Über den deutschen Ländern brütete seit den Tagen der heiligen Allianz die große systematische Reaktion, die, von dem Wiener Kongreß ausgegangen, ihren Mittelpunkt in Österreich hatte, und deren vollgiltigster Vertreter Metternich, ein Schüler Talleyrands, ohne die Geschmeidigkeit des Meisters zwar, aber weit schädlicher als dieser, ganz Europa zu umspannen hoffte. Es war sein Ziel, daß alles, was die Revolution und Napoleon erschüttert, in Schwanken gebracht oder umgestürzt hatten, ergänzt oder wieder hergestellt sich aufs neue erhebe. Man war zuletzt gezwungen gewesen, den großen Feind durch Mittel jeglicher Art zu bekämpfen; man hatte an das Volk appellieren müssen anstatt einfach zu kommandieren, man war gezwungen gewesen, sich an die Sentimentalität statt an die Unterthanentreue zu wenden, ja man hatte etwas, aller Kabinettspolitik so durchaus Fremdes, etwas so studentenhaft Revolutionäres wie die Wiedergeburt Deutschlands versprechen müssen. Allerdings stellte sich ein erkennbarer Unterschied zwischen der Parole, die von Osterreich ausging und derjenigen, die von Preußen gegeben wurde, heraus. »Gerechtigkeit und Ordnung!« »Ordnung und Friede!« das waren die Stichwörter in den österreichischen Proklamationen. »Das Volk!« »Freiheit und Ehre!« »Deutschtum!« waren die preußischen Schlagwörter. Damit waren jedoch die beiden großen deutschen Staaten der Stimmung des Zeitalters viel weiter entgegen gegangen, als es mit den Sympathien der leitenden Staatsmänner übereinstimmte. Kaum war der Feind verjagt, der Erbe der Revolution |4| vernichtet und der Freiheitskrieg beendet, als es für sie galt, der Freiheit wie dem Krieg ein Ende zu bereiten.
Die Jugend, die während des Krieges mit Frankreich aufgewachsen war, hatte erwartet, ein einheitliches Deutschland als Folge des Sieges entstehen zu sehen. Stein hatte schon im Jahre 18 einen Plan zur Wiedervereinigung der zerstreuten Bestandteile des vormaligen deutschen Reiches entworfen, Arndt und Görres hatten in demselben Geiste geschrieben. Im Pariser Frieden 1814 wurde jedoch bestimmt: »die deutschen Staaten sollen unabhängig und durch ein föderatives Band vereinigt sein«, und dadurch wurden alle Hoffnungen auf den Einheitsstaat mit einem Schlage vernichtet. Fast ein Menschenalter ging darüber hin, bevor der Gedanke an denselben von neuem das Volk erfüllte. Statt des einheitlichen Staates erstand der deutsche Bund, der deutsche »Bunt«, wie Jahn ihn nannte, eine bunte Harlekinstracht für die Nation, und die Enttäuschung war bitter.
Es ging mit dem Traume von Freiheit wie mit dem Trau von Einheit. Um die Völker zum Kampfe gegen Napoleon aufzustacheln, hatten mehrere Fürsten ihnen freie Verfassungen versprochen. Von den größeren Staaten hielten nur Bayern, Bat und Württemberg, die früheren Mitglieder des Rheinbundes, die Versprechungen, indem sie ihren Ländern Konstitutionen gab Bayern und Baden im Jahre 1818, Württemberg, wo ausnahmsweise der König freisinniger war als die Stände, im Jahre 1819, während Karl August im kleinen Sachsen-Weimar als Bahnbrecher der politischen Freiheit in Deutschland schon im Jahre 1816 eine freie Verfassung gegeben und ein parlamentarisches Idyll geschaffen hatte.
Dies bedeutete jedoch nur wenig, da Osterreich nach dem Frieden, wie zuvor, ein reaktionäres Prinzip bezeichnete, und Preußen, in dessen Bevölkerung der politische Trieb am lebhaftesten war, sich völlig der Metternichschen Grundanschauung anschloß.
Das preußische Volk hatte indessen nicht nur den Wunsch, eine repräsentative Verfassung zu erreichen, es besaß darauf auch ein altes |5| Anrecht. Es hatte Brief und Siegel darauf. Schon in einem Edikt vom Jahre 1810 war von dem Wiederhersteller Preußens, dem Kanzler Fürsten Hardenberg, eine allgemeine Volksrepräsentation in Aussicht gestellt worden. Während des Krieges mit Napoleon war das Versprechen wiederholt, und schließlich war in einer Verordnung vom 22. Mai 1815 dem Volk eine förmliche Zusage gegeben worden durch eine ausdrückliche Mitteilung der Absicht des Königs, ohne Zaudern eine Kommission zur Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs nach konstitutionellen Grundsätzen niederzusetzen. Aber nach und nach, in dem Maße wie das Metternichsche System durchdrang, wurde die Verwirklichung dieses Planes immer weiter hinausgeschoben. Als Görres es wagte, Hardenberg eine Adresse der Rheinlande vorzulegen, in welcher der König von Preußen an sein Versprechen erinnert wurde, bekam er nur die Antwort, daß der König, der das Versprechen gegeben, auch in seiner Weisheit sich Vorbehalten habe, den Zeitpunkt der Erfüllung zu bestimmen. Bei mehreren späteren Veranlassungen erklärte der König sich zwar durch sein Versprechen gebunden, betonte aber immer, daß die Festsetzung des Zeitpunktes seiner landesväterlichen Fürsorge vorbehalten sein müsse. So gingen Vorläufig volle fünfundzwanzig Jahre, die ganze übrige Lebenszeit des Königs, hin. Biedermann, Dreißig Jahre deutscher Geschichte; Prutß, Zehn Jahre. Erster und zweiter Band.
Es kam den Regierungen zunächst darauf an, jedwede Spur der Napoleonischen Staatseinrichtungen zu vertilgen. So wurde z. B. in Hannover der Code Napoléon mit seiner Offentlichkeit und Mündlichkeit des gerichtlichen Verfahrens abgeschafft und statt dessen der alte Inquisitionsprozeß des sechzehnten Jahrhunderts mit heimlicher Gerichtspflege wieder eingeführt. Die Bauern, die von den Franzosen befreit worden waren, wurden zur Leibeigenschaft und zum Frondienst zurückgeführt. Der Grundsatz von der Gleichheit vor dem Gesetze wurde aufgehoben, indem der Adel von neuem die |6| politischen und sozialen Vorrechte eingeräumt bekam, die er im achtzehnten Jahrhundert besessen hatte.
Und gerade als die ersten Knospen eines freieren Staatslebens in Süddeutschland im Begriff waren sich zu entfalten, trat eine Begebenheit ein, die das Signal gab zu verstärkter Reaktion in viel rascherem Tempo und mit Anwendung der gewaltsamsten Mittel unbedeutenden und unschuldigen Äußerungen des Volkslebens gegenüber: die Ermordung Kotzebues, oder genauer, die Begeisterung für den Mörder, die diese That überall in dem unterdrückten und durchspionierten Deutschland erweckte.
Der nationale Aufschwung und die Freiheitsbegeisterung, sich während des Zusammenstoßes mit Frankreich geltend gemacht, hatten in den darauf folgenden Jahren zwei Bewegungen in der deutschen Jugend hervorgerufen, auf welche die Blicke der Regierungen sich richteten, das Turnwesen und das Burschenschaftswesen.
Jahn, der Stifter des volkstümlichen Turnens, war auf Fichte in der Gunst der nationalen Jugend gefolgt: er eröffnete die erste Turnschule in Berlin. Er war ein ehemaliger Jäger vom Lützowschen Freikorps, ein Teutone und Franzosenhasser, der seine langen ungekämmten, grauen Haare über die Schultern hinabfallend trug, mit bloßem Hals und breitem niedergeschlagenen Hemdkragen und mit einem dicken Knotenstock in der Hand einherschritt. Wenn er Ferienausflügen mit seinen Schülern ein Schild mit französischer Aufschrift oder einen geckenhaft gekleideten Mann traf, wurde sofort ein Kreis darum gebildet und »Eh! Eh!« gebrüllt. Auf diesen Wanderungen wurde die größte Mäßigkeit im Essen und Trinken geübt, man lebte meistens von Brot und Wasser und nachts lag man unter offenem Himmel im Biwak. Da erscholl ums Feuer herum das schöne Trunerwanderlieb des braven Maßmann:
|7| Dieser Maßmann, der nicht nur ein Bannerführer der Turnersache, sondern auch einer der Gründer der Burschenschaft war, ist derselbe, der einen so großen Platz als Prügelknabe in Heines Gedichten und Vorreden einnimmt.
Jahn wurde bald Gegenstand der leidenschaftlichsten Bewunderung, nicht nur unreifer Menschen, sondern von seiten bedeutender Männer und öffentlicher Institute. Von Dichtern wurden ihm Verse zugeeignet, ein Philolog wie Thiersch dedizierte ihm seinen Pindar und verglich die deutsche Gymnastik mit der griechischen, zwei Universitäten ernannten ihn zum Ehrendoktor. Er selbst war ein äußerst königstreuer Mann; aber es war Ton bei seinen langhaarigen Turnern, die den Hals entblößt und Jacken von ungebleichter Leinwand trugen, das Heer zu verhöhnen, insonderheit die zierlichen Gardeoffiziere; man wütete außerdem gegen abstrakte Feinde; es wurden den Turnern Regeln gegeben, die Feinde der guten Sache zu töten, mit Dolchen sollte man zuerst nach den Augen zielen, dann, wenn das Opfer das Gesicht decke, ins Herz hineinstoßen.
Während diese Bewegung von Berlin ausging, erwachte die Burschenschaftsbewegung in Thüringen. Sie begann als christlichgermanische Schwärmerei, ging u. a. daran aus, die Roheit der Studentensitten zu reformieren und hatte, als dem Teile von Deutschland entsprungen, der die Heimat der Kleinstaaterei war, Arndts bekanntes Lied vom ganzen Deutschland als Vaterland der Deutschen zum Programm.
Unter den Professoren in Jena stand ein gewisser Fries diesen Bestrebungen der Studenten am nächsten. Es ist derselbe Fries, der in der Vorrede zu Hegels Rechtsphilosophie als Repräsentant der Oberflächlichkeit mit Hohnworten überschüttet wird. Er war |8| beeten der Kriecherei emporwachse; unter der Obhut desselben verbreiteten sich Einheits- und abstrakte Freiheitsbestrebungen unter der Jugend der Universitäten. Zum Feldzeichen nahmen die Burschen ein schwarzrotgoldenes Banner; es hatte, scheint es, seinen Ursprung von den Farben der Uniform der Lützowschen Jägerkors schwarz mit rotem Aufschlag und goldenen Knöpfen.
Das Jubelfest der Reformation im Jahre 1817 lenkte zue die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Turner und Burschenschaftler. Es hatte nämlich den Gedanken an eine Zufammenkunft von Abgesandten aller deutschen Burschenschaften auf der Wartburg hervorgerufen. In einer Festschrift von Karl Sand wurden als Deutschlands drei Erbfeinde von uralter Zeit her das Römerwesen, das Mönchswesen und das Soldatenwesen genannt. — Aus Eisenach zogen am 18. Oktober 1817 500 Burschen mit mehreren Professoren an der Spitze nach der Wartburg hinauf, wo Karl August ihnen zum Mittagsmahle den Rittersaal hatte öffnen lassen. Hierauf gaben die Turner ihre Purzelbäume den verblüfften Eingeborenen zum besten. Abends wurden mehrere große Freudenfeuer angezündet. Da machte Jahn den Vorschlag, daß man dem Beispiele Luthers folgend, der die päpstliche Bulle verbrannt hatte, alles verbrenn solle, was die Feinde der guten Sache geschrieben hatten. Mo mann sprach pathetisch seine Zustimmung aus. Dann brachten sie einige Pakete alten Druckpapieres zusammen, mit den Titeln der von den verhaßten Feinden des Turnwesens verfaßten Bücher beschrieben. Darunter waren drei von dem traurig bekannten Schmalz dem ersten Rektor der Universität zu Berlin, das Gesetzbuch der Gendarmerie von dem ebenso berüchtigten preußischen Justizminister Herrn von Kamptz der Code Napoléon Kotzebues »Deutsche Geschichte« Hallers »Restauration« u.s.w. Zuletzt wurden ein Ulanenschürleib, ein Kopf und ein Korporalstock ins Feuer geworfen *
|9| Als Fries in hochtrabenden Worten den Studenten Lebewohl sagte, hob er hervor, daß sie nun im Lande der deutschen Volksfreiheit, der deutschen Denkfreiheit gewesen seien: »Hier ist kein stehendes Heer« u. s. w., eine um so komischere Wendung, als das Heer Sachsen-Weimars aus einer Schar harmloser Handwerker bestand, die gegen einen kleinen Tagelohn wechselweise als Husaren mit hohen Reiterstiefeln und Sporen, aber ohne Pferde, auftraten. In Hegels Vorrede zur Rechtsphilosophie heißt es von dieser Rede, daß Fries sich nicht geschämt habe, bei einer berüchtigten öffentlichen Festlichkeit über Staat und Staatsverfassung zu sagen, von unten herauf, vom Volke würde das Leben kommen, wenn echter Gemeingeist herrsche, die Gesellschaft könne allein »durch die heilige Kette der Freundschaft« zusammengehalten werden. Hegel bezeichnet es hier als Zeichen der Flachheit, die gegliederte Architektur der Staatsvernunft in die Suppe des Herzens, der Freundschaft und der Begeisterung zusammenfließen zu lassen.
Maßmann gab einen Festbericht heraus, worin geschildert wurde, wie die Nacht noch über Deutschland brüte, aber zugleich gezeigt wurde, daß die, blutiggoldene Morgenröte im Begriff sei aufzugeben
Metternich setzte Fürst Hardenberg sowie Kaiser Alexander in Bewegung, um in Veranlassung des Festes einen Druck auf Karl August auszuüben, der am Wiener Hofe von nun an höhnend »der Altbursch« genannt wurde.
Man hatte auf der Wartburg unter anderen die Schriften von Kotzebue in effigie verbrannt, der in Weimar das »Litterarische Wochenblatt« herausgab, in welchem er Rußland schmeichelte und die deutsche Jugend verspottete. Wie selten Goethe auch mit der Jugend sympathisierte, so freute er sich doch diesmal über den seinem Feinde zugefügtem Tort.*
Da Kotzebue russicher Legationsrat |10| war und Von Zeit zu Zeit an den Hof in Petersburg Berichte fandte hielt man ihn für einen russischen Spion. Was er dorthin mitteilte, waren zwar nur unschuldige litterarische Übersichten, aber er war nun einmal in den Augen der studierenden Jugend der reine Belzebub: Beltze- oder Kotzebue. Um diese Zeit hatte an der Universität Gießen unter Leitung von drei Brüdern Follen, fanatischen Republikanern, sich ein Radikalismus entwickelt, der stets in Vorstellungen von Ermordung der Tyrannen und derartigen Handlungen schwelgte. In den Studentenliedern kamen Wendungen diese vor: »Freiheitsmesser gezückt! — Hurra! den Dolch durch Kehle gedrückt!« Karl Follen war der Hauptmann und ganz hängig von ihm war der junge, beschränkte Mystiker Karl Sand der immer mit Jesu Vorbild vor Augen umherging, und welcher am 23. März 1819 Kotzebue den Dolch in die Kehle stieß. — Auf einem Stück Papier, das Sand bei der Leiche liegen ließ, fand unter anderm ein Vers von Follen:So einleuchtend es war, daß dieser Mord religiöser Schwärmerei entsprungen war und daher nicht im allgemeinen der freisinnigen Jugend zur Last gelegt werden konnte, so kamen doch infolge davon besonders da Sand in dem Volksbewußtsein zum Heiligen emporgehoben wurde, Metternich und Gentz, der Kaiser von Österreich, der König von Preußen und der Zar, welchen der hier zum Ausbruch gekommene Russenhaß irritierte, alle wie ein Mann in Bewegung. Es wurden die bekannten Karlsbader Beschlüsse gefaßt: provisorische Ausnahmegesetze gegen die Universitäten, »die Demagogen« und die Presse. So entstanden die deutschen Zensurverhältnisse der damaligen Zeit, den russischen von heutzutage ähnlich. Mit Recht konnte Gentz den Zustand als die größte retrograde Bewegung, die seit dreißig Jahren stattgefunden, preisen.
Unter dem Scheine, als verfolgte man eine große revolutionäre Partei, die, wie den Regierungen wohl bekannt war, nicht existierte, |11| begann man einen Verfolgungskrieg gegen das, was damals »Liberalismus« genannt wurde. De Wette, Professor an der Berliner Universität und zwar der Theologie, erhielt seinen Abschied, weil er einen privaten Trostbrief an die Mutter Karl Sands geschrieben hatte, der Von der Polizei aufgefangen und geöffnet wurde. Selbst gegen die Männer, die das deutsche Nationalgefühl aus der Kriegszeit her repräsentierten, kehrte sich die Reaktion. Jahn wurde arretiert, auf eine Festung gebracht und später in einer kleinen Stadt unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Arndt wurde als »Demagog« in eine Kriminaluntersuchung verwickelt und außer Dienst gesetzt; Görres, gegen den ein Befehl zur Verhaftung ergangen war, flüchtete über die Grenze.
Die Zensur erstreckte sich in Preußen nicht nur auf die Blätter und Bücher, die dort gedruckt wurden, sondern zugleich auf die im Ausland erscheinenden. Alle deutschen Zeitungen, die in England, Frankreich und Holland erschienen, wurden verboten. Die gesamten Veröffentlichungen einzelner Verlagsbuchhandlungen, z. B. der Firma Brockhaus, wurden wegen einiger weniger, bei ihnen erschienener Hefte einer besonderen Nachzensur unterworfen. An allen Universitäten wurden Vertrauensmänner angestellt, welche die Gesinnung der Jugend und die Vorlesungen der Professoren überwachen sollten. Das Turnwesen und die Burschenschaften wurden unterdrückt, die sogenannte altdeutsche Tracht und die schwarz-rot-goldenen Farben, in deren Ausspürung die Polizei besonders Großes leistete, wurden verboten. Es wurde auf Leibröcke, Mützen, Quasten, Bänder und Pfeifenköpfe Jagd gemacht, und jedermann den man mit Strohhut, roter Weste und schwarzem Rock ergriff, wurde wegen Hochverrats in das Gefängnis gesteckt.
In den zwanziger Jahren hatten sich einmal mehrere Studenten in Warburg Schläger von einer Fabrik in Solingen verschrieben, und es hieß, daß die gewöhnliche Fabriksmarke "Fürst" darauf fehle. Die Kurhessische Regierung veranstaltete eine Untersuchung, |12| um zu erfahren, ob die Studenten sich die Schläger so bestellt hätten — zum großen Verdruß der Polizei fand man jedoch keinen Grund zur Anklage. »Ihre Staatsmänner thun mir leid,« sagte damals der französische Minister Graf de Serre zu dem berühmten Niebuhr, »sie führen Krieg gegen Studenten.«
Man spähte besonders nach verbotenen Verbindungen unter der studierenden Jugend. Als Arnold Ruge gefangen genomt wurde, machte Herr von Kamptz förmlich Polizeijagd auf einen ihm gehörenden Stock, auf welchem die Namen von einigen Jenenser Burschen eingeritzt waren, bis endlich das Corpus delicti glücklich Stralsund konfisziert wurde. Ruge peinigte man mit langen Pausen zwischen den Verhören, während er sich in seinem Verschlag Wanzen nicht retten konnte. Für das Verbrechen »am hellen Tage die deutschen Farben getragen zu haben«, mußte Fritz Reuter zu mit Gefängnis in einem erbärmlichen Loche in Berlin, danach, Hochverräter verurteilt, in schmutzigen Festungskasematten büßen. In Bayern wurde die Festungsstrafe Über einen jugendlichen politischen Sünder verhängt, kraft einer Anklage, die als besonders gravierenden Umstand anführte, daß man in seiner Kammer etwas gefunden habe, das einem deutschen Fürstenmantel gleiche. Zu tausenden mußten preußische Jünglinge auf österreichischen Antrieb ins Gefängnis oder ins Exil wandern. Kurz gesagt, die liberale Jugend des Bürgerstandes in Deutschland war in jenen Tagen rechtlos und so verfolgt, wie im deutschen Reich später lange zeit hindurch die sozialistische Jugend des vierten Standes, oder wie heutzutage die freisinnige Jugend in Rußland.
Hand in Hand mit der politischen ging, wie in der Regel, die religiöse Reaktion. Im Jahre 1821 schloß die preußische Regierung ein Konkordat mit dem Papste, das der katholischen Kirche einen unter Friedrich dem Großen undenkbaren Einfluß in Preußen gestattete. Ein Jahr danach wurde in der protestantischen Kirche eine neu Liturgie eingeführt, die sich der katholischen näherte, und |13| was sehr bezeichnend ist, sogar der Name Protestantismus bekam einen üblen Klang. Durch eine Kabinettsordre wurden 1821 die Namen Protestant und Protestantismus in Preußen verboten; die Zensoren erhielten Anweisung, diese Benennungen nicht mehr zu dulden, sondern durch das Wort »Evangelisch« zu ersetzen.
Die Trauer, die in langen und anscheinend hoffnungslosen Reaktionsperioden das Gemüt aller Vorwärtsstrebenden überwältigt, legte sich über die Elite des deutschen Volkes. Die große Menge aber wurde bald von Schlaffheit und politischer Gleichgültigkeit ergriffen. Die Reaktion, die zuerst von außen aufgezwungen war, schlich sich bald in die Gesinnungen ein. Viele fingen an, eine repräsentative Verfassung, wie die Preußen versprochene, als eine unnütze Sache zu betrachten. Die Scham darüber, daß Preußen, das im Kriege gegen Napoleon so große Opfer gebracht hatte, eine Konstitution nicht erreichen könne, während die süddeutschen Staaten, die bis zuletzt mit dem Feinde gemeinsame Sache gemacht hatten, seit lange parlamentarische Kämpfe und öffentliches Leben besaßen, wurde von Anderen dadurch verhehlt, daß sie auf jene Scharmützel mit einer Geringschätzung sahen, die mit Neid und Ärger stark verwandt war. Man hob mit Schadenfreude hervor, daß der Bundestag, wo Österreich und Preußen den Ausschlag gaben, schon dafür sorge, daß die Bäume des süddeutschen Parlamentarismus nicht in den Himmel hinein wüchsen. Es war außerdem den süddeutschen Regierungen gelungen, die Opposition, die sich in den Kammern äußerte, in Verruf zu bringen. Teils vermochten die Minister häufig, eine Wahl, die ihnen lunlieb war, zu hintertreiben, teils gewannen sie durch direkte Bestechung oder durch die Furcht vor Entlassung manchen Gegner und schließlich blieb ihnen noch der häufig angewandte Ausweg übrig, sich nicht im geringsten an den von den Kammern ausgesprochenen Willen zu kehren. Da die Regierungen die Macht hatten, lag es in der Natur der Sache, daß die parlamentarischen Verhandlungen gerade |14| bis zum Jahre 1830 kein tieferes Interesse irgendwelcher Art darboten.
Die deutsche Presse hatte nie hoch gestanden. Ausgesperrt wie sie jetzt von jeglicher Erörterung staatlicher Angelegenheiten war mußte sie sich auf Mitteilung einfacher Thatsachen in der Politik beschränken und sich im übrigen mit Hofneuigkeiten, Berichten über stattgefundene Gewitterschäden und Überschwemmungen, über das Erscheinen von merkwürdigen Mißgeburten in der Tierwelt oder die Offenbarung von neuen Sternen in der Theaterwelt fast ausschließlich abgeben schließlich abgeben.
Die Gebildeten suchten eine Art Ersatz für die ihnen verweigerte Beschäftigung mit der Politik in einem aufgeregten, halbthörichten Interesse fürs Theater. Nie zuvor war die Vergötterung einer Sängerin oder einer Tänzerin so auf die Spitze getrieben worden. In Berlin wurden in den zwanziger Jahren alle anderen Interessen von der Frage über deutsche oder italienische Musik verschlungen. Man ging ganz und gar in dem Streite zwischen Spontini und Weber auf. Als Börne 1828 nach Berlin kam, war alles von der Sängerin Henriette Sontag so erfüllt, daß niemand etwas anderes über Börne wußte, als daß er einen Artikel über sie geschrieben hatte. Man kann in seinen Briefen aus Paris (im »Härings-Salat«) die witzige und wahrheitsgetreue Darstellung davon finden, wie er allenthalben mit dem Ausruf angemeldet und empfangen wurde: »Es ist der Mann, der über die Sontag geschrieben.« Ja, noch im Jahre 1832 wurde daselbst alles, die Bewegung in Frankreich, die polnische Niederlage und das Mitlied mit den landesflüchtigen Polen, über die Füße der Tänzerin Fräulein Taglioni vergessen, die damals ihren Triumphzug durch Europa begannen. Der Hauptrepräsentant der reaktionären Geistesrichtung in Preußen, Theodor Heinrich von Rochow, schreibt im Mai 1832 an der Generalpostmeister von Kagler: "Sie wird tanzen, und somit ist große Freude und Beschäftigung vollauf […] |15| die Mimik der Grazien der Taglioni haben die drohenden Zeichen der Zeit verdrängt.« Das Wort Beschäftigung ist hier besonders bezeichnend. Dergleichen erfreute nicht nur; es beschäftigte.*
In litterarischer Hinsicht schwelgte das damals lebende Geschlecht, nachdem Goethe fein achtzigstes Jahr erreicht hatte, in einer Goethebewunderung, für welche alles, was der betagte Meister schrieb oder sagte, Weisheit, Schönheit und göttliche Poesie war. Sein ganzes Leben hindurch hatte er gegen Haß und Verkennung kämpfen müssen, jetzt wurde die Ehrfurcht vor ihm zur Karikatur. Besonders in Berlin erreichte sie die. Grenze der Blödsinnigkeit.*
In Zelters Briefen an Goethe heißt es in Veranlassung seines »Elpenor«: »Die Nachwelt wird es nicht glauben, daß die Sonne unserer Tage ein solches Werk hervorgehen sah.« Alle diejenigen, welche Hindernisse auf dem Wege Goethes gewesen, so lange sein Name noch der streitenden Litteratur angehörte, wurden seine Verehrer von dem Augenblicke an, wo dieser Name als unbestrittene Autorität betrachtet und als eine Art von konservativem und nationalem Wahrzeichen aufgefaßt werden konnte. Im übrigen lag die Litteratur danieder; das romantische Phantasiespiel der Poesie war im Erlöschen — Raupach und Müllner beherrschten die Bühne, Clauren den Roman. Die Unterhaltungslitteratur sank immer tiefer in Plattheit und Lüsternheit hinab.Du kan slå ord fra Brandes' tekst op i ordbogen. Aktivér "ordbog" i toppen af siden for at komme i gang.