricht. »Gleichwohl, – gleichwohl,« sagt der Tiger, »ist das Gerücht, daß die Tiger Menschen fressen, schwer zu widerlegen.« Er beleuchtet eine große Menge von Unwahrheiten, die über die Inquisition gesagt worden sind, und weist nach, daß dieselbe gar kein geistliches, sondern ein weltliches Tribunal war. Die Partie des Buches jedoch, welche Interesse für uns hat, ist diejenige, wo er die Thaten der Inquisition vertheidigt. Er sagt: In Spanien und Portugal, wie anderswo, lasse man jeden Menschen in Frieden, der sich ruhig verhalte; was den Unvorsichtigen betreffe, der dogmatisire oder die öffentliche Ordnung störe, so könne er sich nur über sich selbst beklagen. »Der moderne Sophist, welcher gemächlich in seinem Zimmer konversirt, läßt es sich wenig kümmern, daß Luthers Argumente den dreißigjährigen Krieg hervorgerufen haben: aber die alten Gesetzgeber, welche wußten, was diese unheilschwangeren Lehren Alles die Menschen kosten könnten, bestraften sehr gerecht mit dem Tode ein Verbrechen, das im Stande war, die Gesellschaft in ihren Grundfesten zu erschüttern, und sie in Blut zu baden.

Dank der Inquisition hat in den letzten dreihundert Jahren in Spanien mehr Glück und Ruhe geherrscht, als in dem übrigen Europa.«

|404| De Maistre hat dieser Schrift ein Citat vorangestellt, welches lehrt, daß alle großen Männer intolerant gewesen seien, und daß man intolerant sein müsse. »Wenn man,« hat der Encyklopädist Grimm gesagt, »einen honetten Fürsten trifft, so muß man ihm Tollkranz predigen, damit er in die Falle geht, und die unterdrückte Partei Zeit erhält, sich durch die Toleranz, welche ihr eingeräumt wird, zu erheben, und so ihren Gegner zermalmen kann, wenn die Reihe zu herrschen an sie kommt. Deshalb ist das Predigen Voltaire’s, welcher von Toleranz schwatzt, ein Predigen, das nur für Dummköpfe um Solche, die sich narren lassen, oder für Leute, die gar kein Interesse an der Sache haben, passen mag.«

Hierin verbirgt sich ein grober Sophismus. Ein Kind begreift, daß jede wahre Leidenschaft die Toleranz unmöglich macht. Aber ist deshalb Voltaire’s Princip eine Lüge? Nein, der Knoten ist leicht und einfach zu lösen. In der Theorie gilt das Princip der Intoleranz, in der Praxis das der Toleranz. Auf dem Gebiete der Theorie keine Pietät, keine Duldung, keine Schonung! Denn die Lüge soll in die Pfanne gehauen, und die Dummheit soll in die Luft gesprengt, und die Reaktion soll bis aufs Blut geschunden werden. Aber nun der Lügner, und der Dummkopf, und der Reaktionär? Soll er vielleicht auch in die Pfanne gehauen, oder geschunden, oder in die Luft gesprengt werden? |405| Er soll seiner Wege gehen. Die Praxis ist das Gebiet der Toleranz.

Meine Aufgabe ist für diesmal beendigt. Ich habe von manchen Seiten, in der Absicht, eine wahrhaft produktive Kritik zu liefern, und mit dem Bestreben, den ausgetretenen Weg zu verlassen und zugleich neue und wahre Gesichtspunkte ausfindig zu machen, die steigende Reaktion in der deutschen Romantik geschildert, – die Reaktion, welche in Frankreich eine solche Höhe erreicht, daß der Umschlag eine geschichtliche Nothwendigkeit wird. Und als das Licht der Freiheit erst an einigen wenigen Punkten – in Griechenland, in Frankreich – entzündet wird, da fliegt dies Licht von Punkt zu Punkt, bis die Fanale der Freiheit von allen hohen Stätten Europas leuchten. Dann folgen neue Reaktionen und neue Freiheitskämpfe.

Wir leben hier in Dänemark augenblicklich in einer Zeit der Reaktion. Eine solche folgt immer auf unüberlegte und zügellose Freiheitsbestrebungen. Man weiß, daß Phaëton, der Sohn Apollo’s, eines Tages die Erlaubnis erhielt, den Wagen des Sonnengottes zu führen, und ihn so schlecht lenkte, daß die Sonne Alles versengte und die Städte und ihre Paläste in Brand steckte. Eine Sage erzählt, daß einige Völker der Vorzeit hierüber so erschraken, daß sie die Götter um ewige Finsternis anzuflehen begannen. Wir sind aus der Ferne Zeugen der Fahrt Phaëtons gewesen. Und Der, welcher |406| ein scharfes Gehör hat, vernimmt deutlich die Worte: »Finsternis! mehr Finsternis!« in dem Geschrei rings um uns her. Möchten wir uns bei Zeiten besinnen und uns verständiger erweisen, als jene thörichten Völker der Vorzeit!

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