Das junge Deutschland (1891)

|[16]| II

Die deutsche Wissenschaft, welche, nachdem die Überschwemmungen der Romantik den Erdboden mit ihrem Schlamm befruchtet hatten, mit all ihren Zweigen mächtig in die Höhe geschossen war, wechselte gleichzeitig die Farbe. Sie wurde durch die Ungunst der Verhältnisse mehr der Wirklichkeit entfernt und fester als je zuvor an das Bestehende geknüpft.

Hegel ist das große Beispiel. Im März 1819 stieß Karl Sand Kotzebue nieder, das Jahr vorher, am 22. Oktober bestieg Hegel zum erstenmal den Katheder an der Universität zu Berlin. Schon in seiner Antrittsrede gab er den Zuhörern sein Programm, und aus dem Programme ging es hervor, daß die Hegelsche Philosophie und der preußische Staat in seiner damaligen Gestalt aufs innigste zusammen gehörten; denn diese Philosophie beruhte auf der Allmacht des Begriffs, dieser Staat auf der Macht der Bildung und der Intelligenz. Daß Preußen gerade damals seinem Wesen und seiner Vorzeit untreu wurde, um am Gängelbande Österreichs der geistigen wie der politischen Reaktio zu dienen, kam nicht zum Ausdruck. Und doch waren die Karlsbader Beschlüsse gefaßt, und doch war es gerade Preußen, das damals die Initiative zu all den kleinlichen thyrannischen Verhaltungsmaßregeln ergriff, die bald ganz Deutschland unter polizeiliche Aussicht stellten. Hegel aber war die Gefühlspolitik der Burchenschafter ebenso verhaßt, wie die Gefühlsphilosophie; ihm war die Wartburg-Zusammenkunst eine romantische Posse und Dolchstich |17| Sands ein Greuel. In der Vorrede zur »Rechtsphilosophie«, seinem ersten und wichtigsten Werk in Berlin, ließ er sich nicht nur zur Verteidigung der Demagogenverfolgungen herab, sondern er erniedrigte sich auch dazu, Polizistendienste zu besorgen, indem er seinen ehemaligen Kollegen Fries den Regierungen angab: »Hoffentlich wird nicht Amt und Titel zum Talisman für Prinzipien werden, aus welchen die Zerstörung ebenso der inneren Sittlichkeit und des rechtschaffenen Gewissens als die Zerstörung der öffentlichen Ordnung und der Staatsgesetze folgt.« Hegel stand von nun an als der philosophische Diktator Deutschlands da. Von Berlin aus beherrschte er die ganze deutsche Wissenschaft.

Es lag indessen in dieser Philosophie, ja sogar in eben diesem so konservativ angelegten Werke, der »Rechtsphilosophie«, eine Zweideutigkeit, die zukunstsschwanger war. Schon in jener berüchtigten Vorrede steht der Satz, der das klassische Wort des Zeitalters werden sollte, zuerst von dem Konservatismus der Restaurationszeit leidenschaftlich aufgenommen, dann von den jüngeren Schülern Hegels als Sturmbock benutzt. Mit gesperrter Schrift ist es da in zwei Zeilen zu lesen:

Was vernünftig ist, das ist wirklich,
Und was wirklich ist, das ist vernünftig.

Was heißt dies? Hegel entwickelt, daß, wenn das Gefühl das Gegenwärtige für eitel und nichtig erkläre, so sei das Gefühl selbst falsch, und wenn umgekehrt die Idee als bloße Vorstellung gelte, so müsse geltend gemacht werden, daß nichts als die Idee allein wirklich sei; es käme darauf an, das Ewige in dem Gegenwärtigen, Zeitlichen, Vorübergehenden zu entdecken, mit anderen Worten, in diesem Fall nicht einen Staat zu konstruieren, sondern den Staat zu begrefien wie er sei.

Mit Recht hat Haym, der Biograph Hegels, es ausgesprochen, daß die Gottesgnadentumtheorie nicht so gefährlich sei wie dise, welche alles Besthehende als Bestehendes heilig spricht. Aber anderer|18|seits kann mit ebenso gutem Rechte hervorgehoben werden, daß nicht der Umsturztrieb der revolutionären Jugend so weit ging, wie diese Lehre, die nur dem Vernünftigen Wirklichkeit zuspricht und all dem übrigen also nur eine Scheinexistenz beilegt, der man deshalb trotzen, ja die man zur Seite setzen, durchbrechen, sprengen dürfe und solle. Daher konnte Robert Prutz von diesem selbe Satz sagen, mit ihm sei aller Zweifel gehoben, der alte Gott der Finsternis in den Abgrund gestürzt und ein neuer, ewig herrschender Zeus die Idee, die sich selbst begreift, der Mensch als denkendes auf den Thron gesetzt.*

*) Haym, Hegel und seine Zeit. S. 365 flg.; R. Prutz, Vorlesungen über die deutsche Literatur der Gegenwart. S. 259 flg.

So verschiedentlich die Hegelsche Philosophie nun auch bald ausgelegt wurde, die Verwandtschaft zwischen dieser Lehre und der Poesie Goethes ward von allen Eingeweihten empfunden. Dem Kreise von Goethe-Verehrern in Berlin wurde Hegel der kräftigste Bundesgenosse, und sie verbanden in Einer Ehrfurcht die Männer, die man den absoluten Dichter und den absoluten sophen nannte. Der rechtgläubige Hegelianer erblickte sogar den bedeutungsvolles Zusammentreffen in dem Umstande, daß Hegel 27. August, Goethe am 28. August geboren war. In den zwanziger Jahren saßen am Abend des 27. August die Treuen bei der festlichen Abendmahlzeit, tranken auf das Wohl des Meisters im Reiche der Gedanken und erinnerten sich der Worte in de Vorrede zur Rechtsphilosophie von Minervas Eule, die bei einbrechen der Abenddämmerung ihren Flug beginnt. Aber sobald die Mitternachtsstunde geschlagen hatte, erhob sich ein Redner und verkündete die frohe Botschaft, daß Apollo, der Gott des Tages und des Gesanges, nun den herrlichen Tag, den 28., mit seinem Sonnewagen am Himmel heraufführe.*

*) Treitschke, Deutsche Geschichte. Dritter Band S. 686.

|19| Das Nationalgefühl, das im Jahre 1813 den Feind aus dem Lande vertrieben hatte, enthielt zwei grundverschiedene Elemente, eine historische, zurückblickende Richtung, die sich bald als Romantik ausschied, und eine freisinnige, fortschrittsgläubige Richtung, die zum Liberalismus wurde. Als die Reaktion kam, stützte sie sich auf viele Grundsätze der Romantik und nahm sie zuletzt ganz in ihren Sold. Männer wie Görres, wie Friedrich Schlegel u. a. gingen vom Lager der Romantik hinüber in das Lager der Reaktion.

Die freiheitsliebende Gruppe hatte während des Kampfes mit Napoleon natürlich den Haß der Romantiker gegen Frankreich geteilt. Aber in dem Maße wie nach und nach aus ihren Sympathieen Wünsche und Ansprüche (auf Preßfreiheit, konstitutionelles Königstum, Wahlrecht u. s. w.) wurden, verdampfte notwendigerweise der Haß gegen Frankreich. Und je kräftiger die Reaktion wurde, desto stärker wurden die Blicke nach dem Nachbarlande hinübergezogen, das eine parlamentarische Verfassung besaß; bald gewannen die Helden des französischen Liberalismus auch für die deutschen Liberalen eine große Bedeutung, ja in der Entfernung nahmen sie sich bedeutender aus, als im Lande selbst. In Deutschland war nach dem Siege über Napoleon, wie vorher nach der Besiegung durch ihn, Ruhe stets die erste Bürgerpflicht. Hier war alles Gehorsam und Schweigen. Und es ging dann wie in der Regel, wenn ein hochbegabtes und im Handeln schwaches Volk nicht imstande ist, ein Joch abzuschütteln: der Druck gebar Selbstverachtung, die Selbstverachtung eine Art von verzweifeltem Witz, einen stehenden Galgenhumor, und es entwickelte sich unter den Besseren eine wahre Leidenschaft, im Spott Linderung über die eigene Armseligkeit zu suchen. Die Betrachtung der heimatlichen Zustände gab einen beständig widerkehrenden Anlaß zur Selbstironie. Verspottet wurden die romantischen Schẅarmereien, die Geduld und der Unterhänigkeitsgeist auf dem politischen, die Orthodoxie und der Pietismus auf |20| dem religiösen Gebiete. Die Karikaturformen des Staatsl der Religion und der Poesie reizten zum Spott, der bald rück los die Vaterlandsliebe verletzte, bald einen leichtsertigen To schlug, welcher besonders bei der steten Hinweisung des Liberal auf Frankreich mehr sranzösisch als deutsch war oder doch scheinen mußte.

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