Die Emigrantenliteratur (1872)

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Frau von Staël war wie geschaffen für ihre geschichtliche Sendung. Sie besaß den höchsten Grad von Lebendigkeit. Man kann im Allgemeinen die reformatorischen Geister in zwei Klassen eintheilen. Zur ersten gehört diejenige Art von Entdeckern oder Erfindern, welche ein einzelnes bedeutendes Werk hervorbringen und es dann ruhig sich selbst überlassen, bis es, vielleicht erst nach ihrem Tode, verstanden und anerkannt wird. Zur anderen Klasse gehören die Geister, denen das Vermögen inne wohnt, zu elektrisiren, deren mündliche Begabung noch größer als ihre schriftliche ist, deren Worte sich wie Lichtströme über Das ergießen, wovon sie reden, und die nicht blos Eindruck auf Andere, sondern die Andere produktiv machen. Männer wie Henrik Steffens und Orla Lehmann gehören zu dieser Klasse. Diejenigen, welche Frau von Staël gekannt haben, haben immer den Bewunderern ihrer Schriften erklärt: »Ihre Schriften sind Nichts, Sie hätten sie reden hören sollen.« Ihre Stärke bestand in der Konversation; in diesem Punkte wenigstens war sie echt französisch. Einer ihrer Kritiker endet mit den Worten: »Wenn man sie hört, ist es unmöglich, ihr nicht beizu|160|pflichten; hätte sie Dies gesagt und es nicht geschrieben, so hätte ich sie nie kritisiren können«, und eine große Dame, Madame de Tessé, sagte von ihr: »Wenn ich Königin wäre, würde ich Frau von Staël befehlen, immer zu mir zu reden.«*)*

*) Sainte-Beuve: Madame de Staë1.

Und an die Fähigkeit, zu elektrisiren, knüpft sich ihre zweite große Fähigkeit, die Fähigkeit, zu herrschen. Sie war eine Herrschernatur. Nicht ohne Grund wurde sie Bonaparte’s Rivalin. Gerade wie er, erweiterte sie unablässig ihr Reich durch eine stets zunehmende Mannigfaltigkeit hoher Ideen, gesunder und tiefer Gefühle und beneidenswerther Freundschaftsverbindungen. In Coppet hielt sie förmlich Hof. Von allen Ländern her versammelte sich eine Schaar auserlesener Geister um sie. Dort konnte man, wenn man Glück hatte, zu gleicher Zeit Constant treffen, den sie »1e premier esprit du monde« nennt, A. W. Schlegel, den berühmten Stifter der romantischen Schule in Deutschland, den bekannten Geschichtschreiber Sismondi, dessenschriftstellerische Thätigkeit von denselben Ideen getragen ist, für welche die romantische Schule in Frankreich später kämpfte, den deutschen Dichter Zacharias Werner, den Erfinder der Schicksalstragödie, den dänischen Dichter Adam Oehlenschläger, kurz gesagt, die ersten Männer des Zeitalters. Jeder wallfahrtete nach Coppet, wie man ein halbes |161| Jahrhundert vorher nach dem benachbarten Ferney gewallfahrtet war. Denn hier hatte ja Voltaire, eben so wie Frau von Staël verbannt, außerhalb der französischen Grenze, aber so nahe dieser Grenze wie möglich wohnhaft, in seiner letzten Lebensperiode ganz Europa um sich versammelt. Es hat etwas Verlockendes für die Phantasie, die Wirksamkeit, welche von dem Patriarchen in Ferney ausstrahlte, mit derjenigen zu vergleichen, welche sich von Coppet’s junger und geistvoller Herrscherin über Frankreich und die Übrige Welt ergoß. Die Zeit in Ferney war in jeder Beziehung die glänzendste Periode in Voltaires Leben, von Ferney aus vollbrachte er als Apostel und Fürsprecher der Freiheit, Gerechtigkeit und Toleranz so große Thaten, wie sie noch nie zuvor ein Privatmann vollbracht hatte, dessen einzige Waffe die Feder war. Hier verwandte er drei Jahre seines Lebens auf den Process zur Ehrenrettung des Jean Calas; hier nahm er die eben so schuldlos zum Tode verurtheilte Familie Sirven und ein anderes Opfer pfässischer Verfolgungssucht, den jungen d’Etallonde, bei sich auf und verhalf ihnen zu ihrem Rechte; hier entriß er durch sein muthiges Einschreiten die Frau Montbailli dem gewissen Feuertode und erzwang die Revision der Proceßakten in Sachen des an dem General Lally verübten Justizmordes.*)*

*) Vgl. H. Hettner's Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, Bd. II., S. 157 ff.
Und in derselben Periode, wo sich |162| Voltaire so aufopferungsvoll des Lebens der unschuldig Angeklagten und der Ehre der Todten annahm, fand er noch Zeit, von Ferney aus leidenschaftlich für die Aufhebung der Leibeigenschaft in Frankreich zu wirken, fand Zeit, die elternlose Nichte Corneille’s, welche er zu sich ins Haus nahm, zu erziehen und ihr ein reiches Heirathsgut zu verschaffen, Zeit, Ferney aus einem elenden Flecken in eine thätige und wohlhabende Stadt zu verwandeln, welcher das Wohlwollen der fremden Monarchen auf seine Empfehlung zu ungeahnter Blüthe verhals, und Zeit, seine Abhandlung über den Geist und die Sitten der Völker, seinen Bibelkommentar, seine Geschichte der Einführung des Christenthums, sein philosophisches Wörterbuch und all’ jene anderen Hauptwerke zu schreiben, in welchen er das Eine Ziel verfolgte, die christliche Dogmatik zu untergraben, die ihm als die Wurzel alles Aberglaubens, aller Macht der Geistlichkeit und aller Nichtswürdigkeiten erschien, welche dieselbe im Gefolge hatte. In Ferney war es auch, wo er die Kirche mit der berühmten Inschrift erbaute: »Deo erexit Voltaire.« Dabei vernachlässigte er nicht das Gesellschaftsleben. Er ließ in Ferney ein Haustheater aufführen und ließ die ersten Schauspieler zu sich kommen. Alles, was Europa an Geist und Tüchtigkeit besaß, drängte sich zu ihm hin.

So ruhmvoll glänzt der Name Ferney in der Geschichte. Der Ruf, welcher von Coppet ausgeht, kann |163| sich freilich damit nicht messen, hat aber doch nicht minder seine Größe und Schönheit. Auch diesmal waren es Gerechtigkeit, Wahrheit und eine Freiheitsliebe der edelsten Art, welche vom Exile herkamen. Während dieses ganzen Jahrhunderts hat ja jedes der drei großen Hauptländer seinen größten Schriftsteller in die Verbannung geschickt. Schweifte nicht Byron heimatslos in Europa umher? Starb nicht Heinrich Heine in Paris? Verbrachte Victor Hugo nicht zwanzig Jahre auf Jerfen? Die Macht des Genius wächst unter der Verfolgung.

Frau von Staël hatte ihr Theil davon zu tragen. Auch sie lernte die Verlassenheit kennen, welche das Loos Derer wird, welche sich zur Opposition halten. Sie hat selbst erzählt, wie schon in Paris eines Tages, als sie eine Mittagsgesellschaft bei sich erwartete, nachdem Morgens Einer von ihrer Partei die Regierung angegriffen hatte, eine Absagung nach der anderen einlief, bis sie mit all ihrem Essen allein saß. Und wie verlassen war sie nicht später in der Verbannung, welche politische Größe wagte sie zu besuchen? Jeder hatte eine Abhaltung, bald durch Geschäfte, bald durch Krankheit. »Ach,« sagte sie einmal, »wie müde bin ich all dieser Feigheit, die sich als Brustkrankheit vermummt!« Talleyrand and dessen Name in den Tagen ihrer Macht durch ihre Fürsprache von der Liste der Emigranten getilgt worden war, bewies sich zu undankbar, als daß er einen Finger hätte rühren mögen, um ihr zu einer Zeit, wo |164| sie vor Heimweh ganz in Verzweiflung war, die Erlaubnis zur Rückkehr nach Paris zu erwirken. Sie haßte ihn deshalb nichts, sie haßte Niemand, sie verzieh Allen, aber sie hat ein wahres und treffendes Bild von ihm geliefert, indem sie seinen Charakter als den der Frau von Vernon in »Delphine« schilderte. Ihre tiefe Melancholie macht sich Lust am Schlusse eines ihrer Briefe an ihn: »Leben Sie wohl! Sind Sie glücklich? Dringen Sie mit einem so überlegenen Geiste nicht zuweilen bis zum Grunde von Allem, d. h. zum Unglück, hinab?« Unter dem Unglück brach ihr Stoicismus zusammen; ein Klageton entschlüpft ihr über das Schicksal, verleumdet und verfolgt zu sein, sie wünscht zu sterben.

»Von allen Fähigkeiten, die ich von der Natur empfing,« läßt sie Corinna sagen, »ist die Fähigkeit, zu leiden, die einzige, von welcher ich vollen Gebrauch gemacht habe.« Und es ist die Schwermuth des Exiles, mit welcher ihre Lebhaftigkeit beständig im Kampf liegt. Aus ihrem Todbette sagte sie: »Ich bin immer die Selbe gewesen, lebhaft und schwermüthig, ich habe Gott, meinen Vater und die Freiheit geliebt.«

Denn mit der Freiheitsliebe eines andern Zeitalters ist sie freiheitsliebend wie Voltaire. Indem sie wider ihn reagirt, setzt sie sein Werk fort. Ihre erste Schrift: »Die Literatur, in ihrem Verhältnisse zur Gesellschaft betrachtet«, welche im Jahre 1800 erschien, hat den Grundgedanken, daß die sociale Freiheit nothwendiger |165| Weise zu einer literarischen Reform führen müsse, und daß es eine Absurdität sein würde, wenn die Gesellschaft, in welcher die politische Freiheit erobert worden, eine von Regeln gefesselte Literatur besitzen sollte. »Möchten wir,« ruft sie im glühenden Eifer ihrer Jugend aus, »ein philosophisches System, eine Begeisterung für das Gute, eine kräftige und redliche Gesetzgebung finden, die für uns sein könnte, was die christliche Religion für die Vergangenheit war!« Eifersüchtig auf ihren beginnenden Ruhm, aufmerksam als Ritter des Glaubens, var Chateaubriand sofort auf seinem Posten, und zeigte ihr Buch an. Die anderen Kritiker hatten ihre Melancholie verspottet und unter Anderm sie mit den Griechen zu schlagen versucht, die ja nicht melancholisch gewesen. Chateaubriand benutzte die Gelegenheit, eine Schlacht für die positive Religion zu schlagen. »Frau von Staël,« sagt er, »schreibt der Philosophie zu, was ich der Religion zuschreibe.« Und sich an sie selbst wendend, fährt er fort: »Ihr Talent ist nur halb entwickelt, die Philosophie erstickt dasselbe. Sie scheinen nicht glücklich zu sein; aber wie sollte die Philosophie die Schwermuth Ihrer Seele zu heilen im Stande sein? Kann man eine Wüste fruchtbar machen mit einer anderen Wüste?« Und er erschöpft sich in ähnlichen albernen Floskeln, welche früh genug jene Furcht, durch Frau von Staël überstrahlt zu werden, verrathen, die ihn mit gutem Grunde niemals verließ.

|166| »Delphine« erschien, die Opposition ward stärker. Der bekannteste Kritiker der Zeit schrieb: »Nichts ist gefährlicher und unmoralischer, als die Grundsätze, welche in diesem Werke entwickelt werden. Die Anschauungen, in welchen sie erzogen ward, und die protestantische Lehre ihrer Familie vergessend, verachtet Necker’s Tochter die Offenbarung und hat in diesem sehr schlechten Buche, das mit viel Geist und Talent abgefaßt ist, eine lange Vertheidigung der Ehescheidung geschrieben. Delphine spricht von der Liebe wie eine Bacchantin, von Gott wie ein Quäker, von dem Tode wie ein Grenadier, und von der Moral wie ein Sophist.« — Groß klingende Worte, aber dieselben groß klingenden Worte, welche die Zukunft beständig von der zahnlosen Vergangenheit hören muß, deren schweres Geschütz stets bis zur Mündung mit dem nassen Pulver der Orthodoxie und den Papierkugeln der Bornirtheit geladen ist! Sie tödten nicht das Werk,« können aber leicht dem Verfasser den Garaus machen. 1803 wurde Frau von Staël gezwungen, Paris zu verlassen. Sie ging zuerst nach Deutschland, dann nach Italien. Darauf ließ sie sich in der Schweiz nieder, sie, das Pariser Kind, das, als sie zum ersten Male den Gensersee erblickte, ausrief: »O, wie viel schöner war nicht der Rinnstein in der Rue du Bac!«

Zuerst erschien jetzt ein Dekret betreffs der Preßfreiheit, welches bestimmte, daß kein Werk gedruckt werden dürfe, ohne von der Censur geprüft zu sein; aber |167| hierauf folgte mit besonderer Rücksicht auf Frau von Staël ein zweites Dekret, welches verfügte, daß, wenn die Censoren die Veröffentlichung eines Werkes gestattet hätten, der Polizeiminister dasselbe ganz und gar unterdrücken könne, falls er Solches für gut befinde, ein Gesetz, das geradezu alles Gesetz aufhebt. Als das Buch »Ueber Deutschland« gedruckt werden sollte, erhielt Frau von Staël Erlaubnis, sich Paris in einem Umkreise von vierzig Lieues zu nähern, um die Herausgabe zu überwachen. Sie flatterte um ihr geliebtes Paris in der vorgeschriebenen Entfernung herum, wie eine Motte um das Licht flattert. Ein Mal wagte sie sich mit Lebensgefahr sogar hinein. Sie wollte vielleicht den theuern Rinnstein wiedersehen. Inzwischen durchlasen die Censoren das Werk, korrigirten und strichen, und ertheilten dem verstümmelten Buche ihr Imprimatur. Zehntausend Exemplare wurden gedruckt. Allein in dem Augenblicke, als das Werk erscheinen sollte, sandte der Polizeiminister seine Gensdarmen in das Buchhändlermagazin, nachdem er Schildwachen an jeden Ausgang postirt hatte, und vollbrachte auf Napoleon’s Befehl die Heldenthat, die zehntausend Exemplare zerhacken zu lassen, worauf man die Masse zu einem Teig einstampfte und dem Buchhändler zwanzig Louisd’or als Entschädigung gab. Gleichzeitig erhielt Frau von Staël die Weisung, ihr Manuskript, d. h. die Studien und Hoffnungen von sechs vollen Jahren, auszuliefern und Frankreich binnen vierund|168|zwanzig Stunden zu verlassen. In dem Briefe, welchen ihr der Polizeiminister bei diesem Anlasse übersandte, heißt es: »Sie dürfen die Ursache des Befehls, den ich Ihnen mitgetheilt, nicht in dem Schweigen suchen, das Sie hinsichtlich des Kaisers in Ihrem letzten Werke beobachtet haben, das würde ein Irrthum sein; er konnte keinen Platz darin finden, der seiner würdig wäre. Allein Ihre Verbannung ist eine natürliche Folge der Richtung, welche Sie beständig in den letzten Jahren eingeschlagen haben. Es hat mich bedünkt, als gefiele Ihnen nicht die Luft dieses Landes, und wir sind, gottlob! noch nicht darauf reducirt, unsere Vorbilder bei den Völkerstämmen suchen zu müssen, welche Sie bewundern. Ihr letztes Werk ist nicht französisch.«

Da haben wir das Wort, das ihr zum Verderben wird, »nicht französisch«. Es it dies Werk, das Buch »Ueber Deutschland«, von welchem die ganze neue Epoche der französischen Literatur datirt werden kann, dies Werk, das zum ersten Male grundsätzlich und nicht blos gelegentlich mit der veralteten Tradition in der französischen Literatur bricht und an jedem Punkte neue Lebensquellen erschließt, dies Werk ist es, das dersgeistige Polizeidiener des Landes »nicht französisch« zu trennen sich erdreistet und fühlt man die Ironie? »Die Luft dieses Landes scheint Ihnen nicht zu behagen«, also müssen Sie, fort. Das heißt: Weil Du gewagt hast, die Freiheit mehr als die Despotie zu lieben, selbst wenn der |169| Despot ein Weltbeherrscher ist, weil Du Dich erfrecht hast, zu einer Zeit, wo Alles Unterdrückung war, in »Corinna« die souveraine Unabhängigkeit des Genies zu schildern, und, von Paris verbannt, Dein Ideal aus dem Kapitol krönen ließest, weil Du endlich, Du, ein schwaches Geschöpf, ein Weib, den tollkühnen Muth besessen hast, zu einer Zeit, wo Frankreichs Name die ganze Welt erfüllt, wo seine Adler im Glorienschein von tausend Siegen schimmern und die Nationen gefesselt zu seinen Füßen liegen, zu einer Zeit, wo die französische Nationaleitelkeit bis zum Wahnwitze berauscht ist, diesem Volke ins Gesicht zu erklären, daß sein geistiges Leben verdorrt, daß seine Poesie schlecht und seine Philosophie welk ist, weil Du aus glühender Liebe zu Deinem Vaterlande, aus brennendem Eifer, es aus seiner geistigen Erniedrigung zu erheben, ihm das tief verachtete Deutschland als ein Land zeigst, dessen Poesie seine eigene weit überstrahlt, das verhaßte England, Napoleon’s »treuloses Albion«, als ein Land, das eine ganz anders gesunde und echte Liebe zur Freiheit als Frankreich besitzt, und das sterbende Italien, die unterworfene französische Provinz, als ein Land, dessen Natürlichkeit in den Sitten und dessen gewaltige Ueberlegenheit in der Kunst Muster sind, welche der Entwicklung neuere und edlere Ziele stellen, als die, welche eine alberne Selbstvergötterung und geistige Trägheit sich stellt, deshalb sollst Du als unnational gestempelt, die Kokarde Deines Vaterlandes |170| soll Dir von der Stirn gerissen, Deine Bücher sollen vernichtet, Deine Manuskripte sogar verbrannt und Du selbst mit einer Meute von Angebern und Spionen auf Deinen Fersen wie ein wildes Thier über die Grenze gejagt werden und binnen vierundzwanzig Stunden uns ans den Augen sein.«

Sie entfloh. Sie begab sich nach ihrem Gute bei Genf, aber man glaube nur nicht, daß sie hier frei war. Der Präfekt von Genf bedeutete ihr, daß es ihr verboten sei, sich weiter als in dem Umkreise von vier Lieues von Genf zu entfernen. Und so gut wurde sie bewacht, daß sie, als sie einmal die Ordre vergaß, augenblicklich von Gensdarmen eingeholt und zurück geführt wurde. Aber, wenn auch sonst eine Gefangene, in Coppet war sie eine Königin. Oehlenschläger beschreibt in seiner Selbstbiographie seinen Besuch bei Frau von Staël im Jahre 1808. Obschon Oehlenschläger keine rechte Vorstellung von der eigentlichen Seelengröße der Frau gehabt zu haben scheint, deren Gast er war, schildert er doch sehr hübsch seinen Aufenthalt und die Person seiner Wirthin. »Wie lebendig, geistreich, witzig und liebenswürdig die Frau von Staël war,« schreibt er, »ist der Welt bekannt. Ich wüßte kein Weib, das so viel Genie verrathen hätte. Darum hatte sie auch etwas Männliches in ihrem Wesen, war stark untersetzt und hatte ein markirtes Gesicht. Schön war sie nicht, aber ihr brillantes braunes Auge hatte doch so viel Anziehendes, und das |171| weibliche Talent, Männer zu gewinnen und durch Anmuth und Feinheit die verschiedenartigsten Charaktere zu beherrschen und gesellig zu vereinen, besaß sie in hohem Grade. Ihr Genie und ihr Gesicht, selbst beinahe ihre Stimme, waren männlich; ihre Seele aber war in hohem Grade weiblich, das hat sie in »Delphine« und »Corinna« bewiesen. Rousseau hat nicht feuriger die Liebe geschildert. Wo sie sich zeigte, zog fie, trotz der Anwesenheit schöner und junger Damen, alle Männer von Kopf und Herz in ihren Kreis. Nimmt man nun hinzu, daß sie sehr reich, sehr gastfrei war und alle Tage prächtige Diners gab, so wundert man sich nicht darüber, daß sie wie eine Königin, wie eine Art von Fee in ihrem Zauberschlosse die Männer an sich zog und beherrschte. Man sollte fast glauben, daß sie, um diese Herrschaft anzudeuten, bei Tische immer den kleinen Blätterzweig in der Hand hielt, mit dem sie während des Gesprächs unaufhörlich spielte, und den der Diener täglich neben ihr Kouvert legen mußte, weil er ihr eben so unentbehrlich wie Löffel, Messer und Gabel war.«

Man sieht, wie diese kleine Hand sich für das Scepter geschaffen fühlte. Und sie war stolz wie eine Königin. Als nach so langen Jahren der Verfolgung, der Gefangenschaft und Verbannung dienstwillige Geister sich ihr näherten und ihr unter der Hand zu verstehen gaben, daß eine noch so geringe Wandlung ihrer Ansichten oder ihrer Ueberzeugung ihr die Erlaubnis zur Rückkehr nach |172| Frankreich erwirken würde, und als man ihr in bestimmterer Form rieth: »Schreiben Sie nur, sprechen Sie nur ein paar Worte über den König von Rom, und alle Hauptstädte werden sich Ihnen öffnen,« da antwortete sie: »Ich wünsche ihm eine gute Amme.«

Und doch war sie damals nahe daran, zu unterliegen. Nicht genug, daß sie die Trauer empfand, selbst verbannt oder von so vielen ehemaligen Freunden verrathen zu sein, erlitt sie auch noch die Qual, jeden ihrer wirklichen Freunde, der sie zu besuchen wagte, dafür mit Landesverweisung bestraft und solchermaßen sich selber, gleich einem Orest des Exiles, wie sie sich nennt, Unglück wie eine ansteckende Seuche um sich verbreiten zu sehen. Gewiß darf also die Burgfrau von Coppet eben so edel in ihrer Thätigkeit genannt werden, wie der Philosoph von Ferney; sie war minder glücklich und mächtig in ihren Bestrebungen, aber durch ihr Geschlecht und ihre Leiden fast nochinteressanter. Er vermochte mehr für Andere auszurichten, sie hatte ihre liebe Noth, sich selbst zu wehren.

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