In ihrer ersten Periode war die Romantik absolut unpolitisch. Sie verherrlicht, wie bei Novalis, das Bestehende, sie verhält sich der Königs- und Priestermacht gegenüber unterthänig, aber in ihrer Poesie ist sie durchgehends politisch farblos.
Tieck’s satirische Lustspiele haben z. B. in ihrer äußeren Form einen aristophanischen Zuschnitt. Aber worauf läuft ihre Satire hinaus? Niemals ist sie gegen irgend eine politische Persönlichkeit oder Richtung gewandt. In der Kürze kann man antworten, daß diese Lustspiele gegen die Aufklärung polemisiren. Was war die Aufklärung, und was verstand Tieck unter diesem Worte? Sein Biograph giebt uns darüber Auskunft. Damals, sagt er, waren die meisten angesehenen und namhaften Männer Berlin’s, welche bisher die öffentliche Meinung geleitet hatten, in den Zeiten Friedrichs des Großen gebildet. Die Ansichten, welche in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die herrschenden waren, hatten sie in sich aufgenommen, sie waren bei ihnen in Fleisch und Blut übergegangen. Es waren moralische, pflichttreue Männer in allen Fächern des Wissens und der Verwaltung, die mit ernstem und hingebendem |305| Amtseifer und oft mit eiserner Kraft arbeiteten. Mochten sie Mitglieder der Regierung, Theologen, Schulmänner, Kritiker, Popularphilosophen oder Dichter sein, sie gingen darauf aus, Religion und Wissenschaft nützlich zu machen und durch äußere Maßregeln die Menschheit zu erziehen. Da es ihnen zuerst und zuvörderst darauf ankommen mußte, zu popularisiren, gelangten sie nothwendiger Weise dazu, den Stoff zu verslachen und breit zu treten; da sie das allgemein Verständliche suchten, widerfuhr es ihnen oft, Hohes und Niedriges in einer durchschnittlichen Mittelmäßigkeit zu nivelliren. Ein gewisser untadelhafter bürgerlicher Wandel wurde ihr moralisches Ideal, das im Vergleich mit der alten Glaubensinnigkeit gering und flach erschien. Sie beriefen sich durchschnittlich auf Lessing als ihre große Autorität, und meinten die Ueberlieferungen seiner Thätigkeit für sich zu haben. Man begreift leicht, daß sie sich polemisch wider Goethe wandten, wie Lessing selbst es gethan hatte, und daß sie überhaupt eine sehr beschränkte Ansicht von der Bedeutung und dem Werthe der Phantasie haben mußten. Für sie war dieselbe der Sklave der äußeren Nützlichkeit, und hatte nur Werth als Organ der Moral.
Den Spott über diese moralische Tendenz des Publikums findet man überall bei Tieck. So z. B. im »Gestiefelten Kater«. Hinze, der Kater, geht in wehmüthigen Gedanken umher. Er beginnt ein Jägerlied zu singen, eine Nachtigall schlägt im benachbarten |306| Busche. »Sie singt trefflich, die Sängerin der Haine, – wie delikat muß sie erst schmecken! – Die Großen der Erde sind doch darin recht glücklich, daß sie Nachtigallen und Lerchen essen können, so viel sie nur wollen, – wir armen gemeinen Leute müssen uns mit dem Gesange zufrieden stellen, mit der schönen Natur, mit der unbegreiflich süßen Harmonie. – Es ist fatal, daß ich Nichts kann singen hören, ohne Lust zu kriegen, es zu fressen« Das Parterre beginnt zu trommeln, der unedle Gedankengang des Katers empört die biederen Zuschauer. Hinze läßt also die Nachtigall zufrieden, aber als ein Kaninchen bald darauf vorüber hüpft, fängt er es geschwind und steckt es in seinen Sack. Es ist seine Absicht, dasselbe dem Könige zu schenken, um Dessen Herz seinem Herrn zuzuwenden. Er sagt: »Dies Wildpret ist eine Art von Geschwisterkind mit mir; ja, Das ist der Lauf der heutigen Welt, Verwandte gegen Verwandte, Bruder gegen Bruder!« Inzwischen bekommt er Lust, das Kaninchen selbst zu verzehren, aber er bezwingt sich und ruft aus: »Pfui! schäme Dich, Hinz! – Ist es nicht die Pflicht des Edlen, sich und seine Neigungen dem Glück seiner Mitgeschöpfe aufzuopfern? Dies ist der Endzweck, zu welchem wir geschaffen worden, und wer Das nicht kann, – o ihm wäre besser, daß seine Mutter ihn nie geboren hätte!« – Er will abgehen, aber man klatscht heftig und ruft allgemein da Capo, er muß die letzte schöne Stelle noch einmal her|307|sagen, dann verneigt er sich ehrerbietig und geht mit dem Kaninchen ab. Die Zuschauer sind im siebenten Himmel vor Entzücken, wie bei einer Tirade von Issland.
Von ebenso literarischer Natur ist die Satire in Tieck’s »Däumchen«. Sie ist wider die antike Geistesrichtung in der Literatur, besonders wider Goethe, gerichtet. Man begreift, daß ein Stoff wie der Daumling, zum Theil in den heroischen Versmaßen der griechischen Tragödie behandelt, mancherlei Putziges haben muß. Alle Züge aus dem Volksmärchen des Mittelalters werden in die Beleuchtung des antiken Stiles gestellt. So heißt es z. B. von den Siebenmeilenstiefeln: »Glauben Sie mir, diesen Stiefeln seh’ ich’s an, daß sie noch aus der alten Griechenzeit zu uns herüber gekommen sind; nein, nein, solche Arbeit macht kein Moderner, so sicher, edel, einfach im Zuschnitt, solche Stiche! ei, Das ist ein Werk von Phidias, Das lass’ ich mir nicht nehmen. Sehn Sie nur einmal, wenn ich den einen so hinstelle, wie ganz erhaben, plastisch, in stiller Größe, kein Ueberfluß, kein Schnörkel, kein gothisches Beiwesen, Nichts von jener romantischen Vermischung unserer Tage, wo Sohle, Leder, Klappen, Falten, Büschel, Wichse, Alles dazu beitragen muß, um Mannigfaltigkeit, Glanz, ein blendendes Wesen hervorzubringen, das nichts Ideales hat; das Leder soll glänzen, die Sohle soll knarren, elendes Reimwesen, diese Konsonanz beim Austritt; Nichts davon wußten jene Alten, |308| Nichts.« Man merkt den parodistischen Gebrauch Goethe’scher Lieblingsausdrücke in dieser pomphaften Beschreibung.
Am trefflichsten und witzigsten jedoch vertheidigt sich Tieck gegen die Beschuldigung übertriebener Empfindsamkeit. Diejenigen unter uns, welche Prosper Mérimée bewundern, können die Satire als gegen sie selbst gerichtet betrachten. Tieck rächt sich an seinen Kritikern, indem er ihre Einwürfe dem Menschenfresser Leidgast in den Mund legt, welcher eben nach Haus gekommen ist, Menschenfleisch gewittert hat, und nun beschließt, Däumchen und all’ seine Geschwister am nächsten Morgen zu verspeisen. Vorläufig sollen sie in die Bodenkammer hinausgebracht werden. »Wenn nur Ihre drei Kleinen nicht aufwachen!« wird eingewandt. »Weshalb?« – »Dann sind die fremden Kinder wahrlich nicht sicher, denn die Ihrigen sind auf Menschenfleisch so gestellt, daß sie mir neulich sogar das Blut haben aussaugen wollen« – »Ist’s möglich? den Verstand, die Bildung hätt’ ich ihnen nimmermehr zugetraut.« Seine Frau weint. »Weib, laß mir die Empfindsamkeit! Ich kann die weichliche Erziehung nicht ausstehn; alle diese Vorurtheile, Aberglauben und Schwärmerei habe ich ihnen nie gestattet; echte derbe Natur, die ist meine Sache.«
In wie vielerlei Richtungen sich nun auch diese Satire bewegt, so ist sie doch in allen Richtungen rein literär. Niemals tritt sie aus der Literatur heraus, |309| und in das Gebiet des Lebens hinein. Issland und Kotzebue, der antike Kothurnstil und die spießbürgerlich bornirte Kritik, der Text der »Zauberflöte« und Nicolai’s Reisebeschreibungen, die akademische Pedanterie und die Literaturzeitung, Das sind die stehenden Sündenböcke. Hin und wieder einmal erscheint es nothwendig, um die Aufklärung und ihre Attribute zu treffen, einen Schritt weiter zu gehn. So stellt der König im »Gestiefelten Kater«, welcher den Hofgelehrten auf gleiche Stufe mit dem Hofnarren setzt, welcher für Soldaten- und Gamaschenthum lebt, welcher sich daran ergötzt, die großen Zahlen der Astronomie herplappern zu hören, und welcher seine Gunst für ein wohlschmeckendes Kaninchen verschenkt, die Königsmacht sicherlich nicht in das günstigste Licht. Aber Das ist halb zufällig geschehen. Wenn das Gesetz in diesem Stücke »Popanz« heißt, der als Maus in ein Mauseloch kriechen muß und vom Kater gefressen wird, und wenn Hinze gleich darauf ausruft: »Freiheit und Gleichheit! Nun wird ja wohl der Tiers état zur Regierung kommen!«, so ist Das ein echtes Beispiel des eigentlichen romantischen Geschwätzes, vollständig bedeutungslos, Schläge ins Wasser um Nichts und wieder Nichts. – Nur in einem einzigen Stücke aus Tieck’s Jugendzeit, in »Hanswurst als Emigrant«, findet sich eine wirkliche politische Satire; denn Hanswurst ist hier kein Anderer, als der Prinz von Artois als Emigrant und armer Pracher, der in Ermangelung |310| eines Reitpferdes auf dem Rücken seines Dieners reiten muß. Aber dies Stück wurde bei Tieck’s Lebzeiten niemals gedruckt.
Man versteht daher leicht, daß Kotzebue’s Versuche, auf politischem Wege Tieck zu schaden, mißlingen mußten. Als er im Jahre 1802 Zutritt bei Hofe erlangt hatte, suchte er sich an seinem Gegner dadurch zu rächen, daß er dem König die Parade-Scene aus dem »Zerbino« mit allerlei boshaften Andeutungen vorlas. Aber der König überhörte dieselben, und das Ganze blieb ohne Folgen. Tieck ist sehr stolz und glücklich darüber, seine vollständige Unschuld beweisen zu können: das Stück sei schon 1796 unter ganz anderen Verhältnissen geschrieben, und beziehe sich lediglich auf Jugendeindrücke. Und er hat Recht, stolz zu sein, in so fern persönliche, pasquillartige Satire weit außerhalb des Horizontes der Dichtkunst liegt. Allein hievon abgesehen, macht diese Anekdote fast einen tragikomischen Eindruck. Der Himmel weiß, diese Poesie war ungefährlich. Der Himmel weiß, es war keine Ursache für irgend einen König oder irgend eine Regierung in der Welt vorhanden, sich im geringsten um ihre satirischen Ausfälle zu bekümmern. Schade nur, daß die beste satirische Poesie nicht diejenige ist, welche Alle ungeschoren läßt. Aristophanes’ Lustspiele, mit welchen man so gerne die Lustspiele Tieck’s hat vergleichen wollen, waren bedeutend minder ungefährlich und unschädlich, und solcherlei satirische Werke wie Moliere’s »Tartüffe« |311| oder Beaumarchais’ »Figaro« haben die Eigenthümlichkeit, daß sie nicht im Monde spielen, und daß sie gegen Anderes polemisiren, als gegen die schlechten Poeten und die moralisirende Poesie.
Die Romantik war denn auch weit davon entfernt, sich jeder Berührung mit der Gesellschaft und der Politik auf die Dauer zu entziehen.
Das Jahr 1806 war das kritische Jahr für Preußen und Deutschland. Das Land war ganz in der Gewalt des fremden Eroberers. Aber deshalb datiren auch alle geistigen Reformbestrebungen von diesem Jahre. Man war so tief ins Unglück hinein gerathen, daß ein energisches Emporstreben unumgänglich nöthig geworden war. Der unermüdliche und geniale Freiherr von Stein begann die Reorganisation des preußischen Staatslebens, Scharnhorst bildete das Militärwesen um, ja selbst auf die Universitätsbildung und die studirende Jugend warf man einen prüfenden Blick und berief 1808 Fichte nach Berlin. Diese Berufung war in mehrfacher Hinsicht merkwürdig. Durch dieselbe wollte man zeigen, daß ein neuer undanderer Geist von jetzt an herrschen solle. Als Fichte 1792 sein erstes Werk, »Versuch einer Kritik aller Offenbarung«, verfaßte, wagte er es nur anonym drucken zu lassen. Als er später seine Schrift »Zurückforderung der Denkfreiheit« veröffentlichte, wagte er nicht einmal die Stadt anzugeben, in welcher das Buch gedruckt worden war; es erschien in Heliopolis, ebenfalls |312| anonym. Als er endlich in Jena angestellt worden war, mußte er auf Grund einer Anklage wegen Atheismus seinen Abschied nehmen. Jetzt, wo man in der Klemme saß, sattelte man plötzlich um und wandte sich an ihn, um eine Erhebung der Jugend ins Werk zu setzen. Man weiß, daß er durch seine Reden an die deutsche Nation alle Erwartungen übertraf. Es zeigte sich, daß es keine üble Berechnung gewesen war, dem verfolgten Denker die deutsche Fahne in die Hand zu geben. Während die französischen Bajonette vor dem Fenster blinkten und die französischen Trommeln den Klang seiner Worte übertäubten, hielt er aus der Berliner Universität die berühmten Reden, welche für Deutschland Reveille schlugen und jene Bajonette in die Flucht trieben; denn von diesen Reden datirt der Umschlag in der Stimmung der Nation. In diesen Reden wurde die Fichte’sche Philosophie zu Begeisterung, zu Poesie, und was Wunder, wenn diese Poesie bald zu einer Fackel ward, an welcher sich viele andere poetische Fackeln, wie die Arndt’s, Körner’s und Schenkendorf’s, entzündeten! Der lange vorbereitete Freiheitskrieg brach also 1813 aus und endete, nach wechselnden Erfolgen, zum Entzücken der Bevölkerung damit, daß Deutschland sich ganz und voll wiedergegeben ward. Napoleon’s Macht war gebrochen. Das deutsche Volk hatte die Revolution an Demjenigen gerächt, der ihre Sache verrathen. In so fern verdient dieser Krieg mit Recht den Namen des »Frei|313|heitskrieges«. Aber bald sollte es sich selbst dem minder Einsichtsvollen zeigen, daß dieser Krieg, wie Janus, ein doppeltes Gesicht habe. Der Freiheitskrieg war die Erhebung gegen eine furchtbare Tyrannei, aber gegen eine Tyrannei, welche die Ideen der Revolution repräsentirte. Es war ein Kampf für Herd und Haus, aber auf Kommando der alten Dynastien. Man hatte die revolutionäre Tyrannei zu Gunsten des reaktionären Fürstenwesens bekämpft. Und ferner: eben die Begeisterung, mit welcher man gekämpft hatte, enthielt zwei höchst verschiedene Elemente, die wohl im ersten Augenblicke so vermischt scheinen konnten, daß man nicht darauf verfiel, sie von einander zu trennen, die aber nur allzu bald ihren durchaus entgegengesetzten Charakter verriethen. Auf der einen Seite die Erbitterung des einen Volkes gegen das andere, das Nationalvorurtheil, welches mit dem Nationalgefühle verwachsen ist, die Bewunderung für alles Deutsche, der Haß gegen alles Französische. Auf der andern Seite die Begeisterung für die Freiheit, das Verlangen nach Unabhängigkeit, der Kampf nicht nur in Deutschlands, sondern im Namen der Menschheit für diese großen, allgemein menschlichen Güter.
Schon in Fichte’s Reden läßt sich diese doppelte Richtung bemerken. Er hatte gesagt, nur ein Volk, das ein Urvolk sei und die Tiefen seines eigenen Geistes, seine eigene Sprache, d. h. sich selber verstehe, könne frei und ein Befreier der Welt sein, und – fügte er |314| hinzu – »dies Volk sind die Deutschen«. In diesen Worten schlummert der germanische Nationalhochmuth, und bald begann das Saatkorn zu wachsen. Die frische und helle, jugendliche und gesunde Freiheitsbegeisterung empfing ihren Ausdruck in Theodor Körner’s heldenmüthiger Lyrik. Es waren Schiller’sche Saiten, die hier angeschlagen wurden, und es war der lebendige Genius der neuen Zeit, welcher in ihren Klängen alle Herzen ergriff. Allein die Vaterlandsbegeisterung ward bei einer anderen Gruppe von Dichtern zur Schwärmerei für das deutsche Reich und den deutschen Kaiser, d. h. für das mittelalterliche Deutschland, und man begann die Herrlichkeit der Vorzeit zu besingen. Max von Schenkendorf sang wehmüthig von den Tagen, wo
und erinnerte sich mit schmachtender Melancholie der Zeit, wo die Raubritter von ihren Burgen Stadt und Land beherrschten. Er sang Hymnen auf die alten Domkirchen, wühlte mit heiligem Schauer in den Helden- und Rittergebeinen der Kapellen, und schrieb ein Gedicht zur Erinnerung an den tausendjährigen Geburtstag Karl’s des Großen. Neben ihm wirkte Ernst Moritz Arndt, Deutschlands Grundtvig, ein Grundtvig von freierer Gesinnung und minder theologisch gefärbt, als der unsrige. Bei ihm wurde der Frankenhaß zur fixen Idee. Während er seine männlichen und kräftigen Freiheitslieder |315| schrieb, rief er zugleich die ganze deutsche Vorzeit zu den Waffen als Reserve beim Kampfe wider das fremde Heer. Die altdeutsche Mythologie und die altdeutschen Heldenthaten, Hermann und die Gründe des Teutoburgerwaldes, Wodan und die Druiden, die heiligen Eichen und die göttliche urdeutsche Derbheit und Grobheit mit ungekämmtem Haar und zwei riesigen Fäusten um den Keulenschaft, kamen zu Ehren. Die ungehobelten Sitten sollten für die deutsche Sittlichkeit bürgen. Arndt griff die französische Sprache und die französischen Moden an, ja, er versuchte sogar, eine allgemeine deutsche Nationaltracht einzuführen. Nach seinen Ideen gab Jahn den Anstoß zur Gründung der »Burschenschaften«, der christlich-germanischen Studentenverbindungen, welche eine Zeitlang als die Träger der Freiheit erscheinen konnten, deren romantische Geistesrichtung aber jedes erfolgreiche Wirken im Dienste der Freiheit unmöglich machte. Ihr Ideal war das deutsch-römische Reich des Mittelalters mit seinem Kaiser an der Spitze. Zum Kampfe für dies Ideal bereitete man sich durch Kraftübungen des Leibes vor. Die Turnvereine ergänzten die Studentenverbindungen. Der »Turnvater« Jahn begann auf der Hasenhaide bei Berlin die deutsche Jugend in der Kraftgymnastik einzuexerciren, welche sie »frisch, fromm, fröhlich, frei« machen sollte, und Jahn trat nach Arndt’s Exempel in der Literatur mit Schriften auf, welche in einem toll affektirten Kraftstile diese Bestrebungen |316| zum Besten der deutschen Sache wider alle Angriffe vertheidigten.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis all’ diese patriotischen Ideen und Unternehmungen vom Geiste der Reaktion in Beschlag genommen wurden. Nicht die Freiheit, welche es zu erobern galt, sondern Deutschlands entschwundene Vorzeit wurde Gegenstand der Verehrung. Man begann die deutsche Geschichte mit einem Eifer wie niemals zuvor zu studiren, und mit der besonderen Neigung, das specifisch Deutsche herauszufinden. Man begann, mit den Gebrüdern Grimm an der Spitze, die deutsche Sprache historisch und grammatisch zu studiren, und man verliebte sich auf diesem Gebiete, wie auf allen anderen, krankhaft in die Vorzeit und ihre Naivetät. So glänzende Resultate diese Studien auch der Wissenschaft gebracht haben, so gewiß ist es, daß sie in Deutschland die schlimmsten Freiheitsfeinde unter ihren Pflegern erzeugten, Männer, welche überall für die Vergangenheit wider die Gegenwart Partei nahmen.
Zu der patriotischen Schwärmerei kam dann die religiöse hinzu. Der Frivolität der Franzosen hatte man die specifisch germanische Sittlichkeit gegenüber gestellt, der Freidenkerei der Franzosen stellte man das specifisch germanische Christenthum gegenüber. Da die Religion des Feindes die der Menschheit, der menschliche Geist in seiner Klarheit und Freiheit war, so wurde die Nationalreligion das Christenthum, der christliche Geist |317| in seiner Dunkelheit und seinem Zwange. Man glaubte so religiöser zu werden, während man es weniger ward. Denn – und Das ist eine stehende Wahrheit, eine Formel, welche für alle Zeiten und Länder gilt, – da wahre Religion Begeisterung für den lebendigen Geist und Gedanken der Gegenwart heißt, den die Menge noch nicht begreift, so wird Derjenige, welcher vom lebendigen Geiste der Zeit erfüllt ist, irreligiös scheinen, aber religiös sein, Derjenige dagegen, welcher von dem Geist oder Glauben einer vergangenen, abgestorbenen Zeit erfüllt ist, in hohem Grade irreligiös sein, aber religiös scheinen und genannt werden.
Die unmündigen Geister der Freiheitskriege blieben also romantisch in der Religion und Vaterlandsliebe stecken. Man irrt, wenn man glaubt, es sei Freiheitsbegeisterung gewesen, die Sand veranlaßte, Kotzebue zuermorden, es seien Moralität und Patriotismus gewesen, die dem jungen bornirten Studenten die Mordwaffe gegen den leichtfertigen Hofrath in die Hand drückten, welcher im Dienste der russischen Diplomatie den Idealen der Burschenschafter entgegen wirkte. Es befanden sich Jesuiten unter Sand’s intimsten Freunden. Man erhält einen klaren Begriff von Dem, was man damals unter Freiheit verstand, wenn man weiß, daß Männer wie Arndt und Görres damals für Freiheitshelden galten: Arndt, welcher später mit Erbitterung den von ihm so genannten Industrialismus angriff, d. h. die |318| Industrie der modernen Zeit im Gegensatze zu den alten Zünften, welcher gegen die Maschinen und den Dampf eiserte, der die Füße ihres Rechtes [zu gehen], die Tapferkeit ihrer Arbeit, Berg und Thal ihrer Bedeutung beraube, und welcher für Abschließung des Adelsstandes mit einem »goldenen Buche« sowie für Stammgüter und Majorate als die einzige Wehr gegen die Auflösung alles Festen in der Gesellschaft und gegen die Ueberschwemmung mit Proletariat und Pöbel kämpfte, – Görres ferner, welcher damals noch einige Reminiscenzen aus der Zeit bewahrt hatte, wo er »Das rothe Blatt« redigirte, aber welcher als Verfasser der »Christlichen Mystik« und mit einer so wilden Reaktion endete, daß er sogar gegen den reaktionären Pietismus in Preußen als nicht weit genug gehend auftrat, und Leo nöthigte, das Wort wider ihn zu ergreifen.
Einen ganz eigenthümlichen Ausdruck erhielt in der Poesie die aus den Freiheitskriegen entsprungene christlichgermanische Reaktion durch die Romane des Barons De la Motte Fouqué. Er hatte als Kavallerie-Officier den Freiheitskrieg mitgemacht. Fouqué ist der großen Lesewelt besonders durch seine anmuthige kleine Erzählung »Undine« bekannt, unstreitig nächst Tieck’s »Elfenmärchen«, und vielleicht mehr noch als dieses (welches bei uns durch Heiberg’s Bearbeitung in dem Lustspiele »Die Elfen« populär geworden ist), das Werk, in welchem die romantische Naturpoesie ihren schönsten und |319| reichsten Inhalt zu Tage gefördert hat. Undine ist die einzige wirklich lebensvolle und anschauliche Gestalt, welche Fouqué erschaffen hat. Die Ursache, weshalb sie ihm gelang, war vermuthlich der Umstand, daß er sich hier die Aufgabe stellte, ein Wesen zu schildern, das nur zur Hälfte Mensch, zur Hälfte aber Naturelement, Welle, Schaum, kühle Frische des Wassers und wilde Bewegung, ein Wesen, wie es heißt, ohne Seele ist; denn so lange Undine sich noch nicht dem Ritter ergeben hat, steht sie noch in magischem Bunde mit dem unruhigen, seelenlosen Meere. Sie ist es, welche den Schaum desselben gegen das Fenster spritzt, und welche es so lange steigen läßt, bis es die Halbinsel zu einer Insel macht, und der Ritter ein Gefangener in der Fischerhütte ist. Fouqué, welcher Dichter war, ohne Psycholog zu sein, fand in diesem Naturwesen, das eins der Elemente repräsentirte und deshalb selbst nur aus einem einzigen Lebenselemente bestand, einen Gegenstand für seine Phantasie, welchem dieselbe völlig gewachsen war, und nach dessen Bilde Andersen später »Die kleine Seejungfer« erschuf. Nach der Hochzeitsnacht erhält Undine eine Seele und wird jetzt in den Typus der gehorsamen, sanften und gefühlvollen deutschen Hausfrau verwandelt. Die Härte des Ritters gegen sie bringt ihr den Tod, nachdem sie erst in ihrer unendlichen Gutherzigkeit den Brunnen im Hofe mit einem ungeheuren Steine hat zudecken lassen, um ihrem Oheim, |320| dem Wassergeiste Kühleborn, den einzigen Weg zu verschließen, auf welchem er ins Schloß hinauf steigen und sie am Ritter rächen könnte. Als Dieser, trotz aller Warnungen, ihr die Treue bricht, und als seine Braut in ihrem Uebermuthe den Stein vom Brunnen abheben läßt, wird Undine vom Schicksal gezwungen, durch denselben hinauf zu schweben und ihm in einem Kusse den Tod zu bringen. Obschon dieser Stoff echt mittelalterlich, dem von Holberg so oft citirten Paracelsus entnommen war, welcher in seiner Theorie von den Elementargeistern den alten Volksglauben als Grundlage benutzt hatte, und obschon die Ausführung im Einzelnen an manchen Stellen frömmelnd und süsslich ist, hatte die Dichtung doch hier zu ihrem eigenen Besten einen frischen heidnischen Anstrich. Die Originalität Undinens liegt in ihrem heidnischen Naturell, wie dasselbe sich vor der Taufe äußert, und echt griechisch ist der Gedanke, daß nicht das Knochengeripp mit der Sense den Sterbenden holt, sondern daß der Naturgeist ihm in einem liebevollen Küsse den Tod bringt.
Aber während Fouqué Alles, was in seinem Geiste ursprünglich und genial war, in dies kleine Märchen legte, begann er zugleich unter den Eindrücken des nationalen Aufschwungs jene lange Reihe von Ritterromanen, welche 1815 mit dem »Zauberring« eingeleitet ward. Dies Buch wurde ein Evangelium für die romantische Reaktion. Der Adel und die Junker spiegelten |321| sich in all’ diesen alten Harnischen und Schilden und ergötzten ihr Auge an dem Anblick. Es war kein wirkliches Geschichtsgemälde, das hier entrollt wurde. Die Ritterzeit, welche diese Bücher schilderten, war ein durchaus phantastisches Zeitalter, in welchem edle hochgeborene Männer mit Silberhelmen mit und ohne Federbusch, oder Eisenhelmen mit vergoldeten Adlerflügeln, bald mit ausgeschlagenem, bald mit herabgelassenem Visir, in blinkende Silberharnische oder in matte, mit Gold ausgelegte Harnische gekleidet, auf feurigen, bald zierlich, bald derb gebauten Rossen von allen Racen und Farben dahin sprengten, die Lanzen gegen einander zersplitternd, aber wie Erzkolosse im Sattel festsitzend, oder zur Erde stürzend, aber sich blitzschnell erhebend und ein zweischneidiges Schlachtschwert ziehend. Die Ritter sind stolz und tapfer, die treuen Knappen gehen für ihre Herren in den Tod, die schlanken Fräulein ertheilen den Kampfpreis bei den Turnieren und lieben die Ritter »minniglich.« Alles geht nach dem Gesetzbuche der Ehre, ja nach diesem oder jenem bestimmten Paragraphen im Gesetzbuche der Ehre zu.
Alles ist konventionell. Zuerst und vor Allem der süßliche, schmachtende Stil, welcher diese hochadlige Welt verherrlichen soll. Nur Beispiele können eine Vor- stellung davon geben. Bertha sitzt an einer Aue, und ihr Bild spiegelt sich im Wasser. »Bertha erröthete so hell, daß es im Wasser aussah, als habe sich ein Stern|322|lein darin entzündet.« – »Sie sangen so schön und freudig (ein Morgenlied), daß es war, als wolle die Sonne vor dem heiter sehnenden Liede noch einmal im funkelnden Spätroth wieder aufgehen.« Verschönernde Beiwörter werden überall eingefügt: »Den beiden jungen Leuten brannte das Herz vor anmuthiger Neugier.« »Aus den Augen des alten Ritters quollen zwei große krystallhelle Tropfen hervor.« Das außerordentlichste Gewicht wird, wie bei uns in den Ingemann’schen Romanen, auf die Beschreibung der prachtvollen ritterlichen Gewänder und Schmucksachen gelegt. »Er war hübsch anzusehen in seinem Harnisch vom tiefblauesten Stahle, mit reichen güldnen Zieraten prächtig eingefaßt und überblitzt, mit seinem schwarzbraunen Haar und zierlich gestutzten Knebelbart, unter welchem der frische Mund anmuthig hervor lächelte, und zwei Reihen perlenweißer Zähne blicken ließ.« Eine adlige Dame erzählt ihr unglückliches Schicksal, und findet Zeit, Beschreibungen wie diese einzuflechten: »Ich ging betrübt in mein Gemach, ohne von den Spielen Etwas hören zu wollen, für welche mich die andern adligen Jungfrauen auf diesen Abend einluden, und wies meine Zofe mürrisch zurück, als sie mir eine schöne perlenmuttereingelegte Angelruthe mit langem Goldfaden und silbernem Angelhaken daran ins Zimmer brachte.« Sonderbar ist es, daß man in einer Welt, wo man sich in solchem Grade mit Perlmutter, Gold und Silber umgiebt, es |323| für nöthig befindet, ausdrücklich zu bemerken, daß man diese vornehmen Materialien in Händen gehabt hat. Und die Gefühle sind aus demselben Stoff: Perlmutter und Goldfäden. Kein einziger Hauch einer natürlichen, ungezwungenen Neigung, niemals eine Handlung, die aus einer ursprünglichen, unreflektirten Leidenschaft entstammt. Alle Gefühle und Leidenschaften sind, wie die Schulpferde der Rittter, einer vollständigen Dressur unterworfen. Man weiß immer vorher, wie Alles kommen wird. Die Ritter sprechen freundschaftlich mit einander, ja behandeln einander mit der erlesenen Höflichkeit, welche privilegirten Wesen eigen ist. Da läßt der Eine unversehens ein Wort fallen (über eine Dame, über ein Turnier), das es zu einer Nothwendigkeit für den Andern macht, ihn auf Leben und Tod herauszufordern. Ohne den mindesten kleinlichen Groll oder Zorn wappnen sich nun die beiden Kämpfer, schwingen sich auf ihre schnaubenden Renner, die Knappen schließen den Kreis und halten, wenn es Mitternacht ist, die Fackeln empor, man haut aus besten Kräften auf einander ein, und indem der Eine blutig zu Boden sinkt, wirft sich der Andere mit Bruderzärtlichkeit über ihn, verbindet mit ausgesuchter Feldscheerkunst seine Wunden, bietet ihm seinen Arm, und »laut tönend« schreiten sie Beide in klirrenden Rüstungen von dannen. Man erkennt sofort, daß das ganze reiche Leben der Menschenseele hier gewaltsam auf einige wenige konventionelle Elemente: |324| die Ehre, die Treue, die Liebe mit einem Kniefall in Zucht und Ehren, zurückgeführt ist.
In Verbindung hiemit steht die tiefste Verachtung für alle anderen Stände, als den privilegirten. Der Held, Ritter Otto, besucht eine Maskerade bei seinem Freunde, dem jungen Kaufmann Tebaldo; hier erscheinen einige Gaukler und führen verschiedene Scenen auf. Unter Anderm kommt ein geharnischter Kriegsmann, der sich vor Plutus, dem Gotte des Reichthums, verbeugt und folgende Verse spricht:
»Herr Plutus wollte eben eine sinnreiche Antwort geben, da fuhr Herr Ott’ von Trautwangen zürnend in die Höh’, schlug ans Schwert und rief aus: »Der Bursch dort schändet seinen Harnisch, und ich will’s ihm auf seinen Kopf beweisen, falls er das Herz hat, mir zu stehen!« Halb lächelnd, halb erschreckt blickte die Gesellschaft auf den jungen Zornigen hin, während Tebaldo mit großem Ingrimm die Gaukler aus einander jagte, ihnen die Niedrigkeit ihrer schändlichen Gesinnung vorwarf, und den Bestürzten auf immer den Eintritt in fein Haus untersagte. Dann kehrte er wieder schamroth zu Otto zurück, und bat ihn mit den erlesensten und zierlichsten Worten, er solle es nicht auf ihn schieben, daß jenes Pöbelgezücht den reichen Kaufmannsstand durch eine so empörende Vergleichung mit den |325| Waffen zu ehren sich eingebildet habe.« Ja, damit nicht genug, trifft Otto am andern Tage in der Herberge, wo er wohnt, einen Ritter Archimbald, und bekommt Lust, mit demselben den Harnisch zu tauschen. »Ich denke, unsere Harnische passen uns einander, denn wir sind alle Zwei von altem hochdeutschen Heldenwuchs«, und er erhält für seine Silberrüstung eine schwarze. Hiedurch scheint eine vollständige Verwandlung mit ihm vorzugehen, was eigentlich nicht Wunder nehmen kann, wenn man bedenkt, welche Rolle das Kostüm hier spielt. In Wirklichkeit sind diese Ritter ja Nichts anders, als ausgestopfte Rüstungen, und man erhält von ihnen denselben Eindruck, den man empfängt, wenn man im Tower von London oder im Berliner Zeughause in einen der Säle tritt, wo die leeren Ritterrüstungen auf den leeren Pferderüstungen reiten. Welche Rolle der Panzer spielt, sieht man aus einem der früheren Zweikämpfe Otto’s, in welchem Ritter Heerdegen, der einen rostigen Harnisch trägt, beständig aus seinem rostigen Eisenkorbe hervor mit rostiger Stimme schreit: »Bertha! Bertha!«, während Otto gleichsam mit silberner Stimme aus seinem Silberhelme hervor ruft: »Gabriele! Gabriele!« Wie Otto nun also in der neuen Rüstung am andern Morgen zu Tebaldo zurückkehrt, der gerade in seinem Handelsgewölbe steht und köstliche Stoffe ab- mißt, ist er noch um so viel schöner und mannhafter geworden, daß Tebaldo sich fast schämt, in seiner |326| Gegenwart zu sein. »Da schlug Herr Ott’ von Trautwangen das Visir in die Höhe, und Tebaldo rief, einen Schritt im halben Schrecken zurück tretend: »O Gott, wie seid Ihr so viel herrlicher noch, als Ihr gestern waret! Und muß ich nun eben jetzt vor Euch stehn, mit der Elle in der Hand?« Dabei schlug er das zierliche Kaufmannsgeräth gegen einen Pfeiler, daß es in viele Stücke zersprang. Dieweil es nun aus Elerbein und Gold zusammengesetzt war, meinten alle Diener, Das könne nur wider Willen geschehen sein« Sie suchen daher ihren Herrn-zu trösten, aber er hört nicht auf sie, sondern bittet nur, alle Kaufmannsgeschäfte ausgeben und Otto als Knappe folgen zu dürfen. Sollte man diese Gesinnungen nicht heut zu Tage immer noch in dem Betragen manches preußischen Kavallerie-Officiers gegen einen Kaufmann wiederfinden können?
In Wahrheit ist Dies eine Poesie für Kavallerie-Officiere. Das Einzige, was Fouqué in diesem Buche psychologisch zu bewältigen gelingt, sind die Pferde, und zwar aus derselben Ursache, aus welcher es ihm gelang, undine lebendig zu machen, weil die Psychologie sich hier mit dem Elementaren begnügen kann. Man entsinnt sich, welche Rolle auch bei uns in den Ingemann’schen Romanen die milchweißen Turnierhengste und die schwarzen, stahlgepanzerten Streitrosse spielen. Wenn Drost Peter Hessel in einem marderfellverbrämten Schar|327|lachmantel und mit einem weißen Federbusch am Hute auf einem hohen stahlgrauen Hengste mitten auf der Landstraße hält, und zur Seite des Ritters sein kleiner braunwangiger Knappe Klaus Skirmen mit einem flinken, unruhigen, kleinen norwegischen Klepper an der Hand steht, dann liegt auch hier die ganze Charakteristik, deren der Dichter fähig ist, in dem hohen stahlgrauen Hengste und dem kleinen, flinken norwegischen Klepper; es sind die leibhaften Konterfeis des Drostes und seines Knappen. So auch hier: Folko’s Hengst wird als ein schlankgehalftes, leichtfüßiges Pferd von silbergrauer Farbe geschildert. »So wie es in Gabriele’s Nähe kam, beugte es auf seines Reiters Wink die Vorderfüße, fuhr dann gewaltigen Sprunges wieder in die Höh’, und mit so schlanken Sätzen, daß es fast zu fliegen schien und die goldenen Schellen an Sattel und Hauptgestell anmuthig ertönten, wieder an seinen Platz zurück. Da stand es gehorsam still, ein geschmücktes Bild, und drehte dann den feinen, gelenken Kopf unter den reichen Decken wie schmeichelnd und fragend, ob es Alles recht gemacht habe, nach seinem Ritter zurück.« – Galanterie, Ehrgefühl, Treue! was hätten die Ritter mehr? – »Wunderlich stach es dagegen ab, wie Archimbald’s Rappe, von weißem Schaume getigert, die silbernen Kettenzügel, an welchen ihn zwei Reisige mit angestrengten Kräften festhielten, steigend und hauend zu sprengen drohte . . . Die Augen des Rappen flammten so lodernd, daß sie sich wohl mit den Fackelbränden |328| messen konnten, und mit dem rechten Vorderfusse hieb er so gewaltig in die Erde, als höhle er dem Feinde seines starken Reiters ein Grab.« Kühner Muth, brennende Kampflust, unbändige Kraft! – was hätten die Ritter mehr?
Ritter Otto erhält von seinem Vater ein Roß. »Der Jüngling eilte hinab und sah, wie unten eine Menge von reisigen Leuten bereit stand, und ein lichtbraunes Pferd an goldenen Zügeln auf ihn wartete. »Nun macht Euch nur sogleich auf das Roß,« sagte der Vater zu ihm, »und versucht, wie ein so edles Thier sich drin findet, Euer eigen zu sein.« Und der junge Ritter Otto von Trautwangen sprengte den Hengst mit gewaltiger Uebermacht bald hin, bald her, daß die Knappen davor erstaunten und der Meinung waren, es müsse dieser edle Gaul seinen rechten Reiter wohl anerkennen, und Dessen Gewalt über ihn von sonderbarer, ganz unerhörter Bedeutung sein . . . Und vom Rosse flog der Ritter mit klirrendem Schwunge und lief in seines Vaters Umarmung. Der Streithengst aber schnob die Knappen wild an, die ihm nach den Zügeln griffen, und hieb auf sie ein, bis er sich Bahn machte und seinem jungen Herrn nachtrabte, bei dem er alsdann stehen blieb und, während Dieser seinen alten Vater herzte, den Kopf liebkosend auf seine Schulter legte.« – Unbezwinglichkeit, bis der Vorbestimmte erscheint, dessen Macht über das Herz auch als »von sonderbarer, |329| ganz unerhörter Bedeutung« empfunden wird, und von dem Augenblick an ewige Ergebung und die zärtlichsten Liebkosungen! – was anders und mehr wäre wohl bei dem jungen, schnippischen Ritterfräulein in dem Augenblicke zu gewahren, wo der rechte Ritter auf der Thürschwelle erscheint? – Der Seekönig Arinbjörn ist schuld daran gewesen, daß Otto im entscheidenden Augenblicke durch Zauberei seine Geliebte und den Zauberring verlor. Er reitet aus ödem Wege dahin. Da kommt ein wildes, braunes Roß herangetrabt, das einen erbitterten Kampf mit dem Pferde des Seekönigs beginnt und es zu Boden reißt, »noch ehe sich der Reiter davon losmachen konnte, so daß Alles über einen Haufen lag, und der wüthende Hengst schonungslos darüber hinhieb«. So klug, so ergeben ist dieser Gaul. Ist es daher so verwunderlich, wenn Otto die sonst fast unglaublichen Worte über denselben spricht: »Daß dieser Gaul so lichtbraun aussieht, macht ihn mir ganz besonders lieb. Lichtbraun ist für mich eine recht englisch holde Farbe; meine selige Mutter hatte so große lichtbraune Augen, und weil der Himmel da herausblickte, kommt mir die ganze Farbe wie ein leuchtender Gruß des Himmels vor.«
So kulminirt also im Ritterromane die Adelspsychologie oder die Pferdepsychologie, was hier so ziemlich auf Dasselbe hinauskommt. Im »Zauberring« halten sich, wie Gottschall witzig bemerkt, die Nuancen der Charakteristik von Rittern aus allen Enden der Welt an die Urtypen |330| der Menschheit und an die Schattirungen der Sonne; man kann allenfalls einen Mohren von einem Finnen unterscheiden. Und diesem Buche folgt eine Menge anderer Romane von gleicher Art, worunter »Die Fahrten Thiodolf’s des Isländers« der bekannteste sind, wie ihm Fouque’s Hauptwerk, die große Trilogie »Der Held des Nordens«, vorangeht, welche in die drei Theile: »Sigurd der Schlangentödter«, »Sigurd’s Rache« und »Aslauga« zerfällt. Heine sagt über diese dramatisirte Bearbeitung der Völfungasage: »»Sigurd der Schlangentödter« ist ein kühnes Werk, worin die altskandinavische Heldensage mit ihrem Riesen- und Zauberwesen sich abspiegelt. Die Hauptperson des Dramas, der Sigurd, ist eine ungeheure Gestalt. Er ist stark wie die Felsen von Norweg und ungestüm wie das Meer, das sie umrauscht. Er hat so viel Muth wie hundert Löwen und so viel Verstand wie zwei Esel.« Letzteres mag in der That das Emblem all’ dieser Heldengestalten der romantisch-ritterlichen Phantasie sein.
In Dänemark wird die Ritterromantik unter Friedrich VI. royalistisch und national – wir erinnern nur an die Worte: »Dannerdrot, Dannerhof, Dannevang, Dannerdrost, Dannemand, Dannekvinde.« In Deutschland wird sie nach dem Freiheitskriege junkerlich und national. »Der Fremde,« heißt es im »Zauberring«, »hatte sich weit in der Welt umgesehn, war aber doch ein treuer, frommer Deutscher geblieben, oder vielmehr |331| war es erst im Auslande geworden; denn die Entfernung hatte ihm gezeigt, wie herrlich das alte Deutschland sei.« In beiden Ländern ist die politische Tendenz der Romantik dieselbe.
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