Mancher ist wohl einmal in ein Bergwerk hinab gestiegen, in einen unterirdischen Schacht, in welchen er sich von einem Manne mit einer Fackel hinab winden ließ, um dann beim unsichern Scheine der Fackel sich in der Grube umzusehen. Zu einer ähnlichen Fahrt möchte ich den Leser einladen, wenn er sich meiner Führung und meiner Fackel anvertrauen will. Der Schacht, in den wir hinab steigen wollen, ist das deutsche Gemüth, eine Grube so tief und dunkel, so eigenthümlich wie kaum eine andere. Ich möchte meinen Landsleuten schildern, welchen Charakter dies Gemüth zur Zeit der Romantiker erhält, ich möchte ihnen zeigen, welche Form und Beschaffenheit es bei demjenigen der Romantiker annimmt, welcher vor allen der Dichter des Gemüthes ist, – bei Novalis.
Was der Deutsche unter Gemüth versteht, läßt sich in keiner anderen Sprache direkt wiedergeben. Das Gemüth ist die Domaine des Deutschen. Es ist der innere Herd, der innere Schmelztiegel. In den berühmten Worten in »Wanderers Sturmlied«:
in diesen Worten hat Goethe das Gemüth und dessen Bedeutung für das Leben des Dichters geschildert. Bei Dem, welcher »Gemüth« besitzt, nimmt Alles die Richtung nach innen, das Gemüth ist die Centripetalkraft des Geisteslebens. Innigkeit wird ein Adelsbrief für Den, welcher das Gemüth für das Höchste im Menschenleben hält. Wie die Romantiker bei Allem ins Extrem gehen, so auch in der Auffassung des Gemüthes. Alles, was im Gemüthe brütend und geheimnisvoll, dunkel und unaufgeklärt ist, zerren sie auf Kosten des einfach Seelenvollen hervor. Goethe ist ihnen der Dichter vor allen, nicht wegen seiner plastischen Kraft, sondern wegen des Stimmungsvollen, Dämonisch-Mystischen, das Gestalten wie den Harfenspieler und Mignon umschwebt, wegen der fruchtbaren Stimmungsinnigkeit seiner kleinen Gedichte. Lessing und Schiller sind dagegen keine Dichter und werden mit Spott und bissiger Kritik verfolgt, weil diese hellen Köpfe mit scharfer Energie eine nach außen gewandte Richtung verfolgen. Denn Begeisterung, Seelenstärke und derlei Eigenschaften sind nicht Gemüth. Das Gemüth bleibt zu Hause, wenn die Begeistrung das Schwert zückt und auf ihre Fahrten hinaus zieht. Der größte Dichter ist der, welcher das reichste Gemüth hat.
|231| Die Veränderung, welche jetzt bei den Romantikern mit dem Gemüthe vorgeht, ist die, daß die Goethe’sche Seelenwärme zur Hitze wird, den Koch- oder Siedepunkt erreicht, und in ihrer Gluth alle festen Formen, Gestalten und Gedanken verzehrt. Der Dichter setzt seine Ehre in das heißeste, das leidenschaftlichste Gefühl, von welchem er innerlich entbrannt ist. Novalis setzt immer sein ganzes Wesen ein. Das tiefste, das rücksichtsloseste Gefühl ist sein Princip.
Novalis war siebzehn Jahre alt, als die französische Revolution ausbrach. Sollte man kurz die Idee dieser großen Bewegung bezeichnen, so ist es die, alles nur Traditionelle umzustürzen, und durch einen Bruch mit allem Geschichtlichen das ganze Menschendasein auf der reinen Vernunft zu begründen. Die Denker und Helden der Revolution lassen, so zu sagen, die ganze äußere Welt in der Vernunft untergehen, um sie sich aus der Vernunft wieder erheben zu lassen. Obwohl Novalis taub für jeden politischen und socialen Ruf der Zeit, obwohl er blind ist für alle Fortschrittsbewegungen des Zeitalters, obwohl er in der unheimlichsten und widerwärtigsten Reaktion endigt, ist er dennoch von seiner Zeit ergriffen, ist, ohne es zu wissen, durch und durch von ihrem Geiste bestimmt. Zwischen ihm, dem stillen, einwärtsgekehrten, kurfürstlich-loyalen Assessor und jenen armen Barsüßlern, welche, die Marseillaise singend und die Trikolore schwingend, von Paris an die Grenze |232| eilten, ist die Grundähnlichkeit vorhanden, daß sowohl er wie sie die ganze äußere Welt in einer inneren Welt zu Grunde gehn lassen wollten. Nur ist diese innere Welt für sie die Vernunft, für ihn das Gemüth, – für sie die Vernunft mit ihren Forderungen und Formeln: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, für ihn das Gemüth mit seiner nächtlich dunkeln, wunderbaren Welt, in welcher er Alles schmelzt, um auf dem Boden des Kessels als Niederschlag, als das Gold des Gemüthes: Nacht, Krankheit, Mystik und Wollust zu finden.*)*
So gehört er seiner Zeit an, selbst bei der leidenschaftlichsten Polemik gegen seine Zeit und ihre Ideen. So steht er in polarstem Gegensatze zu allen hellen und schönen Ideen der Zeit, von deren Geist er wider seinen Willen besessen ist.
Was bei Fichte und bei den Revolutionsmännern das klare, Alles beherrschende und Alles umfassende Selbstbewußtsein ist, Das ist bei ihm das Alles verschlingende Selbstgefühl, das sich zur Wollust steigert; denn die neue Zeit geht ihm so zu Herzen, daß sie wie in alle seine Nerven verwachsen ist, und er sie mit wollüstiger Spannung empfindet. Was bei ihnen die abstrakte, Alles von vorn beginnende Freiheit ist, Das ist bei ihm die willkürliche, Alles verflüchtigende Phantastik, welche die Natur und die Geschichte in |233| Symbole und Mythen auslöst, um mit allem von außen Gegebenen frei umspringen und frei in der Selbstempfindung schwelgen zu können. »Gleich stark,« sagt Arnold Ruge, »treten bei Novalis die Mystik, diese theoretische Wollust, und die Wollust, diese praktische Mystik, hervor.«
Tieck sprach mit Begeisterung von der Musik, die uns das Gefühl selber fühlen lehre. Novalis liefert den Kommentar zu diesen Worten. Er, dessen Princip das rücksichtslose Gefühl ist, will sich selbst fühlen, und macht kein Hehl daraus, daß er diesen Selbstgenuß sucht. Deshalb ist die Krankheit ihm lieber, als die Gesundheit. Denn der Kranke fühlt beständig seinen eigenen Körper, während der Gesunde nicht auf denselben achtet. Pascal und nach ihm Kierkegaard haben sich damit begnügt, die Krankheit als den natürlichen Zustand des Christen zu bezeichnen, Novalis geht viel weiter. Die Krankheit ist ihm das höchste, das einzig wahre Leben: »Leben ist eine Krankheit des Geistes.« Weshalb? Weil der Weltgeist nur in lebenden Individuen sich selbst fühlt und empfindet. Und wie Novalis die Krankheit preist, so preist er die Wollust. Weshalb? Weil die Wollust Nichts anders ist, als ein exaltirtes, krankhaftes Selbstgefühl und ein unentschiedener Kampf zwischen Lust und Schmerz. »In dem Augenblicke,« sagt er, »in welchem der Mensch die Krankheit oder den Schmerz zu lieben anfinge, läge vielleicht die reizendste Wollust in seinen Armen, die |234| höchste positive Lust durchdränge ihn. . . . Fängt nicht überall das Beste mit Krankheit an? Halbe Krankheit ist Uebel. Ganze Krankheit ist Lust, und zwar höhere.« So spricht Novalis auch von einer mystischen Kraft, »welche die Kraft der Lust und Unlust zu sein scheint, deren begeisternde Wirkungen wir so ausgezeichnet in den wollüstigen Empfindungen zu bemerken glauben.«
Diesem wollüstigen Krankheitsgefühl bei Novalis entspricht im Pietismus das Sündenbewusstsein, die geistige Krankheit, die zugleich eine Wollust ist. Von diesem Zusammenhange hat Novalis das klarste Bewußtsein. Er sagt: »Die christliche Religion ist die eigentliche Religion der Wollust. Die Sünde ist der größte Reiz für die Liebe der Gottheit; je sündiger der Mensch sich fühlt, desto christlicher ist er. Unbedingte Vereinigung mit der Gottheit ist der Zweck der Sünde und der Liebe.« Und an einer anderen Stelle: »Es ist wunderbar genug, daß nicht längst die Association von Wollust, Religion und Grausamkeit die Menschen aufmerksam auf ihre innige Verwandtschaft und gemeinschaftliche Tendenz gemacht hat.«
Und wie Novalis die Krankheit der Gesundheit vorzieht, so zieht er bei Weitem die Nacht dem Tage mit seinem »frechen Lichte« vor.
Der Haß gegen den Tag und das Tageslicht findet sich durchgehends bei den Romantikern. Ich deutete schon bei »William Lovell« darauf hin. Novalis geht nur noch |235| weiter auf diesem Wege in seinen berühmten »Hymnen an die Nacht.« Daß er die Nacht liebt, ist leicht zu verstehen. Da die Nacht dem Ich die umgebende Welt verbirgt, treibt sie das Ich gleichsam in sich selbst hinein. Das Selbstgefühl und das Nachtgefühl sind daher Eins und Dasselbe. Und die Wollust des Nachtgefühls ist die Stimmung des Grauens: zuerst eine Angstempfindung, weil es dem Menschen im Dunkeln zu Muthe ist, als verlöre er sich selbst, da Alles um ihn her verschwindet, dann ein krankhaftbehagliches Schaudern, weil das Selbstgefühl aus dieser Angst stärker empor taucht.*)*
In einem seiner Fragmente nennt Novalis den Tod eine Brautnacht, ein Geheimnis süßer Mysterien, und fügt das Distichon hinzu:
Leben und Tod sind für Novalis nur »relative Begriffe«. Die Todten sind halbwegs lebend, die Lebenden halbwegs todt. Erst durch diese Anschauung erhält das Dasein für ihn seine rechte Würze. Es heißt in der ersten Hymne an die Nacht: »Abwärts wend’ ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt die Welt, in eine tiefe Gruft versenkt: wüst und einsam ist ihre Stelle. In den Saiten der Brust weht tiefe Wehmuth . . . Hast auch du ein Gefallen an uns, dunkle Nacht? . . . Köstlicher Balsam träuft aus deiner Hand, aus dem Bündel Mohn. Die schweren Flügel des Gemüths hebst du empor. . . . Wie arm und kindisch dünkt mir das Licht nun! wie erfreulich und gesegnet des Tages Abschied! . . . Himmlischer, als jene blitzenden Sterne, dünken uns die unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet. Weiter sehen sie, als die bläsfesten jener zahllosen Heere; unbedürftig des Lichts durchschauen sie die Tiefen eines liebenden Gemüthes, was einen höhern Raum mit unsäglicher Wollust füllt. Preis der Weltkönigin, der hohen Verkündigerin heiliger Welten, der Pflegerin seliger Liebe! Sie sendet mir dich, zarte Geliebte, liebliche Sonne der Nacht. Nun wach’ ich, denn ich bin |237| Dein und kein: du hast die Nacht mir zum Leben verkündet, mich zum Menschen gemacht. Zehre mit Geistergluth meinen Leib, daß ich lustig mit dir inniger mich vermische, und dann ewig die Brautnacht währe.« Man fühlt das Verlangen des von Schwindsucht Verzehrten in diesem hektischen Ergusse. So heißt es auch in der »Lucinde«: »O ewige Sehnsucht! Doch endlich wird des Tages fruchtloses Sehnen, eitles Blenden sinken und erlöschen, und eine große Liebesnacht sich ewig ruhig fühlen.« In dem Gedanken an eine nicht momentane, sondern ewige Umarmung begegnen sich die beiden romantischen Nachtschwärmer.
In dieser Begeisterung für die Nacht liegt der Keim zur religiösen Mystik. Wie früher bei Jung Stilling, schlägt später bei Justinus Kerner die Mystik in Aberglauben und Gespensterspuk um. In einzelnen Schriften der späteren Romantiker, wie z. B. in Achim von Arnim’s »Die schöne Isabella von Aegypten«, sind die Hälfte der auftretenden Personen Gespenster. Clemens Brentano, das enfant perdu der romantischen Schule, in seiner Jugend ein unverbesserlicher Flunkerer, dessen größtes Vergnügen es war, die Damen durch Berichte von seinen völlig erdichteten Leiden zu Thränen zu rühren,*)*
trat in seinem reiferen Alter zum Katholicismus über und verbrachte sechs Jahre seines Lebens mit |238| der anbetenden Bewunderung der Nonne Katharina Emmerich, welche persönlich alle Qualen des Heilands erlebte, gleich den Heiligen des Mittelalters das Mirakel der Stigmatisation erfuhr, und die Merkmale aller Wunden des Erlösers an ihrem Körper zur Schau trug. Brentano verfaßte mit unermüdlichem Fleiß die ausführliche Darstellung ihrer Legende.Die Mystik bezeichnet Novalis selbst als »ein wollüstiges Wesen«. Um diesen Ausdruck recht zu verstehen, muß man seine Hymnen studiren: »Unverbrennlich steht das Kreuz, eine Siegesfahne unseres Geschlechts.
Noch deutlicher tritt die Ekstase, die ekstatische Leidenschaft des sinnlichen Ichs, in jener Abendmahls-Hymne hervor, welche sich als Nr. VII unter den »Geistlichen Liedern« findet:
Hier haben wir ein glänzendes Exempel vom Wesen und Charakter der Mystik. Sie behält alle religiösen Formen, aber sie fühlt durch und durch ihren Inhalt; sie redet dieselbe Sprache wie die Orthodoxie und übersetzt für sich selbst diese todte Sprache, vertauscht sie mit einer lebendigen. Hierin liegt es, daß sie im Mittelalter ihre große Bedeutung gegenüber der steifen, äußerlichen Scholastik hatte, welche sie in ihrer Gluth verzehrte. Und so wurde sie die Vorläuferin der Reformation. Der Mystiker bedarf keines äußerlichen Dogmas; in seiner frommen Verzückung ist er seineigener Priester. Aber da alle Tendenzen seiner Seele nach einwärts gehen, vernichtet er eben so wenig irgend ein äußerliches Dogma, und endet damit, die Priesterwürde bei Anderen anzubeten.
In mystisch-prophetischen Worten verkündigt Novalis das neue Reich der heiligen Finsternis:
Noch kräftiger sind die Gedanken: Nacht – Tod – Wollust – Seligkeit in einander gewebt in dem Gedichte, das sich in dem Romane von Novalis über dem Kirchhofe des Klostergartens findet. Die Todten sagen:
Dieser Mysticismus, welcher die Todten als Diejenigen preist, welche in allen Freuden der Sinnlichkeit schwelgen, ist im Leben nothwendigerweise Quietismus, d. h. Verherrlichung des rein vegetirenden, pflanzenartigen Lebens, ganz wie es in der »Lucinde« gefeiert wird.
»Die Gewächse,« sagt Novalis, »sind die unmittelbarste Sprache des Bodens; jedes neue Blatt, jede sonderbare Blume ist irgend ein Geheimnis, das sich hervordrängt, und das, weil es sich vor Liebe und Lust nicht bewegen und nicht zu Worten kommen kann, eine stumme, ruhige Pflanze wird. Findet man in der Ein- samkeit solche Blume, ist es da nicht, als wäre Alles |243| umher verklärt, und hielten sich die kleinen besiederten Töne am liebsten in ihrer Nähe aus? Man möchte vor Freuden weinen, und abgesondert von der Welt nur seine Hände und Füße in die Erde stecken, um Wurzeln zu treiben, und nie diese glückliche Nachbarschaft zu verlassen.«
Welche Gesühlsschwelgerei! welche aberwitzige, an Ulysses von Ithacia erinnernde Situation!
»Blumen,« heißt es an einer andern Stelle des »Ofterdingen«, »sind die Ebenbilder der Kinder. . . . So ist die Kindheit in der Tiefe zunächst der Erde, da hingegen die Wolken vielleicht die Erscheinungen der zweiten, höheren Kindheit, des wiedergefundenen Paradieses sind, und daher so wohlthätig auf die erstere herunter thauen.« Sogar von der Kindlichkeit der Wolken ist im romantischen Jargon die Rede. Die Naivität steigt in die Lüfte und ruht nicht, bis sie auch die Wolken annektirt hat. O Polonius! – Diese naiven Wolken sind das echte und eigentliche Symbol der Romantik.
Doch in den Pflanzen und ihren Gegenbildern, den Wolken, ist für das romantische Gemüth noch zu viel Streben, Absicht und Unruhe. Selbst ein Vegetiren ist doch immer nicht das reine Brüten, nicht die reine Ruhe, sondern enthält eine Richtung nach aufwärts in dem Streben der Pflanze nach Licht. Daher ist das Pflanzenleben auch nicht das höchste. Novalis geht noch einen Schritt weiter, als Friedrich Schlegel:
|244| »Das höchste Leben ist Mathematik. Ohne Enthusiasmus keine Mathematik. Reine Mathematik ist Religion. Zur Mathematik gelangt man nur durch eine Theophanie. Der Mathematiker weiß Alles. Alle Thätigkeit hört auf, wenn das Wissen eintritt. Der Zustand des Wissens ist Eudämonie, selige Ruhe der Beschauung, himmlischer Quietismus.«
Hier stehen wir auf dem Gipfel. Alles Leben ist krystallisirt in den todten Formen der Mathematik.
Auf diesem Punkte ist das reine Gemüthsleben so stark koncentrirt, daß es stille steht. Es ist, als hätte die Uhr der Seele aufgehört zu schlagen. Jedes edle Streben, jede freisinnige Richtung nach außen ist zurück gedrängt, erstickt im dumpfen Keller des Gemüthes.
Auf diesem Punkte schlägt daher die Innerlichkeit des Gemüthes in die krasseste Aeußerlichkeit um. Da alle Kraft, neue Formen zu erzeugen, verschmäht und ertödtet ist, so sind wir an den Wendepunkt gelangt, wo alle festen äußeren Formen nur als solche anerkannt werden, und um so mehr, je fester sie sind, je mehr sie sich jener krystallartigen Versteinerung nähern, je bestimmter sie jeder Tendenz die Zwangsjacke anlegen, je gewisser es ist, daß sie nur für das rein vegetirende Leben Raum lassen. Novalis thut diesen Schritt in dem merkwürdigen Aufsatze »Die Christenheit oder Europa«, welchen er 1799 schrieb, und welchen Tieck durch Ausmerzung desselben aus den meisten Ausgaben von Novalis’ Schriften |245| (er findet sich nur in der vierten) vergebens in Vergessenheit zu bringen suchte. Dort heißt es: »Es waren schöne, glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen Welttheil bewohnte. . . Mit Recht widersetzte sich das weise Oberhaupt der Kirche frechen Ausbildungen menschlicher Anlagen auf Kosten des heiligen Sinns, und unzeitigen gefährlichen Entdeckungen im Gebiete des Wissens. So wehrte er den kühnen Denkern, öffentlich zu behaupten, daß die Erde ein unbedeutender Wandelstern sei; denn er wußte wohl, daß die Menschen mit der Achtung für ihren Wohnsitz und ihr irdisches Vaterland auch die Achtung vor der himmlischen Heimat und ihrem Geschlecht verlieren, und das eingeschränkte Wissen dem unendlichen Glauben vorziehen und sich gewöhnen würden, alles Große und Wunderwürdige zu verachten und als todte Gesetzwirlung zu betrachten.«
Man frage sich nicht, ob man hier den Küster aus Erasmus Montanus« oder Novalis reden hört. Man fasse die Konsequenz des Dichters. Die Poesie, welche Schiller nach Hellas führte, führt Novalis zur Inquisition und veranlaßt ihn, wie nach ihm Joseph de Maistre, ihre Partei wider Galilei zu ergreifen.
Von dem Protestantismus sagt er: »Diese große innere Spaltung, die zerstörende Kriege begleiteten, war ein merkwürdiges Zeichen der Schädlichkeit der Kultur, – wenigstens einer temporellen Schädlichkeit der Kultur einer gewissen Stufe. . . . Die Insurgenten trennten |246| das Untrennbare, theilten die untheilbare Kirche und rissen sich frevelnd aus dem allgemeinen christlichen Verein, durch welchen und in welchem allein die echte dauernde Wiedergeburt möglich war . . . Der Religionsfriede ward nach ganz fehlerhaften und religionswidrigen Grundsätzen abgeschlossen und durch die Fortsetzung des sogenannten Protestantismus etwas durchaus Widersprechendes: eine Revolutions-Regierung, permanent erklärt . . . Luther behandelte das Christenthum überhaupt willkürlich, verkannte seinen Geist und führte einen andern Buchstaben und eine andere Religion ein, nämlich die heilige Allgemeingültigkeit der Bibel, und damit wurde leider eine andere, höchst fremde, irdische Wissenschaft in die Religionsangelegenheit gemischt, – die Philologie, – deren auszehrender Einfluß von da an unverkennbar wird . . . Jetzt wurde die absolute Popularität der Bibel behauptet und nun drückte der dürftige Inhalt, der rohe abstrakte Entwurf der Religion in diesen Büchern desto merklicher, und erschwerte dem heiligen Geiste die freie Belebung, Eindringung und Offenbarung unendlich . . . Mit der Reformation war’s um die Christenheit gethan . . . Zum Glück für die alte Verfassung that sich jetzt ein neu erstandener Orden hervor, auf welchen der sterbende Geist der Hierarchie seine letzten Gaben ausgegossen zu haben schien, der mit neuer Kraft das Alte zurüstete und mit wunderbarer Einsicht und Beharrlichkeit, klüger, als je vorher |247| geschehen, sich des päpstlichen Reichs und seiner mächtigern Regeneration annahm. Noch war keine solche Gesellschaft in der Weltgeschichte anzutreffen gewesen. . . Die Jesuiten wußten wohl, wie Viel Luther seinen demagogischen Künsten, seinem Studium des gemeinen Volks zu verdanken gehabt hatte . . . Die Reformation gab den guten Köpfen ein täuschendes Gefühl ihres Berufes. Aus Instinkt ist der Gelehrte Feind der Geistlichkeit nach alter Verfassung; der gelehrte und der geistliche Stand müssen Vertilgungskriege führen, wenn sie getrennt sind; denn sie streiten um Eine Stelle . . . Das Resultat der modernen Denkungsart nannte man Philosophie und rechnete Alles dazu, was dem Alten entgegen war, vorzüglich also jeden Einfall gegen die Religion. Der anfängliche Personalhaß gegen den katholischen Glauben ging allmählich in Haß gegen die Bibel, gegen den christlichen Glauben und endlich gar gegen die Religion über.«
Man sieht, mit welcher Klarheit Novalis das freie Denken als Konsequenz des Protestantismus erkannte.
»Noch mehr – der Religionshaß dehnte sich sehr natürlich und folgerecht auf alle Gegenstände des Enthusiasmus aus, verketzerte Phantasie und Gefühl, Sittlichkeit und Kunstliebe, Zukunft und Vorzeit, setzte den Menschen in der Reihe der Naturwesen mit Noth obenan, und machte die unendliche schöpferische Musik des Weltalls zum einförmigenKlappern einer ungeheuren Mühle, die, vom Strom des Zufalls getrieben und auf ihm |248| schwimmend, eine Mühle an sich, ohne Baumeister und Müller und eigentlich ein echtes perpetuum mobile, eine sich selbst mahlende Mühle sei. – Ein Enthusiasmus ward großmüthig dem armen Menschengeschlechte übrig gelassen, der Enthusiasmus für diese herrliche, großartige Philosophie. Frankreich war so glücklich, der Schooß und der Sitz dieses neuen Glaubens zu werden, der aus lauter Wissen zusammen geklebtwar . . . Das Licht war wegen seines mathematischen Gehorsams und seiner Frechheit der Liebling dieser Menschen geworden. . .
Höchst merkwürdig ist die Geschichte des modernen Unglaubens, und der Schlüssel zu allen ungeheuren Phänomenen der neuern Zeit. Erst in diesem Jahrhundert und besonders in seiner letzten Hälfte beginnt sie, und wächst in kurzer Zeit zu einer unübersehlichen Größe und Mannigfaltigkeit; eine zweite Reformation, eine umfassendere und eigenthümlichere, war unvermeidlich, und mußte das Land zuerst treffen, das am meisten modernisirt war, und am längsten aus Mangel an Freiheit in asthenischem Zustande gelegen hatte . . . Wahrhafte Anarchie ist das Zeugungselement der Religion. Aus der Vernichtung alles Positiven hebt sie ihr glorreiches Haupt als neue Weltstifterin empor. . . Kommt der Staatsumwälzer dem echten Beobachter nicht wie ein Sisyphus vor? Jetzt hat er die Spitze des Gleichgewichts erreicht, und schon rollt die mächtige Last auf der anderen Seite wieder herunter. Sie wird nie oben bleiben, wenn nicht eine Anziehung |249| gegen den Himmel sie auf der Höhe schwebend erhält. Alle eure Stützen sind zu schwach, wenn euer Staat die Tendenz nach der Erde behält.«
Mit Begeisterung prophezeit er dann von der neuen Zeit des Gemüthes, welche kommen soll:
»In Deutschland kann man schon mit voller Gewißheit die Spuren einer neuen Welt aufzeigen. . . Eine Vielseitigkeit ohne Gleichen, eine wunderbare Tiefe, eine glänzende Politur, vielumfassende Kenntnisse und eine reiche, kräftige Phantasie findet man hie und da, und oft kühn gepaart. Eine gewaltige Ahndung der schöpferischen Willkür, der Grenzenlosigkeit, der unendlichen Mannigfaltigkeit, der heiligen Eigenthümlichkeit und der Allfähigkeit der innern Menschheit scheint überall rege zu werden . . . Noch sind Alles nur Andeutungen, unzusammenhangend und roh, aber sie verrathen dem historischen Auge eine universelle Individualität, eine neue Geschichte, eine neue Menschheit, die süßeste Umarmung einer jungen überraschten Kirche und eines liebenden Gottes, und das innige Empfängnis eines neuen Messias in ihren tausend Gliedern zugleich. Wer fühlt sich nicht mit süßer Scham guter Hoffnung? Das Neugeborne wird das Abbild seines Vaters, eine neue goldne Zeit mit dunkeln unendlichen Augen, eine prophetische, wunderthätige und wundenheilende, tröstende und ewiges Leben entzündende Zeit sein – eine große Versöhnungszeit, ein Heiland, der wie ein echter Genius, unter |250| den Menschen einheimisch, nur geglaubt, nicht gesehen werden, und, unter zahllosen Gestalten den Gläubigen sichtbar, als Brot und Wein verzehrt, als Geliebte umarmt, als Luft geathmet, als Wort und Gesang vernommen, und mit himmlischer Wollust, als Tod, unter den höchsten Schmerzen der Liebe in das Innre des verbrausenden Leibes ausgenommen wird.«
Ist es, während ich ihn so lange von all’ dieser Wollust, Seligkeit, Religion, Nacht und Tod unterhalten habe, von dieser Finsternis, die bald herein brechen und den hellsten Sonnenschein verdunkeln werde, dem Leser nicht wie mir ergangen, daß es in seinem Innern Lust! Licht! geschrieen hat? Ja, ist es nicht, als müßte man ersticken? Gleicht dies Gemüth nicht einer unterirdischen Bergwerksgrube? Wir kennen Novalis’ Sympathie für das Bergmannsleben, in welchem rothe, qualmende Lampen das Licht des Tages ersetzen sollen. Und was kam bei Alledem heraus, welche Frucht entsprang aus jenen Umarmungen eines liebenden Gottes und einer jungen überraschten Kirche? Was anders, als eine neugeborene, eine wiedergeborene Reaktion, die in Frankreich den Katholicismus und nach Napoleon’s Sturze, die Bontbonen wieder einsetzt, und die in Deutschland zu jener abscheulichen Tyrannei führt, welche dem Pietismus denselben Einfluß verlieh, den der Katholicismus in Frankreich hatte, die besten Schriftsteller in die Verbannung trieb, und romantisch angeregt sich mit der Vollendung |251| des Kölner Doms beschäftigte, wie Julian, der Romantiker auf dem Throne, sich in alter Zeit mit dem Wiederaufbau des Tempels von Jerusalem beschäftigt hatte. Der Dichter hatte Alles auf die innere Welt zurückführen wollen. Die innere Welt nahm Alles in sich auf, die Kräfte der Revolution und der Kontrerevolution. In ihr lagen alle Löwen des Geistes gebunden, in ihr lagen alle titanischen Mächte der Geschichte gefangen, ja von einer Mohn-Atmosphäre betäubt. Es ward Nacht um sie her, sie fühlten die Wollust der Finsternis und des Todes, sie lebten nur noch ein Pflanzenleben, wie Siebenschläser, und wurden zuletzt gänzlich zu Stein. In der innern Welt lagen alle Reichthümer des Geistes, aber wie todte Schätze und ruhende Massen, die sinnreich nach den Gesetzen der Mathematik Krystalle bildeten, ungefähr wie das Gold und Silber in der Erde und im Innern des Berges, und der Dichter ward zu einem Bergmänne oder Bergentrückten, der unter die Erde hinab stieg und sich an Allem erfreute, was er sah.
Aber während er sich drunten aufhielt, ging Alles auf Erden in der äußeren Welt feinen Gang. Die äußere Welt ließ sichs nicht im mindesten anfechten, daß der Dichter und der Denker sie in die innere auflösten. Denn er löste sie ja nicht derb und äußerlich wie Rousseau oder Mirabeau auf, er löste sie nur innerlich auf in einer inneren Welt. Als er daher aus der Grube wieder empor stieg, als sein Berg|252|entrücktsein zu Ende war, da zeigte es sich, daß die äußere, die aufgelöste Welt sich sehr wohl, daß sie sich ganz beim Alten befand. Alles, was er in seinem Herzen geschmolzen, stand äußerlich kalt und rauh da – und da die äußere Welt ihn nie interessirt hatte, und da sie ihm fast eben so nächtlich und dunkel und obskurantistisch und schlafbefangen wie seine innere erschien, so gab er ihr seinen Segen und ließ sie bestehen. –
Novalis war 1772 geboren. Er stammte aus einer sehr orthodoxen Familie in der Grafschaft Mansfeld. Sein Vater wurde später als Salinendirektor nach der kleinen Stadt Weißenfels versetzt. Der Eintritt in diese Familie machte noch 1799 einen tiefen Eindruck auf Tieck Köpfe sagt: »Ein ernstes, stilles Leben, eine prunklose, aber wahre Frömmigkeit herrschte hier. Die Familie war der Lehre der Herrnhuter zugethan und lebte und wirkte in diesem Sinne. Der alte Hardenberg, früher ein rüstiger Soldat, eine hohe, ehrwürdige Natur, stand wie ein Patriarch in der Mitte talentvoller Söhne und lieblicher Töchter. Neuerung und Aufklärung waren ihm in jeder Form verhaßt; die alte verkannte Zeit liebte und lobte er, und wenn die Gelegenheit es bot, konnte er derb und rückhaltslos seine Ansichten aussprechen, oder in plötzlichem Jähzorn auflodern.«
Hier eine Scene aus dem häuslichen Leben dieser Familie: Einst hörte Tieck den alten Herrn im Neben|253|zimmer in nicht eben glimpflicher Weise schelten und zürnen. »Was ist vorgefallen?« fragte er besorgt einen eben eintretenden Bedienten. »Nichts,« erwiderte Dieser trocken; »der Herr hält Religionsstunde.« Der alte Hardenberg pflegte Andachtsübungen zu leiten, und auch die jüngern Kinder in Dingen des Glaubens zu prüfen, wobei es mitunter stürmisch herging.
Aus diesem Heim ging Novalis hervor. Er war ein träumerisches, sehr schwächliches Kind. In seiner Jugend, als er noch nicht in Schwärmerei Und Grübelei aufgegangen, war er ein leidenschaftlicher Bewunderer der großen Freiheitsmänner Schiller und Fichte, deren Werke er mit Eifer wiederholt studirte, und deren Einfluß in seinen ersten schriftstellerischen Versuchen ersichtlich ist. In politischer Hinsicht war er damals Republikaner. Alles Dies verflog später. Der Republikaner wurde bald ein fanatischer Royalist. Sein erster Freund unter den Romantikern war Friedrich Schlegel, den er schon auf der Universität kennen lernte. Als Schlegel ihn 1797 in seiner Heimat besuchte, fand er ihn völlig gebrochen. Novalis hatte eine heftige, sein ganzes Wesen einnehmende Liebe zu einem jungen, wunderbaren Mädchen, Sophie von Kühn, gehegt, und jetzt hatte der Tod ihn plötzlich der Geliebten beraubt. Er verzweifelte, und unter den Selbstmordsgelüsten und Todesgedanken, welche dieser Verlust in seiner Seele erzeugte, schrieb er seine »Hymnen an die Nacht«. Das Uebermaß von |254| Verzweiflung, dem er sich ergab, nebst dem barocken Umstande, daß Sophie nur zwölf Jahre alt war, als er sich in sie verliebte, so daß seine Liebe zu ihr in die Periode von ihrem zwölften bis fünfzehnten Jahre fällt, scheinen mir in hohem Grade für das durchgehend Krankhafte und Unnatürliche in Novalis’ Anlage zu sprechen. Und dazu kommt noch, daß wir ihn ein Jahr nachher wieder verlobt finden, diesmal mit einer Tochter des Berghauptmanns von Charpentier. Gewiß steht, wie La Rochefoucauld sagt, die Stärke unsrer Leidenschaften in keinem Verhältnis zu ihrer Dauer, aber recht seltsam ist es doch, sich so plötzlich mit einer Andern zu trösten, wenn man sich ein Jahr hindurch mit dem Gedanken an den Tod wie mit seiner einzigen Freude und Wollust beschäftigt und gesprochen hat, als umschlösse das Grab unser Eins und Alles. Nicht einmal die klägliche Ausflucht fehlt, daß Julie ihm als die wiedergeborene Sophie erscheine, was die Präexistenztheorie der Romantiker allerdings nahe legen mochte. Als Tieck im Sommer 1799 zum Besuch nach Jena kam, traf er zum ersten Male mit Novalis zusammen. A. W. Schlegel vermittelte die Bekanntschaft, welche sich bald zu schwärmerischer Freundschaft gestaltete. Inbewegten Gesprächen erschlossen sie einander die Herzen und tranken Brüders chaft. Um Mitternacht traten sie hinaus in die Sommernacht. Der Vollmond, sagt Köpke, ruhte magisch und glanzvoll auf den Höhen um Jena. Gegen Morgen |255| begleiteten sie Novalis nach Hause. Tieck hat im »Phantasus« diesem Abend ein Erinnerungsmal gesetzt. Tiecks Einwirkung, welche von jetzt an beginnt, veranlaßte Novalis zur Abfassung seines Hauptwerkes, des »Heinrich von Ofterdingen«. Während der Arbeit an demselben raffte die Schwindsucht ihn hinweg. Zwei Jahre nach jener Begegnung war er gestorben. Er wurde nur neunundzwanzig Jahre alt, und dieser Umstand im Verein mit seiner großen Originalität und seltenen Schönheit hat einen poetischen Schimmer über seine Gestalt geworfen. Er, der Johannes der neuen Richtung, glich auch in seiner äußeren Erscheinung einem Johannes. Seine Stirn war fast durchsichtig, seine braunen Augen funkelten von einem ungewöhnlichem Glanze. In seinen letzten drei Lebensjahren sah man ihm an, daß er einem frühen Tode verfallen sei.
Sowohl dieser frühe Tod wie diese eigenthümliche Art von Schönheit hat die Kritik veranlaßt, ihn mit dem berühmten jungen englischen Dichter Shelley zu vergleichen, ders zwanzig Jahre nach ihm geboren ward. Noch ganz neuerlich hat der Schriftsteller Blaze de Bury in der »Revue des deux mondes« diese Analogie hervorgehoben. Er sagt: »Shelley’s Poesie ist sehr verwandt mit der von Novalis, und nicht bloß durch physiognomische Züge sind diese zwei seltenen Dichter einander ähnlich. Die Betrachtung der Natur, die Divination ihrer kleinsten Geheimnisse, eine ausgewählte Verbindung von Empfind|256|samkeit und Metaphysik, und dabei keine Plastik, Spiegelbilder und keine Gestalten, ein Streben nach dem Höchsten, das im Leeren endigt, ist ihnen gemeinsam.«
Er hebt all’ diese formellen Aehnlichkeiten hervor und fügt kein einziges Wort hinzu, das die ungeheure reelle Verschiedenheit, den polaren Gegensatz zwischen diesen beiden anscheinend so gleichartig angelegten Dichtern ahnen läßt, von welchen der eine der großen Wendung in der literarischen Bewegung des Jahrhunderts, welche ich zu schildern unternommen habe, vorausgeht, der andere ihr nachfolgt. Und doch wüßte ich kein Mittel, diese Wendung schärfer hervorzuheben als gerade diesen Gegensatz.
Man gestatte mir, an die Hauptzüge in Shelleys Leben zu erinnern. Von adliger Geburt, wird er auf eine vornehme Schule gesandt, wo gleich von seiner Kindheit an die Roheit der Schüler und die Grausamkeit der Lehrer ihn zu Widerstand und Zorn entflammen. Besonders erweckte hier die Heuchelei, mit welcher man die Worte Gott und Christenthum im Munde führte, während man sich den schlechtesten Leidenschaften hingab, seinen vollen Abscheu. Im zweiten Jahre seines Aufenthaltes zu Oxford verfaßte Shelley daher eine Abhandlung »Ueber die Nothwendigkeit des Atheismus«, welche er mit naiver Wahrheitsliebe den Häuptern der Kirche und der Universität überreichte. Er wurde vor den Professoren-Konvent beschieden, und da er sich wei|257|gerte, seine Ansichten zu widerrufen, so wurde er Atheismus halber von der Universität ausgestoßen. Er kehrte zu seinem Vater zurück, und als ihn Dieser mit kalter Verachtung empfing, verließ er für immer das elterliche Haus. Mit solchen Kämpfen und Leiden war sein ganzes Leben durchwoben. Eine Lungenschwindsucht, die ihn in seinem zwanzigsten Jahre befiel, und von der er sich zwar allmählich erholte, hinterließ eine große Körperschwäche und eine mit den Jahren sich steigernde nervöse Reizbarkeit. Als er nach dem Tode seiner ersten Gattin seine Kinder aus erster Ehe zu sich nehmen wollte, wurden ihm Diese durch das Kanzleigericht entzogen, weil er in seiner »Königin Mah« Unsittlichkeit und Irreligiosität gelehrt habe. Wo er bei seinem Umherstreifen im Auslande mit seinen Landsleuten zusammen traf, wurde er aufs roheste von ihnen als »Atheist« gehöhnt und mißhandelt. Erst neunundzwanzig Jahre alt, endigte er sein gequältes und heimatloses Leben, indem er bei einem Sturme mit seinem Boote im Golf von Spezzia kenterte. Byron ließ seine Leiche verbrennen.
Im Gegensatze zu diesem Leben ist das Hardenberg’s eine wahre deutsche Kleinstädter-Idylle. Er wurde mit fünfundzwanzig Jahren Beamter, Auditor beim Salinen-Departement. Später wurde er als Assessor und Amtshauptmann des thüringischen Kreises unter seinem Vater in Weißenfels angestellt, und seine Romantik |258| störte nicht sein bürgerliches Leben. Er war als Beamter äußerst eifrig, pflichtgetreu und ordentlich. Er lebte und starb als seßhafter Beamter und Bürger, der keine Ausschreitung begeht und in Folge Dessen sein Schäschen im Trockenen hat. Von seinem Republikanismus sagte er sich, wie bemerkt, frühzeitig los, und nur seine Naivetät hindert uns, ihn als servil zu bezeichnen. Friedrich Wilhelm und Luise von Preußen nennt er »ein klassisches Menschenpaar«, in der Offenbarung dieser »Genies« sieht er das Vorzeichen einer besseren Welt. Friedrich Wilhelm, sagt er, sei der erste König von Preußen; jeden Tag setze er sich selbst die Krone auf. Eine wahre Transsubstantiation sei geschehen; denn der Hof habe sich in eine Familie, der Thron in ein Heiligthum, eine königliche Vermählung in einen ewigen Bund der Herzen verwandelt. – Die Republik, sagt er, habe nur das Vorurtheil der Jugend für sich; der verheirathete Mann verlange Ordnung, Sicherheit, Ruhe, wünsche in der Familie, in einem regelmäßigen Hauswesen, einer »echten Monarchie« zu leben. »Für eine Konstitution kann man sich nur wie für einen Buchstaben interessiren. Wie ganz anders, wenn das Gesetz der Ausdruck des Willens einer geliebten, hochgeachteten Person ist. Man darf in keiner Weise den Monarchen als den ersten Beamten ausfassen. Er ist kein Bürger, daher auch kein Beamter. Der König ist ein zum irdischen Fatum erhobener Mensch.«
|259| Vergleicht man mit solchen Aussprüchen die Gedichte Shelley’s, zu welchen die Tyrannei in seinem Vaterlande ihn veranlaßt, und diejenigen, in welchen er die italiänischen Revolutionen und den Befreiungskampf Griechenlands verherrlicht, so hat man den schärfsten Kontrast, der sich denken läßt. Und man trifft ihn antithetisch auf fast allen Punkten. Novalis preist die Krankheit Shelley sagt: »Es ist gewiß, daß Weisheit nicht mit Krankheit vereinbar ist, und daß bei dem gegenwärtigen Zustande der Erdklimen Gesundheit, im wahren und umfassenden Sinne des Wortes, nicht im Bereich des civilisirten Menschen liegt.«
Novalis sagt: »Wir denken uns Gott persönlich, wie wir uns selbst persönlich denken. Gott ist gerade so persönlich und individuell, wie wir.« – Shelley sagt: »Es ist kein Gott! Diese Verneinung ist lediglich in Betreff einer schaffenden Gottheit zu verstehen. Die Hypothese eines das Weltall durchdringenden und gleich ihm ewigen Geistes bleibt unangetastet. . . . Alle Religionen der Welt verbieten die Prüfung und wollen kein Verstandesraisonnement gestatten; es ist die Autorität, welche verlangt, daß man an Gott glaube; dieser Gott selbst ist lediglich auf die Autorität einiger Menschen begründet, welche behaupten, daß sie ihn kennen und von ihm gesandt seien, ihn der Erde zu verkünden. . . . Es ist unmöglich zu glauben, daß der Geist, welcher das unendliche Getriebe des Universums durchdringt, |260| einen Sohn durch den Leib eines Judenweibs zeugte, oder sich über die Folgen einer Nothwendigkeit erboste, welche synonym mit ihm selber ist. Die ganze jämmerliche Fabel vom Teufel, von Eva und von einem Mittler, nebst den kindischen Mummereien des Judengottes, ist unvereinbar mit der Sternkunde. Das Werk seiner Hände hat Zeugnis wider ihn abgelegt.« Novalis preist die Hierarchie und verherrlicht die Jesuiten. – Shelley sagt: »Während vieler Jahrhunderte des Elends und der Finsternis fand die Lehre der Bibel unbedingten Glauben; allein endlich erstanden Männer, welche argwöhnten, daß sie Fabel und Betrug sei, und daß Jesus Christus, weit entfernt, ein Gott zu sein, nur ein Mensch, gleich ihnen selbst, gewesen. Aber eine zahlreiche Menschenklasse, welche enormen Gewinnst aus jener Meinung, in der Gestalt eines herrschenden Volksglaubens, zog und immer noch zieht, sagte der Menge, wenn sie nicht an die Bibel glaube, werde sie ewiglich verdammt werden, und verbrannte, verhaftete und vergiftete alle vorurtheilslosen und vereinzelten Forscher, welche hie und da erstanden. Sie erdrückt Dieselben noch immer, so weit das Volk, welches jetzt aufgeklärter geworden ist, Solches gestatten will. . . . Dieselben Mittel, welche jeden anderen Glauben gestützt haben, haben das Christenthum gestützt Krieg, Einkerkerung Meuchelmord und Lüge, Thaten beispielloser und unvergleichlicher Roheit haben es zu Dem |261| gemacht, was es ist. Das Blut, welches die Bekenner des Gottes der Barmherzigkeit und des Friedens seit der Einführung seiner Religion vergossen haben, würde wahrscheinlich genügen, um die Anhänger aller anderen Sekten, die jetzt auf der Erdkugel wohnen, zu ersäufen.«
Man sieht aus den angeführten Citaten, welche sich durch zahllose andere vermehren ließen, daß zwischen Novalis mit seinem nach innen gekehrten Gemüthsleben und Shelley mit seinem nach außen gekehrten Freiheitsdrange der vollkommenste Gegensatz stattfindet. Blaze de Bury entdeckt jedoch nur Aehnlichkeiten; er beurtheilt Shelley äußerst sympathisch, und da seine Abhandlung ins Dänische übersetzt worden ist, hatte man das Vergnügen, in »Fädrelandet«, dem frommen Blatte, das für Religion und Sittlichkeit kämpft, folgenden schönen Erguß zu lesen: »Armer Shelley! sein Leben war eine Personifikation des modernen Dichterlebens. Er kämpfte unablässig und bis an seinen Tod für die Rechte des Gedankens und der Phantasie gegen die Vorurtheile eines Zeitalters, das keinen edleren Sohn, als ihn, besaß, und das sich immer weigerte, ihn anzuerkennen. Man muß einräumen, daß Shelley Spinoza studirt hatte, ein entsetzliches Verbrechen in den Augen der Fanatiker, das weder ein Bischof von Exeter oder Oxford noch ein Lordkanzler verzeiht. . . . Man klagte ihn der Gottesleugnung an. Die Rechtsgelehrten, die Jour|262|nale, alle Klatschbasen Großbritanniens schleuderten den Bannfluch wider den mystischen Träumer.« So steht’s zu lesen in »Fädrelandet« vom letzten November. Armer Shelley! weshalb wurde er nicht in Dänemark geboren! Dann wäre es ihm anders ergangen: die Bischöfe von Seeland und Aarhuus hätten ihn vertheidigt, die Zeitungen ihn gehätschelt, und er wäre bei lebendigem Leibe in »Fädrelandet« gelobt worden!
Das sind also die beiden Dichter, welche man für Zwillingsgeister hat ausgeben wollen. An poetischem Range stehen sie ungefähr gleich hoch. In Betreff der poetischen Schönheit sind sie einander ziemlich gleich. Aber nicht um Schönheit allein handelt es sich in der Literatur. Das ist der Irrthum, den wir allzu lange gehegt haben. Keiner der beiden Dichter besitzt die ganze Wahrheit; aber auf wessen Seite war sie wohl am meisten?
Es kommt darauf an, wie man meint, daß die Wahrheit aussehe. Für Novalis war die Wahrheit Dichtung und Traum, für Shelley war sie Freiheit. Für Novalis war sie eine feststehende und mächtige Kirche, für Shelley war sie eine kämpfende Ketzereiz für Novalis ein Wesen, das auf Thronen und päpstlichen Sesseln saß, für Shelley ein Wesen ohne Autorität.
Um recht Eindruck auf die Menschen zu machen, muß die Wahrheit, wie erhaben sie immer sei, Mensch werden, Fleisch und Blut für sie werden. Ich erinnere mich, wie ich als Knabe eines Tages eine Biographie |263| von De Foe,. dem Verfasser des Robinson Crusoe, las. Wer kennt nicht seine trüben Schicksale? Er war die beste und rechtschaffenste Seele, leidenschaftlich in Allem, was er unternahm, der Fürsprecher der Armen und Unterdrückten. Er verbrachte eine lange Zeit seines Lebens im Gefängnis. Einmal wurde er einer Broschüre halber verurtheilt, am Pranger zu stehen, nachdem ihm beide Ohren abgeschnitten. Das Urtheil wurde vollstreckt. Der Verbrecher wurde damals in solcher Weise am Pranger ausgestellt, daß er den Kopf unbeweglich durch eine Oeffnung hinausstrecken mußte – dann überließ man es der Menge, Profoß zu spielen; der Ausgestellte wurde mit faulen Aepfeln, Kartoffeln, Apfelsinen und Dergleichen bombardirt. Als aber der Tag erschien, und als De Foe’s bleiches, mißhandeltes, verstümmeltes Antlitz bluttriefend vom Pranger auf die versammelte Volksmenge herab sah, da, so unglaublich es klingt, entstand eine Todesstille. Keiner warf einen Apfel, Keiner schrie ein einziges höhnisches Wort. Man kannte De Foe allzu gut. Einer aus dem Schwarm aber ließ sich empor heben und setzte dem Verstümmelten einen Kranz auf die Stirn. – Ich las Das als Knabe, allein dies Bild brannte sich meiner Seele ein, und ich dachte damals bei mir selbst, so müsse die Wahrheit wohl aussehen. Ich dachte: wenn ein Mensch jemals solch eine arme verhöhnte und mißhandelte Wahrheit am Pranger stehen |264| fände, da müsse es ein großer Augenblick in seinem Leben sein, wenn er zu ihr hintreten und ihr den Kranz auf die Stirn setzen könne. – Das hat Shelley gethan, aber Novalis nicht.
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