Frau von Staëls schriftstellerische Thätigkeit läßt sich beständig von zwei Seiten betrachten. Sie zerfällt gleichsam in zwei Theile, eine männliche und eine weibliche Thätigkeit, die philosophische und die dichterische, die Ideen und die Gefühle. Eine eigenthümliche Innigkeit in der Behandlung des Gefühls verräth überall, daß der Verfasser eine Frau ist. Wenn einmal der Augenblick kommt, wo man die Psychologie des Weibes zu schreiben unternimmt, und wenn man versuchen wird, die Eigenthümlichkeit der weiblichen Phantasie und des weiblichen Geistes im Unterschied von dem männlichen zu bestimmen — denn so weit ist die Psychologie zurück, daß man hier noch nicht den geringsten Versuch gemacht hat —, dann werden die Schriften der Frau von Staël eine der werthvollsten Quellen abgeben. Das Weibliche verräth sich vielleicht zuerst durch die Weise, auf welche die männliche Hauptfigur gezeichnet ist. Bei jeder von Oswald’s hervortretenden Eigenschaften führt die Verfasserin deren Ursachen an; sein edler Charakter wird durch seine Erziehung, durch seine aristokratische Herkunft und seinen Stolz erklärt, seine Schwermuth durch den »Spleen« der Engländer und durch sein unglückliches |200| Verhältnis zu einem Vater, den er anbetet wie Frau von Staël den ihrigen anbetete, und zu dessen Schattener in demselben Abhängigkeitsverhältnisse steht, in welchem Sören Kierkegaard zu dem Schatten seines verstorbenen Vaters stand: nur Eins läßt die Verfasserin ganz Unerklärt, und das ist sein physischer Muth. Sein Leben aufs Spiel zu setzen, ist ihm eben so leicht und elementar, wie es für uns Anderen ist, orthographisch zu schreiben. Es ist ein kurioser und durchgehender Zug, daß weibliche Romanschriftsteller fast unabänderlich ihre Helden mit dem verwegensten Muthe ausrüsten, einem Muthe, der niemals erkämpft ist, sondern gleichsam abstrakt außerhalb der Persönlichkeit steht, zu gleicher Zeit, wo es eine von zahlreichen großen Schriftstellern bemerkte Thatsache ist, daß es in der modernen Gesellschaft vor Allem die Frauen sind, welche die Männer an kühnen Wagnissen verhindern, und wo die Frauen eben so durchgehends den feigsten öffentlichen Persönlichkeiten (den Priestern, die ihr Leben bei Epidemien salviren, den Kriegshelden, welche den Feind auf dem Papiere angreifen) die größte, oftmals hysterischeste Bewunderung und Huldigung erweisen. Die Erklärung scheint die zu sein, daß der Mannesmuth die Eigenschaft ist, welche als die höchste Potenz des Männlichen eine Art Ideal für das Weib wird, aber ein Ideal, das sie nicht versteht, das sie in der Wirklichkeit nicht wieder erkennt, und das sie deshalb am liebsten und am schlechtesten schildert.
|201| Was ich hier gesagt habe, gilt von Oswald’s heldenmüthigem Benehmen bei dem Brande in Ancona, wo er unter den schreckvollsten Umständen zum Retter der ganzen Stadt wird. Er allein versucht mit seinen Engländern kaltblütig denselben zu löschen, und es gelingt ihm. Er befreit die im Ghetto eingesperrten Juden, welche die Bevölkerung in ihrem Fanatismus als Sühnopfer verbrennen lassen will. Er wagt sich in das brennende Irrenhaus, in das Zimmer, wo die tobsüchtigsten Gefangenen sich aufhalten, er beherrscht und befreit die von Flammen umloderten Wahnsinnigen, löst ihre Bande und läßt keinen Einzigen der Widerstrebenden zurück. Die ganze Scene wird mit einer wahrhaft grandiosen Phantasie erzählt. Aber, wie gesagt, in dem Psychologischen verspürt man einige Schwäche. Als es jedoch gilt, den Eindruck dieser Handlung auf Corinna’s weibliches Gemüth zu schildern, hält Frau von Staël uns vollständig schadlos. Oswald hatte sich durch eine Abreise über Hals und Kopf jeder Danksagung entzogen, aber als er auf dem Rückwege mit Corinna wieder nach Anean kommt, wird er wiedererkannt, und Corinna wird Morgens durch die Rufe: »Es lebe Lord Nelvil, es lebe unser Wohlthäter!« geweckt. Sie tritt auf den Platz hinaus, und sie, die Dichterin, deren Name in ganz Italien berühmt ist, wird schnell erkannt und von der versammelten Menge mit Entzücken begrüßt. Die Menge bittet sie stürmisch, ihr Wortführer zu sein und Oswald ihr Dank|202|gefühl zu verdolmetschen. Wie erstaunt ist er, als er auf den Platz hinaus tritt und Corinna an der Spitze des Voltshaufens erblickt! »Sie dankte Lord Nelvil im Namen des Volkes und entzückte alle Einwohner Ancona’s durch die edle Anmuth, mit der sie es that. Und,« fügt die Verfasserin mit weiblicher Feinheit hinzu, »sich mit den Bürgern identificirend, sagte sie ,Wir,. ,Sie haben uns gerettet, wir schulden Ihnen das Leben,.« Dies »wir« ist eine Perle. »Und,« heißt es weiter, »als sie vortrat, um Lord Nelvil einen für ihn geflochtenen Kranz aus Lorbeer und Cichenlaub zu überreichen, wurde sie von unbeschreiblicher Bewegung ergriffen; in diesem Augenblick empfand sie tiefe Scheu vor Oswald, und als das in Italien so leicht bewegliche und enthusiastische Volk sich jetzt vor ihm nieder warf, da beugte auch sie unwillkürlich das Knie und reichte ihm in dieser Stellung den Kranz.« In der Schilderung der weiblichen Gefühle hat Frau von Staël ihre Stärke, der Gefühle eines weiblichen Genius, welcher das ganze Märtyrerthum des Genius erleidet.
Von Allem rührt das häusliche Glück und die weibliche Reinheit ihr am tiefsten das Herz. Wie sehr fühlt sie sich ergriffen, als sie auf dem Sarkophage einer römischen Gattin die Inschrift liest: »Kein Makel hat mein Leben von der Hochzeit bis zum Scheiterhaufen befleckt, ich lebte rein zwischen der Hochzeitsfackel und der Fackel des Scheiterhaufens.« Aber dies Glück Hymen’s war |203| ihr nicht vergönnt, Corinnen so wenig wie Mignom diesen zwei Kindern der Sehnsucht, welche, Jede für sich, in der französischen und deutschen Literatur Italien personificiren. Corinna ist der letzte Abkömmling jener edlen und einsamen Sibyllen Italiens, von welchen die Tradition überall so viel erzählt. Sie ward geschaffen, um zu leiden, sie, welche selbst sagt, daß unsere arme menschliche Natur das Unendliche nur mittels des Leidens kennt. Allein ehe sie als das letzte Opfer auf der antiken Arena untergeht, wird sie als Opfer geschmückt und im Triumph einhergeführt.
Als wir ihre Bekanntschaft machen, treffen wir sie auf dem Festzuge zum Kapitol, einfach, aber malerisch gekleidet, mit antiken Kameen im Haare, den feinen rothen Shawl turbanähnlich ums Haupt gewunden, wie auf Gerard’s bekanntem schönem Portrait der Frau von Staël. Dies ist das Kostüm, welches für Corinna paßt; sie, das Kind der farbenreichen Gegenden, hat noch nicht den Farbensinn verloren, hat selbst in dem steifen, regelrechten England frische Sinne und die Liebe zu jener Dreieinigkeit schöner Dinge: Gold, Purpur und Marmor, bewahrt.
Und wie alle anderen großen Typen des Zeitalters wollen wir sie in die Umgebungen versetzen, welche ihr entsprechen und in welchen sie zu Hause gehört, wie Reue in den Urwäldern, Obermann in den Hochalpen und Saint-Preux am Genfersee. Corinna’s Gestalt ist |204| der Nachwelt in dem bekannten Bilde aufbewahrt, von welchem man Kupferstiche in allen Kunstläden sieht: Corinna als Improvisatrice aus dem Kap Misene.
Ihre vulkanische und strahlende Natur gehört in dieser strahlenden und vulkanischen Gegend zu Hause. Der Golf von Neapel scheint ein großer, versunkener Krater zu sein, von lachenden Städten und waldbekleideten Bergen umringt. Sein Meer umschließend, das noch viel blauer als der Himmel ist, gleicht er einem smaragdgrünen Becher, mit schäumendem Wein gefüllt, und am Rande und auf den Seiten mit Weinlaub und Ranken geschmückt. Zunächst dem Lande blinkt das Meer in tiefstem Azurblau, weiter hinaus ist es weinfarben, wie schon Homer es genannt hat, und darüber leuchtet ein Himmel, der nicht, wie man zu glauben pflegt, blauer, sondern eher blässer als der unsrige ist, nur daß sein Blau gleichsam auf einem Grunde von hellem Feuer ruht, das in weißlicher und bläulicher Gluth schimmert. In diese Gegend versetzten die Alten ihre Hölle. In der Grotte des Avernussees war der Hinabgang zu derselben, Das nannten sie Hölle, dies Paradies. Sie meinten, der vulkanische Ursprung und die Umgebung zeigten an, daß der Tartaros nahe sei. Ueberall die vulkanischen Formen. Ein großer Berg sieht aus, als wäre die eine Seite mit einem Messer abgeschnitten. Der halbe Berg ist bei einem Erdbeben herabgestürzt. Kap Misene, die äußerste Landspitze, welche auf der |205| einen Seite den Golf abschließt, während vor ihr die kleine Halbinsel Nisida, hinter ihr Procida und Ischia liegen, bestand vormals nicht, wie jetzt, aus zwei getrennten Anhöhen, sondern war ein Ganzes. Die beiden Krater des Vesuv entstanden bei dem Ausbruche, welcher Pompeji verschlang. Ueberall Fruchtbarkeit und Feuer. Wenige Schritte von Solfatara’s Schwefeldämpsen, die zwischen dem Lavageröll aussteigen, liegen Felder, welche ganz aus leuchtenden rothen Mohnblüthen bestehen, andere mit großen blauen Blumen, stark duftenden, rauhhaarigen Münzen und Kräutern, die Einem bis an den Leib herauf gehen, ein Reichthum, ein Gewimmel, eine Fruchtbarkeit und Ueppigkeit, als könnte diese strotzende Fülle in einer einzigen Nacht wieder emporschießen, wenn man das Ganze abmähte. Und dazu kommt der betäubende Wohlgeruch: ein würziger Hauch, den man im Norden niemals kennt, eine ungeheure Symphonie von den Düften Millionen verschiedener Pflanzen.
Gegen Abend zieht Corinna’s Gesellschaft nach dem Kap Misene hinaus. Man schaut von dort nach der großen Stadt hinüber, man hört gleichsam in dem dumpfen Lärm ihr Herzklopfen. Ueberall funkeln Einem nach Sonnenuntergang Lichter vor Augen, auf den Spuren aller Wege liegen sie; quer über den Weg die Berghänge hinan hüpfen und fliegen die hellen Flammen in der Luft, manche größer als ein Thaler- oder Zweithalerstück; die, welche höher oben umher fliegen, sehen |206| ganz wie losgerissene und bewegliche Sterne aus. All diese Flammen, welche in langen Sprüngen hin und her schießen und eine Sekunde nach jedem Sprunge erlischen, sind die leuchtenden Insekten des Südens. In der Dunkelheit versetzen diese Tausende von Flammen Einen in die Märchenwelt von »Tausend und eine Nacht«. Jenseits leuchtet, vom Kap Misene aus erblickt, der hochrothe Lavastrom an der dunkeln Wand des Vesuvs hinab.
Hier bringt man Corinna ihre Leier, und sie besingt zuerst die Pracht dieser Natur, die Größe der Erinnerungen, welche sich an dieselbe knüpfen, an Cumä, wo die Sibylle wohnte, an Gaeta, das dahinter liegt, wo Cicero unter dem Dolche des Tyrannen seine Seele aushauchte, an Capri und Bajä, welche das Andenken von Nero’s Schreckensthaten bewahren, an Nisida, wo Brutus und Portia einander das letzte Lebewohl sagten, an Sorrent, wo Tasso, dem Irrenhause entschlüpft, elend, verfolgt, mit wüstem Bart und zerrissenen Kleidern an die Thür seiner Schwester klopfte, die ihn nicht sogleich wiedererkannte, und dann vor Thränen nicht reden konnte. Hier endet sie mit einer elegischen Klage über alles Leid und alles Glück des Erdenlebens.
Und wollen wir hören, wie Corinna, wenn sie inspirirt ist, inmitten dieser Natur redet, wo die Schönheit auf dem Verderben gebaut ist, wo das Glück sich als eine fliegende, schnell erloschene Flamme offenbart, und wo der Vulkan beständig die Fruchtbarkeit bedroht?
|207| Sie sagt: »Christus erlaubte einem schwachen und vielleicht reuevollen Weibe, seine Füße mit den kostbarsten Wohlgerüchen zu salben; und Denen, die für dieselben eine bessere Verwendung anriethen, verwies er Das: »Laßt sie gewähren,« sagte er, »denn ihr habt mich nicht allezeit bei euch.« Ach, Alles, was gut und erhaben ist auf dieser Erde, bleibt uns nur kurze Zeit. Alter, Gebrechlichkeit und der Tod werden bald den Thautropfen verzehren, der vom Himmel fällt und nur auf Blumen haftet. Theurer Oswald, lassen wir Alles in einander strömen: Liebe, Religion und Geist, Sonne und Blüthendust, Musik und Poesie! Es giebt keinen anderen Atheismus, als die Kälte des Gefühls, als Selbstsucht und Niedrigkeit. Christus sagt: »Wo Zwei oder Drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.« Und was, o mein Gott, heißt in Deinem Namen versammelt sein denn anders, als die erhabene Güte Deiner schönen Natur genießen, Dich dafür preisen, Dir für das Leben danken und vor Allem danken, wenn ein von Dir erschaffenes Herz ganz und voll dem unsern entgegenschlägt!«
So spricht sie unter ihrer doppelten Inspiration auf der Höhe ihres Lebens, indem sie das Glück des Genies und der Liebe in Eins zu verweben sucht. Aber nur einen Augenblick gelingt es ihr, die Myrte und den Lorbeerzweig mit einander zu verflechten, sie schnellen zurück, reißen sich von einander los, und Corinna wird |208| aus der begeisterten Sibylle in noch eines mehr der vielen verzweifelnden und gebrochenen Herzen verwandelt, durch welche der Genius des Jahrhunderts wider eine Gesellschaft protestirt, die, wie jene anscheinend so sicheren Städte, von vulkanischen Flammen unterhöhlt ist, Flammen, die niemals beschwichtigt werden, sondern sich unser ganzes unruhiges und unglückliches Jahrhundert hindurch in einer Revolution oder Eruption nach der anderen Luft machen.
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