Die Emigrantenliteratur (1872)

|131| 10.

Es erübrigt nur noch, Rechenschaft von der Feinheit der psychologischen Analyse in »Adolphe« zu geben und zu zeigen, zu welchem Resultate sie führt. Adolphe beginnt, was nicht Wunder nehmen kann, wenn man Constant´s eigenen Charakter kennt, mit dem Eindrucke: Dies ist eine Eroberung, die meiner würdig ist, und er bildet sich ein, als kalter Beobachter Eleonorens Charakter studiren zu können, um seine Schlachtpläne danach einzurichten; aber bald geräth er, dessen Sensibilität fast eben so groß wie sein Egoismus ist, unter einen Zauber, der ihn ganz gefangen nimmt, und der seine natürliche Schüchternheit in solchem Grade erhöht, daß es ihm unmöglich ist, Muth zu der Erklärung zu finden, die seine Eitelkeit so schnell und übereilt hatte machen wollen. Er schreibt an sie, aber Eleonore weist ihn ab und flieht ihn. Dieser Widerstand und diese Kälte von ihrer Seite rufen bei ihm eine Unterwerfung und eine Empfindsamkeit hervor, welche bald in eine Art Kultus übergehen. So war Eleonore niemals geliebt worden, denn so viel wahre Ergebenheit ihr Beschützer ihr auch erwiesen hatte, war doch eine schwache Nüance von Ueberlegenheit in seinem Wesen ihr gegenüber bemerklich. Er hätte eine |132| ehrenvollere Verbindung, als diese, schließen können. Er sagt das zwar nicht, aber was nicht gesagt wird, existirt darum nicht minder. Deshalb ist es die Ehrfurcht Adolphe’s, welche von Anfang an Eleonoren bezaubert. Sie ergiebt sich ihm, und er wird wie trunken vor Entzücken und Glück. Die erste Störung des Entzückens wird dadurch verursacht, daß Eleonore, als der Graf die Stadt auf einige Zeit verlassen hat, die Gesellschaft Adolphe’s nicht mehr, selbst nicht für einige Stunden, entbehren kann. Will er sie verlassen, so sucht sie ihn zurück zuhalten; geht er, so fragt sie, wann er wieder komme. Zuerst fühlt er sich geschmeichelt und glücklich durch eine so schrankenlose Hingabe, allein bald ist eine Zeit so gänzlich durch sie in Anspruch genommen, daß er über keine Stunde mehr verfügen kann. Er muß, jede gesellschaftliche Einladung ausschlagen, die an ihn ergeht, er muß all’ seine Bekanntschaften abbrechen. Er empfindet das zwar nicht als einen Verlust, aber er würde es doch vorgezogen haben, sich nicht mit dem Glockenschlage einstellen zu müssen, und nach Zeit und Lust kommen zu könnnen. Sie, welche früher ein Ziel war, ist jetzt eine Fessel geworden.

Wo seid ihr hin, all’ ihr schönen Romane, in denen der Liebhaber nie etwas Anderes zu thun hatte, als zu lieben, in denen er liebte vom Morgen bis zum Abend, Morgens aufstand um zu lieben, den ganzen Tag über liebte, und eine schlaflose Nacht vor Liebe verbrachte! |133| Es ist ein kräftiger und realistischer Zug in »Adolphe,« daß der Liebhaber den Verlust seiner Zeit als Verlust empfindet.

Und es nutzt Nichts, daß er sich seine Zeit zurück erobert, wenn er doch seine Gemüthsruhe durch das Mitgefühl verliert; denn bleibt er einmal aus, so raubt der Gedanke an ihren Schmerz darüber ihm alle Zeit, die er gewonnen, während es ihn zugleich unklar verstimmt, in solchem Grade der Herrschaft eines anderen Menschen unterworfen zu sein. Kommt er dann zu ihr, gequält durch das Bewußtsein, viel schneller zurück gekehrt zu sein, als die Rücksicht auf ihren Ruf und auf seine Beschäftigungen es vernünftig erscheinen ließ, so findet er sie unglücklich darüber, daß er so lange sortgeblieben ist. Er hat zwei Stunden lang unter der Vorstellung von ihrer Ungeduld gelitten, jetzt muß er zwei fernere Stunden leiden, bevor er sie zu beruhigen vermag. Gleichwohl sührt er sich glücklich, sagt sich selbst, daß es süß sei, so geliebt zu werden, tröstet sich aber doch im Grunde unbewußt durch das Gefühl, daß die Ungleichartigkeit in ihrem Wesen früher oder später dem Verhältnisse ein Ende machen müsse.

Zuerst erleidet er jetzt den Schmerz, nicht ehrlich sein zu können; denn der Graf kehrt zurück, und er ist genöthigt, ihn zu betrügen. Dann erleidet er den Schmerz, Eleonoren Alles um seinetwillen opfern und gleichzeitig ihre seitherige Heimat und ihr Vermögen aus|134|geben zu sehen. Und dieser Schmerz ist doppelt, theils egoistisch, denn verweiflungsvoll sieht er seine Freiheit durch das Opfer gelähmt, das sie ihm mit tiefster Freude bringt, theils sympathisch, denn er sieht die Gesellschaft mit hyänenartiger Wuth ihren Ruf zerfleischen. Alles, was sie durch ein jahrelanges untadelhaftes Betragen gewonnen hat, verliert sie an einem einzigen Tage. Ihr Stolz windet und quält sich, und seine Hingabe wird zur Pflicht. Von jetzt an existirt zwischen ihnen ein geheimes Weh, das sie einander nicht zu verrathen wagen. Adolphe’s Charakter beginnt verdorben zu werden. Zu gleicher Zeit, wo er sich mit Jemand duellirt, der schlecht von Eleonore gesprochen hat, schadet er selbst unfreiwillig ihrem Rufe; denn er sucht eine Art Trost für die Abhängigkeit, in welcher er lebt, dadurch, daß er überall über die Frauen und über Diejenigen spottet, welche sich ihrer Despotie unterwerfen, und diese Aeußerungen werden übel gedeutet. Er, welcher einer Thräne nicht zu widerstehen vermag, setzt eine Ehre darein, überall mit Härte und Verachtung vom Weibe zu reden.

Andere haben das Unglück erlitten, zu lieben, ohne Gegenliebe zu finden; er erleidet das entgegengesetzte, geliebt zu werden, ohne länger zu lieben. Wie sehr er sich auch bemüht, recht froh zu erscheinen, so oft er Eleonoren erblickt, durchschaut sie ihn doch, und es kommt zu einer jener fürchterlichen Scenen, deren Frau von Staël Constant so viele bereitete, wo Eleonorens |135| stürmische Seele sich mit einer an Haß streifenden Bitterkeit Luft macht. Die Außenwelt strebt jedoch, Eleonoren von ihm zu entfernen. Adolphe’s Vater will nicht, daß sein Sohn seine Jugend an dies Verhältnis vergeuden soll, und ein einfaches Ritterlichkeitsgefühl veranlaßt Adolphe daher, mit ihr zu entfliehen. Sie verleben einige Zeit in einem freundlichen Gemüthszustande, der fast wie Liebe aussieht. Eleonore bringt neue Opfer, welche anzunehmen für Adolphe eine Pein ist. Bald leidet sie darunter, daß sie nicht geliebt wird, wie Adolphe darunter leidet, daß er nicht liebt, bald berauscht sie sich so in ihrer Liebe, daß sie dieselbe doppelt sieht und ihr eigenes Gefühl für das Beider hält. Sie zehren Beide gleichsam von der Erinnerung an ihr einstiges Glück, welche stark genug ist, ihnen die Trennung als schmerzlich, ja undenkbar erscheinen zu lassen, aber zu schwach, ihnen das Beisammenleben zu einer Freude zu gestalten. Die zärtlichen, aber doch matten Worte, mit denen Adolphe jetzt Eleonoren seine Liebe bezeugt, gleichen den dürren, farblosen Blättern, die noch bis in den Winter hinein an dem einen oder anderen längst entlaubten Zweige hängen geblieben sind.

So macht er nicht einmal Diejenige glücklich, welche ihn so unglücklich macht. So oft sie neue Rechte errungen zu haben glaubt, fühlt er sich in neue Fesseln geschmiedet. Ihre Leidenschaftlichkeit macht ihr Zusammenleben zu einem beständigen Gewitter. Ich erinnere mich |136| folgender Worte in einer Biographie Constant’s: »In diesem Jahre hatte Conftant es gut, Frau von Staël war in Rußland.«

Eleonore beerbt ihren Vater und bedarf nicht mehr des Schutzes von Adolphe. Die Welt verdenkt es ihm jetzt sogar, daß er Vortheile aus ihrer Freundschaft zieht, und man haßt ihn, weil er ihren Ruf dadurch ruinirt, daß er beständig in ihrer Nähe ist, während er selbstverständlich nicht erklären kann, daß sie es ist, welche nicht ohne ihn zu leben vermag.

Sein Leben rinnt ihm unter den Fingern hinweg, er erfüllt keine der Verheißungen, welche seine Jugend gegeben hat; denn, wie ihm von allen Seiten gesagt wird, zwischen ihm und einer Zukunft in irgend welcher Richtung ist eine unübersteigliche Schranke, und die Schranke ist Eleonore. Er beschließt endlich, mit ihr zu brechen; aber selbst dieser Entschluß schlägt ihm zum Unheile aus; denn von dem Augenblicke an, da er das Todesurtheil über sie gefällt hat, dessen Vollstreckung er in seiner Schwäche doch wieder verzögert, von diesem Augenblick an schwindet alle Bitterkeit aus seiner Seele, und er hegt ihr gegenüber so zärtliche Gefühle, daß sie ihn mißversteht und sich gerettet wähnt.

Mit einer letzten Kraftanstrengung sucht sie ihn zu gewinnen, indem sie seine Eifersucht erweckt, aber Alles ist jetzt vergebens, von allen Seiten drängen die Umgebungen auf Adolphe ein und stellen ihm den Bruch |137| als die natürlichste Sache von der Welt, als eine Pflicht gegen seinen Vater, gegen seine Zukunft, ja gegen das unglückliche Wesen vor, an das er gekettet ist, und das er aufreibt. Man spielt Eleonoren einen Brief in die Hände, durch welchen sie Adolphe’s Absichten erfährt. Sie verfällt in ein hitziges Fieber und stirbt, aber sie bewahrt ihre Liebe zu Adolphe bis zu ihrem letzten Athemzuge.

Von dem Augenblick an, wo er seine Freiheit hat, empfindet er sie als eitel Leere, er weiß nicht mehr, was er mit derselben anfangen soll, er sehnt sich nach all seinen Fesseln zurück.

Constant hat die Moral des Buches in folgender Weise ausgesprochen: »Das leidenschaftlichste Gefühl vermag nicht wider die Ordnung der Dinge zu kämpfen; die Gesellschaft ist allzu stark. Sie macht die Liebe, welche sie nicht gebilligt und geheiligt hat, allzu bitter. Wehe daher dem Weibe, das seine Stütze in einem Gefühle sucht, das zu vergiften Alles sich verbündet, und gegen das die Gesellschaft, wenn sie es nicht als legitim zu achten braucht, sich mit Allem wappnet, was am schlechtesten im Menschenherzen ist, um Alles Gute zu Boden zu schlagen.«

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